Warum die USA den Krieg gegen Vietnam verloren haben
Die USA wurden nicht einfach niedergerungen. Sie wurden geistig ausmanövriert.
Für all den selbstzufriedenen Voyeurismus, der den Vietnamkrieg umgibt, ist es schwierig, eine konkrete Vorstellung davon zu bekommen, warum die Vereinigten Staaten von Amerika verloren haben. Mehr als ein Jahrzehnt lang hatten die USA erklärt, dass sie Vietnam nicht den Kommunisten überlassen wollten. Dennoch fiel Vietnam an die Kommunisten. Warum?
Das Fehlen einer klaren Erklärung ist kein Zufall. Keine der Institutionen, die die USA in den Krieg geführt oder die den Krieg geführt haben, will mit dem Verlust des Krieges belastet werden. Sie möchten lieber seinen Verlust als mehrdeutig, düster belassen. Oder schlimmer noch, dass die Schuld anderen zugeschoben wird.
In der Tat gibt es jedoch ganz bestimmte, konkrete Gründe, warum die USA den Krieg verloren haben. Wenn wir jemals ein wirkliches Einvernehmen über den Krieg erreichen wollen – und ganz bestimmt, wenn wir damit aufhören wollen, seine Fehler zu wiederholen und immer wieder neuere Kriege zu verlieren, dann müssen wir verstehen, warum die USA verloren haben.
Misserfolge traten in der Staatspolitik, im Geheimdienst und natürlich beim Militär auf. Am einfachsten lassen sich die Politik oder die politischen Faktoren erklären. Diese haben wir in früheren Artikeln, (HIER und HIER – ich werde beide demnächst übersetzen und hier veröffentlichen) eingehend behandelt.
Kurz zusammengefasst begannen sie, als Truman 1946 Ho Chi Minhs Bitte um Hilfe bei der Vertreibung der französischen Kolonialbesatzer zurückwies. Stattdessen half er den Franzosen. Dadurch wurde sichergestellt, dass die USA niemals die „Herzen und Köpfe des vietnamesischen Volks“ gewinnen würden.
Die Fehler gingen weiter, als Eisenhower 1955 ein „Südvietnam“ gründete, um die nationalen Wahlen zu umgehen, auf die man sich bei der Niederlage Frankreichs geeinigt hatte. Eisenhower sagte unverblümt: „Unsere Leute hätten verloren.“
Es sollten noch mehr Fehler kommen. Eisenhower setzte einen fremden Herrscher über sein neues Land ein, einen wohlhabenden, katholischen, urbanen Mandarin aus New Jersey, Ngo Diem. Die Vietnamesen waren arme, buddhistische, ländliche Bauern. Dann schauten die USA zu, als Diem das Land der Leute nahm und es seinen wohlhabenden Freunden gab. Ho Chi Minh hingegen nahm den Franzosen das Land und verteilte es an die Bevölkerung.
All diese Schritte bestärkten das vietnamesische Volk in seiner Überzeugung, dass „Südvietnam“ und seine Regierung nur Marionetten für einen anderen westlichen kolonialen Besatzer waren. Kein solches Lakaienregime konnte jemals politische Legitimität erlangen. Und ohne politische Legitimität konnte es nie eine langfristige Lösung für den Krieg geben.
Die politischen Schwächen verschlimmerten sich durch die Fehleinschätzungen des Geheimdienstes. Die offensichtlichste davon war die Konfusion von Nationalismus und Kommunismus. Vietnam war in erster Linie ein Kampf für die nationale Unabhängigkeit. Die Vietnamesen wollten die fremden Besatzer aus ihrem Land verjagen. Die Amerikaner hätten das verstehen müssen. Sie selbst hatten einst einen Krieg der nationalen Unabhängigkeit geführt, um die ausländischen Besatzer aus ihrem Land zu vertreiben.
Aber die USA waren auf Antikommunismus fixiert und Ho war ein Kommunist. Die USA glaubten, China 1949 „verloren“ zu haben. Erst 1953 hatte sie gegen Korea unentschieden gekämpft. Eisenhower sah schon unheilvoll die „Dominosteine“ von Kambodscha, Thailand, Burma bis nach Indien fallen.
Da sie alle Ereignisse durch die antikommunistische Brille wahrnahmen, waren die US-Führer nicht in der Lage, ihre Strategien und Taktiken zu modifizieren, um der Nachfrage nach lokaler Selbstbestimmung gerecht zu werden. Die Tragödie ist, dass die CIA 1961 die Dominotheorie verwarf, es aber unmöglich war, das politische Momentum umzukehren, das deren vereinfachende Bildersprache hervorgebracht hatte.
Ein ebenso entscheidendes Geheimdienstversagen war die Verwechslung von von außen gesteuertem Krieg und Widerstandskrieg.
Die US-amerikanische Auffassung des Krieges war, dass dieser „parteilich“ war – dass er von äußeren Invasoren aus dem Norden betrieben wurde. Tatsächlich war der Krieg von Anfang an ein „Aufstand“, der aus dem Süden selbst gegen die von den USA aufgezwungenen Regimes geführt wurde. Die Aufständischen waren der Vietcong.
Dieses Missverständnis untergrub gänzlich die Bemühungen der USA, da sich die Strategie der einen Kriegführung völlig von der der anderen unterschied. Je mehr sich die politische Lage im Süden verschlechterte, desto mehr bombardierten die USA den Norden. Je größer der Einfluss des Vietcong auf die Landbevölkerung im Süden wurde, desto mehr bombardierten die USA den Norden.
Das ging nach hinten los, weil es den Norden dazu trieb, in den Krieg im Süden einzutreten, um die ausländischen Besatzer, die den Süden als Ausgangsort für die Bombardierung des Nordens benutzten, zu vertreiben. Das war der Anfang vom Ende.
Es muss auf jeden Fall gesagt werden, dass die Berichte des Geheimdienstes, die nach Washington gingen, noch schlimmer als nutzlos waren. Sie waren zutiefst zerstörerisch. Über alles, von Kampfberichten über die Anzahl der vor Ort gezählten Leichen bis hin zu Lagebeurteilungen und Überprüfungen des strategischen Fortschritts wurde routinemäßig gelogen.
Dies machte es unmöglich, geeignete Strategien zu entwickeln oder auch nur aussagekräftige Einschätzungen des Kriegsfortschritts vorzunehmen. Der Grund dafür lag in der Motivationsstruktur des Militärs.
Offiziere des Militärs wurden für die erfolgreiche Erfüllung ihrer Aufgaben belohnt, nicht für mangelnde Leistungen. Sie hatten also einen eingebauten Anreiz, ihre Berichte zu verschönern. Lügen auf niedriger Ebene wurden routinemäßig in Lügen auf höherer Ebene eingearbeitet, und zwar die ganze Befehlskette entlang.
Auch die Loyalität innerhalb des Offizierskorps sorgte dafür, dass widersprüchliche Stimmen aus dem Militärdienst verdrängt wurden.
Die gesamte Hierarchie der Militärberichterstattung erstellte also falsche Fortschrittsberichte. Einmal begonnen war es unmöglich, aufzuhören. Das „Licht am Ende des Tunnels“ schien nie auszugehen.
Aber es kam auch nie näher. Die Lüge war so eingegraben, dass sie nicht einmal entdeckt werden konnte, bis es zu spät war. Und wenn sie entdeckt wurde, versuchten die Lügner diejenigen, die die Wahrheit sagten, zu verunglimpfen, indem sie ihren Patriotismus in Frage stellten.
Wenn politische und nachrichtendienstliche Defizite zur US-Niederlage beitrugen, waren militärische Ausfälle von zentraler Bedeutung. Vietnam war schließlich ein Krieg.
Einer der spektakulärsten Misserfolge war der Luftkrieg. „Rolling Thunder“ hieß die US-Aktion zur Bombardierung des Nordens. Die Idee war, Lieferungen aus dem Norden daran zu hindern, den Aufstand im Süden zu erreichen. Aber die Abriegelung scheiterte. Die Gründe dafür sind klar und waren damals bekannt.
Erstens war das wirtschaftliche Entwicklungsniveau des Nordens sehr niedrig, was bedeutete, dass es nur wenige Konzentrationen von geeigneten Zielen zur Bombardierung gab. Zweitens, als die Luftangriffe begannen, verteilte der Norden sogar diese Ziele über das Land, um sie vor Bombenangriffen zu schützen. Drittens wurden beschädigte Ziele schnell wieder aufgebaut. Über Flüsse führende Brücken wurden manchmal über Nacht wieder aufgebaut.
Viertens, und am wichtigsten – und das bezieht sich wieder zurück auf das oben erwähnten Versagen der Geheimdienste – da der Krieg in erster Linie ein „Widerstandskrieg“ war, der von Vietnamesen aus dem Süden selbst gegen die eigene Regierung des Südens gekämpft wurde, wurde die überwiegende Mehrheit der materiellen Anforderungen des Kriegs vor Ort gestellt.
1965 berichtete die CIA, dass 31% der Waffen, die vom Vietcong erbeutet wurden, aus amerikanischer Produktion stammten! Und auf dem Höhepunkt der Bombardierung im Jahr 1967 schätzte die CIA, dass selbst eine Verdoppelung der Bombardierungsintensität nur 20 % der Lieferungen nach Süden unterbinden würde.
Mit anderen Worten, die Bombardierungen hätten verzehnfacht werden müssen, um die Versorgung aus dem Norden vollständig zu unterbinden. Das war politisch, wirtschaftlich oder gar militärisch nicht möglich. Es war also konzeptionell nicht möglich, den Kampf im Süden durch Bombardierung des Nordens zu gewinnen. Das Militär war unbeeindruckt.
Berühmt der Ausspruch von Curtis LeMay, General der Luftwaffe, welcher sagte: „Wir sollten sie in die Steinzeit zurück bombardieren.“ Und er versuchte es. Die USA warfen dreimal so viele Tonnen Bomben auf Vietnam ab, als von allen Seiten auf allen Schauplätzen des Zweiten Weltkrieges zusammen abgeworfen wurden. Offensichtlich hat es nicht funktioniert.
Schließlich war die grundlegende US-Militärstrategie im Krieg tödlich fehlerhaft.
Seit Beginn der Eskalation im Jahr 1965 entschied sich das US-Militär für eine Abnutzungsstrategie. Abnutzung bedeutet, die Streitkräfte der anderen Seite schrittweise zu zerstören, bis sie nicht mehr kämpfen können. Damit die Abnutzung funktioniert, müssen drei Bedingungen erfüllt sein.
Erstens musst du in der Lage sein, das Timing und die Bedingungen für den Einsatz zu steuern, andernfalls kannst du die fortschreitende Zerstörung der feindlichen Truppen nicht gewährleisten. Zweitens müssen die Verluste des Feindes seine Ersatzrate übersteigen. Sonst kann er einfach verlorene Truppen schneller ersetzen, als sie zerstört werden. Und drittens müssen die eigenen Verluste, auch wenn sie viel geringer sein können als die des Feindes, in deinem eigenen kriegerischen Kontext noch tolerierbar sein.
Erstaunlicherweise traf keine dieser Bedingungen zu. Und noch erstaunlicher – obwohl sie nicht zutrafen und das US-Militär zu der Zeit wusste, dass sie nicht zutrafen, änderte das Militär nie seine grundsätzliche Strategie, bis es zu spät war.
In fast 90% der Fälle wurden Feuergefechte an vom Feind gewählten Orten und Zeiten ausgetragen. Schätzungen des Geheimdienstes während des Krieges deuteten darauf hin, dass etwa 200.000 nordvietnamesische junge Männer jedes Jahr das Militäralter erreichten, weit mehr als die Rate, zu der sie getötet wurden. Die Rekrutierung des Vietcong im Süden ist da noch gar nicht einbezogen.
Schließlich wurden trotz der Tötung von mehr als neun feindlichen Soldaten für jeden Amerikaner die Kosten für die USA unerträglich. Als immer mehr US-Soldaten in Leichensäcken nach Hause kamen und als Verlogenheit und Barbarei des Krieges bekannt wurden, wandte sich die amerikanische Öffentlichkeit gegen den Krieg und verlangte, dass er gestoppt wird.
Entgegen der US-Zermürbungsstrategie verfolgten die Nordvietnamesen eine Strategie der „Entnervung“ oder des langwierigen Krieges. Das bedeutete, den Kampfeswillen des Feindes zu ermüden. Es bedeutete, den Krieg hinauszuschieben, den Feind zu belästigen, ernsthaftes Engagement zu vermeiden, außer wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit hoch war, sich zurückzuziehen, bevor ernste Verluste erlitten wurden, und auf die amerikanische Öffentlichkeit zu zählen, die eines scheinbar endlosen aber nicht gewinnbaren Kriegs überdrüssig wird.
Das ist die Strategie, mit der Vietnam die Franzosen besiegt hatte. Sie funktionierte ebenso gut, um die Amerikaner zu besiegen.
Die USA hatten eine fast unvorstellbare Überlegenheit bei Feuerkraft, Mobilität, Kommunikation und Ressourcentiefe – den konventionellen Werten, von denen sie annahmen, dass sie ihren Sieg sichern würden. Nixon jammerte Kissinger gegenüber, dass seine massiv eskalierten Bombenangriffe nicht funktionierten: „Dieses viertklassige Land muss doch einen Knackpunkt haben.“
Aber die Herangehensweise der USA an den Krieg war in allen Teilen – Politik, Geheimdienst und Militär – zutiefst, grundlegend und irreparabel fehlerhaft. Die Unterstützung der lokalen Bevölkerung konnte sie nicht gewinnen. Sie konnte auf dem Boden nicht gewinnen. Und nachdem die Tet-Offensive Anfang 1968 in den USA die optimistische Fiktion, dass der Krieg gewonnen wurde, zerstört hatte, konnte sie nicht einmal den Willen ihrer eigenen Bevölkerung aufrecht erhalten, den Krieg fortzusetzen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden nicht einfach niedergerungen. Sie wurden geistig ausmanövriert.
Das Militär, das der Hauptdarsteller des Krieges war, ist schnell dabei, andere für seinen Verlust verantwortlich zu machen. Es waren die liberalen Medien, die das Volk gegen den Krieg gewandt haben. Es waren die verwöhnten Demonstranten, die Studenten, die das Land versauerten. Es waren die Sesselkrieger im Pentagon, die dem Militär die Arme hinter dem Rücken gefesselt haben. Und so weiter. Und weiter. Und weiter. Jeder, außer sie selbst.
Die politischen, nachrichtendienstlichen und militärischen Gründe für die Niederlage der Vereinigten Staaten von Amerika in Vietnam sind nicht schwer zu identifizieren. Sie bestehen aus der tödlichen Kombination von Unwissenheit, Betrug und Inkompetenz. Wir brauchen einfach die Klarheit des Intellekts und den Mut des Willens, sie zu benennen.
Aber von der immer tödlicheren Mischung aus Arroganz, Profitmacherei und Verleugnung durchtränkt stellen die Vereinigten Staaten von Amerika sicher, dass sie weiterhin ihre großen Kriege verlieren werden. Irak und Afghanistan stehen als Beispiele dafür. Es gibt keine Möglichkeit zu wissen, wann oder wie die Verliererei aufhören wird, aber bis wir die Lektion Vietnam begriffen haben muss angenommen werden, dass sie nicht aufhören wird. Das ist die wahre Tragödie von Vietnam.
Orginalartikel Why the US Lost the Vietnam War vom 9.10.2017
Quelle: http://www.antikrieg.com/aktuell/2017_10_10_warum.htm