Seit einiger Zeit macht sich die Bundeswehr daran, konkret auszubuchstabieren, was der vom Zaun gebrochene Neue Kalte Krieg mit Russland für die Struktur, Bewaffnung und nicht zuletzt die Finanzierung der Truppe bedeutet – oder zumindest, was daraus abgeleitet ganz oben auf ihrer Wunschliste steht. Als wichtigstes Planungsdokument hierfür fungiert das in weiten Teilen geheim gehaltene „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ (Fäpro), das Anfang September 2018 von Generalinspekteur Zorn unterzeichnet wurde.
Vorarbeiten: Bühler-Papier und Konzeption der Bundeswehr
Den Anfang machte im April 2017 die „Vorläufigen konzeptionellen Vorgaben für das künftige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“, das sogenannte Bühler-Papier. Darin waren bereits erste Grundzüge eines Umbaus der Bundeswehr-Divisionen entlang der „Erfordernisse“ des Neuen Kalten Krieges zu erkennen, wie seinerzeit die FAZ (19.4.2017) nüchtern kommentierte: „Damit würden die Divisionen wieder die klassische Struktur aus der Zeit vor 1990 einnehmen.“
In der darauffolgenden „Konzeption der Bundeswehr“, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 20. Juli 2018 zeichnete, wurde dann auch offiziell die Landes- bzw. Bündnisverteidigung – also die Auseinandersetzungen mit Russland – als Fokus der künftigen (Rüstungs-)Bemühungen auserkoren (gleichzeitig wurde aber betont, dass man auch weiter weltweit interventionsfähig bleiben wolle): „Die Bundeswehr muss […] in der Lage sein, zur kollektiven Bündnisverteidigung in allen Dimensionen mit kurzem Vorlauf, mit umfassenden Fähigkeiten bis hin zu kampfkräftigen Großverbänden innerhalb und auch am Rande des Bündnisgebietes eingesetzt zu werden.“
Rüstungsstufenplan
Das Fäpro visiert einen dreistufigen Umbau der Bundeswehr an – der erste „Meilenstein“ soll 2023 genommen werden. Zu diesem Zeitpunkt wird beabsichtigt, ein Brigadeäquivalent – also etwa 5.000 Soldaten (unter Berücksichtigung von Rotations- und Ruhezeiten noch einmal deutlich mehr) – mit voller Bewaffnung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung aller anderen „Verpflichtungen“ (zB für die EU-Kampftruppen) in die NATO einbringen zu können. Der zweite Schritt soll dann 2027 folgen, da will die Bundeswehr dann bereits eine Division (knapp 20.000 Soldaten) beisteuern. Das Ende des im Fäpro beschriebenen Planungshorizontes ist schließlich 2031 erreicht, von da ab sollen dann alle Teilstreitkräfte für einen Krieg mit Russland gerüstet sein: Drei Divisionen (Heer), vier gemischte Einsatzverbände (Luftwaffe), 25 Kampfschiffe (davon elf Fregatten) und 8 U-Boote (Marine) sowie Kapazitäten zur Erlangung der Hoheit im Informationsraum (Cyberkommando) will die Bundeswehr bis dahin am Start haben.
Personalbedarf
Auch am Umfang der Truppe soll gedreht werden: Die Bundeswehr soll von aktuell knapp 180.000 Soldaten bis 2023 auf 198.000 Soldaten anwachsen. Allerdings macht sich aktuell unter Brancheninsider Skepsis breit, ob dieses Ziel erreicht werden kann: „Wir haben keinen Anlass, von unserer Einschätzung abzurücken, dass die Trendwende Personal gescheitert ist: Der Elefant im politischen Raum ist die demographische Entwicklung. Unter den Brücken von Berlin spricht man leise über andere Umfangszahlen.“ (griephan Briefe Nr. 28/2018) Aufgrund der bereits heute existierenden Rekrutierungsprobleme, denen die Truppe mit ihren massiven Werbeanstrengungen begegnet, dürfte sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren so einiges tun. Zumal, wenn man berücksichtigt, das der Personalbedarf sich für die spätere Aufstellung der anvisierten Divisionen noch einmal deutlich erhöhen dürfte.
Was aus all dem in jedem Fall klar wird – und daran lässt das Fähigkeitsprofil keinerlei Zweifel aufkommen: die Umsetzung dieser Pläne wird eine Menge Geld kosten.
Die Rechnung für den Kalten Krieg
Schon vor einiger Zeit kündigte Verteidigungsministerin von der Leyen an, der Militärhaushalt solle bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. Bereits im Mai 2018 tauchten in einem Papier der Bundeswehr-Universität erste Zahlen auf, was das konkret für die Haushalte der nächsten Jahre bedeuten würde, die nun weitgehend vom Fähigkeitsprofil übernommen wurden.
Die Tatsache, dass der Bundeswehr-Etat bereits rasant von 24,3 Mrd. (1999) auf 38,5 Mrd. (2018) auch inflationsbereinigt kräftig zulegte, verblasst geradezu gegenüber dem, was im Fäpro für die kommenden Jahre anvisiert wird. Ausgehend vom bereits vorhandenen Haushaltsansatz 2019 (42,9 Mrd.) sollen saftige jährliche Erhöhungen schließlich in einen Haushalt münden, der 2024 satte 57,91 Mrd. Euro (nach NATO-Kriterien sogar etwas über 62 Mrd. Euro) umfassen soll – etwa 135 Prozent mehr als noch 1999!
Was die Einzelposten anbelangt, sollen vor allem die Bereiche Rüstungsinvestitionen und Materialerhaltung profitieren – von 8,16 Mrd. Euro (2019) sollen sie auf 17,33 Mrd. Euro (2025) ansteigen.
Handlungsdruck für die Der Wunschliste
Natürlich ist das Fähigkeitsprofil eine Art Wunschliste des Verteidigungsministeriums, insbesondere die Finanzausstattung der Truppe ist schließlich Sache des Parlaments. Und ja, aktuell ziert sich die SPD noch, Ausgabensteigerungen in diesem drastischen Umfang zuzustimmen. Und wohl genau deshalb sprang Kanzlerin Angela Merkel ihrer Verteidigungsministerin schnell beiseite und stellte sich ebenfalls hinter das 1,5 Prozent-Ziel, das dann auf dem NATO-Gipfel im Juli 2018 auch offiziell als deutsche Zusage in deutlich konkreterer Form als frühere Absichtserklärungen angezeigt wurde.
Zu diesem Vorgehen kritisierte auch der Grüne Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner: „Zusagen an die NATO zu treffen, die zu Ausgabensteigerungen im zweistelligen Milliardenbereich führen, ohne diese wirklich darzulegen, oder zu diskutieren, ist problematisch. Die zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge der Organisation der Streitkräfte ergeben sich laut Grundgesetz aus dem Haushaltsplan, der durch das Parlament festgelegt wird.“ (Newsletter Verteidigung, 36/2018)
Dadurch wurde wohl bewusst eine Verpflichtung eingegangen, die es den Sozialdemokraten schwer machen soll, diesbezügliche Bestrebungen abzulehnen – und durch besonderen Widerstandswillen in Sachen Aufrüstung sind sie ja ohnehin seit Langem nicht wirklich aufgefallen. Damit das gerade auch angesichts einer durchaus rüstungsskeptischen Bevölkerung auch so bleibt, möchte die Bundeswehr nach Möglichkeit jede öffentliche Diskussion über ihre Pläne vermeiden.
Rüsten nicht reden
Seit Jahren beklagen sich Bundeswehr und Sicherheitsestablishment über das angeblich mangelnde Interesse der Öffentlichkeit für militärische Fragen. Insofern ist es doppelt zynisch, dass das Fähigkeitsprofil als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft wurde – es darf also nicht daraus zitiert werden (obwohl Teile des Inhaltes gleich an befreundete Zeitungen durchgeschossen wurden). Da passt es ins Bild, dass mit dem Schreiben, in dem Staatssekretär Benedikt Zimmer die Abgeordneten auf den Geheimhaltungsstatus des Papiers hinwies, er auch gleichzeitig betonte, mit dem Fähigkeitsprofil ergebe sich ein „transparentes und nachvollziehbares Gesamtbild der Bedarfe der Bundeswehr.“
Der Vogel wurde aber mit drei Anlagen zum Fäpro abgeschossen, in denen – mutmaßlich – eine detaillierte Aufstellung der Rüstungsprojekte mitsamt ihrer Kosten bis zur ersten „Ausbaustufe“ 2023 sowie die zwischen 2024 und 2031 anvisierten Projekte enthalten sein sollen. Die Anlagen sind als „geheim“ eingestuft, Abgeordnete dürfen sie nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehen, sich keine Notizen darüber machen und auch nicht darüber reden. Augenscheinlich möchte man vermeiden, dass es zu einer Debatte über den Sinn bzw. Unsinn eines derartigen Fähigkeitsprofils kommt. Dieses Bestreben ist – zumindest wenn man versucht, die Sache aus der Warte der Bundeswehr zu betrachten – durchaus nachvollziehbar. Schließlich bedeuten ihre unverschämten Forderungen angesichts der schwarzen Null ja zwangsläufig, dass dieses Geld an anderen dringend benötigten Stellen fehlen wird.
Veröffentlicht am 24.9.2018 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.