Autor: Alexander Kleiß
Mit militärischen Mitteln gegen Fake News und Migration?
Momentan läuft vom 5. bis 23.11.2018 die Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ (HEX-ML 2018 PACE). Diese wird von der EU ausgerichtet. Auch die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich daran.
Ziel der Übung ist es, „in Zusammenarbeit mit der NATO […] Krisenmanagement und die Bewältigung hybrider Bedrohungslagen“, welche die EU und ihre Mitgliedstaaten betreffen könnten, einzuüben und „die Reaktionsfähigkeit der EU auf kommende hybride Krisen zu verbessern.“1 Im vergangenen Jahr fand bereits eine vergleichbare Übung unter dem Namen PACE 2017 statt. Das Szenario ist sehr ähnlich.
In diesem Jahr sollen jedoch die EU-Mitgliedstaaten stärker eingebunden werden. Diese hatten die Möglichkeit, bevorzugte Bereiche einzubringen: Als hybride Bedrohungen, deren militärische Beantwortung trainiert werden soll, brachten die Mitgliedstaaten die Bereiche Energie, Gesundheit, Cyber, Desinformation, maritime Ereignisse und einen Anstieg von Migration ein. Dass diese Bereiche nicht zivil, sondern militärisch „gelöst“ werden sollen, ist Ausdruck einer zunehmenden Militarisierung der EU. Migration als militärische Bedrohung zu betrachten ist falsch und für die Betroffenen sehr gefährlich. Und auch eine Bekämpfung von Desinformation durch das Militär ist äußerst fraglich. Christopher Schwitanski zeigt in der IMI-Analyse 2017/23 sehr anschaulich, „dass mit dem Kontern [z.B.] russischer Kommunikationsaktivität keine neutrale Berichterstattung einhergeht, sondern eine einseitige Deutung des Konflikts – im Sinne von EU und Nato – der zufolge Russland die alleinige Schuld für die Eskalation in Osteuropa trägt. Raum für politische Entspannung oder Konfliktlösung wird ein solches Narrativ nicht bieten.“2
Gefährlich ist das Einüben solcher Informationskriege auch, weil die erlernten Mechanismen nicht nur gegen Fake-News, sondern auch gegen abweichende politische Meinungen eingesetzt werden könnten. Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, dass als Teil der Militärübung als Akteur auch die „internationale Bewegung AWG (Anti-Western-Group)“ simuliert werden soll. Es steht somit zu befürchten, dass auch soziale Bewegungen, wie z.B. die Friedensbewegung, als hybride Bedrohungen, denen mit militärischen Mitteln begegnet werden soll, wahrgenommen werden. Auch bei PACE 2017 gab es bereits den Akteur AGG (Anti-globalisation-Group). Im damaligen Szenario wurde die Gruppe folgendermaßen charakterisiert: „AGG benutzt häufig soziale Medien, um Propagandanachrichten zu verbreiten, Riots zu organisieren, die als Demonstrationen getarnt sind, all dies verbunden mit E-Mail-Spam. Die AGG, die NGOs in diversen EU-Mitgliedstaaten sponsert, warf der EU eine erhöhte Präsenz in der Mittelmeerregion vor. Laut Geheimdienstinformationen erhält die AGG finanzielle Unterstützung von verschiedenen Ländern, die der EU feindlich gesinnt sind.“3
Weitere Akteure der Übung sind die drei fiktiven nordafrikanischen Staaten „Ropperta“, „Kronen“ und „Loripa“. Diese unterliegen im Szenario einer terroristischen, gesundheitlichen und konsularischen Krise, die durch die durch die EU im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) militärisch gelöst werden soll. Mit einer konsularischen Krise könnte z.B. der Fall gemeint sein, dass Spezialeinheiten zur Evakuierung europäischer Staatsbürger in den betreffenden Staaten eingesetzt werden sollen, diese Staaten aber die Kooperation und somit den Zutritt verweigern.
Ein weiterer fiktiver Akteur der Übung ist die „globale terroristische Vereinigung NEXSTA (Newborn Extremist State)“. Diese wird für eine Reihe von Zwischenfällen – auch innerhalb der EU – verantwortlich gemacht, die teilweise als Terroranschläge bezeichnet werden. Zudem wird die EU im Szenario durch mehrere Cyberakteure angegriffen. Simuliert werden Angriffe auf den Energiesektor, IT-Systeme der EU-Institutionen, Infrastruktur von Häfen sowie Aufklärungs- und Überwachungsmittel.
Die Bundesregierung beteiligt sich an der Übung im Übungskomplex „Energie“ in Form des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und der Bundesnetzagentur. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist ebenso wie das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium an der Übung beteiligt. Seitens der NATO sind Vertreter des Internationalen Stabes an der Vorbereitung und Durchführung der Übung beteiligt.4
Auch der Rat für Auswärtige Beziehungen im Format der Verteidigungsminister beschäftigt sich auf seinem Treffen am 19. und 20. November 2018 in Brüssel mit der Übung. Geplant ist ein Austausch „zu den Themen ‚militärische Mobilität‘ und ‚hybride Bedrohungen‘ im Lichte der aktiven Phase der Übung HEX-ML 2018 PACE“.5
Es ist beängstigend, wie die „klassischen“ Kriege in den Domänen Land, See und Luft verschmolzen werden mit einem Krieg im Cyber- und Informationsraum, der auch politische Gegner im Inneren zu militärischen Feinden deklariert. Kritik an der NATO und ihren Kriegen wird als von außen gesteuert diskreditiert. Anstatt diese Widersprüche politisch zu verhandeln, wird ihnen mit militärischen Mitteln begegnet. Teil und Ausdruck dieses Problems ist auch die Übung HEX-ML 2018 PACE.
1 Bundestagsdrucksache 19/4106: Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko u.a.: „Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ der Europäischen Union und der NATO gegen Cyberangriffe, Fake News und Migration“. 31.08.2018.
2 Christopher Schwitanski: IMI-Analyse 2017/23. Strategische Kommunikation. Die Aufrechterhaltung europäischer Deutungshoheit.
3 Exercise Instructions (EXINST) for the EU PACE17 Parallel and Coordinated Exercise with NATO CMX17, Brüssel, 14.7.2017. Das Papier findet sich bei statewatch.org.
4 Bundestagsdrucksache 19/4106: Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko u.a.: „Krisenmanagementübung „Hybrid Exercise Multilayer 18“ der Europäischen Union und der NATO gegen Cyberangriffe, Fake News und Migration“. 31.08.2018.
5 Ausschussdrucksache 19(12)312 – Vorbericht zum Treffen des Rates für Auswärtige Beziehungen im Format der Verteidigungsminister vom 19. bis 20. November 2018 in Brüssel. 15.11.2018.
Erstveröffentlichung am 16.11.2018 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.