Polizeiaufrüstung nach sächsischer Art?

Autor: Martin Kirsch

Über Polizeipanzer mit Gefechtstürmen, rechte Stickereien und den Einsatz militarisierter Polizeieinheiten gegen Demonstrationen

In der zweiten Jahreshälfte 2017 schaffte es das Spezialeinsatzkommando (SEK) Sachsen mehrfach in die bundesweiten Schlagzeilen. Während die sächsischen Polizeikrieger für ihren Einsatz im Hamburger Schanzenviertel während des G20 kaum Kritik einstecken mussten, schlugen die Wellen in zwei Skandalen um die Verwendung rechter Symbole in der Truppe im September und Dezember umso höher. Die Gemeinsamkeiten der drei betreffenden Einsätze, die Militarisierung der Polizei, die Verwendung der neuen Rüstungsgüter zur Demonstrations- und Aufstandsbekämpfung und eine zunehmend autoritäre Stimmung im gesamten Sicherheitsapparat werden allerdings weitestgehend ausgeblendet.

Militarisierte Vollausstattung

Seit den Terroranschlägen in Paris und Brüssel befinden sich die deutschen Polizeien in einer Aufrüstungsspirale.[1] Die Polizei Sachsen kann in dieser Entwicklung als Vorreiter betrachtet werden. Grund dafür sind bis jetzt weniger einzelne Projekte, die besonders hervorstechen, sondern vielmehr die Konsequenz, mit der fast alle aktuellen Aufrüstungsschritte mitgegangen wurden.

So flossen seit 2015 mindestens 21,5 Millionen Euro in Sturmgewehre für SEK und Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE), neue Ausrüstung für die Spezialeinheiten in Anlehnung an Elitesoldaten, Titanhelme und schwere Körperschutzwesten für Streifenwagenbesatzungen und Bereitschaftspolizei, neue Dienstpistolen und sieben gepanzerte Geländewagen.

Zu diesem Aufgebot kommen seit dem 15.12.2017 zwei Radpanzer des Rüstungskonzerns Rheinmetall mit dem bezeichnenden Namen „Survivor R“.[2] Bei der für Medienvertreter inszenierten Vorstellung des Panzers in Leipzig zeigte sich, dass die sächsischen Modelle – anders als die Bestellungen in anderen Bundesländern – mit einem aus dem Innenraum steuerbaren Gefechtsturm ausgestattet sind. Auf diesem befinden sich neben Kameras, einem Scheinwerfer und einer Abschussvorrichtung für Gas- und Nebelgranaten auch ein Munitionskasten und ein Zuführgurt für ein noch nicht installiertes Waffensystem.

Ein Polizeisprecher gab dazu gegenüber der Leipziger Volkszeitung wenig beruhigend an: „Ein Maschinengewehr kommt nicht drauf, das gibt das Polizeigesetz nicht her“.[3] Während also die Möglichkeit besteht – Rheinmetall vertreibt den Survivor R auch in einer rein militärischen Variante, steht der Installation bei der Polizei nur das aktuelle Gesetz im Weg. Vorerst wird die Polizei Sachsen aber wohl mit einem System zum Verschießen von Gummigeschossen vorlieb nehmen müssen, auch wenn das laut Pressesprecher „noch nicht ganz spruchreif“[4] sei.

Diese Ausrüstung des Panzers, der offiziell für Terror- und Amoklagen angeschafft wurde, zeigt, dass auch Einsätze bei Demonstrationen und Unruhen vorbereitet werden. So ging es bereits in einem Artikel der Lokalzeitung[5] zur Leipziger Silvesternacht primär um erwartete Straßenschlachten im Stadtteil Connewitz; am Ende des Artikels tauchte aber auch der neue Radpanzer auf, der für den Fall der Fälle in Bereitschaft gehalten würde.

Kriegsgerät gegen Demonstrant_innen

Im Bereich der Militarisierung des Protest Policing,[6] sprich der Bekämpfung von Unruhen und Demonstrationen, hat Sachsen im bundesweiten Vergleich aktuell die Nase vorn. Bereits 2011 im Rahmen der Proteste gegen den jährlichen Naziaufmarsch zur Bombardierung Dresdens brach Sachsen den bis dahin bestehenden stillen Konsens und setzte sein SEK zur Räumung einer Blockade ein. In diesem Fall noch in demonstrationstypischer Körperschutzausrüstung, aber neben gängigen Schlagstöcken auch mit langen Holzknüppeln und sogenannten Pepperballpistolen zum Verschießen von Reizstoffkapseln ausgestattet.[7]

In dieser Tradition war es dann auch 2017 beim G20-Gipfel das SEK-Sachsen, das die Speerspitze der „Intervention“ ins Schanzenviertel bildete.[8] Diesmal in der im Rahmen der Anti-Terror-Pakete neu angeschafften sandfarbenen Uniform, die optisch und technisch an die Ausrüstung von Militärs im Auslandseinsatz angelehnt ist. Vor der Erstürmung des Hauses am Schulterblatt 1, mit Sturmgewehren im Anschlag, wurden Gummigeschosse in Richtung der Personen auf dem Dach verschossen.[9] Im Inneren des Hauses kamen Schrotgewehre mit Spezialmunition zum Einsatz, um Türen zu öffnen. An der umfassenden Drohung mit Schusswaffen als autoritäre Abschreckungsstrategie wurde nicht gespart.

Mit diesen Erfahrungen einer militarisierten polizeilichen Aufstandsbekämpfung in Hamburg im Gepäck machte die sächsische Polizeiführung zwei Monate später gleich munter weiter: Bei einer angemeldeten Demonstration in Wurzen marschierten rund 30 SEK-Beamte am Auftaktkundgebungsort auf.[10] Ein klares Signal an die Antifaschist_innen, die angereist waren, um gegen rassistische Übergriffe und ein rechtes Klima in der Kleinstadt zu demonstrieren.

In der Nachbereitung stellte sich in einer kleinen Anfrage[11] im Landtag heraus, dass das SEK Sachsen bereits seit Ende 2014 in 25 Fällen mit Demonstrationsbezug im Hintergrund aktiv war. Der Einsatz des SEK bei Demonstrationen wurde in Sachsen also schon seit mehreren Jahren geprobt und vorbereitet. In sechs Fällen galt die Bereitschaft nicht dem Schutz von Politiker_innen oder der „Terrorabwehr“, sondern der „Intervention im Falle gewalttätiger Auseinandersetzungen“. Dass es sich dabei genau um die Veranstaltungen von Pegida und Legida mit großen antifaschistischen Gegenmobilisierungen handelte, scheint kein Zufall zu sein.

Die Anschaffung des Panzerwagens mit Geschützturm und der SEK-Einsatz in Wurzen allein schafften es allerdings nicht in die bundesweite Presse. Dafür sorgte erst die Verwendung rechter Symbole in den Reihen des SEK.

Odins Rabe auf der Uniform

Während des Einsatzes in Wurzen trug ein SEK-Beamter einen Aufnäher auf der Uniform, auf dem das Rabenbanner mit einem der zwei Raben Odins zu sehen war.[12] Wenn man nicht davon ausgeht, dass es sich bei dem SEK-Beamten um einen Fan aktueller heidnischer TV-Serien oder dänischer Armeeeinheiten, die das Rabenbannner als Abzeichen nutzen, handelt, gibt es nur eine Erklärung: Odin, auch bekannt als Wotan, steht neben allgemeinen Bezügen zur nordischen Mythologie in der Naziszene auch als Akronym für „Will Of The Arian Nation“ (dt.: Wille der arischen Nation).[13] In eben diesem und weiteren eindeutig neonazistischen Bezügen ist das Rabenbanner in der deutschen Rechtsrockszene, besonders in Sachsen, beliebt und wird deswegen in diversen Naziläden in der Region verkauft.[14]

Die Annahme, es handele sich um eine gezielte Provokation gegen die antifaschistische Demonstration, scheint sich allerdings nicht zu bestätigen. So legen im Internet kursierende Bilder[15] nah, dass das Rabenbanner und sein Träger bereits beim Einsatz des SEK Sachsen beim G20-Gipfel in Hamburg anwesend waren. Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass es sich um ein allgemeines rechtes Bekenntnis eines Spezialpolizisten handelt, der vermehrt auch gegen Linke auf der Straße zum Einsatz kommt.

Angesprochen auf dieses Bekenntnis eines Beamten der Spezialeinheit antwortete die Polizei Sachsen via Twitter: „Die ersten Überprüfungen haben gegenwertig [sic!] keinen Anhaltspunkt für eine bewusste politische Aussage oder gar eine Sympathiebekundung mit der rechten Szene ergeben.“ Allerdings sei das Befestigen „privater Abzeichen und Symbole an der Uniform“ untersagt. Alle Einsatzkräfte seien dementsprechend „sensibilisiert“ worden.[16] Anders gelesen kann diese Aussage auch als Statement gewertet werden, demzufolge die Polizist_innen ihre rechte Gesinnung zwar für sich behalten sollen, aber sicher nicht mit ernsthaften Nachforschungen rechnen müssen.

Während der Aufnäher eines Beamten in Wurzen als individuelles Fehlverhalten interpretiert werden könnte, sprechen die abwiegelnden Reaktionen des Dienstherren bereits eine andere Sprache. So werden der rechte Ungeist, das Wegschauen und Leugnen im sächsischen SEK dem Landeskriminalamt und dem Innenministerium drei Monate später erneut verdeutlicht.

Sitzbezüge im Polizeipanzer – Ein ganz normales „identitätsstiftendes Logo“

Eines der Fotos der Leipziger Volkszeitung von der bereits erwähnten Vorführung des neuen Panzerwagens zeigt die Sitze im Innenraum des Fahrzeuges. Darauf zu sehen ist eine Stickerei[17] mit dem sächsischen Wappen, erweitert durch eine Krone und zwei Löwen an den Seiten. Umrandet wird es von einem Eichenlaubkranz und Adlerschwingen. Gerahmt ist das Logo mit einem Schriftzug „Spezialeinsatzkommando Sachsen“ in Frakturschrift. Von der Lokalzeitung unkritisch abgebildet, löste das Foto über das folgende Wochenende einen Shitstorm auf Twitter aus. Während das erweiterte Wappen an Darstellungen aus der Zeit der sächsischen Monarchie erinnert, kann bei der Verbindung von Eichenlaub, Adlerschwingen und Frakturschrift eine Nähe zur NS-Ästhetik kaum abgestritten werden.

Über das Wochenende versuchte das Innenministerium via Twitter mit der abstrusen Ausrede, der Hersteller sei für das Design verantwortlich, auszuweichen. Im Verlauf der Debatte rückte ein Sprecher des LKA später mit der ganzen Wahrheit heraus. Das in dieser Form auch bestellte Logo sei ein „identitätsstiftendes“[18] intern verwendetes Logo des SEK Sachsen. Eingeführt wurde es bereits 1991 durch Beamte des SEK Baden-Württemberg, die den Aufbau des SEK-Sachsen unterstützten. Ein ähnliches Wappen hatte es beim SEK Baden-Württemberg in den 90ern auch gegeben. „Da hat sich 26 Jahre lang keiner dran gestört“, gab LKA-Sprecher Bernhardt zum besten und macht damit deutlich, warum das Logo auch bei der Auftragsvergabe für den neuen Panzer, der durch die höchsten Stellen des Innenministeriums gegangen sein muss, nicht negativ auffiel. Ein rechter Mainstream in Sachsens Sicherheitsbehörden ist anscheinend seit den 1990er Jahren völlig normal.

Mittlerweile ist die Debatte so weit, dass das Logo auf den Sitzbezügen entfernt werden soll. Als Eingeständnis von Schuld seitens der Polizei soll das aber nicht verstanden werden. Offiziell heißt es dazu: „Auch wenn das Logo weder Ausdruck einer rechten Gesinnung ist, noch anderweitige ideologische Attitüden erkennen lassen soll, ist der in Teilen der Öffentlichkeit wahrgenommene Kontext unter allen Umständen zu korrigieren.“[19]

In Biedenkopfscher Logik – der erste Ministerpräsident des Bundeslandes wusste, dass „die Sachsen immun sind gegenüber Rechtsradikalismus“ – werden alle Bezüge geleugnet.

Die direkte Bezugnahme findet aber statt. Weiterverwendet wird das Logo von einem rechten Versand[20] für Militär- und Polizeimerchandise, der mittlerweile T-Shirts und Tassen mit dem Logo verkauft. Und auch die Solidarität des AFD-Jugendverbands hat das SEK Sachsen mit seinem Logo sicher.[21]

Für den verhältnismäßig einfachen Ausweg der Polizei Sachsen, mit dem Logo auch die kritische Debatte loszuwerden, ist die Skandalberichterstattung allerdings mitverantwortlich. Einen Teil der Schieflage der Debatte macht Sascha Lobo in seiner Spiegel-Online Kolumne an der Aufmerksamkeitslogik der sozialen Medien fest. So wird „der Fall ‚Survivor R‘ – leider auch durch Entlarvungslust, Symbolwut und Bewältigungshumor der digitalen Öffentlichkeit – wahrscheinlich davon zeugen, wie sich trotz maximaler Aufmerksamkeit exakt nichts ändert. Außer einer Stickerei.“[22]

Symbolsprache der Spezialeinheiten

Mit der Verwendung fragwürdiger Symbole ist das SEK Sachsen nicht allein. Auch das SEK der Polizei Brandenburg und die dem stumpfen Vorwurf des rechten Ostdeutschland eher unverdächtigen Spezialeinheiten des Polizeipräsidiums Düsseldorf und Essen nutzen Frakturschrift für „interne“ Logos, die z.T. offen auf der Uniform getragen werden.[23] So z.B. während des Einsatzes des SEK Brandenburg in der Nacht von Samstag auf Sonntag während des G20-Gipfels.[24]

Zudem sind stilisierte Adlerschwingen mit dem Landeswappen bzw. Bundesadler in der Mitte bundesweit das Erkennungszeichen der Spezialeinsatzkommandos der Länder und der GSG 9 der Bundespolizei. Viele der „internen“ Logos der polizeilichen Spezialeinheiten nutzen Raubtiere, Greifvögel und Fabelwesen und lehnen sich damit ästhetisch an die Abzeichen militärischer Einheiten an. Die Kombination von alledem – Frakturschrift, Schwingen, Eichenlaub und eine denkwürdige Version des Landeswappens – geben dem sächsischen Logo allerdings einen besonderen Eigengeschmack. In der Auseinandersetzung kann es aber auch nicht das Ziel sein, nachzuweisen, dass es sich beim SEK Sachsen eigentlich um eine Nazikameradschaft handelt. Vielmehr stellt sich die Frage nach einem identitätsstiftenden rechten bzw. autoritären Denkhorizont, der durch ein Logo als Gruppenkonsens nach außen getragenen wird. Die Verwendung von Frakturschrift in Brandenburg und NRW macht die Problematik der rechten Symbolik in Sachsen dabei nicht kleiner, wirft aber die generelle Frage auf, warum solche Bezüge in den SEK angesagt sind. Wer oder was ist identitäts- bzw. traditionsstiftend und welche Bezüge und Vorbilder werden von den Polizeikriegern gesucht?

Die Polizei für Recht(s) und Ordnung

Rassistische Übergriffe durch Polizist_innen und rechte Aussagen von Beamt_innen, die an die Öffentlichkeit kommen, werden seit langem gerne als „bedauerliche Einzelfälle“ dargestellt oder verharmlost. Dabei liegt eine Tendenz der Einstellung von Polizist_innen nach rechts schon aus strukturellen Gründen auf der Hand.[25]

Aus der persönlichen Perspektive eines Polizisten aus Süddeutschland, der anonym gegenüber jetzt.de über Rassismus und Korpsgeist in der Polizei berichtete, hört sich das so an: „Die Feinde sind immer die Linken und die Ausländer. Ich habe über die Jahre immer wieder gehört, dass Kollegen gesagt haben: ‚Mit den Rechten hat man nie Schwierigkeiten. Die schmeißen ja keine Pflastersteine.‘“[26]

Seit dem Aufkommen von Pegida und AfD ist eine Zunahme rechter Vorfälle in der Polizei zu beobachten. Diese Tendenz fiel auch dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der letzten Landesregierung von Sachsen, Martin Dulig (SPD), auf. So stellte er im März 2016 die Frage, „ob die Sympathien für Pegida und die AfD innerhalb der sächsischen Polizei größer sind als im Bevölkerungsdurchschnitt“?[27]

Während sich diese Frage statistisch kaum beantworten lässt – dafür fehlen Untersuchungen über die politische Einstellung von Polizeibeamt_innen, spricht der Blick auf die sichtbaren Beispiele eine klare Sprache. So kam es während diverser Pegida- und Legida-Demonstrationen zu Sympathiebekundungen von Polizeikräften und dem großflächigen Wegschauen bei Propagandadelikten oder Übergriffen aus dem rechten Lager einerseits und zu einer rigiden Verfolgung von antifaschistischen Gegendemonstrant_innen andererseits.

Bei der Eröffnung einer Notunterkunft für Geflüchtete im sächsischen Heidenau im August 2015 verlief ein mehrtägiger Großeinsatz nach diesem Muster. Über zwei Tage ließ sich die Polizei vom rechten Mob durch die Stadt treiben und nahm diverse Verletzungen von Polizeikräften in Kauf. Als am dritten Tag der Auseinandersetzungen allerdings Antifaschist_innen anreisten, um sich schützend vor die Unterkunft zu stellen, wurden diese von der Polizei angegriffen und laut einem Bericht „regelrecht zum Bahnhof gejagt“.[28]

Zudem werden in den letzten Jahren immer wieder direkte Kontakte von aktiven Polizist_innen zu Rechten bekannt. Im Mai 2016 öffentlich gewordene Chatprotokolle eines führenden Leipziger Neonazis legen den intensiven Kontakt zu drei Polizisten nahe.[29] Im August 2015 wurde bekannt, dass Polizeibeamt_innen aus Dresden interne Ermittlungsakten an Pegida-Gründer Bachmann durchgestochen hatten[30] und bereits im Januar tauchten Polizeiinterna zu Ermittlungen gegen Antifaschist_innen auf Internetseiten von Legida und NPD auf.[31] In den Ermittlungen gegen die „Gruppe Freital“, die aufgrund diverser Anschläge aktuell als terroristische Vereinigung vor Gericht steht, kam ebenfalls der Kontakt zu mehreren Polizist_innen zu Tage.[32] Dabei ist der Fall der Gruppe Freital besonders brisant, weil er als eine Art Warnschuss der Bundespolizei und der Bundesanwaltschaft gegenüber den Behörden in Sachsen gehandelt wird. Im Raum steht die Vermutung, dass die Bundesbehörden wegen der Untätigkeit ihrer sächsischen Kolleg_innen die Terrorermittlungen und Razzien an sich gezogen hatten.[33]

Die Großwetterlage in der sächsischen Polizei zeigt sich aber auch in der Führungsebene der Polizei – nicht nur in der Reaktion auf das SEK-Logo im Polizeipanzer und den Aufnäher eines Elitepolizisten. Während der Polizeipräsident von Chemnitz auf einer Pressekonferenz den Einsatz in Clausnitz rechtfertigte,[34] bei dem Polizist_innen nicht gegen den rechten Mob, sondern gegen eingeschüchterte Geflüchtete vorgingen, sucht sich die Deutsche Polizeigewerkschaft in Sachsen gleich rechte Medien für ihre Stellungnahmen. Die DpolG-Landesvorsitzende Martin gab der neurechten Tageszeitung Junge Freiheit ein Interview, in dem sie Minister Dulig aufforderte, sich zu entschuldigen, weil der sich wie bereits erwähnt Fragen über die Nähe der Polizei zu Pegida und AfD gestellt hatte.[35]

Ergänzend lohnt sich ein Blick auf das Personal der AfD, die mit einer Law-and-Order-Politik aktiv um Polizist_innen wirbt und dabei in den Positionen teils deckungsgleich mit den Polizeigewerkschaften ist. So befinden sich unter den zehn Abgeordneten, die auf der AfD-Landesliste Sachsen in den Bundestag einzogen, vier ehemalige Ordnungshüter_innen.[36] Beispiele, die dieser unvollständigen Auflistung aus Sachsen ähneln, finden sich allerdings im gesamten Bundesgebiet.

„Sächsische Zustände“ oder bundesweite Trendsetter?

In welchem Verhältnis stehen also die drei dargestellten Elemente Militarisierung der Polizei, rechte Tendenzen in derselben und deren Eifer im Einsatz gegen Linke?

Dass in Sachsen, wo die Pegida-Bewegung ihren Anfang nahm und die AfD bei der letzten Bundestagswahl mit 27% der Stimmen stärkste Partei im Land wurde, auch die Polizei Teil dieser gesellschaftlichen Entwicklungen ist, sollte nicht verwundern. Eine spezifisch sächsische Grundlage für diesen rechten Trend in Politik und Behörden hat die Landes-CDU gelegt, die in Sachsen seit 1990 – phasenweise mit absoluter Mehrheit – mit rechten Positionen regiert.

Da alle drei Elemente aber auch in anderen Bundesländern auftauchen, lohnt es sich über den sächsischen Tellerrand hinaus zu blicken. Zum Verhältnis von „sächsischen Zuständen“ und globalen Entwicklungen stellt Tino Heim, Soziologe an der TU Dresden, fest: „Die Krise der Repräsentativdemokratie und der politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Partizipation, die Projektion der Krisenursachen auf zu bekämpfende ‚Andere‘ in multiplen Diskursen oder die Ausbildung einer zunehmend autoritären, sicherheitspolitisch legitimierten Variante der Postdemokratie bleiben aber allgemeine Tendenzen. Ihre Ursachen liegen nicht in Sachsen, sondern in globalen gesellschaftlichen Konstellationen der Gegenwart. Die bloße Skandalisierung ‚sächsischer Verhältnisse‘ wird, wo sie die Analyse dieser Konstellationen überlagert, zum Teil des Problems.“[37]

Um also das Verhältnis zwischen sächsischer und bundesweiter Politik zu klären, lohnt es sich, die Aussagen des neuen sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von 2015 ernst zu nehmen: „Ich sehe die Ostdeutschen als Seismografen. […] Hier formt sich eine öffentliche Meinung, die sich später oft bundesweit durchsetzt.“[38] Mit Blick auf die Asylrechtsverschärfungen äußerte er weiter: „Was gestern als Unverschämtheit galt, ist heute Gesetz“.[39] So könne man der bundesweiten Debatte voraus sein, wenn man den Menschen in Ostdeutschland zuhören würde.

Folgt man dieser Argumentation, lohnt es sich, die Entwicklungen in Sachsen noch genauer zu verfolgen. Nicht um mit dem Finger auf „die Sachsen“ zu zeigen, sondern um die dortigen Entwicklungen als eine Art Testfeld für autoritäre Vorstöße wie die Aufrüstung der Polizei und die Verwendung der neuen Rüstungsgüter gegen Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet zu begreifen.

Anmerkungen
[1] Vgl. IMI-Studie 2017/05. Martin Kirsch: Militarisierung der Polizei. Massive Aufrüstung im Namen der Terrorabwehr. 2017.
[2] Leipziger Volkszeitung: Neue Panzerwagen für Sachsens Polizei – Stationierung in Leipzig. 15.12.2017.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Leipziger Volkszeitung: Demoverbot zu Silvester – Leipziger Polizei rüstet sich für Großeinsatz. 30.12.2017.
[6] Martin Kirsch: Militarisierung des Protest Policing: Polizeikrieger als autoritäre Konfliktlösung, in: CILIP 114. 2017.
[7] Sächsische Zeitung: Polizei will mit Pepperball Störer treffen. 11.2.2010.
[8] IMI-Analyse 2017/33. Martin Kirsch: Spezialeinheiten gegen Menschenmengen. Militarisierung der staatlichen Bekämpfung von Unruhen während des G20-Gipfels in Hamburg. 2017.
[9] Matthias Monroy: Gummigeschosse beim G20-Gipfel stammten vom SEK Sachsen, in: CILIP. 2017.
Gummigeschosse befinden sich zur Zeit als „Polizeiwaffen“ nur in den Arsenalen von Sachsen und Hessen.
[10] Neues Deutschland: Post-G20-Strategie? SEK-Einsatz gegen linke Demo in Wurzen. 4.9.2017.
[11] Sächsisches Staatsministerium des Inneren: Antwort v. 9.10.2017 auf die Kleine Anfrage des Abg. Valentin Lippmann, LT-Drs. 6/10668 v. 8.9.2017.
[12] Spiegel Online: Bei Demonstration gegen Rassismus. Sächsischer SEK-Beamter trug Symbol der rechten Szene. 7.9.2017.
[13] Belltower. Netz für digitale Zivilgesellschaft: W.O.T.A.N.
[14] Konter&Revolution: Gab es beim #SEK-Team in #Wurzen rechte und #Nazi-Aufnäher?
[15] https://aminoapps.com/c/military-amino/page/blog/sek-mek-and-cobra-units-deployed-in-hamburg-during-g20/2vYl_2zaHNurMq8rq7EqEEY424wRaDM8BEm, Bild 8 und 9.
[16] Twitter-Account der Polizei Sachsen. Eintrag vom 5.9.2017.
[17] Leipziger Volkszeitung: Sächsische Polizei hat zwei neue Fahrzeuge für Anti-Terror-Einsätze. Bild.
[18] Spiegel Online: Embleme in sächsischem Polizeipanzer. Der Fall „Survivor R“. 18.12.2017.
[19] mdr.de: Umstrittene Stickerei soll aus Polizeipanzer entfernt werden. 19.1.2018.
[20] Alfashirt
[21] Photogram: Post von Reimond Hoffmann
[22] Spiegel Online: Sascha Lobo: Empörung über Polizeipanzer. Ändern wird sich wohl nur die Stickerei. 20.12.2017.
[23] Märkische Allgemeine: Foto. 2017.
[24] Neue Zürcher Zeitung: Weshalb die Polizei an ihre Grenze gelangte, obwohl sie sich anderhalb Jahre auf den Einsatz vorbereitet hatte. 9.7.2017.
[25] Eine ausführliche Studie zu Korpsgeist, Gefahrengemeinschaft und kriegerischer Männlichkeit in der Polizei findet sich bei: Rafael Behr: Cop Culture – Der Alltag des Gewaltmonopols. Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur in der Polizei. SpringerVS. 2008.
[26] Jetzt.de: „Die Feinde sind immer die Linken und die Ausländer“. Ein junger Polizist spricht über Rassismus und Korpsgeist in der Polizei. 8.9.2017.
[27] Spiegel Online: Rassismus in Sachsen. Minister wirft eigener Polizei Nähe zu Pegida vor. 3.3.2016.
[28] VICE: Heidenau: Rechte greifen Polizei an, Polizei verprügelt Linke – was sonst? 24.8.2015.
[29] Deutschlandfunk: Polizisten mit Kontakten in die rechtsradikale Szene? 19.05.2015.
[30] Frankfurter Rundschau: Pegida unterwandert Polizei von Dresden. 27.9.2015.
[31] Welt: Kooperieren Polizisten in Sachsen mit Rechten? 13.1.2016.
[32] Zeit Online: Gruppe Freital. Ihre Freunde und Helfer. 6.3.2017.
[33] Deutschlandfunk Nova: Polizei in Sachsen. Rechts und Ordnung. 21.4.2016.
[34] Zeit Online: Polizei gibt Flüchtlingen Mitschuld an Eskalation. 20.2.2016.
[35] Taz: Gewerkschafterin in Sachsen. Polizei ins rechte Licht gerückt. 6.3.2016.
[36] Pia Gomez, F’AfD the police – Die AfD genießt Sympathien auch bei der Polizei, in: Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, #68, Herbst 2017. Schwerpunkt: „Bitte folgen“ – Polizei & Politik, Seite 21-23.
[37] Tino Heim: Sachsen mal wieder, in: DISS-Journal 32. 2016.
[38] Zeit Online: Michael Kretschmer. Wutbürgers Liebling. 19.11.2015.
[39] Ebd.

Veröffentlicht am 12. Februar 2018 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.