„Hauptausschuss“: Wie der Bundestag in „neuer Staatspraxis“ erneut die Verfassung ignoriert

Dieser Artikel verteilt Fusstritte.

Obwohl das Grundgesetz dem Parlament die Einsetzung einer Geschäftsordnung und von sechs Ausschüssen diktiert, verweigert dies der Bundestag bei seiner konstituierenden Sitzung.

Stattdessen versucht die immer noch geschäftsführende Regierung aus „S.P.D.“, „C.D.U.“ und „C.S.U.“ in „neuer Staatspraxis“ abermals, wie in 2013, die Installation eines dem Grundgesetz unbekannten Hauptausschusses, „einer Art Politbüro“. Und das gesamte Parlament, alle Parteien und Abgeordneten, wahrt darüber bei der ersten Sitzung Stillschweigen.

Im Detail.

Nach den Parlamentswahlen (das sind die Wahlen zum Deutschen Bundestag) im Jahre 2013 deaktivierten Parteien, Parlament und Regierung für ein halbes Jahr das vom Grundgesetz vorgeschriebene Parlament. Alle sechs vom Grundgesetz zwingend vorgeschriebenen Parlamentsausschüsse wurden nicht gebildet. Diese sind:

– Vermittlungsausschuss (Artikel 77)
– gemeinsamer Ausschuss von Bundestag und Bundesrat (Artikel 53a)
– Petitionsausschuss (Artikel 45c)
– Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Artikel 45)
– Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (Außenausschuss, Auswärtiger Ausschuss, Artikel 45a)
– Verteidigungsausschuss (Artikel 45a)

Statt dessen wurde ein seit dem Kaiserreich nie gekannter „Hauptausschuss“ gebildet, eine Institutionalisierung des abrufbaren Ausnahmezustands, wie Radio Utopie formulierte, bzw „eine Art Politbüro, das hier die Arbeit des Parlaments macht“, wie es wiederum der Rechtswissenschaftler Martin Morlok im Deutschlandfunk ausdrückte.

Die Parlamentsfraktion „Die Linke“ beklagte sich zwar über die „Entmündigung des Parlaments“, die wir, naiv wie wir nun mal sind, freundlich dokumentierten. Für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht über die selbst erklärte Entmündigung reichte die Betroffenheit der real existierenden Partei-„Linken“ denn aber doch nicht.

Seit geraumer Zeit nun haben die Parteien der immer noch geschäftsführenden Regierung – „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“, „Christlich Demokratische Union“, „Christlich-Soziale Union“  – die Wiederholung dieses „Übungsfalls“ auch nach der Bundestagswahl im Jahre 2017 geplant. Gundula Geuther im Deutschlandfunk dazu:

„Es wäre – nach der vergangenen Legislaturperiode – das zweite Mal. Es wäre damit gleichzeitig die Etablierung einer neuen Staatspraxis.“

Zur Klarstellung: Nichts ist selbstverständlich. Zu allem, was Demokratie und Rechtstaatlichkeit angeht, muss der Staat gezwungen werden, sonst macht er nur was er will.

Am 24. Oktober 2017 konstituierte sich das am 24. September neu gewählte Parlament (das ist der Bundestag). Auch diesmal, wie nach seiner vorhergehenden Wahl in 2013, ging der Bundestag damit an die zeitliche Grenze des ihm vom Grundgesetz vorgeschriebenen Zwangs sich überhaupt zu bilden, nämlich „spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl“ (Artikel 39 Abs. 2).

Der Bundestag bildete bei dieser konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 (Plenarprotokoll) abermals nicht die ihm zwingend vorgeschriebenen Ausschüsse (siehe oben). Und er gab sich nicht, wie ihm von der Verfassung in Artikel 40 diktiert, eine Geschäftsordnung.

Stattdessen passierte Folgendes: er schob alle Anträge, Gegenanträge, Änderungsanträge, etc (auf die wir hier im Einzelnen nicht eingehen), in ein Gremium, von dem sie, liebe Leserinnen und Leser, mutmaßlich nie gehört haben, es sei denn Sie sind regelmäßige, echte und aufmerksame Leserinnen und Leser von Radio Utopie – nämlich in den sogenannten „Ältestenrat“. Auch über diesen wird hier, wieder einmal, noch zu berichten sein.

Beispielhaft für die berufsmäßigen Ignoranten wider die Verfassung (im Volksmund „Volksvertreter“ genannt), trat bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages der Abgeordnete Michel Grosse-Brömer („C.D.U.“) auf. Auszug aus seiner im Plenarprotokoll dokumentierten Rede:

„zum Antrag der Linken auf unmittelbare Einsetzung der vier im Grundgesetz genannten Ausschüsse. Ich möchte betonen: Dieser Bundestag, der 19. Deutsche Bundestag, ist ab heute jederzeit in der Lage, zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen, er ist arbeitsfähig und entscheidungsfähig, um das einmal klar zu sagen. Sie haben hier suggeriert, wir müssten diese Ausschüsse einsetzen. Das müssen wir nicht.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Müssen wir aber!)

Es gibt keine Fristen im Grundgesetz oder sonst wo, die uns vorgeben, diese Ausschüsse heute einzusetzen. Wir haben eine parlamentarische Gepflogenheit, Ausschüsse spiegelbildlich zu den vorhandenen Ministerien einzusetzen.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist denn mit dem Petitionsrecht?)

Wenn die aber noch nicht da sind, wird es schwierig mit dieser parlamentarischen Gepflogenheit. Deswegen bin ich dafür: Wir machen es so, wie es sich bewährt hat.“

  1. Es sind nicht vier „im Grundgesetz genannten Ausschüsse“, es sind sechs.
  2. Man muss diese sechs Ausschüsse nicht in die Geschäftsordnung des Bundestages schreiben, um sie einzusetzen zu müssen, das Grundgesetz reicht völlig aus. Was man in die Geschäftsordnung des Parlaments schreiben sollte, diesmal, ist das einzige Gremium welches Inlandsspionage der Regierung verbieten kann, wenn es sich vorher gnädigerweise konstituieren darf, damit es nachher keine Ahnung hat von dem was es verbieten könnte. Das ist die G 10-Kommission. (16. November 2016, Wie die Geschäftsordnung des Bundestages eine Verfassungsklage über die B.N.D.-N.S.A.-„Selektorenliste“ entschied).
  3. Die Parteien der Regierung – das sind immer noch die „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“, die „Christlich Demokratische Union“ und die „Christlich-Soziale Union “ – versuchen ihren 2013 durch Nomenklatura, „politische Klasse“, Juristen, Journalisten, Bürgerrechtler, etc widerstandslos akzeptierten Präzedenzfall nun als „parlamentarische Gepflogenheit“ zu verkaufen. Diese „Etablierung einer neuen Staatspraxis“ bedeutet eine abermalige Uminterpretation der Verfassung.

Das Grundgesetz liest sich nun wohl ab sofort wie folgt (faktistische Autoritätsrealitäten fett markiert):

„Artikel 40
(1) Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung und zwar wann es der Regierung passt.

„Artikel 45a
(1) Der Bundestag bestellt einen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und einen Ausschuß für Verteidigung, aber nicht jetzt.

„Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar, solange der Staat nichts Wichtigeres zu tun hat. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, wenn und wo und wann und wie der Staat das will, ausnahmsweise.“

Etc, pp.

Das Plenarprotokoll von der konstituierenden Sitzung des Bundestages am 24. Oktober 2017 vermerkt das Wort „Hauptausschuss“ nicht ein einziges Mal.

Weitere Artikel zur Sache folgen nach unserem Ermessen. Ersparen Sie, allerwerteste Volksvertreter, sich diese lieber.

(…)

23.07.2014 Wie Interpreten von Recht das Recht verändern, brechen, stürzen können
Amtsinhaber bzw verantwortlich Beauftragte nicht nur der staatlichen Exekutive, wie Minister, Bürokraten, Polizei, Geheimdienste, Militär, etc, pp, sondern auch Richter, Abgeordnete, Funktionäre der Hierarchie jeder Organisation, unterliegen permanent der Versuchung sich selbst weiter zu ermächtigen und ein Eigenleben zu entwickeln – aus ihrem sensiblen Empfinden ein Akt der Selbstverwirklichung, der Befreiung von lästigen Tentakeln, wie Vorschriften, Aufsicht, Kontrolle, Gesetzen oder gar Verfassung.

Artikel zuletzt aktualisiert um 19.14 Uhr