Rüstungsmarkt Polizei
Autor: Martin Kirsch
Teil I: Überblick und Gepanzerte Fahrzeuge
Dieser Text ist der erste Teil einer Reihe, in der die aktuelle Militarisierung der Polizei aus der Perspektive des Rüstungsmarktes betrachtet wird. Im ersten Teil erfolgt eine grundlegende Einordnung des „Rüstungsmarkts Polizei“ und eine Übersicht zur aktuellen Beschaffung von gepanzerten Fahrzeugen.
„Grundsätzlich gilt: Wir müssen für Waffengleichheit sorgen.“
(Roger Lewentz, Innenminister von Rheinland-Pfalz, Anfang März 2015)(1)
Mit diesem inoffiziellen Leitspruch des damaligen Vorsitzenden der Innenministerkonferenz begann im Frühjahr 2015, nach den Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris, ein Rüstungswettlauf der Polizeibehörden in Deutschland. So führte Lewenz im selben Interview mit der Welt aus: „Da alle 16 Länder eine bessere Ausrüstung beschaffen wollen, gibt es bereits Engpässe auf dem Markt.“(2) Dieser Trend ist allerdings keine bundesdeutsche Eigenheit, sondern europaweit zu beobachten.
Der Vorlauf der aktuellen Aufrüstung reicht jedoch deutlich weiter zurück, als es die aktuelle Debatte nahelegt. So waren die Anschläge in Paris der Punkt, an dem eine ohnehin anstehende Entwicklung mit einer öffentlichen Begründung, zunehmendem politischem Druck und der dadurch möglichen kurzfristigen Bereitstellung von Finanzmitteln zum Durchbruch gekommen ist. Die Ansätze der Aufrüstung gehen teils über zehn Jahre zurück – z.B. mit der Begründung, besser gegen Amokläufer vorgehen zu können.
Auch wenn die Kooperation zwischen Polizeibehörden und Rüstungsunternehmen aktuell neuen Aufschwung erhält, ist sie historisch nicht neu. So waren es neben der jungen Bundeswehr auch der bereits zuvor gegründete Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizeien der Länder, die in der Bonner Republik der Nachkriegszeit wichtige Abnehmer der wieder aufblühenden heimischen Rüstungsindustrie waren.
Angebot schafft sich Nachfrage
Spätestens seit dem Einmarsch der NATO in Afghanistan 2001 sind europäische Rüstungsunternehmen damit beschäftigt, Gerät, Ausrüstung und Waffen speziell für militärische Aufstandsbekämpfungsszenarien zu entwickeln. Eben diese Gerätschaften dringen in Deutschland – vermehrt seit 2015 – in den Polizeibereich vor.
In den USA als dem NATO-Staat mit der am weitesten vorangeschrittenen Militarisierung der Polizei und dem mit Abstand größten Militärhaushalt kommt die paramilitärische Polizeiausrüstung zumeist direkt vom Militär. So wurden bereits im „Krieg gegen die Drogen“ in den 1990er Jahren ausgemusterte Kriegswaffen vom Militär an Polizeibehörden weitergereicht. Aktuell ermöglicht es das berüchtigte „Programm 1033“ des Pentagon, u.a. Panzerfahrzeuge, ballistischen Körperschutz und Sturmgewehre, aber auch Hightech und Flugzeuge, die aus dem Irak- und Afghanistankrieg stammen, in die Hände lokaler Polizeibehörden zu übergeben.
In Europa hingegen versuchen die Rüstungskonzerne aktuell, das primär für das Militär entwickelte Gerät direkt an die Polizeibehörden zu verkaufen. Damit können Produkte, die auf dem teils gesättigten militärischen Markt kaum noch Absatz finden, oder solche, die bis jetzt nicht vom Militär abgenommen wurden, auf dem Polizeimarkt weiter für Gewinne sorgen.
So wird das Kriegsgerät z.T. in leicht modifizierten Varianten seit Jahren auf diversen Messen,(3) in Fachmagazinen, auf Tagungen und seit 2015 teils auch in der Öffentlichkeit beworben.
Ein Beispiel dafür ist der „Polizeipanzer“ Survivor R von Rheinmetall,(4) der erstmals 2013 auf der Rüstungsmesse Eurosatory bei Paris für die militärische Anwendung vorgestellt wurde. Der Panzerwagen des Düsseldorfer Konzerns wurde allerdings laut Fokus von Beginn an sowohl für den Militär- als auch für den Polizeimarkt entwickelt.(5)
Weil bis jetzt keine militärischen Abnehmer gefunden wurden, setzt Rheinmetall verstärkt darauf, bis zu 200 Survivor R an deutsche Polizeibehörden loszuwerden,(6) um das Produkt überhaupt auf den Markt zu bringen. Daher wird der Survivor R seit 2015 immer aggressiver auch in Tages- und Wochenzeitungen, sowie mit eigenem YouTube-Format beworben, in dem Jean Pierre Kraemer, eine Größe der Tuningszene, den Panzerwagen gemeinsam mit dem Entwickler von Rheinmetall probefährt. Aber auch Probefahrten mit lokalen Polizeigewerkschaflern auf dem Firmengelände in Kassel gehören zur Öffentlichkeitsarbeit – mit dem direkten Ergebnis, dass die GdP Nordhessen noch vor Ort angekündigt hat, je einen Panzerwagen für die sieben nordhessischen Polizeipräsidien zu fordern.(7)
Dazu kommen Sonderfälle, in denen Polizeibehörden direkt auf Rüstungsunternehmen zukommen, um gemeinsam neue Produkte zu entwickeln. So gingen 2010 die Polizeien Baden-Württembergs und Schleswig-Holsteins jeweils auf den Hersteller Mehler zu, um ballistische Schutzkonzepte für Streifenbeamt*innen bei Amokläufen zu entwickeln.(8) Der zusätzliche ballistische Oberkörperschutz (Baden-Württemberg) und das ballistische Schutzschild (Schleswig-Holstein), die aus den Kooperationen entstanden sind, erfreuen sich mittlerweile großer Beliebtheit und sind in Streifenwagen in diversen Bundesländern deponiert.
Zahlen? Daten? Fakten?
Im Vergleich zum militärischen Rüstungsmarkt weist der Polizeimarkt einige Eigenheiten auf. Von besonderer Bedeutung sind die aufgrund des Föderalismus relativ dezentralen Strukturen, die im Verhältnis zum Militär eher kleinen Auftragsvolumen und die teils völlig fehlende Transparenz.
Für die Bundeswehr werden immer wieder Großaufträge zentral vergeben, die bei Großgerät wie Flugzeugen, Kriegsschiffen oder Kampfpanzern von der Entwicklung bis zur Auslieferung teils Milliardensummen verschlingen. Im Polizeibereich ist die Vergabe von Aufträgen jeweils Sache der Bundesländer und des Bundesinnenministeriums. Während die Bundeswehr zentral knapp 180.000 Soldat*innen ausrüstet, kommen alle 19 deutschen Polizeibehörden(9) gemeinsam zwar auf über 300.000 Vollzugsbeamt*innen, und damit bei Käufen von Waffen und persönlicher Ausrüstung theoretisch auf höhere Gesamtumsätze, die sich aber in kleinere und kleinste Einzelchargen aufteilen. So werden teils einzelne Panzerfahrzeuge oder ein paar Dutzend Gewehre beschafft. Große Chargen kommen nur zustande, wenn z.B. Ausrüstung für die gesamte Bundespolizei oder größere Länderpolizeien angeschafft wird.
Ein Sonderfall ist die in Verwaltungsabkommen zwischen dem Bund und den Ländern geregelte bundeseinheitliche Beschaffung von „Führungs- und Einsatzmitteln“ der 17 Bereitschaftspolizeien durch das Innenministerium.(10) Während die Länderpolizeien nach dem Abkommen für Unterbringung, Ausbildung, Bezahlung und persönliche Ausstattung der Bereitschaftspolizist*innen zuständig sind, finanziert und beschafft der Bund zentral z.B. Funkausstattung und große Teile des Fuhrparks der Bereitschaftspolizeien der Länder, um eine größtmögliche Kompatibilität sicherzustellen. Über die Verwaltungsabkommen und ihre Umsetzung wacht der „Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder“ im Bundesinnenministerium – eine Art Polizist im Generalsrang.
Wenn also bundeseinheitlich neue Einsatzfahrzeuge beschafft werden, können Auftragsgrößen zustande kommen, die an den Dimensionen der Bundeswehr kratzen. So läuft z.B. seit 2011 die Beschaffung neuer Wasserwerfer für rund 50 Millionen Euro,(11) und die Order von 76 neuen Überwachungsfahrzeugen (Beweissicherungs- und Dokumentationskraftwagen) für die Bereitschaftspolizeien 2014 hatte ein Gesamtvolumen von 14 Millionen Euro.(12)
Der größte aktuell bekannte Einzelauftrag im Rüstungswesen der Polizei umfasst drei große Einsatzschiffe für die Bundespolizei, die im Frühjahr 2019 ausgeliefert werden sollen. Die Bauart der Einsatzschiffe orientiert sich an den Korvetten vom Typ OPV 80 der Werft Fassmer GmbH & Co. KG in Berne bei Bremen, die bereits an die Marine von Chile und Kolumbien geliefert wurden.(13) Mit über 80 Metern Länge und bis zu 100 Personen Besatzung sind sie die größten Schiffe, die je von BGS oder Bundespolizei beschafft wurden. Die für Hochsee und Küstengewässer ausgelegten Einsatzschiffe sollen für „nahezu alle Seegebiete Europas und für fast jedes Wetter geeignet sein“. Die laut Kieler Nachrichten tropentauglichen Schiffe sind damit für Einsätze auch über den Grenzschutz im Mittelmeerraum hinaus geeignet. Für entsprechende Missionen sind die Schiffe u.a. mit einem Landeplatz für Transporthubschrauber, absetzbaren großen Einsatzbooten und Stauraum für Container mit missionsspezifischer Ausrüstung ausgestattet. Bei Kosten zwischen 165 und 180 Millionen Euro handelt es sich für die Fassmer Werft um einen durchaus lukrativer Auftrag.(14)
Dass im Polizeibereich aber nicht nur in Einzelfällen höhere Millionenbeträge überschritten werden, zeigt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Bezirk Bundespolizei, die 2015 die Forderung nach neuer Ausrüstung für die Bundespolizei im Wert von 233 Millionen Euro aufgestellt hat.(15) Darin enthalten sind rund 80 Panzerfahrzeuge und die Beschaffung neuer Hubschrauber. Der Großteil der Liste bezieht sich allerdings auf neue Waffen und die persönliche Ausstattung der Beamt*innen u.a. mit Gewehren, Titanhelmen und ballistischen Schutzwesten auf Kriegsniveau. Damit entspricht der Forderungskatalog ungefähr dem, was seit 2015 von diversen Polizeibehörden im Rahmen von sogenannten Anti-Terror-Paketen beschafft wird.
Entsprechend sind es nicht primär die großen Rüstungskonzerne, sondern auch viele mittlere und kleine Unternehmen, die z.B. Waffenzubehör, modifizierte Uniformen und Schutzausrüstungen liefern und damit von der Aufrüstung profitieren. Oft handelt es sich um dieselben Unternehmen, die abseits von spektakulären Großaufträgen auch die Bundeswehr und andere europäische Armeen mit entsprechendem Material ausstatten. Vor allem für diese Firmen tut sich mit der aktuellen Aufrüstung der Polizeien ein weiterer Markt auf, der zwar kleinteilig zu bespielen ist, aber in der Summe hohe Absatzzahlen wie im militärischen Rüstungswesen verspricht.
Transparenz
Trotz der Relevanz des Polizeimarktes im Rüstungssektor gibt es dafür bis jetzt kaum öffentliche Aufmerksamkeit oder gar eine kritische Beschäftigung damit. Dementsprechend ist die Transparenz bei Rüstungsgeschäften der Polizei extrem von den Interessen der jeweiligen Behörden abhängig. Im Gegensatz zum militärischen Rüstungswesen gibt es bis jetzt kein eingespieltes Ringen um Transparenz, in dem zwar vieles unter der Hand passiert, aber durch Parlament und NGO’s gewisse Standards geschaffen wurden, die regelmäßig kritisch überprüft werden können.
Wenn Details über Beschaffungsvorhaben bekannt werden, liegt das an den Pressestrategien der jeweiligen Ministerien, Behörden und Hersteller. So erscheint es aktuell opportun, dann Zahlen und Details zu veröffentlichen, wenn sich damit gebrüstet werden kann, dass die Polizei „gut“ ausgestattet wird und damit in der propagierten, aber fehlgeleiteten Logik des Rüstungswesens auch die Bevölkerung besser geschützt sei. Bei den veröffentlichten Summen, die für Anti-Terror-Pakete ausgegeben werden, sind dann oft auch Beschaffungen Teil der Kalkulation, die ohnehin stattgefunden hätten, oder mit dem Inhalt der Überschrift wenig zu tun haben.
Wenn Polizeien und Ministerien mit konkreten Nachfragen, v.a. kritischer Art, konfrontiert werden, auch dann, wenn sie von Parlamentarier*innen in Landtagen gestellt werden, wird oft schmallippig oder gar nicht geantwortet. Häufig geschieht dies mit dem Verweis, dass die Offenlegung der Ausrüstung der Polizei Aufschlüsse über die Einsatztaktik geben könnte und damit die Beamt*innen im Einsatz oder aber den Auftrag der Polizei im Gesamten gefährden würde.
Diese häufig vorgetragene Argumention lässt allerdings tief blicken, wenn demokratische Rechte und die Kontrollfunktion der Parlamente niedriger angesetzt werden als die Freiheit der Einsatztaktik der Polizei. Daraus atmet der Geist einer zutiefst antidemokratischen Staatsschutzpolizei, deren Auftrag es ist, mit allen Mitteln die Funktionalität des Staates zu stabilisieren und dafür die Bürgerrechte auch gerne mal links liegen zu lassen.
Eine weitere Schwierigkeit, die real getätigten Umsätze zu ermitteln, ist der Fakt, dass bei der persönlichen Ausstattung von Beamt*innen ein doppelter Markt bedient wird. Während die größten Chargen von den Dienstherren direkt eingekauft werden, bieten diverse Onlineshops, z.T. direkt von den Herstellern, die Produkte auch für die Endkunden an. So kommt es nicht selten vor, dass Polizeibeamt*innen ihre Uniform durch Zukäufe aus zugeteiltem Kleidergeld oder aus eigener Tasche ergänzen, oder ihre Ausrüstung selbstständig erweitern. Eine gewisse Parallele zum militärischen Rüstungsmarkt, auf dem Soldat*innen v.a. für Auslandseinsätze oft eigenständig persönliche Ausrüstungsgegenstände zukaufen, ist hier zweifellos gegeben.
Zahlen und Schätzungen
Auch wenn Schätzungen, wie beschrieben, auf wackligen Füßen stehen, ist eher konservativ gerechnet davon auszugehen, dass die 16 Länderpolizeien seit 2015 für zusätzliche paramilitärische Ausstattung deutlich über 200 Millionen Euro ausgegeben haben. Beispielhaft dafür stehen größere bekannt gewordene Einzelsummen wie 30 Millionen Euro für das Anti-Terror-Paket der Polizei Baden-Württemberg in 2015, 10 Millionen für die Ausstattung für „lebensbedrohliche Einsatzlagen“ durch die Polizei Thüringen in 2017 und deutlich über 30 Millionen Euro für Waffen und Schutzausrüstung der Polizei Berlin seit Anfang 2017.(16) Dazu kommen größere Einzelbeschaffungen wie 30 Millionen Euro für Schutzwesten der Schutzklasse 4 für die Polizei Bayern oder 13,5 Millionen für eine zweite Maschinenpistole MP 5 in jedem Streifenwagen und Zusatzausrüstung wie Leuchtpunktvisiere für alle Maschinenpistolen der Polizei NRW.(17)
In der Kalkulation von über 200 Millionen Euro sind neue Hubschrauber und alle Anschaffungen, die als Ersatz für bestehendes Material oder Modernisierungskosten dargestellt werden, ausgenommen. Bei Beschaffungen von neuen Dienstpistolen (z.B. 40.000 Stück für 30 Millionen Euro incl. Zusatzausrüstung und Nebenkosten für die bayrische Polizei)(18) und ähnlichen Vorhaben ist allerdings fraglich, ob es im Zuge der Modernisierung nicht auch zu einer graduellen Aufrüstung kommt. Ebenfalls nicht berechnet sind alle Beschaffungen der Bundespolizei.
Der aktuell größte zu erwartende Posten ist die bundeseinheitliche Beschaffung von neuen Panzerfahrzeugen für die Bereitschaftspolizeien, die für 2019 zu erwarten ist und allein die Summe von 200 Millionen Euro überschreiten könnte.(19) Zudem ist davon auszugehen, dass auch die Bundespolizei dem allgemeinen Trend folgt und relevante Teile ihrer Beamt*innen mit neuen Titanhelmen und ballistischen Schutzwesten ausstattet.
Dementsprechend bringen sich diverse Rüstungsunternehmen in Stellung, um Großaufträge zu ergattern, den Fuß überhaupt auf dem deutschen Polizeimarkt auf den Boden zu bekommen, oder aber auch die Teile der Länderpolizeien zu beliefern, die bis jetzt nicht bis an die Zähne aufgerüstet sind.
Radpanzer und gepanzerte PKW
„Statt der Funkstreifwagen Panzer! Wer drin sitzt, kann zwar nichts sehn, doch es kann ihm nichts geschehen.“
(Georg Kreiseler, in seinem Lied „Schützen wir“ von 1969)
Seit der Gründung der deutschen Bereitschaftspolizeien und des Bundesgrenzschutzes in den frühen 1950er Jahren gehören gepanzerte Radfahrzeuge zum Arsenal der zunächst paramilitärisch ausgerichteten Polizeieinheiten. Neben Anschaffungen einzelner Bundesländer, v.a. für die ab 1972 gegründeten Spezialeinsatzkommandos, wurde die Vielzahl der im Polizeideutsch als Sonderwagen, oder sondergeschützte Fahrzeuge bezeichneten Panzerwagen über das bundeseinheitliche Beschaffungswesen der Bereitschaftspolizeien eingekauft.
Die letzte Beschaffung dieser Art fand ab 1982 statt. In diesem Zuge wurden die damals veralteten Vorgängermodelle durch den leichten Transportpanzer vom Typ TH 170 als Sonderwagen 4 (SW 4) bei den Polizeien in der BRD eingeführt. Hergestellt von Thyssen-Henschel – mittlerweile Rheinmetall Landsysteme – auf der Basis eines Unimok, gehört der SW 4 seitdem zur Ausstattung der technischen Einheiten der Bundes- und Länderpolizeien.
Der SW 4 bietet Platz für bis zu neun Personen und kann mit Räumschild und Scheinwerferanlage z.B. für Einsätze bei Demonstrationen ausgestattet werden. An den großen deutschen Flughäfen ist der SW 4 im Auftrag der Bundespolizei noch immer in der paramilitärischen Version mit Maschinengewehr G8 auf dem Dach unterwegs. Wegen seiner Geländegängigkeit und der installierten Schutzbelüftungsanlage, die Insassen vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahrstoffen schützt, ist der SW 4 darüber hinaus für Katastrophenschutzszenarien eingeplant.
Von mehreren hundert SW 4, die Mitte der 1990er Jahre bei deutschen Polizeibehörden im Dienst waren, wurden 121 Stück des damaligen Bundesgrenzschutzes an die Bundeswehr und von dort weiter nach Mazedonien verkauft.(20) Mittlerweile wird der TH 170 nicht mehr hergestellt. Fahruntüchtige Modelle im Besitz der Polizeien werden deswegen als Ersatzteillager ausgeschlachtet.
Bereits in der Beschaffungsphase des SW 4 in den 1980er Jahren wurden verschiedene Modelle von Polizeibehörden geordert und getestet, bis sich der TH 170 schlussendlich für den bundesweiten Großauftrag durchsetzen konnte. Die aktuellen Beschaffungen von modernen Radpanzerfahrzeugen durch deutsche Polizeibehörden sind also vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine Modernisierung der Sonderwagenflotte ohnehin in den nächsten Jahren bevorgestanden hätte.
Mowag – Eagle IV
Die ersten Neuanschaffungen von militärischen Panzerfahrzeugen für die Polizei seit den 1980er Jahren wurden auf dem Höhepunkt der deutschen Polizeimission in Afghanistan umgesetzt.
Als die Bundeswehr 2010 entschied, 60 zusätzliche „leicht gepanzerte Aufklärungsfahrzeuge“ vom Typ Mowak Eagle IV für den Afghanistaneinsatz zu beschaffen, schloss sich das Auswärtige Amt an. Innerhalb desselben Rahmenvertrages wurden 10 weitere Fahrzeuge für je rund 500.000 Euro bestellt.(21) Vorgesehen waren die für bis zu sechs Personen ausgelegten, gegen leichte Minen, Sprengsätze, Handgranaten und Geschosse aus Handwaffen geschützten Fahrzeuge für die Bundespolizei, unter deren Führung zu diesem Zeitpunkt bis zu 200 deutsche Polizeiausbilder des GPPT (German Police Project Team) in Afghanistan aktiv waren.
Nach der Fertigung durch General Dynamics European Land Systems an den Standorten Kreuzlingen (Schweiz) und Kaiserslautern(22) wurden die 10 Eagle IV von 2011 bis Ende 2014 für Überlandfahrten deutscher Polizeiausbilder in gefährlichem Gelände in Afghanistan genutzt. Ihren Rückweg nach Deutschland fanden die Panzerwagen dann 2015, nachdem sie für die mittlerweile reduzierte Polizeimission nicht mehr gebraucht wurden. Wieder an der Heimatfront angekommen, wurden die Panzerwagen für den hiesigen Einsatz umgerüstet. Seit 2017 versehen die Eagle IV ihren Dienst bei der Bundespolizei an den größten deutschen Flughäfen in Frankfurt/Main(3), München(3), Berlin-Brandenburg(3) und Stuttgart(1) und ersetzen dort teils die Sonderwagen 4.(23) Den ersten bekannten Einsatz an der Heimatfront hatten mehrere Eagle IV 2017 während des G20-Gipfels in der Umgebung des Hamburger Hauptbahnhofs.(24) Für den Afghanistaneinsatz offenbar nicht vonnöten, wird aktuell die Installation einer Waffenanlage auf dem Dach des Eagle IV für „eventuelle Bedrohungsszenarien“ geprüft.(25)
Kurz nach den Anschlägen in Paris Anfang 2015 veröffentlichte Spiegel Online die Meldung, das Bundespolizeipräsidium plane auf Basis einer angefertigten Gefahrenanalyse jede der rund 80 Bundespolizeiinspektionen mit einem Eagle IV auszustatten.(26) Nach Verhandlungen mit dem Finanzministerium wurde das 40 Millionen Euro teure Beschaffungsvorhaben dann anscheinend vorerst auf Eis gelegt. Weiter bestehen bleibt allerdings die Forderung der GdP, den Eagle IV flächendeckend bei der Bundespolizei einzuführen.(27)
Ein Konkurrenzmodell in der gleichen Gewichtsklasse ist das Armoured Multi-Purpose Vehicle (AMPV), entwickelt und hergestellt von einem Joint Venture aus Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall MAN Military Vehicles. Trotz diverser Messeauftritte seit 2009 in Militär- und Polizeiausstattung und einer Vielzahl von Erprobungen u.a. durch die Bundeswehr und die Bundespolizei, erweist sich das AMPV bis jetzt als Ladenhüter. Und auch ein weiterer großer Player kann aktuell trotz intensiver Werbung keine Verkäufe an Polizeibehörden vermelden. So bietet Daimler in Kooperation mit ACS Armoured Car Systems aus dem bayrischen Aichach diverse aufgerüstete Modelle der Mercedes G-Klasse an. Darunter eine Polizeiversion des Light Armoured Patrol Vehicle (LAPV),(28) das von der Bundeswehr unter der Bezeichnung ENOK u.a. von den Feldjägern genutzt wird.
Achleitner – HMV Survivor I
Den ersten Panzerwagen, der explizit für die Heimatfront beschafft wurde und als Nachfolgemodell des SW 4 in Frage kommt, konnte der Spezialfahrzeughersteller Achleitner aus dem österreichischen Wörgl Ende 2016 an die Polizei Hamburg verkaufen. Zuvor war das „high mobility vehicle“ HMV Survivor I bei einigen Länderpolizeien als Testfahrzeug unterwegs. Auf dem deutschen Markt für gepanzerte Fahrzeuge ist Achleitner bereits seit Jahren als Lieferant von Werttransportern der Bundesbank und den entsprechenden Begleitfahrzeugen der jeweiligen Länderpolizeien bekannt.(29)
Der aus einem Panzerstahl-Monocoque gefertigte HMV Survivor I mit speziellen Schutzkomponenten gegen Minen und IED bringt bis zu 12,5 Tonnen auf die Waage und bietet Platz für 10 Personen.(30) Im November 2016 wurde der erste HMV Survivor I bei der Polizei Hamburg eingeführt. Dabei handelte es sich allerdings um einen Mietwagen. Ein Testfahrzeug wurde mit Hoheitssymbolen versehen und für ein knappes Jahr an die Hamburger Polizei übergeben. Damit konnte Achleitner für den HMV Survivor I öffentlichkeitswirksam werben und die Polizei Hamburg hatte eine Zwischenlösung bis zur tatsächlichen Auslieferung des nach Kundenwünschen neu angefertigten Fahrzeugs. Schließlich musste nicht nur ein neues Anti-Terror-Paket präsentiert werden – es stand auch der G20-Gipfel vor der Tür. Dort war der Leih-Survivor dann nicht nur in der Stadt unterwegs, sondern kam am Freitag- und Samstagabend auch am Rande des Schanzenviertels zum Einsatz. Während der Panzerwagen am Freitag Spezialkräfte am Rande der Unruhen absetzte, wurde er Samstag bei „Präventivmaßnahmen“ von Demonstrant*innen blockiert und musste durch Fußtruppen befreit werden.
Im September 2017 wurde dann die Sonderanfertigung für rund 1 Million Euro ausgeliefert. Die Hamburger Version des HMV Survivor I mit Räumschild, Scheinwerfer, Kamera, zusätzlichen Seitentüren und hydraulischem Rampensystem ist wohl vor allem für die Spezialeinheiten ausgelegt. Diese können sich geschützt einem Einsatzort nähern und sich dann über die höhenverstellbaren Rampen auch in höheren Stockwerken Zugang zu Häusern verschafften. Dabei handelt es sich um eine Fähigkeit, die nicht nur für Anti-Terror-Einsätze gegen Islamisten, sondern auch für die Räumung von besetzten Häusern durchaus nützlich ist.
Rund zwei Monate später wurde dann ein weiterer HMV Survivor I an das SEK der Polizei Brandenburg ausgeliefert.(31) Für den stolzen Preis von 1,4 Millionen Euro sind vergitterte Fenster, ein Räumschild, ein Feuerlöschsystem und eine ABC-Schutzbelüftungsanlage(32) (auch gegen das eigens verschossene Tränengas) im Lieferumfang enthalten. Diese Ausstattung eignet sich bestens für Einsätze gegen Demonstrationen und Unruhen. Zudem ist auf dem Dach ein Ausguck installiert, der im geöffneten Zustand zu den Seiten gepanzert ist und mit einem Maschinengewehr bestückt werden kann. In der Brandenburger Ausführung, die alle Funktionen des SW4 abdeckt, könnte es sich um ein mögliches Nachfolgemodell handeln. Darüber hinaus sind aktuell keine weiteren Bestellungen des HMV Survivor I bekannt, auch wenn einige andere Bundesländer Käufe neuer Panzerwagen angekündigt haben.
Rheinmetall MAN Military Vehicles (RMMV) – Survivor R
Aktuell größter Konkurrent für den HMV Survivor I, der wegen der ähnlichen Namensgebung oft verwechselt wird, ist der von Rheinmetall Man Military Vehicles (RMMV) und Achleitner entwickelte Survivor R.(33) Aufgebaut auf dem Fahrgestell eines geländegängigen MAN LKW, ist der bis zu 15 Tonnen schwere, in Kassel gebaute Survivor R ebenfalls für zehn Insassen ausgelegt.
Eine Schutzklasse über dem Namensvetter ist der Survivor R gegen Beschuss aus Maschinengewehren, sowie Minen und Sprengsätzen bis zu einer Sprengkraft von 8 Kg TNT und gegen Splitter und leichte Artillerie geschützt(34) und spielt damit in der Klasse der besonders gegen Minen und Hinterhalte geschützten Radpanzer (MRAP) mit.
Serienmäßig sind ABC-Detektoren und eine ABC-Schutzbelüftung verbaut. Zudem können auf dem Dach diverse Waffenanlagen und eine Vielzahl von weiteren Extras installiert werden. Als weiteres Verkaufsargument führen die Hersteller an, dass der Survivor R aus möglichst vielen Serienteilen gefertigt ist und deswegen relativ günstig in der Wartung sei, die angeblich in jeder MAN-Werkstatt durchgeführt werden kann.(35) Je nach Ausstattung belaufen sich die Stückkosten dann auf 500.000 bis zwei Millionen Euro.(36)
Erstmals vorgestellt wurde der Survivor R auf der Rüstungsmesse Eurosatory 2013, also noch deutlich vor den Anschlägen in Paris Anfang 2015 und dem darauf folgenden Rüstungswettlauf. Laut Informationen des Fokus wurde der Survivor R neben der militärischen Nutzung auch explizit als Ersatz für die veralteten SW 4 konzipiert. So setzt Rheinmetall darauf, bis zu 200 Survivor R an deutsche Polizeibehörden zu verkaufen.(37)
Rund vier Jahre nach der Vorstellung haben mittlerweile die ersten Länderpolizeien angebissen: Die erste Bestellung des Survivor R durch die Polizei Sachsen wurde im März 2017 öffentlich.(38) Um den Jahreswechsel 2017/18 wurden die zwei modifizierten Survivor R für das Spezialeinsatzkommando Sachsen ausgeliefert – Stückpreis rund 1,5 Millionen Euro.(39)
Eine besondere mediale Aufmerksamkeit erhielt die Neuanschaffung durch auf den Sitzen im Innenraum angebrachte Stickereien. Die Verwendung von Frakturschrift und einem historischen Wappen des Königreiches Sachsen, die klar für eine antidemokratische bzw. rechte Gesinnung sprechen, löste eine breite mediale Debatte aus, die zur Entfernung der Stickereien führte.(40) Was in der Debatte allerdings fast völlig ausgeblendet wurde, ist die Frage nach Sinn und Unsinn der Beschaffung neuer Panzerwagen und der spezifischen Sonderausführungen für die Polizei Sachsen – abseits der Ästhetik.
In der von RMMV beworbenen Polizeiausführung des Survivor R ist im Gegensatz zur militärischen Version keine Waffenstation auf dem Dach vorgesehen. Auf den nach Sachsen gelieferten Panzerfahrzeugen befindet sich allerdings ein aus dem Fahrzeuginneren steuerbarer Waffenturm, der mit Tag- und Nachtsichtkameras, Scheinwerfern und einer Abschussvorrichtung für Nebel- und Tränengasgranaten ausgestattet ist. Zudem befinden sich auf dem Gefechtsturm eine Munitionskiste und ein Zuführgurt für ein zum Auslieferungszeitpunkt noch nicht installiertes Waffensystem.(41) Über die Möglichkeit dort ein Maschinengewehr zu installieren sagte Polizeisprecher Jürgen Georgie im Winter noch: „das gibt das Polizeigesetz nicht her“. So sei die zukünftige Bewaffnung „noch nicht ganz spruchreif“.(42) Auf welchen Spruch gewartet wurde, verrät mittlerweile ein Blick in den Entwurf für ein neues sächsisches Polizeigesetz. Dort sollen neben den schon vorgesehenen Waffen auch Handgranaten und eben Maschinengewehre als Polizeiwaffen legalisiert werden.(43) Sollte es so kommen, muss man den Einkäufern im Innenministerium einen gewissen Weitblick attestieren – Demokratie hin oder her.
Die einzige weitere öffentlich bekannte Bestellung eines Survivor R kam im November 2017 von der Direktion Einsatz der Polizei Berlin.(44) Das Fahrzeug soll noch 2018 geliefert werden.
Konkurrenz
Direkte Konkurrenz für den Survivor R auf dem internationalen Markt scheint der fast baugleiche PMV Survivor II von Achleitner zu sein. Allerding wirkt es so, als ob sich die Entwicklungspartner RMMV und Achleitner die jeweils heimischen Märkte aufgeteilt hätten. So wurde der PMV Survivor II bereits an die EKO Cobra, die Spezialeinheit der österreichischen Bundespolizei, verkauft.(45)
Neben Achleitner und Rheinmetall versucht auch der europäische Marktführer für militärische Rad- und Kettenfahrzeuge, Krauss-Maffei Wegmann, auf den Polizeimarkt vorzudringen. Dafür wird der von der Bundeswehr genutzte ATF Dingo 2 auch in einer Version „Police“ angeboten. Seit zwei Dingo schon 2009 von der Bundespolizei für den Personenschutz von Botschaftsangehörigen in Afghanistan beschafft wurden,(46) sind allerdings keine weiteren Bestellungen bekannt.
Hinzu kommt eine große internationale Konkurrenz für entsprechende Radpanzerfahrzeuge. Traditionell werden allerdings auch bei der Beschaffung der Polizeien Produkte der „heimischen“ Rüstungsindustrie bevorzugt.
Gepanzerte PKW
Seit 2015 haben diverse Länderpolizeien gemeldet, neue Panzerfahrzeuge beschaffen zu wollen. Allerdings haben sich bis jetzt nicht alle für paramilitärische Varianten wie in Berlin, Brandenburg, Hamburg und Sachsen entschieden.
So gibt es einen weiteren Markt für militarisierte Zivilfahrzeuge. Da u.a. Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, das Saarland, Sachsen-Anhalt und die Bundespolizei angekündigt haben, gepanzerte Fahrzeuge anzuschaffen, ist davon auszugehen, dass dort vorerst auf diese „zivilen“ Panzerfahrzeuge zurückgegriffen wurde. Im Gegensatz zu den paramilitärischen Panzerwagen, die mit großem Medienrummel vorgestellt wurden und auch durch ihr Äußeres bereits eine abschreckende Wirkung erzielen sollen, üben sich die Presseabteilungen bei den Käufen von gepanzerten Zivilfahrzeugen, die zumeist von den Spezialeinsatzkommandos der Länderpolizeien genutzt werden, eher in Zurückhaltung.
Der einzige in der jüngeren Vergangenheit im Detail bekannt gewordene Kauf von aufgerüsteten zivilen PKW durch eine deutsche Polizeibehörde wurde im Januar 2017 öffentlich. Während der Vorstellung des Anti-Terror-Pakets der Polizei Sachsen übergab der damalige Innenminister Ulbig neben Waffen und persönlicher Schutzausrüstung auch sieben gepanzerte Toyota Land Cruiser V8 des Herstellers Welp Armouring.(47) Mit Niederlassungen in Niedersachsen (Georgsmarienhütte und Wolfsburg) und Sachsen (Wilkau-Haßlau), sowie in Großbritannien und Nigeria ist Welp ein Player auf dem Weltmarkt für die Umrüstung von Behörden-, Spezial- und Zivilfahrzeugen mit und ohne Panzerung.
Die an die Polizei Sachsen gelieferten, gegen Beschuss geschützten und mit Funk- und Signalanlage versehenen Toyota V8 für einen Stückpreis von rund 250.000 Euro(48) sollen bei den fünf Polizeidirektionen im Land Dienst tun. Die zwei verbleibenden Fahrzeuge stehen dem SEK in Leipzig zur Verfügung. Im Einsatz war eines der Fahrzeuge bereits am 13.02.2017 bei einer Razzia in Chemnitz wegen des Verdachts auf islamistisch motivierten Terrorismus.(49)
Während von der Polizei Baden-Württemberg und Brandenburg bekannt ist, dass sie neue gepanzerte Geländewagen im zivilen Kleid in ihrem Fuhrpark haben, sind Hersteller, Preis und genaue Ausstattung unbekannt.
Neben WELP Armouring und Herstellern außerhalb des deutschsprachigen Raums kommen Stoof International aus Borkheide in Brandenburg,(50) Carl Friederichs aus Frankfurt/Main(51) oder Achleitner(52) als Lieferanten in Frage, die ebenfalls diverse gepanzerte Geländewagen, Pickups und weitere PKW im Angebot haben.
Hinzu kommen die „zivilen“ kleinen Brüder der bereits aufgeführten Radpanzer. So bewirbt z.B. Achleitner auf der Firmenwebsite in der Kategorie „Special Forces Carrier“ – wie der HMV Survivor I – auch einen Panzerwagen auf der Basis eines Mercedes Sprinter mit dem Namen Achleitner SHIELD.(53) Auch wenn es dazu von Hersteller und Innenministerien keine offiziellen Angaben gibt, legen Bilder nahe, dass, neben dem SEK Baden-Württemberg, auch die 2015 neu gegründete Spezialeinheit BFE+ der Bundespolizei zu den Kunden gehören könnte.
So stellte Innenminister de Maizière im Sommer 2017 vor dem Schloss in Potsdam eine Vielzahl von neuen Fahrzeugen für die Bundespolizei vor. Darunter auch zwei gepanzerte Mercedes Sprinter, vor denen Beamte der BFE+ posierten.(54) Dazu passend sind im Bundeshaushalt 2017 im Geschäftsbereich des Innenministeriums bei Fahrzeugbeschaffungen der Bundespolizei 5 Millionen Euro für 20 „Sondergeschützte Fahrzeuge“, sprich Panzerwagen, gelistet.(55) Innerhalb desselben Haushaltstitels tauchen auch rund 5,6 Millionen Euro für „diverse Spezialfahrzeuge“ für die Bundespolizei auf.(56) Zu diesen Anschaffungen liegen allerdings keine Informationen vor.
Neben Achleitner könnten auch die deutschen Hersteller Carl Friederichs (vermutlich Lieferant des SEK Hessen) oder WELP Armouring mit ihren Versionen eines militarisierten Mercedes Sprinter zum Zuge gekommen sein.(57)
Ausblick – Panzerwagen
Im nächsten Jahr läuft das 2011 begonnene ca. 50 Millionen schwere Beschaffungsprogramm für die neuen Wasserwerfer WAWE 10.000 spätestens aus.(58) Zudem wurden große Teile des Fuhrparks der Bereitschaftspolizeien und der Bundespolizei in den letzten Jahren modernisiert. Somit liegt nah, dass die dann freiwerdenden Haushaltsmittel in neue Radpanzer investiert werden. Deutliche Hinweise dafür sind auch die Forderungen nach 80 Panzerfahrzeugen für die Bundespolizei und die von Rheinmetall ausgegebene Marge von bis zu 200 Radpanzern, die an deutsche Polizeien verkauft werden sollen. Nach aktuellem Stand ist davon auszugehen, dass Achleitner mit dem HMV Survivor I und RMMV, mit dem Survivor R die Testphasen bei einigen Polizeibehörden durchlaufen haben und bereits von vier Länderpolizeien bestellt wurden, die besten Karten gegenüber der Konkurrenz haben. Zudem kann damit gerechnet werden, dass in den kommenden Jahren bei Bundes- und Länderpolizeien diverse gepanzerte Zivilfahrzeuge nicht nur für die Spezialeinheiten, sondern auch für die Polizeidirektionen in der Fläche, wie bereits in Sachsen geschehen, geordert werden. Alles in allem eine gute Zeit für diejenigen, die gepanzerte Behörden- und Militärfahrzeuge im Angebot haben.
Anmerkungen
1) Welt, Manuel Bewarder und Martin Lutz, Anti-Terror-Kampf – Die Polizei braucht schwere Waffen, Interview mit Roger Lewenz, 06.03.2015, welt.de
2) Ebd.
3) Die größten Messen dieser Art in Deutschland sind die Enforce Tac (Internationale Fachmesse für Führungs- und Einsatzmittel der Behörden mit Sicherheitsaufgaben) in Nürnberg und die GPEC (General Police Equipment Exhibition & Conference) in Frankfurt am Main. Die größte Verkaufsshow für „Homeland Security“ in Europa ist die alle zwei Jahre in Paris stattfindende Messe Milpol.
4) Mehr dazu im Abschnitt „Radpanzer und gepanzerte PKW“/ „Rheinmetall MAN Military Vehicles (RMMV) – Survivor R“.
5) Focus, Fahrbericht RMMV Survivor-R – Aufregung um den „Sachsen-Panzer“: So fährt sich der Survivor R der Polizei, 19.12.2017, focus.de/auto
6) Ebd.
7) Hessisch/Niedersächsische Allgemeine, José Pinto und Ulrike Pflüger-Scherb, Gewerkschaft will Sonderwagen für alle Polizeipräsidien in Hessen – Test in Kassel: Das kann der Polizeipanzer „Survivor R“, 15.02.2018, hna.de
8) Mehr zur Firma Mehler und ballistischer Schutzausrüstung für die Polizei im dritten Teil der Serie.
9) 16 Länderpolizeien sowie die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei des Bundestages.
10) Beispielhaft das Abkommen zwischen Bund und NRW: Verwaltungsabkommen über die Bereitschaftspolizei zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 2004, Bek. d. Innenministeriums v. 9.6.2004 – 41.2 – 0369, recht.nrw.de
11) Spiegel Online, Sven Stillich, Neuer Polizei-Wasserwerfer – Der Nassmacher, 07.12.2009,
12) Netzpolitik, Matthias Monroy, 14 Millionen Euro für 76 neue Spähfahrzeuge der Bundes- und Länderpolizeien, 23.07.2014, netzpolitik.org
13) Kieler Nachrichten, Frank Behling, Die erste Reise der „Bamberg“, 05.04.2018, kn-online.de
14) Beschaffungsamt des Bundesministerium des Inneren, Großauftrag für Einsatzschiffe der Bundespolizei besiegelt, 13.12.2016, bescha.bund.de und Kieler Nachrichten, Frank Behling ,Die erste Reise der „Bamberg“, 05.04.18, kn-online.de
15) Gewerkschaft der Polizei – Bezirk Bundespolizei, Jetzt handeln: 500 Mio. für die Einsatzfähigkeit der Bundespolizei!, 08.02.2015, gdpbundespolizei.de
16) 30 Millionen Paket BaWü 2015: Stuttgarter Zeitung, Julia Bosch, Sicherheit in Baden-Württemberg – Polizei rüstet gegen Terrorgefahr auf, 12.02.2016, stuttgarter-zeitung.de
10) Millionen Paket Thüringen: Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales, Pressestelle, Torsten Stahlberg, Medieninformation 233/2016, Übergabe neuer ballistischer Schutzwesten, 22.12.2016, thueringen.de; 30 Millionen Paket Berlin: rbb 24, Gabi Probst, Waffen, Schutzwesten, neue Autos – Berlin rüstet Polizei mit stärkeren Waffen aus, 16.10.2017, rbb24.de
17) 30 Millionen für Schutzwesten der Polizei Bayern: Antenne Bayern, Konstantin König, Neue Schutzausrüstung zur Stärkung der Bayerischen Polizei, 09.06.2017, antenne.de; 13,5 Millionen für neue MP5 in NRW: RP Online, Maschinenpistolen im Streifenwagen: Polizei in NRW rüstet nach Terroranschlägen auf, 27.12.2016, rp-online.de
18) Bayrisches Staatsministerium des Inneren und für Integration, Neue Dienstpistole der Bayerischen Polizei, 12.01.2018, stmi.bayern.de
19) Mehr dazu im Abschnitt „Ausblick – Panzerwagen“.
20) Panzerbaer, Andreas Richter, Sonderwagen SW 4 „Hermelin“ (BGS/Bw), panzerbaer.de
21) Bundespolizei KOMPAKT – Zeitschrift der Bundespolizei, 01/2017, 44. Jahrgang, „Ein neues Kraftpaket im Fuhrpark der Bundespolizei – Eagle IV“, S.50-51
22) Europolice-Blog, EAGLE IV jetzt auch für die Bundespolizei, 13.09.2010, euro-police.noblog.org
23) Bundespolizei KOMPAKT , „Ein neues Kraftpaket im Fuhrpark der Bundespolizei – Eagle IV“, S.50-51
24) Bundespolizei Nord (@bpol_nord) via Twitter am 08.07.2017, „Die #BPOL steht am Hauptbahnhof #Hamburg zur Anreiseüberwachung mit starken Kräften bereit. #G20HAM17 #G20 *mm“, twitter.com
25) Bundespolizei KOMPAKT, „Ein neues Kraftpaket im Fuhrpark der Bundespolizei – Eagle IV“, S.50-51
26) Spiegel Online, Bundespolizei schutzlos bei islamistischen Terrorangriffen, 06.02.2015, spiegel.de
27) Gewerkschaft der Polizei – Bezirk Bundespolizei, Jetzt handeln: 500 Mio. für die Einsatzfähigkeit der Bundespolizei!, 08.02.2015, gdpbundespolizei.de
28) Polizei Verkehr + Technik, 4/2017, Tomas Moll, Neue Sondergeschützte Fahrzeuge für die Polizei, S.46-50, Abrufbar als PDF unter: acs-armoured-cars.com
29) https://www.achleitner.com/de/sonderschutz/werttransport/bilder/
30) Franz Achleitner GmbH, Military Vehicles – HMV Survivor I, PDF unter: achleiner.com
31) rbb 24, Lisa Steger, „Survivor“ offiziell vorgestellt – Brandenburg schafft Anti-Terror-Fahrzeug an, 12.11.2017, rbb24.de
32) Polizei Brandenburg, Pressemeldung: Innenminister übergibt sondergeschütztes Gruppenfahrzeug an Spezialeinheiten, 10.11.2017, polizei.brandenburg.de
33) Focus, Fahrbericht RMMV Survivor-R – Aufregung um den „Sachsen-Panzer“: So fährt sich der Survivor R der Polizei, 19.12.2017, focus.de/auto
34) Die Schutzklasse „STANAG 4569 Level 3“ nach einem Standardisierungsübereinkommen der NATO (Schutzstufen für Insassen von Logistik- und leichten Panzerfahrzeugen) schützt gegen Gewehre und Maschinengewehre (z.B. AK 47), Minen und Sprengsätze bis 8 Kg TNT, Splitterschutz und gegen leichte Artillerie.
35) Rheinmetall Defence, Gepanzerte Radfahrzeuge, Survivor R 4×4 – Mobilität und Schutz, rheinmetall-defence.com
36) Hessisch/Niedersächsische Allgemeine, José Pinto und Ulrike Pflüger-Scherb, Gewerkschaft will Sonderwagen für alle Polizeipräsidien in Hessen – Test in Kassel: Das kann der Polizeipanzer „Survivor R“, 15.02.2018, hna.de
37) „Ursprünglich als Ersatz für die letzten paar Dutzend Exemplare der so genannten Sonderwagen 4 bei der Bundespolizei geplant, registriert Rheinmetall deshalb reges Interesse auch bei den Landesbehörden und rechnet allein aus Deutschland mit bis zu 200 Bestellungen für den kugelsicheren Kleinlaster aus Kassel.“ Focus, Fahrbericht RMMV Survivor-R – Aufregung um den „Sachsen-Panzer“: So fährt sich der Survivor R der Polizei, 19.12.2017, focus.de/auto
38) Rheinmetall Group, Pressemitteilungen, Survivor R für Sachsen -Rheinmetall liefert hochgeschütztes Spezialeinsatzfahrzeug an die Landespolizei Sachsen, 28.03.2017, rheinmetall.com
39) Leipziger Volkszeitung, Matthias Puppe und Winfried Mahr, Neue Panzerwagen für Sachsens Polizei – Stationierung in Leipzig, 15.12.2017, lvz.de
40) Martin Kirsch, Polizeiaufrüstung nach sächsischer Art? – Über Polizeipanzer mit Gefechtstürmen, rechte Stickereien und den Einsatz militarisierter Polizeieinheiten gegen Demonstrationen, IMI-Analyse 2018/04 – in: AUSDRUCK (Februar 2018), imi-online.de
41) Leipziger Volkszeitung, Matthias Puppe und Winfried Mahr, Neue Panzerwagen für Sachsens Polizei – Stationierung in Leipzig, 15.12.2017, lvz.de
42) Ebd.
43) Leipziger Volkszeitung, Roland Herold, Sachsen will bei der Polizei aufrüsten, 18.04.2018, lvz.de
44) Rheinmetall Group, Pressemittelungen, Sonderwagen für die Berliner Polizei – Rheinmetall liefert RMMV Survivor R in die Hauptstadt, 09.11.2017, rheinmetall.com
45) ORF Wien, Anti-Terror-Übung: Geiselnahme auf Schiff, 21.08.2017, wien.orf.at
46) Jan-Phillipp Weisswange, ASSIK – Der Arbeitsstab Schutzaufgaben der Bundespolizei, In: Strategie & Technik. Jg. 52, Nr. 5, Mai 2009, S. 73–74.
47) Polizei Sachsen, Andreas Kunze-Gubsch, Innenminister Ulbig übergibt gepanzerte Fahrzeuge an die Polizei, 11.01.2017, polizei.sachsen.de
48) Bild Dresden, M. Deutschmann, BILD erklärt die Ausrüstung für den Anti-Terror-Kampf – Sachsens neues SEK, 12.01.2017, bild.de/regional/dresden
49) Welt, Anti-Terror-Einsatz LKA stürmt Wohnhaus in Chemnitz, 14.02.2017, Video, eine Minute, welt.de
50) Stoof – Automotive Security Technology, Gepanzerte Geländewagen, stoof-international.de
51) Carl Friederichs GmbH, Fahrzeugbau, Gepanzerter VW TUA REX und Gepanzerte Offroad Fahrzeuge, friederichs-frankfurt.de
52) Franz Achleitner GmbH, Sonderschutzfahrzeuge, Protected Land Cruiser 200 und Logistikfahrzeuge, MMV Survivor – Militarized Mission Vehicle, achleitner.com
53) Franz Achleitner GmbH, Sonderschutzfahrzeuge, Special Force Carrier, achleitner.com
54) Berliner Zeitung, Mehr Personal – De Maizière kündigt Ausstattungsoffensive bei der Bundespolizei an, 14.12.17, berliner-zeitung.de
55) Bundeshaushaltsplan 2017, Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, 0625 Bundespolizei, Titel: 811 01-042 Erwerbvon Fahrzeugen, Seite 154-155, bundeshaushalt-info.de
56) Ebd.
57) Carl Friederichs GmbH, Fahrzeugbau, Mercedes Sprinter GUARD, friederichs-frankfurt.de und WELP Armuouring, Gepanzerte Nutzfahrzeuge / Transporter, F-MSC (Mercedes Sprinter), welp-armouring.com
58) Beschaffungsamt des Bundesministerium des Inneren, Neue Wasserwerfer für die Bereitschaftspolizeien der Länder, 12. Dezember 2008, abgerufen über: archive.li und Spiegel Online, Sven Stillich, Neuer Polizei-Wasserwerfer – Der Nassmacher, 07.12.2009, spiegel.de
Erstveröffentlichung auf Informationsstelle Militarisierung e.V. am 13. Juni 2018