Es gibt keine Rehabilitierung des Vietnamkriegs
Es gibt einen enormen Druck und eine Menge Geld, um Vietnam zu rehabilitieren, um die Schuld an diesem Krieg und die Schande darüber hinter uns zu lassen. Aber gerade die Schuld der Menschen, ihre Scham über das, was in ihrem Namen getan wurde, und ihr Mut, es anzuklagen, machten es ihrer Regierung unmöglich, die Barbarei noch länger fortzusetzen.
Seit dem Tag, an dem der Vietnamkrieg 1975 zu Ende ging, gab es Bemühungen, den Vietnamkrieg zu rehabilitieren, um ihn akzeptabel, ja sogar ehrenhaft zu machen. Schließlich gab es so viele Seiten an der Geschichte, nicht wahr? Es war so komplex, so vielschichtig. Es gab echtes Heldentum unter den Truppen.
Natürlich ist das alles wahr, aber das gilt für jeden Krieg, so dass es keinen Krieg wieder gutmacht. Der Vietnamkrieg ist jenseits alle Erlösung und muss wegen der Katastrophe, die er war, in Erinnerung gerufen und verurteilt werden. Der Vietnamkrieg war „eine der größten amerikanischen außenpolitischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts“.
Das sind nicht die Worte eines linken Gelehrten oder einer schreibenden Antiamerikanerin. Das sind die Worte von H.R. McMaster, dem amtierenden Nationalen Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
Warum muss man sich an Vietnam erinnern und es als die Katastrophe verurteilen, die es wirklich war? „Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass weder Vietnam, noch Laos, noch Kambodscha die Vereinigten Staaten von Amerika angegriffen haben. Sie wollten sie nie angreifen. Sie haben nie versucht, sie anzugreifen. Sie hatten nie die Kapazität, sie anzugreifen. Sie wollten einfach ihr eigenes Leben selbst gestalten.“
Erstens haben die USA ihre eigenen Ideale im Krieg verraten. 1946 bat der vietnamesische Präsident Ho Chi Minh den US-Präsidenten Harry Truman um Hilfe bei der Vertreibung der Franzosen, die Vietnam seit den 1860er Jahren als Kolonie besetzt hatten. Hatten die USA nicht selbst einmal einen Unabhängigkeitskrieg geführt, um sich von der europäischen Kolonialherrschaft zu befreien?
Tatsächlich wurden die einleitenden Worte zur vietnamesischen Unabhängigkeitserklärung in sakramentaler Ehrfurcht von der amerikanischen Erklärung entlehnt. Sie hallen an jeden patriotischen Amerikaner zurück: „Alle Menschen sind gleich geschaffen. Sie sind von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet, darunter das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück.“
Aber Ho war Kommunist. Truman lehnte ihn ab und half stattdessen den Franzosen. Das war die „Erbsünde“, die es den USA unmöglich machte, die Herzen und Köpfe der vietnamesischen Bevölkerung zu gewinnen. Es ist das, was den Krieg letztlich zum Scheitern verurteilt hat. Aber das war nicht die einzige Kardinalsünde, die die USA gegen ihre eigenen vermeintlichen Ideale begangen haben.
Eisenhower verletzte das Genfer Abkommen von 1954, das den Krieg mit den Franzosen geregelt hatte und errichtete im Süden ein Marionettenregime. Daher „Süd“-Vietnam, das, nicht überraschend, schnell verschwand, sobald die Amerikaner abgezogen waren. Er pfropfte einen wohlhabenden katholischen Mandarin aus New Jersey – Ngo Diem – auf das Volk, das überwiegend arm war und aus Buddhisten und Bauern bestand.
Diem boykottierte dann mit Eisenhower‘s Segen die in dem Abkommen vereinbarten Wahlen zur nationalen Vereinigung. Eisenhower schrieb später, dass der Grund für den Boykott war, dass „unsere Jungs verloren hätten“. Als Diem die zunehmende Rebellion gegen seine spalterische, allzu drückende Herrschaft nicht mehr unterdrücken konnte, ließ Kennedy ihn umbringen.
Zweitens gingen die Vereinigten Staaten von Amerika mit apokalyptischer Brutalität gegen Vietnam vor, weit über jeden erdenklichen moralischen Maßstab der Verhältnismäßigkeit hinaus. Sie warfen dreimal mehr Tonnen Bomben auf Vietnam, als von allen Beteiligten am Zweiten Weltkrieg zusammengenommen abgeworfen wurden. Vietnam ist etwa so groß wie New Mexico und hatte damals eine Bevölkerung, die größer war als die von New York und Kalifornien zusammen.
Die USA verloren im Krieg 58.000 Menschenleben. Aber mehr als vier Millionen Südostasiaten – Vietnamesen, Kambodschaner, Laoten – wurden getötet, die meisten von ihnen Zivilisten. Das sind 69 südostasiatische Menschen, die für jeden einzelnen Amerikaner getötet wurden. Das ist kein Krieg. Das ist ein Massaker in einem Ausmaß, das dem Holocaust nahe kommt.
Die USA sprühten 21 Millionen Gallonen krebserregende Entlaubungsmittel auf Vietnam, darunter das berüchtigte Agent Orange. Mehr als die Hälfte der Wälder des Landes wurden zerstört. Vietnam war die größte vorsätzlich von Menschen verursachte Umweltkatastrophe in der Geschichte der Welt. Kinder werden immer noch mit Geburtsdefekten aufgrund der Giftrückstände geboren.
Auf das benachbarte Laos, das 1965 2,4 Millionen Einwohner zählte, warfen die Vereinigten Staaten von Amerika 270 Millionen Streubomben ab. Das sind 113 Streubomben für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Land. Mehr als 80 Millionen dieser Bomben (bomblets – „Bömbchen“) sind bis heute noch nicht explodiert.
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass weder Vietnam noch Laos oder Kambodscha die Vereinigten Staaten jemals angegriffen haben. Sie wollten nie angreifen. Sie haben nie versucht anzugreifen. Sie hatten nie die Kapazität, anzugreifen. Sie wollten einfach nur ihre eigene Lebensweise haben.
Schließlich wurde der Krieg auf der Grundlage von Lügen begonnen und mit unerbittlichem Lügen fortgesetzt. Deine Mutter hat dir wie alle guten Mütter einst beigebracht, dass etwas falsch ist, wenn du deswegen lügen musst.
Die Geheimdienste belogen uns unermüdlich über die Bedrohung durch eine Nation vorindustrieller Bauern am anderen Ende der Welt, die nach fast einem Jahrhundert kolonialer Herrschaft von den westlichen imperialen Mächten einfach in Ruhe gelassen werden wollte.
Fünf aufeinanderfolgende Präsidenten belogen das amerikanische Volk über die Notwendigkeit des Krieges und seine wahrscheinliche Gewinnbarkeit. Keiner von ihnen wollte den Eindruck erwecken,“sanft mit dem Kommunismus umzugehen“. Keiner wollte „der erste amerikanische Präsident sein, der einen Krieg verliert“.
Die Pentagon-Papiere deckten auf, daß das Militär mit Lügen durchtränkt war, von den Leichenzählungen auf dem Feld bis zu strategischen Berichten über den Fortschritt. Whistleblower wurden aus dem Dienst geworfen, um sicherzustellen, dass nur Lügen in der Befehlskette nach oben transportiert wurden. Die Lügen wurden erst entdeckt, wenn es zu spät war.
Tatsächlich ist es genau unsere Verlogenheit über den Vietnamkrieg, damals wie heute, und unser Wissen über diese Lügen, ohne sie jemals offen und eindeutig zurückgewiesen zu haben, die den Krieg weiterhin als unehrenhaft erscheinen lassen.
Die Ehrlosigkeit betrifft natürlich nicht die Millionen Soldaten, die dort gedient haben, sondern den Krieg selbst. Die Ehrlosigkeit betrifft die Institutionen – öffentliche wie private – die vom Krieg profitierten und gelogen haben, um ihn zu rechtfertigen, und sie betrifft die Menschen, deren Schweigen und Duldung sie zu Komplizen der Lügen machte.
Die Ehrlosigkeit betrifft diejenigen, die unsere Soldaten, unsere Kinder, in die perverse Situation gebracht haben, nicht ehrenvolle Dinge ehrenhaft zu tun, sondern zu versuchen, ehrlose Dinge ehrenhaft zu tun. Denn trotz der erhabensten Motive, die wir für seine Anfänge erfinden konnten, ist das zweifellos das, was aus dem Krieg schließlich wurde.
Im März 1965, vor dem Einsatz von amerikanischer Bodentruppen, der den Krieg unumkehrbar machen würde, noch bevor die überwiegende Mehrheit der Bombardierungen und Morde verübt wurde, erklärte ein Pentagon-Briefing für Johnson die wahren Ziele des Krieges: „… 70%, um eine demütigende US-Niederlage zu vermeiden; 20%, um Südvietnam (und angrenzende Gebiete) vor chinesischen Händen zu bewahren; und 10%, um dem Volk Vietnams ein besseres, freieres Leben zu ermöglichen“.
Genau darum ging es bei der pathologischen Brutalität in Vietnam. Es war nicht unbeholfenes Wohlwollen, das schief ging, wie die Apologeten uns glauben machen wollten. Es ging nicht darum, Demokratie zu bringen, nicht darum, den Kommunismus abzuwehren, nicht darum, dem vietnamesischen Volk zu helfen. Es ging darum, „eine demütigende US-Niederlage zu vermeiden“. das sind die offiziellen, wenn auch damals geheimen Worte der US-Regierung.
Wir können eine noch größere Autorität herbeirufen als H.R. McMaster, um zu bestätigen, dass der Krieg falsch war. Robert McNamara war der US-Verteidigungsminister sowohl unter Kennedy als auch in der Johnson-Regierung. Er ist der unbestrittene Architekt und Chefstratege des Krieges.
In seinen Memoiren schrieb McNamara: „Wir von den Regierungen Kennedy und Johnson, die an den Entscheidungen über Vietnam teilgenommen haben, handelten nach dem, was wir für die Prinzipien und Traditionen dieser Nation hielten. Wir trafen unsere Entscheidungen im Lichte dieser Werte. Doch wir lagen falsch, furchtbar falsch. Wir schulden es den kommenden Generationen zu erklären, warum.“
Es gibt keine zwei unvereinbareren Autoritäten über den Krieg als diese beiden Männer. Sie repräsentieren das Alte und das Neue, Demokraten und Republikaner, Zivilisten und Soldaten, Schauspieler und Kritiker, introspektiv und retrospektiv. Doch sie kommen beide zu der selben verdammten Schlussfolgerung.
Es gibt einen enormen Druck und eine Menge Geld, um Vietnam zu rehabilitieren, um die Schuld daran und die Schande hinter uns zu bringen. Aber gerade die Schuld der Menschen, ihre Scham über das, was in ihrem Namen getan wurde, und ihr Mut, es anzuklagen, machten es ihrer Regierung unmöglich, diese Barbarei noch länger fortzusetzen. Hätten wir nur heute diese Art von Schuldbewusstsein, Scham und Mut unter uns.
Denken Sie daran: Wenn wir darüber lügen mussten, war es falsch. Das ist heute so wahr wie damals, nicht wahr? Und Unrecht wird nicht durch die lautere oder wiederholte Wiederholung von Originallügen richtig gestellt. Oder, durch die kunstvolle Erfindung von neuen, glatteren, sympathischeren.
Diese Lektion zu vergessen oder, schlimmer noch, sie aus unserem Gedächtnis zu waschen, damit wir mit gereinigtem Gewissen und verstärktem Eifer mit noch mehr Raubzügen weitermachen können, wäre ein Verrat an sich selbst, dem nur das amerikanische Volk widerstehen kann.
Orginalartikel There Is No Rehabilitating the Vietnam War vom 24.9.2017
Quelle: http://www.antikrieg.com/aktuell/2017_10_11_esgibt.htm
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11.10.2017 Warum die USA den Krieg gegen Vietnam verloren haben