Persönliche Erklärung zum Parteivorstandbeschluss der LINKEN: ‚Klare Kante gegen Querfront‘.
Von Andrej Hunko, Mitglied des Parteivorstands DIE LINKE, 05.12.2017
Am Sonntag, dem 3. Dezember 2017, beschloss der Parteivorstand (PV) der LINKEN nach heftiger und kontroverser Diskussion den Text mit dem Titel ‚Klare Kante gegen Querfront‘. Gegen die Behandlung des Textes votierten mindestens zehn der 30 anwesenden PV-Mitglieder, gegen den endgültigen und leicht veränderten Text mindestens sieben Mitglieder. Es gab zahlreiche Enthaltungen. Der Vorgang selbst – die Kündigung der Räume für eine Preisverleihung an den Journalisten Ken Jebsen auf Druck des Berliner Kultursenators Klaus Lederer und der angekündigte Protest dagegen – mag unbedeutend sein. Die dahinter stehenden methodischen und grundsätzlichen Fragen sind es nicht. Um es vorweg zu sagen: Ich habe den Text abgelehnt, werde das weiter tun, fühle mich nicht daran gebunden und habe meine Dissidenz auf der PV-Sitzung auch zum Ausdruck gebracht.
Zunächst zur Form: PV-Anträge werden in der Regel eine Woche vor der Sitzung eingebracht, damit die PV-Mitglieder Zeit haben, sich mit dem Antrag zu beschäftigen. Natürlich gibt es politische Ereignisse, die eine kurzfristigere Behandlung notwendig machen, zu denen sich der Vorstand verhalten sollte. Der Fristverzicht ist hier meist ebenso unstrittig, wie die Positionierung zu diesen Ereignissen. In diesem Fall handelte es sich allerdings um einen in der Partei hoch strittigen Vorgang, der bereits seit Wochen sehr kontrovers diskutiert wurde. Die Vorlage wurde Samstagnachmittag den PV-Mitgliedern zugestellt. Diejenigen, die nicht permanent online sind, bekamen sie am Sonntag als Tischvorlage. Allein dieser Vorgang begründet eine Nichtbehandlung.
Im Ursprungsantrag wurden Mitglieder der Partei – Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke und Andreas Maurer – namentlich angegriffen, ohne dass sie die Möglichkeit gehabt hatten, zu dem Vorgang Stellung zu nehmen oder dass überhaupt einmal nachgefragt wurde, ob sie an der vorgeworfenen Protestkundgebung teilnehmen wollen. Erst als ich auf der PV-Sitzung sagte, man möge dann bitte meinen Namen hinzufügen und sich mehrere anschlossen, wurden die Namen durch ‚Mitglieder der LINKEN‘ ersetzt. Kein bürgerliches Gericht würde die Verletzung solcher Selbstverständlichkeiten wie Überprüfung des Vorwurfes oder Anhörung akzeptieren.
Nun aber zum eigentlichen Kern der Auseinandersetzung: „DIE LINKE distanziert sich unmissverständlich von Aktivitäten von Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, die rechtspopulistische Welterklärungsmuster und ‚Querfront‘-Strategien salonfähig machen wollen.“ Mal abgesehen davon, dass diese Aussage in sich tautologisch ist, da Rechtspopulisten logischerweise rechtspopulistische Welterklärungsmuster salonfähig machen wollen, bringt der Satz den eigentlichen Kern der Debatte zum Ausdruck: Die wabernde Unschärfe und assoziative Vermengung der Begriffe ‚Querfront‘, ‚Nationalismus‘, ‚Verschwörungstheorie‘ und ‚Antisemitismus‘. Diese Begriffe werden inzwischen mit einer erschreckenden Leichtigkeit und oftmals ohne jede ‚Beweisführung‘ verwendet, um politische Gegner zu diffamieren. Dabei verkommen sie immer mehr zu leeren Worthülsen die, wenn dem nicht aktiv durch Definition und konkrete Begründung entgegengewirkt wird, mit hegemoniellen Deutungsmustern gefüllt werden, die dadurch unkritisch übernommen werden.
Begriffliche Unschärfen bei Vorwürfen können Zufall sein oder Inkompetenz, sie können aber auch eine gefährliche repressive Wirkung entfalten – unabhängig davon ob diese beabsichtigt ist oder nicht. Im Fall des Querfrontvorwurfs ist die Konsequenz Diffamierung und Delegitimierung von aktuellem oder künftigem Widerstand gegen (leider sehr real stattfindende) Kriegsvorbereitungen, wenn dieser nicht zugleich in allen wesentlichen gesellschaftlichen Fragen linke Grundpositionen vertritt. Praktisch bedeutet das die Ablehnung eines solchen Widerstandes – insbesondere weil diejenigen, die für sich beanspruchen, jene linken Grundpositionen zu verkörpern, sich unwillens oder unfähig zeigen, den so notwendigen Widerstand gegen die Kriegspolitik zu organisieren. Es ist meines Erachtens kein Zufall, dass auf der PV-Sitzung von der Antragstellerin mehrfach und unwidersprochen die ‚Friedensbewegung‘ als solche, nicht nur ihr umstrittener Flügel, als potentieller Hort von ‚Rassisten‘ charakterisiert wurde („Natürlich sind in der Friedensbewegung nicht alles Rassisten“).
So weit ist es gekommen: Als ich im Jahre 2001, kurz nach Beginn des gegenwärtigen Kriegszyklus unter dem Label ‚Krieg gegen den Terror‘ zusammen mit dem örtlichen VVN-Vertreter mein Amt als einer der Sprecher des ‚Aachener Bündnisses gegen rechts‘ niederlegte, weil Teile dieses SprecherInnenrates mit der Zustimmung zum Afghanistanmandat den deutschen Eintritt in diesen Krieg befürworteten, folgte eine Mehrheit des Vorstandes dieses Bündnisses meiner Entscheidung. Die Frage der Zustimmung oder Ablehnung zum Krieg war damals eine Frage der Kooperation oder Nichtkooperation. Heute spielt die Kriegsfrage in breiten linken Kreisen keine Rolle mehr. Es gibt keine Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit Befürwortern von Militäreinsätzen oder neuer Aufrüstung, keine Abgrenzung, keine Ächtung mehr. Es ist zu befürchten (aber keineswegs zwangsläufig), dass es unter diesen Bedingungen auch nur eine Frage der Zeit sein wird, wann die erste Zustimmung einer Linksfraktion zu einem Kriegseinsatz kommen wird.
Die methodische Unschärfe und Dehnbarkeit insbesondere der Begriffe ‚Querfront‘ und ‚Verschwörungstheoretiker‘ führt zu Verunsicherung und Einschüchterung. Dies wurde insbesondere auf dem Höhepunkt der Ukrainekrise deutlich. Die damals weitgehend spontan entstandenen ‚Montagsmahnwachen‘, bei denen es in der Tat auch bewusst agierende rechtsextreme Kräfte gab, aber keineswegs mehrheitlich, wurden so in der LINKEN delegitimiert, obwohl nach einer universitären Studie knapp 43% der Teilnehmer/innen an den Berliner Montagsmahnwachen ein halbes Jahr zuvor bei der Bundestagswahl DIE LINKE gewählt hatten.
Ich hatte den damaligen Unvereinbarkeitsbeschluss im Parteivorstand für falsch gehalten, konnte an der Abstimmung allerdings nicht teilnehmen, da ich in der Ukraine die Präsidentschaftswahlen beobachtete. Ich kenne eine Reihe von Menschen aus Politik, Medien und Universitäten, die sich in der Ukrainekrise nicht trauten, sich öffentlich zu äußern, weil sie von der Wucht dieser Diffamierung abgeschreckt waren. Zum Vorwurf der ‚Verschwörungstheoretiker‘ und ‚Querfrontler‘ kam damals noch der Putin- oder Russlandversteher, der das Ende einer politischen, journalistischen oder universitären Existenz bedeuten konnte.
Es ist das Kennzeichen repressiver Systeme, existenzvernichtende Vorwürfe so breit, dehnbar und unscharf zu fassen, dass ein großer Teil Oppositioneller darunter gefasst werden kann und Angst haben muss, selbst dazu zu gehören. Auf dem Höhepunkt des Stalinismus, den Moskauer Prozessen war es der Kontakt zu ‚Trotzkisten‘ oder eben auch, im Fall von Karl Radek, der ‚Querfront‘-Vorwurf, der das Todesurteil bedeutete. In der McCarthy-Ära waren es Kontakte zu Kommunisten oder ‚anti-amerikanische Umtriebe‘, die den zivilen Tod bedeuteten. Heute ist es in der Türkei ein ins Lächerliche gedehnter Terrorismusvorwurf, der in diesen Tagen den ‚Akademikern für den Frieden‘ oder Abgeordneten der HDP vor Gericht zum Vorwurf gemacht wird. Zurecht fordern EU und Europarat eine scharfe Definition und Eingrenzung des Terrorismus-Begriffs (auch wenn im Fall der EU diese der Forderung selbst nicht gerecht wird).
Natürlich ist die Situation in Deutschland und die innerhalb der Linken nicht gleichzusetzen mit den oben genannten Beispielen. Es ist die zugrunde liegende Methode, die meinen deutlichen Widerspruch hervorruft. Erschütternd auf der Vorstandssitzung war für mich, dass die Hinweise auf die Verwendung des Querfrontvorwurfs in den Moskauer Prozessen völlig wirkungslos bei denjenigen abprallten, die sich die Aufarbeitung des Stalinismus auf die Fahnen schreiben. Ebenso erschütternd war die unwidersprochene Verwendung des Begriffs ‚Umtriebe‘ für die Aktivitäten der genannten Delinquenten, ein Begriff, der genau aus dem Vokabular jener repressiver Systeme kommt.
Nochmal zurück zum leidigen Anlass selbst: Es ist ein Unterschied, ob ich eine Preisverleihung an einen Journalisten gut finde oder nicht. Es ist etwas anderes, ob ich mich dagegen öffentlich äußere oder sogar friedlich demonstriere. Es ist wiederum etwas anderes, ob ich sie physisch verhindern will. Und es ist etwas anderes, ob ich als Inhaber eines öffentlichen Amtes Druck auf eine von öffentlicher Finanzierung abhängige Einrichtung ausübe, um die Veranstaltung zu verhindern. Letzteres als ‚kritisches Äußerung‘ zu bagatellisieren und genau diese Unterschiede zu verwischen, wie es der PV-Beschluss macht, ist für mich nicht tragbar.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich teile vermutlich viele der auf der Preisverleihung gemachten Aussagen nicht und ich habe teils deutliche inhaltliche Differenzen zu den dort geladenen Redner/innen und Gästen. Ich kann nachvollziehen, dass verschiedene dort geäußerte Positionen als befremdlich und inakzeptabel wahrgenommen werden. Aber außerhalb der engen Grenzen einer neonazistischen Bedrohung und den Grenzen des bürgerlichen Rechts gilt für mich die Meinungsfreiheit. Und: Ja, DIE LINKE bleibt für mich die einzige Antikriegspartei in Deutschland mit gesellschaftlichem Einfluss. Ansonsten gilt für mich, um nicht zum hundertsten Mal Rosa Luxemburg zu zitieren, die Haltung, die Voltaire zugeschrieben wird: Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, würde aber mein Leben dafür einsetzen, dass sie sie äußern können.
veröffentlicht am 05.12.2017 auf andrej-hunko.de
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