250 Euro für eine Woche Arbeit – aber nicht bei Radio Utopie

Daniel Neun, Gründer von Radio Utopie. Nebenberuflich, natürlich.

Als Zeitarbeiter erhalte ich derzeit regulär einen Stundenlohn von rund 9 Euro. Brutto, wohlgemerkt. Das macht dann nach einer Woche Vollzeitarbeit und den entsprechenden Abzügen rund 250 Euro auf dem Konto. Bei eventuellen Zuschlägen, z.B. bei Nachschichten, komme ich auf 11 Euro. Da ist‘s dann etwas mehr.

Da das Existenzminimum bzw die Steuerfreiheit für das Jahr 2018 bei 9000 Euro liegt, können wir Zeitarbeiter am Ende der kapitalistischen „Nahrungskette“ und eines Jahres unserer Lebenszeit also auch von der kafkaesken staatlichen Bürokratie (Steuererklärung, etc) nichts erwarten, selbst wenn das monatliche Einkommen unter 1000 Euro gelegen hat.

Neben dem Vielen, was ich Euch erzählen kann und nicht erzählen werde, z.B. den Geschichten aus meinem Leben über die mutmaßlich auf mich angesetzte Spitzel getrampelt sind wie auf Tretminen, und dem Vielen was ich Euch in bald zwölf Jahren Radio Utopie schon erzählt habe, gibt es zwei kleine Stories, die hier noch loswerden will.

Der Disponent von der Zeitarbeitsfirma erwähnt, dass er fünfundzwanzig Jahre alt ist. Sagt der Kollege, seit Jahrzehnten Zeitarbeiter und 50 Jahre alt: „Nochmal 25 sein? Nee! Da müsst‘ ich ja nochmal so viel arbeiten.“

Zweite Geschichte: ich war dieses Jahr auf der internationalen Funkausstellung, wie so viele „Multiplikatoren“, Online-Journalisten, ect, etc. Allerdings war ich in der Müllentsorgung. Zehn Stunden Arbeitszeit täglich. Als ich eine Kollegin nach der Familie frage, schaut sie unbeschreiblich und sagt, daran sei nicht zu denken. Und dann:
im Pausenraum sitzen die Kollegen in geduckter Haltung. Alle bis auf Einen. Der erzäht von Chemnitz. Die üblichen Sprüche. Ausländer, fluten, etc, etc. Als ich, wie es so meine Art ist, irgendsoetwas sage wie „das sind nicht die Droiden die ihr sucht“, erzählt er, dass er demnächst nach 45 Jahren harter Arbeit, größtenteils ohne heute selbstverständliche Werkzeuge und Maschinen (zu Ostzeiten) und ohne jemals erwerbslos gewesen zu sein, demnächst auf nicht einmal tausend Euro Rente kommt. Und das er beim regelmäßigen Dampf ablassen auf Facebook zufällig seine Stieftocher erwischt hat, wie sie sich im Livestream den Unterleib rasiert. Welche Würde da noch bliebe. Er erzählt, dass eine Versicherung nicht einmal für die Beerdigung eines verstorbenen Kollegen zahlen wollte, weil die Versicherung ja wegen fehlenden Erben verfallen sei. Und dass er mit ein paar anderen Kollegen erst mit der Büchse, der Sammelbüchse rumlaufen musste, um den Arbeitskollegen wenigstens unter die Erde zu bringen.
Sagt ein Kollege, der wie alle anderen geduckt zugehört hat: „(Name), es gibt genau zwei Möglichkeiten: entweder man wird so wie Du und regt sich auf, oder man hält die Klappe und passt sich an“.
Ich äußere den freundlichen Hinweis, dass es früher mal so etwas wie Gewerkschaften und eine gesellschaftliche Opposition von links gegeben habe und wage die Aussage: „Es wäre nicht schlecht, mal eine sozialdemokratische Partei Deutschlands zu haben. Und nicht nur eine, die sich so nennt“.
Überraschte und erschöpfte Zustimmung der Geduckten.

– Schnitt –

Wie ich mehrfach erklärte, gibt es für mich so etwas wie klug nicht. Es gibt nur trainiert. Mit der Demokratie, oder der Politik, ist es genauso wie z.B. mit dem Autofahren. Es will gelernt sein.

Was ich Euch damit sagen will: Ihr könnt es nicht. Ihr könnt es einfach nicht. Aber dreimal im Jahr in Urlaub fahren und Scheisse reden, Scheisse wählen und Scheisse bauen, das könnt Ihr.

Schönes Wochenende noch.

(…)

wie doch die Zeit vergeht:

18.09.2006 ganz ruhig…(Perspektiven einer alten Welt)
34 Prozent aller Wahlberechtigten glauben nicht, daß eine der existierenden Parteien irgendwelche Probleme lösen kann.
Ganz ruhig..
Die Leuten hauen ab aus Deutschland, weil ihr eigenes Land sie ankotzt.
Ganz ruhig..
Liebe Linken, Ihr seid tot. Ihr seid alle tot.