Kurz vor einem Waffenstillstand zwischen der im aufständischen Teil der israelischen Kolonie Palästina herrschenden Hamas im Gazastreifen und der israelischen Regierung Netanyahu in Jerusalem eskaliert plötzlich die Situation.
Nach israelischen Militärangaben schlagen am Mittwoch sechs Raketen auf israelischem Territorium in der Stadt Sderot ein und verwunden elf Personen. Danach fliegt die israelische Luftwaffe in der Nacht zum heutigen Donnerstag nach eigenen Angaben Luftangriffe gegen 150 Ziele im Gazastreifen. Dabei werden nach palästinensischen Angaben eine hochschwangere Frau, ihre Tochter und ein Mitglied des militärischen Flügels der Hamas bei einem Angriff auf dessen Fahrzeug getötet. Insgesamt werden aus Gaza nach israelischen Angaben 180 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert, die meisten schlagen auf unbewohntem Gebiet ein.
Unabhängig von der Frage, wer die Raketen auf Sderot abgefeuert hat, ist es für die Öffentlichkeit von Interesse was sich am vorhergehenen Dienstag abspielte. Denn nach eigenen Angaben tötete das israelische Militär völlig unprovoziert, ohne Grund und sogar nach eigenen Angaben wegen eines Irrtums („misconception“) zwei Mitglieder des militärischem Flügels der Hamas, weil sie fälschlicherweise davon ausgingen von diesen beschossen worden zu sein.
Wie „associated press“ berichtet und sich dabei auf Angaben der Hamas berief, hatten die beiden von Israels Militär durch einen gezielten Granatenangriff getöteten Hamas-Paramilitärs zuvor an einer Parade in einem Hamas-Camp teilgenommen. Und die Tötung der Hamas-Mitglieder am Dienstag erfolgte, welch Zufall, genau zu dem Zeitpunkt an dem Führungskader der Hamas „von außerhalb“ sich im Gazastreifen aufhielten, um über die Bemühungen um einen Waffenstillstand mit der Regierung Netanyahu mit lokalen Hamas-Kadern zu diskutieren.
„Spiegel Online“ vermerkte zu diesem ganzen Hintergrund folgende Zeile:
„Die Palästinenserorganisation hatte nach der Tötung zweier ihrer Mitglieder durch die israelische Armee am Dienstag mit Vergeltung gedroht.“
Man kann nun annehmen, dass der übliche Ablauf militärischer Aktionen geprägt ist von einer Trennung zwischen militärischen Einheiten, namentlich derjenigen Artillerieeinheit die mit ihrem tödlichen Angriff auf die Hamas-Leute am Dienstag die Eskalation auslöste und den Waffenstillstand sabotierte, und der militärischen Aufklärung, nach deren Angaben solche Militäroperation überhaupt erst ausgelöst werden.
Die israelische Militäraufklärung liegt in den Händen des Aman (wir berichteten seit Jahren über diese weithin unterschätzte Sektion des militärisch-geheimdienstlichen Komplexes in Israel).
Leiter des Aman ist der politisch extrem rechts stehende Herzl Halevi, ebenfalls Leiter des Südkommandos vom israelischen Militär.
Wie nun das „Mißverständnis“ am Dienstag zustande kam, welches die ohnehin hanebüchende politische Führung Israels noch weiter in Eskalation, Kolonialismus und sogar in Widerspruch zu den Bemühungen der Regierung Trump in Washington bringen soll, hat zu allererst Herzl Halevi zu erklären.
Als abschließender Hinweis muss hinzugefügt werden, dass der „drohende“ Waffenstillstand auch eine Gefahr für die Abbas Administration im Westjordanland und wiederum deren Paramilitärs der Fatah repräsentiert. Deren Bedeutung als Doppelagent und Kollaborateur der Besatzungsmacht ist in Palästina sowieso schon erodiert. Ein Waffenstillstand zwischen dem aufständischen Gazastreifen und der israelischen Kolonialmacht würden Abbas, Fatah und die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ P.L.O. noch weiter schwächen. Diesbezüglich sollten Herzl Halevi und dem israelischen Militärgeheimdienst Aman auch Fragen bezüglich der Urheberschaft des Raketenangriffs auf das israelische Sderot gestellt werden.
Es sind deutliche Anzeichen zu erkennen, dass die diplomatischen Drähte zwischen der Hamas und Washington derzeit genauso aktiv sind wie zwischen Gaza und Jerusalem, jedenfalls bis jetzt.
Anzunehmen, dass dies auch in Israels Apparat nicht allen passt.
Aktualisierung 15.50 Uhr
Die Annahme, dass massiv versucht wird einen Waffenstillstand zwischen der Hamas und der israelischen Regierung zu sabotieren, verstärkt sich durch die weitere Entwicklung am heutigen Tage.
Trotz der Tötung, trotz der Ermordung einer hochschwangeren Palästinenserin und ihres kleinen Kindes durch Luftangriffe des israelischen Militärs erklärten im Laufe des Mittags die verschiedenen „palästinensischen Fraktionen“ im Gazastreifen, dass für sie die neue „Runde der Gewalt“ ein Ende habe und dass es nun an Israels Seite sei den Frieden zu bewahren.
Kurz nachdem das Statement aus Gaza veröffentlicht wurde, schossen Unbekannte nach israelischen Militärangaben eine Rakete auf die 40 Kilometer vom Gazastreifen entfernte israelische Stadt Be‘er Sheva. Wie die „Haaretz“ anmerkte, war dies das erste Mal seit dem Einmarschversuch der israelischen Regierung im Gazastreifen in 2014 dass Be‘er Sheva mit Raketen beschossen wurde.
Des Weiteren berichtet die „Haaretz“ von einem nach dem ominösen Beschuss von Be‘er Sheva vom israelischen Militär abgesetzten Tweet. Dieser lautet demnach:
„Die Art und Weise wie sich die Dinge weiterhin entwickeln ist bedeutsam. Hamas wird in den kommenden Stunden verstehen, genauso wie in den kommenden Monaten, dass dies nicht die Richtung ist die sie wählen will.“
Das kling eher nach einer Regierungserklärung als nach einem militärischen Statement, welches zudem dem Feind erklärt was er zu wollen hat und dass er das nicht bekommt – im konkreten Falle einen Waffenstillstand.
Auf dem offiziellen Twitter Account des israelischen Militärs ist von dem durch die „Haaretz“ zitierten Tweet nichts zu sehen.
Aktualisierung 18.00 Uhr Uhr
Im Laufe des Nachmittags sind Südkommando-Leiter Herzl Halevi und Heimatfrontkommando-Leiter Tamir Yadai in Sderot eingetroffen. Die „Times of Israel“ postete eine Foto der Militärkommandeure mit dem Bürgermeister und zitierte Halevi dahingehend, man sei „auf jede Eventualität vorbereitet“.
Nach weiterer Recherche in öffentlich zugänglichen Quellen ist es unklar, wer derzeit tatsächlich die operative Leitung der Militärspione des Aman hat.
Im November 2017 gaben die israelischen Militärs umfangreiche Beförderungen bekannt, darunter mehrere Kriegsverbrecher. Bekannt gegeben wurde u.a. die Übernahme des Aman durch Aluf Tamir Heiman. Es wurde hinzugefügt, dass es unklar sei wann die Beförderungen wirksam bzw die Militärs ihre neuen Position antreten würden, Es war die Rede von „einigen Monaten“. Im April 2018 vermeldete „jns.org“, Aluf Tamir Heiman habe die Leitung des Aman im März übernommen.
Es gibt unterschiedliche öffentliche Angaben darüber, wer derzeit tatsächlich das Kommando über den Aman hat.
Es ist zu berücksichtigen, dass naturgemäß die tatsächliche Kommandostruktur jedes Geheimdienstes geheim gehalten. Der israelische Militärgeheimdienstes Aman macht da keine Ausnahme. Zwischen z.B. „verantwortlicher Leitung“ und „operativem Kommando“ kann ein großer Unterschied bestehen.
Wer überhaupt berechtigt ist Informationen vom Aman abzufragen, der als eigenständiger Teil des israelischen Miliärs auftritt, ist ebenfalls unklar. Wie in jedem Staat in der U.S.-Hegemonie dürfte das Parlament dabei keine Rolle spielen. Ob selbst die Regierung unter Netanyahu, sogar dieser persönlich, direkt Informationen vom Aman einfordern kann, oder ob diese vor Weitergabe an den Premierminister die militärische Hierarchie zu durchlaufen haben, ist ebenfalls unklar.
Leiter des israelischen Generalstabes ist Gadi Eizenkot.