Ticker zur „Verschiebung“ des E.U.-Austritts von Großbritannien

+++ Abschließende Ergänzung 22.15 Uhr: der E.U.-Austritt wurde heute durch das britische Parlament nicht verschoben. Dieser um 12.13 Uhr veröffentlichte und danach aktualisierte Artikel verbleibt in seiner ursprünglichen Form.+++

Das britische Parlament (House of Commons, „Unterhaus“) wird den am 29. März rechtskräftig werdenden Austritt des Landes aus der „Europäischen Union“ wieder aufheben und dessen „Verschiebung“ beschließen.

Damit fliegt die Demokratie-Simulation im Zuge der „Globalisierung“ auch im Vereinigten Königreich auf.

Analyse, Hintergründe, Livestream.

Im Dezember letzten Jahres interpretierte die E.U. und ihr Gerichtshof den „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ und dessen Ausstiegsklausel Artikel 50 dahingehend um, dass ein bereits beschlossener Ausstieg aus dem Staatenbund jederzeit einseitig wieder zurückgenomen werden kann, obwohl der Vertrag keine Rücknahme eines Ausstiegs vorsieht.

Gleichzeitig brach eine Mehrheit im britischen Parlament mit Jahrhunderten parlamentarischer Traditionen in der verfassungslosen Monarchie, veränderte die Machtarchitektur, gab der Parlamentsmehrheit die Möglichkeit anstelle der Regierung selbst die Vertretung des Staates zu übernehmen und legte so die Grundlage für die heutige Sabotage des Ausstiegs aus der E.U.

Die leitenden Kader der „politischen Klasse“, die Parteien-Kaste und Nomenklatura stellen sich auch in Großbritannien gegen das eigene Volk und Abstimmung in 2016.

Das von Vielen mit Verwirrung und Fassungslosigkeit verfolgte Staatstheater in London hat nun ein Ende. Der Vorhang hebt sich.

Hintergrund und Details

Artikel 50 vom „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ sieht keine Rücknahme eines Austritts aus der E.U. vor. Nur eine Verlängerung der Frist des Austritts ist gestattet, die einstimmig im Europäischen Rat beschlossen werden muss.

In Artikel 50 Abs. 3 heisst es diesbezüglich;

„(3) Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.“

Aus diesem Vertragstext interpretierte bereits im Dezember der „Gerichtshof der Europäischen Union“ (E.U.G.H.), der üblicher- und fälschlicherweise „Europäischer Gerichtshof“ genannt wird, das Recht eines „betroffenen Mitgliedstaates“ einseitig den Austritt wieder zurückzunehmen.

Die einzige „Bedingung“, die der EUGH für diese kreative Erfindung nicht vorhandenen Vertragstextes setzte: die Rücknahme der Austrittserklärung müsse dem Rat der EU-Mitgliedsstaaten schriftlich mitgeteilt werden und „im Einklang mit dem britischen Verfassungsrecht erfolgen.“

Es gibt kein britisches Verfassungsrecht. Es gibt in der Monarchie Großbritannien lediglich eine „ungeschriebene Verfassung“, die letzten Endes nur aus Traditionen besteht und die eine Parlamentsmehrheit einfach ignorieren kann, wenn sie schlicht dreist und skrupellos genug ist und der Parlamentssprecher („Speaker of the House“) mitspielt.

Genau das passierte im House of Commons.

Am 4. Dezember, als der „Gerichtshof der Europäischen Union“ seine kreative Rechtsinterpretation bereits angekündigt hatte, beschloss das House of Commons mit knapper Mehrheit und den Stimmen der Labour Partei eine „Gesetzesergänzung“ („Amendment“), also eine Gesetzesänderung. Diese verfügte, dass eine Parlamentsmehrheit das (zwei Jahre nach der Volksabstimmung in 2016) endlich im Juni 2018 beschlossene Ausstiegsgesetz nach Belieben wieder verändern kann.

Damit gab sich das Parlament faktisch das Recht, selbst die Rolle des „betroffenen Mitgliedsstaates“ (s. Artikel 50) gegenüber der E.U. einzunehmen, anstelle der Regierung.

Eingebracht worden war in die Gesetzesänderung auch eine trickreiche Wenn-Dann-Klausel: das „Amendment“ würde nur dann wirksam, wenn die Regierung eine Abstimmung über den Ausstiegsvertrag (den „Deal“ von Theresa May), in einem „meaningful vote“ verlieren würde.

Genau das geschah am 15. Januar, in der schlimmsten Niederlage einer Regierung im britischen Parlament in dessen demokratischer Geschichte.

Durch Mays katastrophale Niederlage trat nun das „Amendment“ vom 4. Dezember in Kraft. Rational betrachtet, kann dies kein Zufall sein. Vielmehr darf vermutet werden, dass May diese absehbare schwere Niederlage taktisch in Kauf nahm und hinter den Kulissen diesem „Amendment“ und der Sabotage des E.U.-Ausstiegs zuarbeitete, während sie vor den Kulissen stets vorgab einen „Brexit“ umsetzen zu wollen.

Es war der ehemalige Justizmininister, Vorsitzende des Geheimdienste-Ausschusses und Rechtsberater der Queen, der die Gesetzesänderung („Amendment“) eingebracht hatte: Dominic Grieve.

Grieve hatte bereits im Sommer 2018 ein ähnliches „Amendment“ zum Ausstiegsgesetz eingebracht. Damals lehnte das Parlament ab.

Am 4. Dezember hatte Grieve Erfolg, unter Zuarbeit der Labour Partei.

Was hätte Grieve nun daran hindern soll einfach weiterzumachen?

Bereits seine erste Gesetzesänderung vom Dezember hatte „verfassungsrechtliche Fragen“ ohne Verfassung aufgeworfen.

Am 19. Januar brachte Grieve nun ein „Amendment“ ein, welches, wie der „Spectator“ analysierte, die „Schwachpunkte der verfassungsrechtlichen Architektur in Großbritannien identifizierte“ und in Kauf nahm, jede britische Regierung auf Jahre hinaus zu destabilisieren.

Grob erklärt, ermöglicht dieses neue Grieve-Amendment auch einer Minderheit von 46 Prozent der Abgeordneten Gesetze bzw Gesetzesänderungen auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen, wenn eine Mehrheit dies ablehnt.

Konkret: eben eine Abstimmung über eine Aufhebung des Austritts aus der „Europäischen Union“, was laut dem Urteil des E.U.-Gerichts vom Dezember 2018 nach Artikel 50 im „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ jederzeit einseitig möglich sein soll.

Zur Erinnerung: Grieves erstes durch das Parlament beschlossenes Amendment vom Dezember verfügte bereits, dass das Parlament nun faktisch die Repräsentanz des Staates in Sachen E.U. übernahm, anstelle der Regierung.

Nochmal in Zeitlupe: Grieves zweites Amendment, was heute im House of Commons aller Voraussicht nach mit den Stimmen von Labour beschlossen werden wird, ermöglicht es zukünftig einer Minderheit von 300 Abgeordneten den Verbleib in der E.U. auf die Tagesordnung zu zwingen.

Es wird also heute von einer Mehrheit der Abgeordneten beschlossen, dass sie zukünftig einer Minderheit hilflos gegenübersteht.

Auch diesmal arbeitet der paneuropäische Ideologe und Imperialist Dominic Grieve eng mit Labour zusammen. Am 19. Januar, als Grieves Pläne bekannt wurden, hieß es noch es handele sich um Labour „Rebellen“, heute wurde klar, dass das keine „Rebellen“, sondern der von Jeremy Corbyn befehligte Teil der Labour Partei im Parlament ist.

Wohlgemerkt: das zweite Grieve-Amendent ermöglicht nur das Erzwingen einer Tagesordnung gegen den Willen der Parlamentsmehrheit. Das bedeutet noch kein Abstimmungsergebnis. Aber es setzt praktisch das gesamte Parlament unter permanenten Ausnahmezustand und setzt einen hochgefährlichen Präzedenzfall für die britische Demokratie, durch den Rechtsberater von Queen Elizabeth II.

Nun das zweite Amendment, dem das Parlament heute mit den Stimmen der Labour Partei absehbar zustimmen wird: die „Verschiebung“ des Austritts aus der E.U., bzw die Fristverlängerung des Austritts nach Artikel 50 AEUV.

Eingebracht worden ist das Amendment von einer der vielen paneuropäischen Ideologen der Labour Partei, Yvette Cooper.

Noch gestern rannte Jeremy Corbyn vor der Frage davon, ob er den Labour-Abgeordneten „empfehlen“ wird Coopers Amendment zur „Verschiebung“ des E.U.-Austritts zuzustimmen.

Über die Nacht wurde bekannt: Corbyn wird sowohl Grieves zweitem Amendment zustimmen (was einer Minderheit von 300 Abgeordneten jederzeit ermöglicht den Verbleib Großbritanniens in der E.U. auf die Tagesordnung zu setzen), als auch dem Cooper-Amendment, der Aufhebung des bislang am 29. März rechtskräftigen E.U. Austritts, bzw dessen „Verschiebung“.

Kommentar 12.13 Uhr

Kollateralschaden dieses epischen Verrats der britischen „politischen Klasse“, der Nomenklatura, am britischen Volk und dessen Entscheidung in der Volksabstimmung im Juni 2016, ist unter anderem die Labour Partei. In gehorsamer Selbstvernichtung springt sie ins Messer, mit ihrem Leithammel Jeremy Corbyn, der in der Tat den Schulz macht und die gesamte britische Demokratie gleich mitnimmt, wovor wir bereits im Dezember warnten. (16.12.2018, Aktuelles zum Kampf Großbritanniens um seine Unabhängigkeit)

Mit ihrem Selbstmord macht die Labour Partei, wie die gesamte real existierende, falsche Sozialdemokratie und Linke im E.U.-Machtbereich, den Platz frei für rechts stehende Kräfte, konkret: die neue „Brexit Partei“ von Nigel Farage.

Ein Dogma des E.U.-U.S.-Imperialismus, im bereits abgetragenen neuen Kleidchen von „Globalisierung“ alias Globalismus, wird somit wieder einmal erfüllt: keine demokratische, soziale, pazifistische Linke in einer souveränen Demokratie zuzulassen, weil die natürlich sofort mit Krieg, Kapitalismus und Imperialismus aufräumen würde.

Dass die Tories, die Konservative Partei ebenfalls explodieren wird, ganz ehrlich, was kümmert‘s mich.

Was wichtig auch für den gemeinen E.U.-Häftling in dieser Demokratie-Simulation ist zu begreifen:

die letzten zwei Jahre waren zum Thema „Brexit“ nichts als Theater. Von allen Seiten in den „politischen“ Hierarchien, der britischen Regierung, der E.U., der Parteikader von Labour und Tories: Nichts als Lügen, Lügen und nochmals Lügen, mit jeder Menge Heuchelei als Dreingabe.

Corbyn und die noch amtierende Premierministerin und Tories-Chefin Theresa May haben beide daraufhin gearbeitet, dass ein Austritt von Großbritannien nicht stattfindet. Obwohl sie sich hassen, haben sie beide ihre Befehle erfolgt und letzten Endes zusammen gearbeitet. Was die Öffentlichkeit gerade in den letzten Monaten erlebte, war nichts als ein sich Winden und Winseln der Betrüger, die nur auf Zeit gespielt haben, damit jeweils der / die Andere den E.U.-Peter bekommen sollte – nämlich den Leuten zu erklären, dass sich die „politische Klasse“ sich einen Dreck um irgendwelche Völker und ihre Abstimmungen schert, natürlich auch in Großbritannien, und dass ein Austritt aus dem 2009 installierten E.U.-Moloch einfach nicht stattzufinden hat! Basta!

Die Farce im House of Commons erfolgt auf Befehl einer Hierarchie, einer „unsichtbaren Hand“, die heute in Westminster Hall ihre Puppen tanzen lassen wird.

12.40 Uhr

Es gilt bei der heutigen Abstimmung und Sitzung im britischen House of Commons nicht auf Theresa May und ihre Witze über irgendwelche „Deals“ oder Verhandlungen mit der E.U. über irgendwas zu achten, oder auf andere fiktive Absurditäten.

May hat ihren Job erfüllt: zwei Jahre lang nichts zu tun, Zeit zu schinden, den Kräften der E.U. in Großbritannien zuzuarbeiten und alles gegen die Wand zu fahren, wenn nötig. Ihr „Deal“ war und ist eine Unterwerfung Großbritanniens unter die E.U., schlimmer noch als die der Mitgliedsstaaten.

Mays „Deal“ wird scheitern, ganz egal mit was sie droht (neuerdings sogar mit dem Ausnahmezustand).

Zu achten gilt es auf die Amendments.

Und auf Mays Retter, Jeremy Corbyn.

Corbyn sichert heute Theresa Mays Regentschaft, völlig egal wie katastrophal ihr „Deal“ erneut scheitert oder schon wieder verschoben wird.

May bekommt nun die Gelegenheit sich als alleinige Vertreterin von Volksabstimmung und „Brexit“ darzustellen, weiter monatelang Zeit schinden und Absurditäten abzusondern. Vor irgendwelchen Wahlen muss sich May somit weniger Sorgen machen als Corbyn und Labour.

Genau das erscheint ja auch als die Absprache: Selbstmord Labours, damit diese ja nicht an die Regierung kommt und die E.U. vor die Wahl „Friss oder Tschüss“ stellt, was die einzig logische Option gewesen wäre (also selbst einen Vertrag zu entwerfen und den der E.U. und ihren Anwaltsschurken auf den Tisch zu knallen).

Zu dem Unsinn einer „No Deal“-Gefahr für Großbritannien gleich mehr.

14.15 Uhr

Zunächst eine kurze Begriffserklärung: „Leavers“ = für einen E.U.-Austritt, „Remainers“ = für einen Verbleib in der E.U.

Welcher Betrug derzeit an der gesamten Weltöffentlichkeit bezüglich einer vermeintlichen Gefahr durch einen „No Deal Brexit“ (also einen Austritts von Großbritannien aus der E.U. ohne Ausstiegsabkommen) begangen wird und wie verlogen und heuchlerisch es explizit von Corbyn und der Labour-Führung ist, von der britischen Regierung auf jeden Fall einen „Deal“ mit der E.U. zu verlangen, beschrieb der ehemalige Leiter der „Leave“-Kampagne für die Volksabstimmung in 2016, Brendan Chilton (Labour), vor wenigen Tagen auf „BrexitCentral“.

„Jeder in Verhandlungen involvierte Handels-Gewerkschafter wird Dir sagen, dass Du, um in jedweder Verhandlung vernünftige Zugeständnisse zu erreichen, nicht gleich zu Beginn die Perspektive ausschließt überhaupt keinen Vertrag abzuschließen.“ 

Man stelle es sich vor:

die Gewerkschaft so-und-so latscht in das Büro vom Konzernleiter und sagt: „Also äh, wir wollen dies und das. Aber streiken tun wir natürlich nicht“, obwohl sie wissen, dass ein Streik den Konzern mindestens genauso hart treffen würde wie die Arbeiter.

Oder ein anderes Beispiel:

Firma A würde gern zu günstigen Konditionen einen Vertrag mit Firma B abschließen. Und sagt zu Verhandlungsbeginn: „Wir wollen auf jeden Fall einen Vertrag. Wir brauchen einen“. Obwohl sie weiß, wie nöig gerade Firma B einen Vertrag braucht.

Verstehen Sie?! Entweder man unterwirft sich, oder man verhandelt.

Die gesamte E.U., explizit die Exportbranche und ihre Kapitalisten gerade in Deutschland, müssen vor einem Ausstieg des „Absatzmarktes“ Großbritannien enorme Angst haben. Das haben sie auch.

Noch einmal: die einzig logische und für das eigene Land, die eigene Partei, das eigene Volk verantwortliche Handeln von Jeremy Corbyn wäre gewesen, selbst einen Ausstiegsvertrag aufzusetzen und ihn May vor die Nase zu setzen, damit die ihn der E.U. vor die Nase setzt. Und dann, falls May nicht spurt, sie vor die Tür zu setzen.

Doch was macht Corbyn? Er verlangt von May auch noch einen „No Deal“ auszuschließen, also zwingend einen Vertrag mit einer E.U. abzuschließen die nicht verhandelt, weil sie es nicht muss.

Das ist nicht nur irrational, das ist Sabotage. Und jeder der nur 5 Sekunden lang nachdenkt (was auch in Deutschland immer weniger Leute tun, weil sie es nicht wollen) muss das wissen.

Der Gipfel dieser Verlogenheit und des Zynismus der E.U.-Heuchler, vorneweg Corbyn und die Labour-Führung, ist es, heute auch noch die „Verschiebung“ des E.U.-Austritts damit zu begründen, man müsse ja Großbritannien vor einem „No Deal Brexit“ retten.

Nichts tun, Gewäsch absondern, Zeit schinden, heucheln und die eigene Partei und die eigene Demokratie gegen die Wand fahren: das ist der Konsens von May, Corbyn und der gesamten „politischen Klasse“, die sich schlicht weigert das umzusetzen was ihre Wählerinnen und Wähler wollen.

Das ist die Simulation von Demokratie. Nichts anderes.

14.30 Uhr

Livestream aus Westminster Hall, aus technischen Gründen vom Youtube Kanal des House of Commons. Hier der direkte Livestream (und die spätere Aufzeichnung) des britischen Parlaments auf Parliamentlive.tv.

14.50 Uhr

Soeben hat der einflussreiche „Speaker of the House“, in etwa als Parlamentspräsident zu beschreiben, entschieden welche Amendments er zur Abstimmung zulassen wird.

Unter anderem die von Dominic Grieve und Yvette Cooper (s.o.).

„Speaker of the House“ ist John Bercow, ein bekennender Gegner eines E.U. Austritts (hier mehr auf der Nachrichtenagentur).

Nun spricht Theresa May.

!5.10 Uhr

Die von Sprecher Bercow zur Abstimmung zugelassenen Amendments sind die von:
– Jeremy Corbyn
– Ian Blackford
– Dominic Grieve
– Yvette Cooper
– Rachel Reeves
– Caroline Spelman
– Graham Brady

Bisher nicht erwähnt habe ich das Brady-Amendment. Graham Brady ist der ebenfalls einflussreiche Leiter des 1922 Kommitees. Darüber wird noch zu berichten sein.

Schlagabtausch zwischen May und Grieve. Die Premierministerin warnt (s.o.) vor einer Schwächung der Exekutive und einer fundamentalen Verschiebung der Machtverhältnisse in der britischen Demokratie insgesamt.

May ist sicher keine Vorzeigedemokratin, beileibe nicht. Der Schlagabtausch zeigt nichtsdestotrotz die Tragweite dessen, was heute im Parlament des Vereinigten Königreichs beschlossen wird, ohne eine regelnde, verbindliche Verfassung.

May spielt ihre Rolle hervorragend, wie immer. Ich bewundere ihre darstellenden Fähigkeiten immer wieder. Sie stellt sich dar als Vertreterin des britischen Volkes, verweist darauf, dass eine Verschiebung des E.U.-Austritts keinen „No Deal Brexit“ ausschließt und macht gerade wieder mal Jeremy Corbyn zur Schnecke, der wie immer devot und in sich zusammengesunken auf dem Stuhl kauert und bislang gar nichts gesagt hat.

Dass May gerade das Parlament allen Ernstes gebeten hat gegen ihren eigenen „Deal“ zu stimmen, um sie zu erneuten „Verhandlungen“ nach Brüssel zu schicken, ist fast schon keine Anmerkung mehr wert.

Ein Hühnerlacher, was sie da grad im ältesten Parlament der Welt abspielt. Und gleichzeitig Staatsschauspiel auf höchstem Niveau.

Zuvor fragt Yvette Cooper die Premierministerin direkt, ob sie eine „Verschiebung“ des E.U.-Austritts ausschließt.

Tut May nicht.

Was für eine Überraschung..

Einwurf von konservativem Ausstiegsbefürworter Jacob Rees-Mogg, wie immer übertrieben distinguished: ob denn ein neuer, in Brüssel verhandelter Ausstiegsvertrag anschließend auch dem Parlament vorgelegt werde.

May: Ja, natürlich.

Das Ganze wirkt wie ein „hey, ich bin auch noch da“ von Rees-Mogg und einem öffentlichen Zeichen des bekannten „Brexiteers“ heute für Mays Anträge zu stimmen.

Eine Abgeordnete verursacht kurze Unruhe im Haus, als sie fragt von welchen Fantasien die Premierministerin da eigentlich redet. Die Abgeordnete geht u.a. auf nicht existierende Technologien ein, mit der May die Frage einer „harten Grenze“ zwischen Nordirland und Irland regeln will (mit dem Ausstieg Großbritanniens wird diese Grenze zur E.U.-Außengrenze, was große Besorgnis bei den Iren auf beiden Seiten der Grenze auslöst).

May bügelt den Einwand kurz ab. Weiter mit der Vorstellung.

Auftritt Corbyn.

Labour Position zum „Brexit“ sei von Anfang an klar gewesen.

Ausführliches Gelächter im Raum.

Corbyn: „counterterrorism“ (in deutsch auch als „Terrorismusbekämpfung“ übersetzt)… Klimawandel… Leute zusammenbringen… das Referendum aus 2016 umsetzen, aber… Rassismus…

und jetzt das wahre Desaster, was es um jeden Preis zu vermeiden gelte (Luft-hol): „NO DEAL“.

Das werde man durch Amendments verhindern, die im Laufe des Abends hoffentlich beschlossen würden, so Corbyn.

Es macht sich eine geradezu gefährliche Atmosphäre im Parlamentsraum breit. Corbyn wird förmlich nieder geschrien. Die Meute spürt seine Schwäche und seine widersprüchliche Position.

Sprecher John Bercow muss mehrfach sein mittlerweile weltweit bekanntes „Order! Order! Order!“ in den Raum werfen, um Corbyn überhaupt zu Wort kommen zu lassen, und wird dafür durch Rees-Mogg auch noch selbst kritisiert.

Es ist 15.56 Uhr. Sprecher Bercow ist bereits heiser.

Jetzt wird es ernst.

Yvette Cooper fragt Corbyn direkt, ob er ihr Amendment unterstützt.

Corbyn macht deutlich: ja, tut er. Das Cooper-Amendment verhindere einen „No Deal Brexit“, so Corbyn.

Corbyn weiter: er unterstützt eine Verschiebung des E.U.-Austritts um drei Monate.

Mehr und mehr Karten liegen nun auf dem Tisch.

+++ Zwischenzeit, 16.40 Uhr +++

Nach Jeremy Corbyn hat Kenneth Clarke, dienstältester Abgeordneter des Hauses (seit 1970) und Vize-Vorsitzender der „europäischen Bewegung“ in Großbritannien, zu einer surrealen Pausendarbietung angesetzt. Er redet und redet und redet. Die Bänke werden leer.

Auf den Fluren aber dürfte es hoch hergehen.

17.12 Uhr

Inzwischen ist auch eine „Reuters“-Meldung erschienen, Corbyn unterstützt das Cooper-Amendment und eine „Verschiebung“ des E.U.-Austritts um drei Monate.

Wenn-Dann-Klausel: die Verschiebung tritt dann in Kraft, wenn die Regierung keinen Vertrag durchs Parlament bekommt.

Der Gipfel des Zynismus.

May braucht, wie bereits beschrieben, weiterhin nichts Anderes zu tun als nichts, dazu irgendwelches Zeug zu erzählen, irgendwelche virtuellen Verhandlungen zu führen die nicht geführt werden und kann so den Verbleib Großbritanniens in der E.U. erreichen, den sie immer wollte, aber ohne deren Schwarzen Peter in der Öffentlichkeit umgehängt zu bekommen.

Den bekommt nun Corbyn. Und er weiß ganz genau, dass May natürlich keinen „Deal“ durchs Parlament bekommt, weil sie nicht mit der E.U. verhandelt, weil Brüssel (samt der Merkel-Regierung im Hintergrund) nicht verhandeln muss, sondern der Farce in Großbritannien einfach weiter in aller Ruhe zusehen kann.

Der Gipfel des Zynismus. Ein abscheuliches, abscheuliches Schauspiel.

19.50 Uhr

Es nähert sich die Abstimmung über die Amendments.

Kurze Zusammenfassung: Mays „Deal“ ist immer noch der gleiche, den sie im Dezember zurückzog und mit dem sie am 15. Januar die schlimmste Niederlage in der britischen demokratische Ära erllitt. Es ist letztlich überhaupt kein Ausstiegsvertrag bzw Ausstiegsabkommen, sondern beinhaltet stattdessen beinhaltet die faktische Unterwerfung Großbritanniens unter die Brüsseler Räte und ihre „Gesetzgebung“ alias Beschlüsse (Stichwort „customs union“, Zollunion). Außerdem gefährdet Mays Vertragsentwurf, der in enger Abstimmung mit der E.U.-Lobby entstand, den Bestand des Vereinigten Königreichs selbst (Stichwort „backstop“, Einbeziehung Nordirlands in die E.U.-Binnenmarkt.).

Heute nun schlug May nun allen Ernstes den Abgeordneten vor, gegen dieses eigene Scheinabkommen zu stimmen und stattdessen für das Amendment von Graham Brady (s.o.), der absurderweise erneute „Verhandlungen“ mit der E.U. beinhaltet. Ein völlig absurder Vorschlag.

Wie bereits mehrfach umschrieben, ist May und ihr „Deal“ irrelevant. Die Premierministerin spielt auf Zeit. Mehr muss sie auch nicht tun. Sie ist mit ihrem E.U.-Unterwerfungsabkommen gescheitert. Nun nimmt ihr Corbyn die Arbeit ab.

Nun erfolgt die Abstimmung über das von Corbyn eingebrachte „Amendment A“. Es beinhaltet genau die „Customs Union“, die Zollunion mit der E.U., die bereits May versucht hat mit ihrem Scheinabkommen durch das Parlament zu bringen, allerdings auch noch dauerhalt und nicht als Übergangslösung.

Hinweis: Alle Amendments sind formal Ergänzungen zu Mays „Deal“.

Corbyns Amendment ist mit 296 zu 327 Stimmen abgelehnt.

Nächste Abstimmung, „Amendment O“. Eingebracht von den schottischen Separatisten der S.N.P., eher eine Sache der Folklore.

Den Livestream aus dem House of Commons hat etwas von der Atmosphäre vom Tahrir Platz in Kairo , wer sich noch erinnern kann. Gut, eine Militärdiktatur wird schon nicht dabei heraus kommen. Wozu hat man denn die E.U. ..?

Amendment der schottischen Separatisten mit 39 zu 327 abgelehnt.

Nächstes.

„Amendment G“ von Dominic Grieve (s.o.). Jetzt wird es interessant…

Zur Erinnerung: das heutige, zweite Grieve-Amendment ermöglicht zukünftig u.a. einer Minderheit von 46 Prozent der Abgeordneten Gesetze bzw Gesetzesänderungen auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen, z.B. eine Abstimmung über eine Aufhebung des Austritts aus der „Europäischen Union“, also einen Verbleib in der E.U.

Der Saal lehrt sich zur Abstimmung.

Sprecher Bercow ruft „Lock the dooooors….“

Grieve-Amendment mit 301 zu 321 abgelehnt!

Das ist eine sehr positive Entwicklung.

Das Cooper-Amendment kommt noch. Nämlich genau jetzt.

Abstimmung zum Cooper-„Amendment B“. Zur Erinnerung: dieses beinhaltet die „Verschiebung“ des E.U.-Austritts durch Fristverlängerung nach Artikel 50 im „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (s.o.).

„Lock the dooooooors…“ Gleich wird das Ergebnis verkündet.

Jubel auf Seiten der Tories.

Mit 298 zu 321 abgelehnt! Das Cooper-Amendment ist abgelehnt!

Oh wie ich es liebe nicht Recht zu behalten…

Es ist noch nicht vorbei. Jetzt folgt ein weiteres Amendment, was die „Verschiebung“ des E.U.-Austritts beinhaltet.

Das von Rachel Reeves eingebrachte „Amendment J“ beinhaltet ebenfalls die „Verschiebung“ des E.U.-Austritts durch Fristverlängerung nach Artikel 50 im „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (s.o.).

Aber diesmal mit der Wenn-Dann-Klausel, dass die „Verschiebung“ des E.U.-Amendments nur dann in Kraft tritt, wenn Premierministerin May bis zum 25. Februar kein Ausstiegsabkomen durchs Parlament bekommt (was mehr als wahrscheinlich ist).

Mit 290 zu 322 ebenfalls abgelehnt!

Das heisst: der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der „Europäischen Union“ wird heute nicht verschoben. Es bleibt beim 29. März.

Das ist bereits jetzt ein großer Sieg für die Unabhängigkeit des britischen Königreiches und deren Befürworterinnen und Befürworter, den „Lexiteers“ und „Brexiteers“.

Abstimmung über „Amendment I“ von Caroline Spelman. Das Amendent enthält eine relativ ungenaue Bestimmung, die einen Ausstieg aus der E.U. ohne zuvor geschlossenes Abkommen (also einen „No Deal Brexit“) verbietet.

Mit 318 zu 310 angenommen. Schon wieder ein Hammer!

Das Parlament verbietet also einen „harten“ E.U.-Austritt ohne Abkommen. Wie soll das gehen?! Die E.U. braucht nichts als Nein zu sagen und dann kann Britannien nicht aus der E.U. austreten?

Mysterien über Mysterien. Nun, auch darüber wird noch zu berichten sein.

Aaaaaha. Dieses Amendment ist rechtlich unverbindlich, kann also als reine Empfehlung an die Regierung durchgehen, daher wohl auch die Mehrheit.

Nun die Abstimmung über das letzte Amendment. Theresa May hatte zuvor um die Unterstützung dieses „Amendment N“ von Graham Brady ersucht.

Dieses beinhaltet, wie beschrieben, schlicht die Aufforderung an die Regierung irgendetwas mit der E.U. neu zu verhandeln, obwohl die sogar heute noch einmal klar gemacht hat. dass sie nicht verhandeln will (weil sie nicht verhandeln muss).

Theresa May benutzte vorhin mehrfach die Formulierung „special arrangements“. Diese wolle man mit der E.U. treffen. Wie das vonstatten gehen soll, erschließt sich nicht.

Gleich wird das Ergebnis der Abstimmung zu „Amendment N“ verkündet…

Jubel bei den Tories.

Mit 317 zu 301 angenommen.

Rede von Theresa May.

Sie kann nun auftrumpfen. May sieht sich durch die Annahme des Brady-Amendments bestätigt und nimmt dies als Mandat für Neuverhandlungen mit der E.U., um den verhassten „Backstop“, die Einbeziehung Nordirlands in den E.U.-Binnenmarkt auch nach dem E.U.-Austritt, aus ihrem „Deal“ zu streichen.

Die kurze Antwort von Jeremy Corbyn geht unter. Er ist der Verlierer des Tages. Dazu passt, dass er nun entgegen aller Ankündigungen doch zustimmt sich mit May zu treffen, um ein Austrittsabkommen auszuhandeln. Bisher hatte er dies abgelehnt, weil er zuerst von May surrealerweise den Verzicht eines „No Deal Brexits“, also den unbedingten Abschluss irgendeines Austrittsabkommen vor dem 29. März verlangt hatte (wie absurd das ist, wurde bereits beschrieben).

Damit sind die Abstimmungen zur Sache vorbei. Zeit für ein Resumee.

22.00 Uhr

Entgegen der Überschrift dieses Artikels wurde also der Austritt des Vereinigten Königreichs durch das Parlament heute nicht verschoben.

Man muss mit Enttäuschungen gelassen umgehen. =)

Corbyn wird sich warm anziehen müssen. Dieser Versuch, den E.U.-Austritt zu „verschieben“ oder gleich ganz aufheben zu lassen, wird ihn teuer zu stehen kommen. Er hat gerade seine besten und loyalsten Unterstützerinnen und Unterstützer vor den Kopf gestoßen, in jeder Hinsicht falsch gehandelt und falsch gespielt, seiner in verheerender Lage befindlichen Scheingegnerin Theresa May erneut in die Hände gespielt und am Ende schon wieder eine Wende vollzogen.

Meine Prognose: die Umfragen für Labour werden in den Keller rauschen, die von den Tories, trotz aller Niederlagen von May, sich langsam wieder erholen. Die gute Nachricht: die Umfragewerte der „Brexit Party“ von Nigel Farage werden sich im Falle eines „Brexit“ von selbst erledigen. Im Falle einer Verschiebung des E.U.-Austritts wären sie explodiert.

So viel für heute. Nach aktueller rechtlich verbindlicher Lage wird der Moloch „Europäische Union“ am 29. März in Großbritannien vom Hof gejagt. Was eine gute Nachricht wäre, beileibe nicht nur für die Briten.

Es bleibt spannend.