Polizeigesetze: Die „drohende Gefahr“ steht seit 2008 im B.K.A.-Gesetz
Die „drohende Gefahr“ ist der Staat selbst. Dessen Verfassungsrichter, die durch genau die Parteien ins Amt gebracht wurden die heute die Polizeigesetze beschließen, haben diesen Rechtsbegriff bereits vor Jahren abgesegnet. Dabei wurden nicht einmal diese Verfassungsrichter verfassungsgemäß gewählt.
Zusammenfassung
Sämtliche Verfassungsklagen, Demonstrationen, Beschwerden, ect, gegen die Polizeigesetze auf Länderebene wie in Bayern, NRW, Niedersachsen, usw, sind im Kern Makulatur.
Offiziell seit 2004 „überwacht“ die Polizei wen sie will. Keiner der Betroffenen muss dafür irgendein Gesetz gebrochen haben. Der Staat benötigt nach eigenen Angaben dafür nicht einmal ein Gesetz. Der dafür erfundene und bis heute nicht einmal gesetzlich definierte Rechtsbegriff: „Gefährder“. Diese nur durch staatliche Ressourcen begrenzte Inlandsspionage gegen willkürlich auserwählte Personen, sowie gegen alle Personen in derem Umfeld, segnete das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2008 ab.
Der heute von praktisch allen Juristen beanstandete zentrale Rechtsbegriff einer von der (Landes)Polizei selbst definierten „drohenden Gefahr“ als Rechtfertigung für Inlandsspionage steht bereits seit 2008 im B.K.A.-Gesetz (BKAG, Bundeskriminalamtsgesetz). Dieses segnete, mitsamt dem Rechtsbegriff der „drohenden Gefahr“, das Bundesverfassungsgericht in 2016 ab.
Dabei bauen begründen die staatlichen Maßnahmen, Urteile und / oder Behauptungen und Erfindungen sich gegenseitig und bauen in über Jahrzehnten ablaufenden Prozessen und Programmen sukzessive aufeinander auf.
Die etablierten Parteien, Organisationen, Journalisten, Juristen, etc, erweisen sich als unfähig oder gefährlich. Die Bevölkerung wird im Unklaren gelassen.
Im Detail
Nach eigenen Angaben seit 2004 nimmt sich der Staat heraus, ohne Gesetz und ohne parlamentarische oder gerichtliche Kontrolle jedwede beliebige Zielperson nach eigenem Ermessen praktisch unbegrenzter Spionage durch die Polizei zu unterziehen. Die Spionage richtet sich ebenfalls nach Ermessen der Polizei gegen all deren Bekannten, Verwandten und ahnungslosen „Kontaktpersonen“. Dabei muss keiner der Betroffenen irgendein Gesetz gebrochen haben. Der dafür erfundene Rechtsbegriff: „Gefährder“ (unser Bericht dazu).
Abgesegnet wurde diese willkürliche staatliche Inlandsspionage schließlich am 27. Februar 2008 durch das Bundesverfassungsgerich in Urteil 1 BvR 370/07. Das Urteil betraf u.a. jedwede elektronische Kommunikation.
„„Der hier zu beurteilende Zugriff auf das informationstechnische System kann allerdings schon gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen.“
Und:
„Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt.„
Bereits am Tage des Verfassungsurteils, am 27. Februar 2008, warnte Radio Utopie davor, dass die Verfassungsrichter damit Präventiv-Spionage und Totalüberwachung Einzelner für verfassungsmäßig erklärte, ohne dass die Betroffenen dafür irgendein Gesetz gebrochen haben oder irgendeine Gefahr darstellen müssen.
Am 19. Dezember 2008 wird nach einem monatelangen Tauziehen, in dem selbst S.P.D.-Landesverbände kurzzeitig widersprechen, das neue B.K.A.-Gesetz der „großen Koalition“ mit 35 zu 34 Stimmen auch durch den Bundesrat gepeitscht. Damit ist es rechtsgültig.
Schon damals heisst es in § 20k, „Verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme“:
(1) Das Bundeskriminalamt darf ohne Wissen des Betroffenen mit technischen Mitteln in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingreifen und aus ihnen Daten erheben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr vorliegt für
1. Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder
2. solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.
Eine Maßnahme nach Satz 1 ist auch zulässig, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass ohne Durchführung der Maßnahme in näherer Zukunft ein Schaden eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für eines der in Satz 1 genannten Rechtsgüter hinweisen. Die Maßnahme darf nur durchgeführt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung nach § 4a erforderlich ist und diese ansonsten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Folgende Verfassungsklagen lässt das Bundesverfassungsgericht über sieben Jahre lang liegen.
Schließlich bestätigen die Verfassungsrichter am 20. April 2016 das B.K.A.-Gesetz durch Urteil 1 BvR 966/09 fast uneingeschränkt. Oben zitierter Abschnitt mit dem Rechtsbegriff „drohende Gefahr“ bleibt unangetastet (vorher, heute geltender Status). Die Karlsruher Verfassungsrichter erklären im Urteil, die Verwendung von Daten aus Computerspionage („Online-Durchsuchungen“) seien
„bei Vorliegen einer im Einzelfall drohenden Gefahr für die jeweils maßgeblichen Rechtsgüter zulässig.
Zur Klarstellung: die „drohende Gefahr“ definiert das Bundeskriminalamt selbst. Es unterliegt dabei keiner Kontrolle oder Gewaltenteilung. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass es keine drohende Gefahr gab, oder dass sie sogar gezielt im Amt erfunden wurde, bleibt dies für die staatlichen LügnerInnen folgenlos.
Zitat aus der abweichenden Meinung von Verfassungsrichter Wilhelm Schluckebier im Verfassungsurteil:
„Sofern durch den konkreten Einsatz von Ermittlungsmaßnahmen Menschen betroffen werden, die keine oder nur in geringem Umfang ihnen zurechenbare Verantwortung für den Ermittlungsanlass gegeben haben, wird ihnen damit in staatsbürgerlicher Inpflichtnahme ein Sonderopfer abverlangt für die öffentliche Gewährleistung von Sicherheit.“
Wie tröstlich.
Im ersten Halbjahr 2017 jagt die „große Koalition“, unter beifälligem Nichtstun der sogenannten „Opposition“ im Bundesrat, das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ durch den Bundestag und ändert u.a. die Strafprozessordnung.
Der Bundesrat verzichtet darauf sich einzumischen.
Am 21. Juni 2017 ist Heribert Prantl schwer empört:
„Man soll nicht bei jeder Gelegenheit von einem Skandal reden. Aber das, was heute im Bundestag geschehen soll, ist eine derartige Dreistigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt. Ein Gesetz mit gewaltigen Konsequenzen, ein Gesetz, das den umfassenden staatlichen Zugriff auf private Computer und Handys erlaubt, wird auf fast betrügerische Weise an der Öffentlichkeit vorbeigeschleust und abgestimmt.“
Und die F.D.P., auch schier überrollt von dem seit Februar 2017 vorliegenden Gesetzentwurf und der ausführlichen Berichterstattung auf Netzpolitik.org seit April 2017, warnt nun am 22. Juni 2017 :
„Mit der Änderung der Strafprozessordnung wird den Ermittlungsbehörden Zugriff auf private Geräte, Handys, Laptops und Tablets ermöglicht. Ohne dass sich die Verdächtigen dagegen wehren können. Die geplanten Maßnahmen sind sogar noch weitgehender als der „Große Lauschangriff“ Ende der 90er Jahre. Da passt auch die Einführung des Musterpolizeigesetzes ins Bild, mit dem Thomas de Maizière schwerwiegende Überwachungsmaßnahmen durchsetzen will. „Dann könnten Methoden zur Terrorabwehr Alltagswerkzeug der Polizei werden“, warnt das Vorstandsmitglied in der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche.
An sich sei die Idee, gemeinsame Standards zu setzen und einem Flickenteppich bei der inneren Sicherheit entgegenzuwirken „nicht neu und – richtig gemacht – auch nicht schlecht“. Schnarrenberger kritisiert aber: „Neu, schlecht und besonders perfide aber ist die Idee, durch das Musterpolizeigesetz grundrechtsintensivste Überwachungsmaßnahmen in die Landespolizeigesetze zu schleusen.“
Genau das passiert gerade, auch ohne das (noch nicht vorliegende) Musterpolizeigesetz. Und all dies mit dem bereits vor über zwei Jahren erteilten Segen für die „drohende Gefahr“ durch die Verfassungsrichter.
Kommentar
Wie extrem heuchlerisch das Gebaren aller derzeitigen Parteien ist, erwähnte Digitalcourage diesbezüglich leider nur in einem Nebensatz:
„Parteilinien existieren nicht: Angetrieben oder kritisiert wird die Polizeiverschärfung von AfD, CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD – je nach politischer Rolle in der Regierung oder der Opposition.“
Dabei muss erneut auf Folgendes hingewiesen werden:
Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes vier Jahre nach dem Faschismus in 1949 wurden bis zum Jahre 2017 alle Verfassungsrichter und -Richterinnen laut Expertenmeinung verfassungswidrig gewählt.
Und sie standen ausschließlich vier Parteien „nahe“: S.P.D., C.D.U., C.S.U. und F.D.P.
Die Grünen verzichteten übrigens in 2016 auf ihren ersten Verfassungsrichter. Und in diesem Jahr verzichteten sie weitere zwei Jahre, bis 2020.
In den Vereinigten Staaten von Amerika ist die Frage, wer letzten Endes über die Verfassung entscheidet, in der Bevölkerung weithin als entscheidend und bedeutsam begriffen worden.
In Deutschland dagegen muss man bis heute praktisch in jeder politischen Konversation, gerade mit sich selbst als links bezeichnenden Individuen, darum kämpfen, dass wenigstens die Verfassung begriffen wird.
Wolfgang Janisch bekam in der „Süddeutschen“ schon einen Schweißausbruch beim Gedanken, diese letztlich alles entscheidende Machtfrage könnte irgendwann in der Bevölkerung begriffen werden und das für alle Staatshöflinge fast 70 Jahre lang so profitable „Gleichgewicht“ ins Wanken bringen:
„Letztlich ist die Diskussion um den grünen Kandidaten also eine allergische Reaktion auf eine Zeitenwende – auf das Ende der schwarz-roten Polarität. Kaum auszudenken, was geschieht, wenn irgendwann Linke und AfD solche Ansprüche anmelden.“
Keine Sorge. Dafür sind die viel zu dumm und haben schlicht kein Interesse an Republik und Verfassung.
Was wir derzeit erleben, ist schlicht eine Übertragung der Machtfülle der Geheimpolizei Bundeskriminalamt auch auf die untere Hierarchien der Polizeistrukturen. Oder anders ausgedrückt: den weiteren Ausbau des Polizeistaates durch diesen selbst, mit der üblichen sich über Jahrzehnte erstreckenden Gletschertaktik, um die wenigen tatsächlichen Gegner mürbe zu machen, irgendwie unmodern erscheinen zu lassen und sich selbst zum Messias der Autorität von Vater Staat auszurufen, der seine gefährlichen kleinen Kinder natürlich beaufsichtigen müsse – weil das ja seine Pflicht sei.
Und alle sind natürlich schwer empört.
Man hatte ja nichts gewusst.
(…)
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