Autor: Alison Dorsch
Imagewechsel der Bundeswehr-Rekrutierungskampagne
Ende August 2018 ging die Attraktivitätsoffensive in die nächste Runde: Eine massive Präsenz im Öffentlichen Raum durch Plakate, Werbespots, Postkarten oder ähnlichem plus begleitendem Onlineauftritt – das ist bei der Bundeswehr inzwischen eingespieltes Vorgehen. Auch optisch und inhaltlich entspricht das neue Material den vorherigen Kampagnenphasen. Einzige wesentliche Neuerung: den Spruch „Mach was wirklich zählt“ ergänzen jetzt „Folge deiner Berufung“ und eine Reihe von Hashtags.
Die Bundeswehr will allein bis 2023 die Truppenstärke von zur Zeit circa 180.000 auf 198.000 ansteigen lassen[1], weshalb diese neue Kampagnenphase nur die Spitze des Eisbergs ist: In den letzten Jahren hat sich in Sachen Rekrutierung und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr einiges getan, wie sich allein an den Ausgaben ablesen lässt. 2013 wurden ungefähr 23,5 Mio. Euro für das Image der Bundeswehr ausgegeben. Nach einem kontinuierlichen Anstieg waren es dann 2017 satte 39 Mio. Euro (vgl. Abb. 1). Um die neuen Rekruten anzulocken, setzt man inzwischen nicht mehr auf die Bereitschaft zur vaterlandsverliebten Selbstaufopferung, sondern verspricht vor allem Karriere, soziale Sicherheit und sinnstiftendes Überlegenheitsgefühl.
Selbstverwirklichung statt Vaterlandsdienst
Angefangen hat das alles 2011, als man sich entschied, die Wehrpflicht auszusetzen. Wehrdienstleistende dürfen nicht im Ausland eingesetzt werden[2]. Für eine „Armee im Einsatz“ sind sie also herzlich wenig zu gebrauchen und binden noch dazu einsetzbare Soldaten in Ausbildungsfunktionen. Mit der Wehrpflicht nahm man dem Militär jedoch seine damals wichtigste Brücke in die Gesellschaft, die insbesondere zur Rekrutierung nützlich war. Seitdem arbeitet man daran, diese Brücke an anderer Stelle zu ersetzen. Im selben Jahr startete deswegen die erste großangelegte Öffentlichkeitskampagne der Bundeswehr. Unter dem Slogan „Wir.Dienen.Deutschland“ bewarb man jetzt offensiv den Dienst an der Waffe.
Seit der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 sprechen deutsche Politiker von „mehr Verantwortung“ und meinen damit mehr Bundeswehreinsätze. Nicht von ungefähr werden diese seitdem öffentlich formulierten Großmachtambitionen von personalpolitischen Maßnahmen für die Bundeswehr begleitet. Für mehr Einsätze braucht man eben auch mehr Personal. „Agenda Attraktivität“ ist jetzt das Stichwort: Um den „global agierenden Konzern“ Bundeswehr zum „attraktiven und wettbewerbsfähigen Arbeitgeber“ zu machen, wurde 2015 das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz[3] verabschiedet. Es beinhaltet Maßnahmen zur Modernisierung der Unterkünfte und des Materials, zur Steigerung der Vereinbarkeit des Soldatenberufs mit dem Familienleben, mehr Besoldung und Vorteile in der sozialen Absicherung für Soldaten. Begleitend wurde der Bundeswehr 2015 ein neues Image verpasst. Von der eher ernsten und rückblickend fast zurückhaltenden Grundstimmung der Kampagne Wir.Dienen.Deutschland hat man sich verabschiedet. Die neue Corporate Identity der Bundeswehr ist hip, locker und durchgestylt. „Mach was wirklich zählt“[4] statt „Wir.Dienen.Deutschland“. Selbstverwirklichung statt Vaterlandsdienst!
Zusätzlich wurde der Tag der Bundeswehr eingeführt. Ein bundeswehreigenes Großevent, das man die Steuerzahlenden seitdem jährlich mehrere Millionen Euro kosten lässt.
2016 erschien dann mit dem Weißbuch eine umfassende, (eigentlich nicht mehr ganz so) neue Personalstrategie: die sogenannte „Trendwende Personal“. Sie legt fest, wie die „notwendigen zusätzlichen Personalkapazitäten“ der Streitkräfte „aufzubauen, auszubauen und weiterzuentwickeln“ sind (S.120). Dazu soll die Bundeswehr „einer der attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands“ werden. Die hier explizit genannten Problembereiche (Ärzte, Ingenieure und Informatiker) lassen sich eindeutig als Zielgruppen der Rekrutierungskampagnen erkennen. Man braucht nicht nur Rekruten, nein die „klügsten Köpfe und die geschicktesten Hände“ (S. 122) sollen es sein. Fachkräfte für die hochspezialisierte Hightech-Armee der Zukunft. Um den steigenden Personalbedarf zu decken, sollen bisher ungenutzte Potenziale erschlossen werden. Damit sind unter anderem Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, mit abweichender religiöser oder sexueller Orientierung gemeint. Ein besseres Diversity-Management erschließe jedoch nicht nur ungenutzte Potenziale, sondern steigere zugleich die „Verankerung in der Gesellschaft“ (S. 123). Gendergerechtigkeit als Mittel zum Zweck!
2016 war auch ein großes Jahr für den Online-Auftritt der Bundeswehr. Als Teil der Kampagne „Mach was wirklich zählt“ wurde „Die Rekruten“, die erste große Youtube-Serie, überall mit Plakaten beworben. Mit täglichen Videos konnte man eine Reihe sorgfältig quotierter junger Rekruten durch ihre Grundausbildung begleiten[5]. Das „Rekruten“-Format füllt die Bundeswehr seitdem mit wechselndem Inhalt für wechselnde Zielgruppen. „Highlight“ bis jetzt war die 2017 in Gao/Bamako gedrehte Serie „Mali“[6]. Skripted Reality direkt aus dem Kriegseinsatz!
Allein in der ersten Hälfte 2018 gingen dann „Biwak“ und „die Springer“ online. Man begleitet Gebirgsjäger auf ihr Wintercamp im Schnee und sieht was es bedeutet, sich zu pushen und mehr zu leisten als normale Menschen. Bei den Fallschirmspringern lernt man, dass Drill nur dem Schutz der Soldaten dient. Bei den Rekruten las man in den Kommentarspalten häufig noch, die Serie sei lächerlich und „unsere“ Truppe nur noch ein Haufen infantiler Waschlappen. Wer weiß, wahrscheinlich ist das plumpe elitäre Gehabe von „Biwak“ und „die Springer“ auch eine Reaktion darauf. Die PR-Experten der Bundeswehr stehen vor einem permanenten Spagat zwischen „so viele Rekruten wie möglich“ und „nur die erlesensten Allerbesten“.
Komm mit mir die Welt #retten
Die neueste Kampagnenphase ist eine konsequente Fortsetzung der bisherigen Entwicklungen: Die Hashtags sollen die Zielgruppen auf die Profile der Bundeswehr in den Neuen Medien locken, die begleitend auf- und ausgebaut werden (vor allem Instagram, Snapchat, Facebook und bundeswehrkarriere.de). Die Plakate zeigen Ärzte, Ingenieure, Informatiker vor großem, modernem Gerät (#Arzt, #Tech, #IT). Es sollen gezielt Frauen angesprochen werden, also sind vergleichsweise häufig erkennbar Frauen abgebildet (zum Beispiel hinter #führen). Und auch die Verschiebung vom Dienst zur Selbstverwirklichung wird im neuen Material fortgeführt. „Komm mit mir die Welt #retten“, „Für dich würde ich #kämpfen“, „Was verschreibst du bei verletzten Menschenrechten?“, „Wie schweisst du Freiheit und Sicherheit zusammen?“, #Teamgeist, #extrem, #Ausbildung und #Studieren. Sich für den Arbeitsmarkt qualifizieren, nebenbei noch zu den Guten gehören, für die großen Werte kämpfen, dabei in Kameradschaft über sich selbst hinauswachsen – das ist das Bild von Soldatentum, dass hier propagiert wird. „Folge deiner Berufung“ beim sinnstiftenden Top-Arbeitgeber Bundeswehr. Karriere machen für Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte.
Rekrutierung – Normalisierung – Zuspruch
Was Propaganda anbelangt, ist die Bundeswehr also inzwischen ziemlich gut aufgestellt. In wenigen Jahren hat sie eine dauerhafte Präsenz im Straßenbild aufgebaut und sich ein hippes Image zugelegt. Die Werbeagentur Castenow, die derzeit mit dem Employer Branding der Bundeswehr beauftragt ist, wird dafür gerade mit einem PR-Preis nach dem anderen geehrt.[7] In einem Zeitalter von entfremdetem, präkarisiertem Arbeitsalltag lässt sich die Bundeswehr als sinnstiftender, aufregender Arbeitgeber inszenieren, bei dem noch Karriere machen kann, wer sich wirklich anstrengt. Dabei ist sie es gerade, die mit direkter Gewalt das Wirtschaftssystem am Leben erhält, das eben diesen tristen Alltag erst erzeugt und einer individuellen Selbstverwirklichung im Weg steht.
Die Bundeswehr hat ihr eigenes alljährliches Großevent etabliert, sich die Sozialen Medien zunutze gemacht und erstmalig einen konkreten Auslandseinsatz mit einer Werbekampagne „begleitet“. „Mali“ ist dabei nicht nur ein bedeutender qualitativer Sprung in Sachen Militarisierung, es ist auch ein Paradebeispiel dafür, dass Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr immer beides bedeutet: konkrete Nachwuchsgewinnung und allgemeine Verankerung des Militärs in der Gesellschaft. Es werden nicht nur Rekruten geworben, sondern die Bundeswehr auch durch eine allgegenwärtige Präsenz in einem bisher ungesehenem Ausmaß in der Öffentlichkeit normalisiert. Und noch mehr, es geht nicht nur um Zuspruch zur Bundeswehr als Institution. Es geht immer auch um Zuspruch zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung. Es geht immer auch um die Akzeptanz laufender und kommender Kriegseinsätze in aller Welt. So liest man in den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011: „Das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft ist entscheidend für die Handlungsfähigkeit Deutschlands und damit wesentlich für unsere Sicherheit“. Die Bundesregierung und Bundeswehr haben viel vor. Dazu brauchen sie beides: mehr Soldaten und eine Bevölkerung, die ihre Gewalt mitträgt.
Anmerkungen
[1] Alexander Kleiß u.a.: Konzeption der Bundeswehr: Rüstung für den Neuen Kalten Krieg, in: AUSDRUCK (Juni 2018).
[2] Im Sinne der Bündnisverteidigung sind Wehrdienstleistende jedoch sehr wohl einsetzbar. Denkt man an die Russland- Politik dies- und jenseits des Atlantiks erklärt sich vor diesem Hintergrund die aktuelle Debatte um das Wiedereinführen der Wehrpflicht.
[3] Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr vom 13. Mai 2015.
[4] Für eine genauere Analyse Michael Schulze von Glaßer: Bundeswehr: Der neue Werbefeldzug, IMI-Studie 2017/01.
[5]Für eine genauere Analyse siehe IMI-Studie 2017/01.
[6]Für eine genauere Analyse siehe Marischka, Christoph: Skripted Mali, in: AUSDRUCK (Dezember 2017)
[7] Siehe IMI-Studie 2017/01.
Veröffentlicht am 20. September 2018 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.
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