Das neue Abnorme
Thousand Oaks, Kalifornien: eine Stadt, die von Lauffeuer und von Gewehrfeuer zerrissen ist. Beides sind unnatürliche Katastrophen.
„Das ist das neue Abnorme“, sagte Gouverneur Jerry Brown diese Woche auf einer Pressekonferenz und sprach über die globale Erwärmung und die drei unersättlichen Brände, die seinen Bundesstaat zerreißen, einer von ihnen – das Camp-Feuer in Nordkalifornien – der tödlichste und zerstörerischste in der Geschichte des Bundesstaats.
„Leider sagt uns die beste Wissenschaft, dass Trockenheit, Wärme, Dürre, all diese Dinge, stärker werden“, sagte Brown.
In Thousand Oaks, nordwestlich von Los Angeles, traf das neue Abnorme auf das neue Abnorme. Am 7. November betrat ein bewaffneter Mann das Borderline Bar and Grill in dieser Stadt und fing an zu schießen und tötete 11 Gäste und einen Polizisten. Dann erschoss er sich selbst. Mehrere der Gäste, darunter eines der Opfer, hatten die Massenerschießung ein Jahr zuvor bei einem Konzert in Las Vegas überlebt.
Es blieb keine Zeit zum Trauern. Einen Tag später, wie die Washington Post berichtete, „hatten katastrophale Zwillingsbrände einen Feuerring um diese südkalifornische Gemeinde gebildet. Die zweite Tragödie der Woche hatte die erste irgendwie in den Schatten gestellt.“ Tausende von Menschen waren gezwungen, ihre Häuser zu räumen.
Gewehrfeuer und Lauffeuer. Dies ist ein Land, das auf vielfältige Weise mit sich selbst im Krieg steht.
Der Schütze Ian David Long – natürlich als problematischer Einzelgänger beschrieben – war ein ehemaliger Marine, der in Afghanistan eingesetzt worden war. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Schießerei im der Borderline Bar and Grill und der Tatsache, dass Long als Maschinengewehrschütze ausgebildet war?
Die amerikanischen Mainstream-Medien sind offenbar weitaus bereitwilliger, einen Zusammenhang zwischen menschlicher Aktivität und Klimawandel, einschließlich der zunehmenden Intensität von Naturkatastrophen wie Hurrikanen und Waldbränden, anzuerkennen, als sie bereit sind, einen Zusammenhang zwischen dem Töten im Ausland, das als Krieg bezeichnet wird, und dem Töten im Inland, das als Mord bezeichnet wird, anzuerkennen.
Ein Artikel in der New York Times nach den Schießereien geht jedoch auf die Komplexität dieser Beziehung ein.
Reporter interviewten eine Reihe seiner Marine-Kollegen. Einer von ihnen, völlig schockiert von dem, was passiert war, sagte: „Er war ein wirklich guter Kerl. Er gab mir die Bibel, die ich heute noch bei mir trage.“ Aber er fügte hinzu: „Wir wurden zu Maschinengewehrschützen ausgebildet, also weiß man, dass man zu so etwas fähig ist. Aber dass er das getan hat, macht keinen Sinn. Es ist gegen alle unsere Werte.“
Vermutlich beziehen sich die verletzten Werte auf die Tötung von Amerikanern, was, wie ich fürchte, einen unsicheren Unterschied ausmacht.
Die Times-Story informierte uns auch, dass das Bataillon von Long während seines Einsatzes in Afghanistan „wenig zu tun hatte“ und wies darauf hin, ohne Kommentar oder weiteren Kontext: „Das einzige Opfer im Bataillon starb durch Selbstmord, nachdem es von anderen Marines schikaniert wurde.“
Warte, was?
Diese wenigen Informationen haben vielleicht absolut nichts mit der Amokschießerei in Thousand Oaks zu tun, aber sie scheinen etwas über Werte zu sagen, die vom Militär definiert und von den Medien verbreitet werden.
Wenn das Leben selbst nicht unantastbar ist – wenn das Nehmen des Lebens taktischen und strategischen Zwecken dienen darf – können Werte schnell zerfallen. Menschen zu töten ist dann zumindest keine große Sache. Manchmal ist es sogar, du weißt schon, notwendig.
Ein Marine wird von anderen Marinekameraden „schikaniert“ und begeht Selbstmord. Die Schrecklichkeit dieses Vorfalls widerhallte in mir zum Teil deshalb, weil darüber mit einem solchen Achselzucken berichtet wurde, das nur einen halben Satz wert war. (Die New York Times hat allerdings einen Link zu einer längeren Geschichte über den Vorfall gesetzt.)
Hier ein weiteres Zitat aus dem Artikel von jemandem, der mit Long gedient hat: „Ich bin nicht überrascht, dass jemand, den ich kannte, als Amokschütze endete. Wir hatten einen anderen Kerl, der kürzlich in Texas Selbstmord durch Polizei begangen hat. Die Kerle haben es schwer. Wir haben mehr Marines in unserer Gruppe durch Selbstmord verloren, als wir je in Afghanistan verloren haben.“
Ich fürchte, dass der Einfluss des Militarismus weit über die Strategie und Taktik hinausgeht, die unter seiner Kontrolle stehen. Der wesentliche Wert, den er mit einem nahezu unfassbaren Budget aufrechterhält, besteht darin, dass Sicherheit, Freiheit und Moral selbst den Glauben an einen bestimmten Feind erfordern – und die Bereitschaft zu töten. Es ist die einfachste mögliche Lösung für die paradoxe Komplexität des Lebens: Töte den Bösewicht.
Der Soziologe Peter Turchin hat es das „Prinzip der sozialen Substituierbarkeit“ genannt. Nach den Morden von Sandy Hook vor sechs Jahren beschrieb er dieses Prinzip in einem Essay: „Auf dem Schlachtfeld sollst du versuchen, eine Person zu töten, die du noch nie zuvor getroffen hast. Du versuchst nicht, diese bestimmte Person zu töten, du schießt, weil sie die feindliche Uniform trägt. … Feindliche Soldaten sind sozial substituierbar.“
Ich fürchte, dieses Prinzip hat sich in unserer mit Waffen gesättigten Gesellschaft ausgebreitet wie Kohlendioxid in der Atmosphäre. Wütende und verzweifelte Seelen können ihre eigenen Kriege führen, und immer mehr von ihnen tun dies. Möglicherweise ist das Problem nicht, dass viele Menschen gestört sind – es gibt viele Gründe, gestört zu sein, sowohl verrückte als auch legitime -, aber dass sich so viele von ihnen eine vereinfachte, lebensabwertende Lösung für die Probleme zu eigen gemacht haben.
Es ist die gleiche Lösung, die das Land selbst sich zu eigen gemacht hat.
„Massenerschießungen und Flächenbrände“, sagte Stephen Pyne, ein Experte für Waldbrände an der Arizona State University, zitiert von der Zeitschrift Wired. „Willkommen im neuen Amerika.“
Orginalartikel „The New Abnormal“ vom 14.11.2018
Quelle: antikrieg.com