Beitrag von Tobias Pflüger und Jürgen Wagner
Die Militärpolitik im künftigen Koalitionsvertrag der Großen Koalition
Am 12. Januar 2018 hatten die Verhandler von CDU/CSU und SPD ihre Sondierungsgespräche abgeschlossen und hielten die Ergebnisse in einem Sondierungspapier fest, dessen problematische außen- und sicherheitspolitischen Aspekte leider in der anschließenden Debatte kaum eine Rolle spielten (siehe IMI-Standpunkt 2018/002). Am 7. Februar 2018 einigten sich die Parteien dann auf einen Entwurf eines Koalitionsvertrags, der wohl weitgehend identisch mit der Fassung sein dürfte, über die die SPD-Mitglieder nun wohl abstimmen werden. Vieles wurde aus dem Sondierungspapier direkt übernommen, einige Passagen abgeändert und einige kamen – logischerweise angesichts eines Umfangs von 177 (Koalitionsvertrag) zu 28 (Sondierungspapier) Seiten – neu hinzu.
Die Absätze zur EU sind weitgehend gleich geblieben, insbesondere das flammende Bekenntnis zu PESCO, dem aktuell als „Meilenstein“ auf dem Weg zur weiteren Militarisierung der EU gehandelten Vorhaben, ist gleichgeblieben (siehe IMI-Standpunkt 2018/002 und IMI-Studie 2018/02). Allerdings wurde im Koalitionsvertrag ein Satz zur beabsichtigten Nutzung des geplanten „Europäischen Verteidigungsfonds“ hinzugefügt, ein EU-Topf, aus dem in Kürze jährlich 500 Mio. für Rüstungsforschung und 5 Mrd. für Rüstungsbeschaffung bereitstehen sollen (siehe IMI-Analyse 2017/45). Neu ist beispielsweise auch, sich dafür einsetzen zu wollen, dass für „Ertüchtigungsprojekte im Sicherheitsbereich auf EU-Ebene (CBSD) rasch ein gesondertes Finanzinstrument außerhalb der EU-Entwicklungsfinanzierung eingerichtet wird.“ Ertüchtigung – die Aufrüstung und Ausrüstung „befreundeter Akteure“ – gewinnt als vermeintlich politisch wie finanziell „kostengünstigerer“ Weg zur indirekten Durchsetzung von Interessen immer mehr an Bedeutung. Aus diesem Grund wurde mit EU-Entwicklungshilfegeldern hierfür ein eigener Fonds eingerichtet (siehe IMI-Studie 2017/15). Die Entwicklungshilfe hier vom Militärhaken zu lassen, ist zwar gut, ein eigenes EU-Finanzinstrument zur Ertüchtigung einrichten zu wollen, wird diesen Bestrebungen aber nur weiter Vorschub leisten.
Auch bezüglich der Eurodrohne gab es im Vergleich zum Sondierungspapier eine Veränderung: Explizit ist nun die Rede von der Anschaffung der Heron TP als „Brückenlösung“ bis die Eurodrohne zur Verfügung steht, gleichzeitig wird die Frage der Bewaffnung vorbehaltlich einer Bundestagsentscheidung gestellt: „Als Übergangslösung wird die Drohne HERON TP geleast. Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden.“
Eine weiterer interessanter Unterschied zwischen beiden Papieren: Im Sondierungspapier wurden lediglich „Völkerrechtswidrige Tötungen durch autonome Waffensysteme“ abgelehnt. Nun lautet die Formulierung: „Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.“ Tatsächlich erfolgt kaum eine Drohnen-Tötung gerade seitens der USA – und zentral über Deutschland von Ramstein aus – aktuell vollautonom. Allerdings ist kaum davon auszugehen, dass sich die Große Koalition mit dieser Praxis anlegen will – weshalb dieser Passus dann aber in dieser Form eingefügt wurde, ist recht unklar.
Was die Rüstungsexportpolitik anbelangt, wurde der umstrittene Satz aus dem Sondierungspapier zwar beibehalten, keine Rüstungsgüter an Länder zu liefern, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Berichten zufolge sollen hier Vertreter von CDU und CSU erfolgreich auf eine Aufweichung gedrängt haben, denn nun wurde folgender Satz nachgeschoben: „Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben.“ Solange also Material nicht direkt im Krieg selbst zum Einsatz kommt, kann munter weitergeliefert werden, wie etwa Thomas Wiegold auf Augengeradeaus betont: „Bereits genehmigte Lieferungen, die ausschließlich im Empfängerland verbleiben: Das klingt doch wie maßgeschneidert für die Lieferung von Küstenschutzbooten an Saudi-Arabien.“ Ansonsten bleiben die kritischen Anmerkungen zur bereits im Sondierungspapier bekundeten Absichtserklärung, die Rüstungsexporte „einschränken“ zu wollen, ebenso für den Koalitionsvertrag gültig (siehe IMI-Standpunkt 2018/002). Neu ist die explizite Ankündigung, die Rüstungssexportrichtlinien von 2000 noch in diesem Jahr überabreiten zu wollen.
Auffällig und neu sind auch Passagen zur atomaren Rüstungskontrolle: „Wir wollen ein neues konventionelles und nukleares Wettrüsten auf unserem Kontinent vermeiden.“ Im besten Fall kann dies als eine Absage gegenüber den immer lauter werdenden Forderungen nach einer Stationierung weiterer US-Atomwaffen in Europa verstanden werden. Auf der anderen Seite wird aber der – eigentlich vom Bundestag 2010 von allen Fraktionen in einem gemeinsamen Antrag geforderten – Abzug der US-Atomwaffen in Deutschland an „erfolgreiche Abrüstungsgespräche“ gekoppelt, also angesichts der aktuellen westlich-russischen Konflikte einstweilen auf den St. Nimmerleinstag verschoben: „Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“
Was die Bundeswehreinsätze anbelangt, hat sich zwischen Sondierungspapier und Koalitionsvertrag wenig verändert. Vor allem die Ankündigung, das Afghanistan-Kontingent aufstocken zu wollen, wurde beibehalten.
Angesichts zahlreicher aktueller Versuche zur Gegenkonversion, also dem Bestreben, frühere Bundeswehrliegenschaften zu reaktivieren oder sich neue Gelände unter den Nagel zu reißen (siehe IMI-Analyse 2017/038b), ist folgende neue Absichtserklärung von Interesse: „Vor einer endgültigen Abgabe von Liegenschaften der Bundeswehr werden wir vor dem Hintergrund der Trendwenden [Personal, Material, Finanzen] jeweils noch einmal den zukünftigen Bedarf prüfen. Unseren Bedarf werden wir auch in Hinblick auf Liegenschaften prüfen, deren Abgabe bereits vollzogen ist.“
Rüstungspolitisch wichtig ist zudem einerseits, dass eine starke Betonung auf die Rüstungskooperation in Europa und damit länderübergreifende Rüstungsprojekte gelegt wird. Hierdurch sollen Fusionen und Übernahmen und dadurch die Bildung sogenannte Eurochampions gefördert werden. Andererseits, dort nämlich, wo deutsche Konzerne aus dem großen Fressen nicht als Sieger hervorgehen könnten und so „nationale Schlüsseltechnologien“ in fremde Hände überzugehen drohen, sollen diese geschützt werden. Dieser Rüstungsprotektionismus war bereits ein Kernelement im „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ vom 8. Juli 2015, von einer Möglichkeit, wie dies geschehen könnte, war darin damals allerdings noch keine Rede. Im Koalitionsvertrag heißt es nun, man wolle „prüfen, inwieweit der Ausnahmetatbestand des Art. 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Beschaffungspraxis stärker herangezogen werden kann.“ Artikel 346 setzt die Regeln des Binnenmarktes für den Rüstungssektor aus. Das heißt, Rüstungsprojekte müssen unter Berufung auf diesen Artikel nicht europaweit ausgeschrieben – und die heimischen Konzerne damit einer ggf. stärkeren Konkurrenz ausgesetzt – werden, sofern ein Staat geltend macht, hier seien nationale Sicherheitsinteressen im Spiel.
Und schließlich ist vor allem ein Aspekt gleichgeblieben: Weiter soll alles „auf Grundlage des 51. Finanzplans“ finanziert werden, was zu deutlich saftigeren Steigerungen des Rüstungshaushaltes führen wird, als es unter einer Jamaika-Koalition wohl der Fall gewesen wäre. Insgesamt dürfte es sich hier um Mehrausgaben von zusammen wohl mindestens 10,2 Mrd. Euro zwischen 2018 und 2021 handeln, möglicherweise sogar um noch mehr. Reuters rechnete beispielsweise bereits zum Sondierungspapier vor: „Das Entscheidende ist dabei der Verweis auf den 51. Finanzplan: Er hat zwar auch keine bindende Wirkung, ist aber die Absichtserklärung der bisherigen großen Koalition, wie sie sich die Entwicklung des Bundeshaushalts in den vier Jahren von 2018 bis 2021 vorstellt. Für den Wehretat sieht der Finanzplan für diesen Zeitraum eine Steigerung um knapp neun Milliarden Euro auf 42,4 Milliarden Euro vor. Sollte es zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen, kann die Bundeswehr also mit einer Aufstockung ihres Budgets um neun Milliarden Euro plus ihrem Anteil an den zwei Milliarden Euro für Verteidigung und Entwicklungshilfe rechnen.“
Pflichtschuldig haben SPD und CDU/CSU einen Koalitionsvertrag gegen den Frieden und für Krieg und Aufrüstung auf den Weg gebracht – und genau dies wird von ihnen quasi wörtlich auch noch so formuliert: „Wir stärken unsere Bundeswehr und die europäische Verteidigungsstruktur: Mehr Personal, beste Ausbildung und moderne Ausstattung bei der Bundeswehr durch einen höheren Verteidigungsetat. Ausbau der europäischen Verteidigungsunion mit PESCO, europäischem Verteidigungsfonds und weiteren Schritten auf dem Weg zur ‚Armee der Europäer‘.“
Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag die Zustimmung bei der anstehenden Abstimmung verweigern, auch wenn die allermeisten es, sollte es dazu kommen, aller Wahrscheinlichkeit nicht aus friedenspolitischen Motiven tun werden.
Veröffentlicht am 7. Februar 2018 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.