Rüstung als Integrationsprojekt?
Autor: Marius Pletsch
Eurodrohne – Kampfpanzer – Kampfflugzeug
Angesichts der aktuellen EU-Krisensymptome seien „konkrete und bedeutsame Integrationsprojekte“ vonnöten, forderte etwa Bundestags-Präsident Wolfgang Schäuble im Vorfeld der Unterzeichnung des deutsch-französischen „Aachener Vertrages“ am 22. Januar 2019.[1] Allerdings drängt sich derzeit der Verdacht auf, als würde eine weitere EU-Integration hauptsächlich über die Verteidigungs- und Rüstungspolitik forciert. Aus der kleinteiligen, auf viele EU-Länder verteilten Rüstungslandschaft soll künftig ein – deutsch-französisch dominierter – großer Militärisch-industrieller Komplex entstehen. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) gab Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits vor einiger Zeit die rüstungspolitische Marschroute vor: „Wir müssen von den 180 Waffensystemen, die derzeit in Europa nebeneinander bestehen, auf eine Situation wie die der Vereinigten Staaten kommen, wo man nur etwa 30 Waffensysteme hat.“[2]
Und tatsächlich konnte man auf dem Weg dahin bereits einige „Erfolge“ verbuchen: Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit[3] (engl. Permanent Structured Cooperation, kurz: PESCO) und der (möglicherweise illegale[4]) Europäische Verteidigungsfonds (engl. European Defence Fund, kurz EDF) werden zum Beispiel in diesem Zusammenhang als Leuchttürme präsentiert. Ihr Ziel ist es, durch die Förderung und Umsetzung europaweiter Rüstungsprogramme die Konzentration des Sektors voranzutreiben. Deutschland und Frankreich haben sich dieses Ziel ganz besonders zu Herzen genommen, wie zuletzt auch im Aachener Vertrag festgehalten wurde: „Beide Staaten […] intensivieren die Erarbeitung gemeinsamer Verteidigungsprogramme. […] Hierdurch beabsichtigen sie, die Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung der europäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis zu fördern. Sie unterstützen die engstmögliche Zusammenarbeit zwischen ihren Verteidigungsindustrien auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens. Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln.“[5]
Es sind vor allem drei Großvorhaben, die Deutschland und Frankreich derzeit im Auge haben: Der eigentliche Startschuss wurde hierfür beim deutsch-französischen Ministerrat am 13. Juli 2017 gegeben, als der (bereits länger angekündigte) Bau einer Eurodrohne bekräftigt, darüber hinaus aber auch die gemeinsame Entwicklung eines Kampfpanzers und eines Kampfflugzeugs angekündigt wurde.[6] Ziel ist es, dass sich alle drei Großprojekte künftig als europaweite Standardsysteme durchsetzen und deshalb in großen Stückzahlen von den „Verbündeten“ angeschafft werden. Dies wiederum soll die Grundlage liefern, um dann „erfolgreich“ auch auf den Weltmarkt drängen zu können. Nachdem zunächst die drei Projekte vorgestellt werden, sollen abschließend einige Überlegungen angestellt werden, wie wahrscheinlich es ist, dass deren Umsetzung gelingen wird.
1. Eurodrohne (European MALE RPAS)
Von den hier vorgestellten Rüstungsprojekten soll die Eurodrohne als erstes operabel sein, als gewünschtes Auslieferungsjahr wird 2025 genannt. Heron TP Drohnen, die nach Wunsch des Bundesverteidigungsministeriums auch bewaffnet werden sollen, werden bis mindestens 2027 geleast und sollen die Zeit bis zum Eintreffen der Eurodrohne überbrücken. Die deutsche Entscheidung für die Heron TP kann als vorbereitender Schritt zur Eurodrohne gesehen werden. Dadurch soll der künftige Hauptauftragnehmer Airbus Defence & Space laut Bundesregierung „industrielles Know-How“ gewinnen.[7] Die europäische Rüstungsindustrie drängte auf die Entwicklung einer europäischen Drohne, um auf dem wachsenden Weltmarkt mitspielen zu können. Mit dem Argument, so europäische Souveränität und Autonomie herstellen zu können, konnte man offenbar auch überzeugen. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2014 bezog sich Ursula von der Leyen auf den Snowden-Skandal, um für eine europäische Dohnenlösung zu werben.[8] Die Sorge der Industrie war: Entscheidet sich auch Deutschland, wie u.a. Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien für amerikanische Drohnen, würde man keinen Fuß mehr in die Tür bekommen und die Aufträge für größere Drohnen des Typs MALE würden sich auch zukünftig hauptsächlich auf Israel, die USA und China verteilen. Auch der Wehrbeauftragte des Bundestages Hans Peter Bartels äußerte in einem Interview diese Befürchtung.[9] Durch die Leasinglösung, bei der die Drohnen vom israelischen Unternehmen IAI kommen, der Hauptauftragnehmer aber Airbus Defence & Space (D & S) – zuständig für Unterhalt und Wartung der Drohnen – wird, kann man durch den großzügigeren Umgang der Israelis mit den Unterlagen zu der Technologie mehr Erfahrung sammeln.
Die Eurodrohne wird auch etwas sperrig „European MALE RPAS“ genannt, ein Akronym für Medium Altitude Long Endurance Remotely Piloted Aerial System, was eine verharmlosende militärisch-technische Beschreibung ist: Gemeint ist ein ferngesteuertes Luftfahrtsystem, welches sich in mittleren Höhen längere Zeit aufhalten kann. Es ist eine Plattform für Sensoren, die zur Überwachung von großen Gebieten fähig sind und je nach Konfiguration auch selbst Waffen tragen kann.
Eine Absichtserklärung wurde zwischen den Verteidigungsminister_Innen Deutschlands, Frankreichs und Italiens am 18. Mai 2015 unterzeichnet, Ende 2015 schloss sich Spanien der Gruppe an. Am 26. August 2016 wurde der Vertrag für eine zweijährige Definitionsstudie unterzeichnet. Beauftragt wurden die Unternehmen Airbus D&S, Dassault Aviation und Leonardo, die europäische Rüstungsagentur OCCAR wurde mit dem Management der Studie beauftragt. Für die deutsche Seite waren zudem die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt beteiligt.
Die Definitionsstudie ist mittlerweile abgeschlossen. In der Meldung auf der Website von OCCAR heißt es hierzu: „Konzipiert für Flüge im nicht-gesperrten Luftraum, wird die Drohne über folgende Charakteristika verfügen: Missionsmodularität für Einsatzüberlegenheit in Punkto Nachrichtengewinnung, Überwachung und Aufklärung, im weiten Gebiet sowie im Kampfgeschehen. Die teilnehmenden Staaten einigten sich Mitte 2017 auf die Konfiguration des Luftfahrzeugs mit einem doppelten Turboprob-Antrieb. Bis Mitte der nächsten Dekade wird die MALE RPAS weltweit einsatzbereit sein, um Missionen zur Nachrichtengewinnung, Überwachung, Zielerfassung und Aufklärung (engl. Intelligence, Surveillance, Target Acquisition and Reconnaissance, kurz ISTAR) durchzuführen.“[10]
Auffällig ist das Schweigen zu der Frage der Bewaffnung. ISTAR-Missionen werden sowohl von unbewaffneten wie bewaffneten Drohnen geflogen, die Zielauswahl sagt noch nichts darüber aus, ob das „Ziel“ von der Drohne oder einem anderen Waffensystem, wie einem Kampfhubschrauber oder einem Kriegsschiff aus attackiert wird. Die offiziell vorgestellten Modelle zeigen die Drohne stets ohne Bewaffnung.[11] Ursula von der Leyen hatte jedoch bereits 2014 angegeben, eine europäische Drohne würde Waffen tragen können, da die europäischen Partner nur der Entwicklung einer bewaffnungsfähigen Drohne zustimmen würden[12] (auch behauptete sie, es gäbe nur noch bewaffnungsfähige Drohnen in der MALE-Klasse auf dem Markt, weshalb die Bundeswehr eine solche als Zwischenlösung bestellen müsste, wolle man die Aufklärungsmöglichkeiten von Drohnen behalten). In einer Präsentation von Airbus ist jedoch die Eurodrohne mit Bewaffnung im Rahmen des Future Combat Air System (FCAS), also des zukünftigen Luftkampfsystems, zu sehen, die Bewaffnungsfähigkeit scheint also geplant zu sein.[13]
Allein die Definitionsstudie hat 85,79 Mio. Euro gekostet,[14] es wird mit einer Mrd. Euro Entwicklungskosten gerechnet, aber wirklich absehbar sind die Kosten noch nicht. Die Eurodrohne wurde am 19. November 2018 offiziell in die PESCO überführt.[15] Deutschland wird die Führungsrolle bei dem Projekt übernehmen, laut der veröffentlichten Liste wird außer Frankreich, Italien und Spanien auch die Tschechische Republik teilnehmen.[16] Durch die Aufnahme in PESCO qualifiziert sich das Rüstungsprojekt für die Finanzierung durch den 2019 ins Leben gerufenen EDF.[17] Dadurch können bis zu 30 Prozent der Entwicklungskosten durch EU-Gelder abgedeckt werden. 2019 soll die Entwicklungsphase beginnen und der Vertrag dafür unterzeichnet werden. Hauptauftragnehmer soll Airbus D&S werden – ein spanisches Airbuswerk soll beteiligt werden –, zudem werden Dassault und Leonardo, vermutlich auch das tschechische Unternehmen Aero Vodochody ins Drohenboot geholt.
Deutschland möchte bislang die größte Bestellung aufgeben: Sieben Systeme wurden bestellt, wobei ein System aus drei Drohnen besteht, also insgesamt 21, zudem werden 16 Bodenkontrollstationen Teil der Bestellung sein. Italien und Spanien bestellen je fünf Systeme, Frankreich möchte vier abnehmen. Die Eurodrohne soll integriert werden in das FCAS, mehr dazu unter Punkt drei.[18]
2. Kampfpanzer (MGCS)
Auch für die Kampfpanzer Leclerc aus Frankreich und Leopard 2 aus Deutschland soll in Kooperation eine Nachfolge gemeinsam entwickelt werden. Auch hier wird Deutschland wieder die Führungsrolle übernehmen. Beauftragt werden soll der Zusammenschluss aus der deutschen Panzerschmiede Kraus-Maffei Wegman und der französischen Nexter: Kraus-Maffei Wegman, Nexter Defence Systems (KNDS). Damit auch der andere große deutsche Panzerbauer nicht zu kurz kommt, ist für das Hauptgeschütz Rheinmetall im Gespräch. Im Juni 2018 sollte gezeigt werden, dass die Panzerproduzenten aus den beiden Ländern zusammenarbeiten können, jedoch war der vorgestellte Euro Main Battle Tank (Euro MBT) keine Neuentwicklung, sondern eine Kombination aus den Panzern der beiden Unternehmen. Das Unterteil wurde vom Leopard 2 genommen, der Geschützturm vom Leclerc. Durch dieses Zusammenwürfeln der beiden Panzermodelle reduziert sich die nötige Besatzung um ein Mitglied zum Leopard 2.[19]
Am Rande des Ministerratstreffens vom 19. Juni 2018 wurde eine Absichtserklärung unterzeichnet, die das Vorhaben nochmals bekräftigte. Die beiden Staaten wollen jeweils ein Konzept entwerfen, auf dessen Basis sich dann auf einen gemeinsamen Entwurf geeinigt werden soll. Fest steht, dass es nicht nur um den Kampfpanzer selbst gehen soll. Das MGCS (Main Ground Combat System) soll ein Verbundsystem sein, aus dem bemannten Kampfpanzer und anderen unbemannten Subsystemen.
Frank Haun, Vorsitzender von Kraus-Maffei Wegmann, freut sich über den steigenden Bedarf und die kommenden Aufträge: „Wir hatten letztes Jahr den stärksten Umsatz unserer Firmengeschichte, und wir werden mittelfristig weiterwachsen. Wir haben alleine in Europa so altes Gerät im Einsatz, dass man damit bald keine Soldaten mehr verantwortungsvoll in den Einsatz schicken kann. Hier geht es um gepanzerte Systeme und Artillerie. Das sind Megathemen, mit einem Gesamtvolumen in Europa von über einhundert Milliarden Euro bis 2050. Wenn wir – und damit meine ich KNDS, den Zusammenschluss zwischen KMW und Nexter – davon nur die Hälfte abbekommen, sind wir glücklich.“[20]
Von den hier vorgestellten Vorhaben ist das MGCS derzeit noch am unklarsten und könnte durch eine im Raum stehende Fusion von Rheinmetall und KMW noch weiter verkompliziert und verzögert werden.[21]
3. Kampfflugzeug (NGWS im FCAS)
Zuletzt soll das geplante Kampfflugzeug der nächsten Generation näher betrachtet werden. Das Kampfflugzeug wird dabei unter dem Namen Next Generation Weapons System (NGWS) geführt, also ein Waffensystem der nächsten Generation. Mit der dann sechsten Generation sollen die Kampfflugzeuge Rafale und Eurofighter ersetzt bzw. ergänzt werden. Das NGWS besteht aus dem bemannten Kampfflugzeug und mehreren unbemannten Subsystemen. Bemannte Maschinen sollen mit Drohnen vernetzt und koordiniert agieren, im sogenannten „Manned Unmanned Teaming“. Erste Tests mit Drohnenschwärmen liefen bereits.[22] Das NGWS soll im Future Combat Air System (FCAS) eingebunden sein. Ein mögliches Szenario wäre: Mehrere Kampfflugzeuge steigen in die Luft, um zu einem durch Satelliten aufgeklärten Ziel zu gelangen. Die Flugzeuge werden von mehreren vom Radar schwer zu erkennenden Drohnen begleitet, die bevor die bemannten Flieger feindlichen Luftraum durchfliegen, die Luftverteidigung des Gegners ausschalten. Hinter dem NGWS überwacht die Eurodrohne die Aktivitäten am Boden. Das militärische Gerät ist miteinander vernetzt und kann permanent Informationen austauschen, die Pilot_Innen des Kampfflugzeugs können Aktionen von z.B. Drohnen kontrollieren oder befehligen. Dazu wird schnelle Kommunikation benötigt, eine solche satellitengestützte Datenautobahn wird derzeit durch Airbus aufgebaut: mit den European Data Relay Sattelite System (EDRS). Geht es nach dem Bund der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, soll das EDRS ein Teil des Nervensystems des FCAS sein.[23]
Ab 2025 soll es bereits einen ersten Demonstrator des NGWS geben, es wird jedoch nicht vor 2035 einsatzbereit sein. Allein die Entwicklungskosten werden auf 80 bis 100 Mrd. Euro geschätzt, der erhoffte Umsatz liegt noch weit höher: „De facto bestimmen [Deutschland und Frankreich über] die Industrieführerschaft für die begehrtesten militärischen Großaufträge Europas. Sie dürften den beteiligten Firmen bis 2040 zusammen Umsätze im dreistelligen Milliardenbereich bescheren. Der Verkauf des (FCAS) wird laut Schätzungen aus der Branche einen Umsatz von 500 Milliarden Euro bringen.“[24]
Weil davon nicht unwesentlich die Realisierungschancen des Projektes abhängen werden, wird die Frage interessant sein, ob beabsichtigt wird, eine Zertifizierung für die nukleare Teilhabe anzustreben. Hierzu steht schon derzeit eine wichtige Entscheidung an, dazu ein kurzer Exkurs.
Exkurs: Tornado Nachfolge – wichtige Entscheidung für nukleare Teilhabe und FCAS
Für das FCAS steht eine wichtige Entscheidung an. Für den Mehrzweckbomber Tornado wird derzeit eine Nachfolge gesucht. Nach 2025 wird es schwer bis unmöglich die Bomber in der Luft zu halten, da kaum mehr Ersatzteile verfügbar sind. Die Entscheidung ist von großer strategischer Bedeutung für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, da derzeit Tornados in Büchel bereitstehen, um im Ernstfall US-Atombomben des Typs B-61 im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe über „feindlichem Gebiet“ abzuwerfen. Am 31. Januar 2019 gab es eine Vorfestlegung: Das von der Luftwaffe favorisierte Kampfflugzeug mit Tarnkappeneigenschaften F-35 soll nicht länger in der engeren Auswahl sein, es wird eine Entscheidung zwischen Eurofighter und F/A-18 fallen. Zudem wurde bekanntgegeben, man wolle die 33 ältesten Eurofighter durch neue ersetzen. Für die Tornado-Nachfolge gibt es nun folgende Optionen, oder ein Mix aus diesen: A) Die Tornados mit neuen Eurofighter ersetzen. B) noch nicht näher spezifizierte Modelle des US-Flugzeugs F/A-18 von Boeing.[25]
Über Option A) wäre Airbus sehr glücklich, die Möglichkeit US-Atomwaffen abzuwerfen, könnte man auch im Eurofighter realisieren, hört man von der Unternehmensseite. Dazu sagte Dirk Hoke, CEO von Airbus: „Die Eurofighter-Produktion – etwa in Manching und Augsburg – könnte weiterlaufen, und Europas technologische Kompetenz, Kampfflugzeuge zu bauen, würde gestärkt. Außerdem: Wenn sich Deutschland für die F-35 entscheidet, fürchte ich, wäre insbesondere die langfristige Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich im Bereich Militärflugzeugbau nicht zu halten.“[26] Doch die Umrüstung ist teuer – der Eurofighter wurde nicht für die Übernahme der Aufgaben von Jagdbombern konzipiert – und es ist alles andere als sicher, dass die USA den Eurofighter für den Abwurf ihrer Atombomben zertifizieren würden. Jedoch könnten in neu bestellte oder modernisierte Eurofighter die technischen Voraussetzungen für das FCAS integriert werden, somit könnte man im Eurofighter erste Erfahrungen mit dem FCAS und der Verbindung mit der Eurodrohne ab 2025 oder mit Drohnenschwärmen, die erst kürzlich getestet wurden, sammeln. Frankreich hat einen Auftrag vergeben, Rafale-Flugzeuge für 1,9 Mrd. Euro FCAS-fähig zu machen.[27]
Mit Option B) wäre die nukleare Teilhabe vermutlich sichergestellt – auch wenn die modernsten Versionen der F-18 auch noch nicht die dafür notwendige Zertifizierung für US-Atomwaffen besitzen. Außerdem könnte man gegenüber US-Präsident Donald Trump guten Willen zeigen, dessen Administration mit Deutschland bekanntlich alles andere als glücklich ist.[28] Eine Integration des Flugzeugs ins FCAS ist darüber hinaus kaum vorgesehen, es würde also die europäische Eigenentwicklung weniger gefährden als der Zukauf der F-35.
Es bleibt aber unklar, ob der derzeitige Bestand von Tornados – also rund 80 Flugzeuge – komplett durch die F/A-18 ersetzt werden soll. Weiterhin ist deshalb ein Mix aus den beiden Optionen möglich: Eurofighter werden gekauft, um es Frankreich gleich zu tun und schon FCAS-fähige Kampfflugzeuge zur Verfügung zu haben und außerdem der heimischen Industrie in Zeiten einer drohenden Rezession einen größeren Auftrag zu verschaffen, der im Vergleich mit dem NGWS relativ schnell umgesetzt werden kann. Zudem könnte eine Mindestanzahl von US-Fliegern gekauft werden, um Trump zu besänftigen und sich weiterhin den nuklearen Schirm der USA zu erhalten. Der Plan die F/A-18 von den USA zu kaufen erregt derzeit aber die SPD laut Berichten der Süddeutschen Zeitung. Man wolle in Zeiten, in denen Trump aus dem INF-Vertrag aussteigt und somit ein neues nukleares Wettrüsten droht, dieses Verhalten nicht noch durch den Einkauf von US-Flugzeugen belohnen. Konsequent gegen die nukleare Teilhabe stellen sich die Genoss_innen nicht, sie wollen nur nicht, dass die US-Bomben im Ernstfall auch von US-Flugzeugen ins Ziel getragen werden.[29]
Wie die Sache schlussendlich ausgehen wird, bleibt aktuell noch abzuwarten – in jedem Fall lässt sich festhalten, dass die Entscheidung gegen die F-35 als klares Votum für den Bau eines deutsch-französischen Kampfflugzeugs zu werten ist.
Einigkeit durch Aufrüstung – ein Irrweg!
Frankreich und Deutschland wollen der Motor sein, um die EU aus dem Integrationsstau zu befreien. Der Bereich, in dem sich derzeit am meisten bewegt, ist der Rüstungssektor und die neu geschaffenen Strukturen und Initiativen im Verteidigungsbereich. Hier wurden bedeutende und gleichzeitig beunruhigende Schritte eingeleitet, wobei die beschriebenen Rüstungsgroßprojekte dabei gewissermaßen die Speerspitze darstellen.
Eine erste Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, ob nicht der deutsch-französische Motor doch noch ins Stottern kommen könnte – schließlich ist man sich auch in anderen militärpolitischen Fragen immer wieder alles andere als einig.[30] Nicht zuletzt gab es wiederholt harte Auseinandersetzungen, ob ein deutscher oder ein französischer Konzern die Systemführerschaft bei den jeweiligen Rüstungsgroßprojekten übernehmen wird. So beschuldigen sich beide Seiten in schöner Regelmäßigkeit gegenseitig, die andere übervorteilen zu wollen. Ein Beispiel aus Deutschland: „Im Wissen um diesen überhöhten politischen Druck in Deutschland versuchen die französischen ‚Partner‘ alle lukrativen Anteile für sich zu beanspruchen. ‚Falls Paris in einem oder zwei Jahren einen rein französischen Vorschlag vorlegt für ein Projekt, das am Ende 100 Milliarden Euro oder mehr kostet, wird Deutschland, das viel Geld in das Vorhaben investieren wird, dies nicht akzeptieren‘, warnte Dirk Hoke, CEO Airbus Defence and Space, bezogen auf FCAS in einem Interview. ‚Deutschland wird das Gefühl haben, dass 80 oder 90 Prozent des Projektes in Frankreich definiert worden sind. Das wird nicht akzeptabel sein.‘ Ähnliches berichten auch Verantwortliche für das MGCS-Projekt im Bereich der Bundeswehr. Sie würden jede Woche neue Überraschungen erleben.“[31]
Angesichts des großen politischen Interesses auf beiden Seiten deutet aber viel darauf hin, dass diese Probleme irgendwie adressiert werden dürften. Entscheidender dürfte sein, ob es Deutschland und Frankreich gelingen wird, die anderen EU-Länder mit ins Rüstungsboot zu holen. Denn eine Kooperation auf auch nur annähernder Augenhöhe ist durch die Konzentration der zentralen Entscheidungen sowohl über die Projekte als auch über die Hauptproduktionsstandorte in den beiden tonangebenden Staaten kaum gegeben. Spanien möchte z.B. am künftigen Kampfflugzeug beteiligt sein, Verteidigungsministerin Margarita Robles schrieb Ende 2018 einen Brief an die deutschen und französischen Ministerinnen, ihr Land strebe eine gleichwertige Partnerschaft bei dem Projekt an. Davon wollen Deutschland und Frankreich aber nichts wissen – im Augenblick stellen sich die beiden Länder das künftige Verfahren bei relevanten Rüstungsprojekten in etwa so vor: Sie einigen sich auf bestimmte Großprojekte und legen im Alleingang sämtliche Spezifikationen (inklusive der Systemführerschaft) fest. Ist dies geschehen, ist es gewünscht, dass andere Länder sich einklinken – de facto werden sie dazu gedrängt –, um so das Gesamtvolumen nach oben zu treiben und dadurch die Stückkosten zu senken.
Weshalb aber EU-Länder, die (noch) über eine starke eigenen Rüstungsindustrie verfügen, ihren Unternehmen zugunsten deutscher und französischer Konzerne den Boden – sprich: die Aufträge – unter den Füßen wegziehen sollten, bleibt überaus fraglich (Schweden, also Saab im Falle des Gripen, kommt hier etwa in den Sinn). Mindestens ebenso gering dürfte die Motivation vieler Länder sein, anstatt der – ungleich günstigeren – Konkurrenzvarianten, wie im Falle des Kampfflugzeugs der US-amerikanischen F-35, massive Mehrkosten in Kauf zu nehmen, nur um die deutsch-französische Rüstungsbasis zu stärken und deren Konzernen satte Profite zuzuschanzen. Während die beiden großen Staaten die Aufträge an die Standorte in ihren Ländern verteilen, bleiben für andere Länder höchstens Zuliefererdienste. Ob dies der unter anderem von Spanien eingeforderten Partnerschaft auf Augenhöhe entspricht, ist doch mehr als fraglich.
Teilweise wurde der Unmut bereits offen zum Ausdruck gebracht. Viele Weg-, Ziel- und grundsätzliche Interessenskonflikte wurden nicht gelöst und scheinen auch nur schwer auflösbar. Im Augenblick scheinen Deutschland und Frankreich im Sinn zu haben, ihren Kopf mit der Brechstange durchzusetzen, indem Staaten, die sich nicht an den Rüstungsprojekten beteiligen, in absehbarer Zeit ein Ausschluss aus der PESCO und damit von zentralen militärpolitischen Fragen angedroht werden könnte. Von den friedenspolitischen Folgen der Rüstungsgroßprojekte ganz abgesehen, zeigt sich hier auch überdeutlich, dass sie als eine Art Integrationsmotor gänzlich ungeeignet sind.
Anmerkungen
[1] Ziedler, Christopher (2019): Schäuble fordert neue Schritte für Europa. In: Stuttgarter Zeitung, 20.1.2019.
[2] Gutschker, Thomas/Lohse, Eckart (2018): Existenzfragen für Europa. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 3.6.2018, S. 2 f.
[3] Siehe für eine ausführliche Analyse der PESCO und der beschlossenen Projekte: Wagner, Jürgen (2018): PESCO-Rüstungsprojekte. IMI-Analyse 2018/25, 27.11.2018.
[4] Siehe Rechtsgutachten von Fischer-Lescano, Andreas (2018): Rechtsgutachten zur Illegalität des Europäischen Verteidigungsfonds.
[5] Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration, 22. Januar 2019, Kap. 2, Art. 4.
[6] Bundesregierung (2017): Gemeinsame Erklärung zum Deutsch-Französischen Ministerrat, 13.7.2017.
[7] Drucksache 18/7725 (26.2.2016), S. 13.
[8] Nico Fried, Christoph Hickmann (Süddeutsche Zeitung, 2.7.2014): „Das Gefühl von Sicherheit ist eine Momentaufnahme“, S. 6.
[9] Herholz, Andreas (2016): „Keine gezielten Tötungen“. In: Passauer Neue Presse, 13.1.2016.
[10] OCCAR (2018): The European MALE RPAS programme successfully passed the System Preliminary Design Review as final milestone of the Programme Definition Study. In: OCCAR.int, 13.12.2018.
[11] Borchers, Detlef (2018): EuroMALE: Airbus zeigt Modell der europäischen Drohne. In: Heise.de, 27.4.2018.
[12] Nico Fried, Christoph Hickmann (Süddeutsche Zeitung, 2.7.2014): „Das Gefühl von Sicherheit ist eine Momentaufnahme“, S. 6.
[13] Jane’s by IHS Markit (2019): Euro fighter: Franco-German Future Combat Air System takes shape. In: Youtube.com, 17.1.2019, 0:29.
[14] Drucksache 19/4509, S. 7.
[15] Permanent Structured Cooperation (PESCO) updated list of PESCO projects – Overview,
[16] Vgl. Ebd.
[17] 2019 und 2020 firmiert der Fonds noch mit einem geringeren Budget (bis zu 2,5 Mrd.) unter dem Titel European Defence Industrial Development Programme (EDIDP).
[18] Wagner, Jürgen (2018): PESCO-Rüstungsprojekte. IMI-Analyse 2018/25, 27.11.2018.
[19] Hegmann, Gerhard (2018): Unten deutsch, oben französisch – Der seltsame neue Euro-Panzer. In: Welt.de, 12.6.2018.
[20] Fasse, Markus/Riedel, Donata (2018): 5000 neue Kampfpanzer für Europa – Krauss-Maffei wittert 100-Milliarden-Euro-Geschäft. In: Handelsblatt.de, 25.4.2018.
[21] Hanke, Thomas/Murphy, Martin/Riedel, Donata (2018): So wollen Deutschland und Frankreich ihre Rüstungsindustrie neu aufstellen. In: Handelsblatt.de, 26.11.2018.
[22] Monroy, Matthias (2018): Airbus arbeitet an tödlichem Drohnenschwarm. In: Telepolis.de, 18.9.2018.
[23] BDLV (2018): Positionspapier zur Deutsch-Französischen Kooperation im Bereich Future Combat Air System. In: BDLV.de, 6/2018.
[24] Hanke, Murphy, Riedel (2018).
[25] Wiegold, Thomas (2019): Tornado-Nachfolge: Entscheidung zwischen Eurofighter und F/A-18 – F-35 aus dem Rennen. In: Augengeradeaus, 31.1.2019.
[26] Stahl, Stefan (2018): Dieser Mann plant mit Airbus das Kampfflugzeug der Zukunft. In: Augsburger-Allgemeine.de, 13.1.2018.
[27] Cabriol, Michel (2019): La France lance une nouvelle version très connectée du Rafale. In: LaTribune.fr, 14.1.2019.
[28] Konfliktfelder gibt es reichlich, sei es der Handelsstreit, die in Trumps Augen zu niedrigen Verteidigungsausgaben, womit Deutschland nicht „seinen Anteil“ an der NATO zahlen würde oder das im Bau befindliche Gaspipelineprojekt Nord Stream 2, welches russisches Gas durch die Ostsee nach Greifswald bringen soll, um nur einige Beispiele zu nennen.
[29] Szymanski, Mike (2019): Die SPD will nicht bei Trump kaufen. In: Süddeutsche Zeitung, 31.1.2019.
[30] Um erneut nur einige Beispiele anzureißen: Macron möchte hin zu einer vollwertigen Europäischen Armee, von der Leyen spricht aber lieber von der „Armee der Europäer“. An Macrons Europäischer Interventionsinitiative (E2I) wurde sich nur vorsichtig herangetraut, eine Absichtserklärung, der Initiative beizutreten, wurde 2018 unterschrieben, doch auf deutscher Seite bleibt man skeptisch. Deutschland würde gerne mehr Kooperationen mit EU- und NATO-Staaten bei der Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern eingehen, während Frankreich den Kreis der Beteiligten lieber klein halten würde.
[31] Burghard Lindhorst (2019): Bundeswehr erneut Spielmasse. In: Newsletter Verteidigung, 3/2018, S. 4.
Erstveröffentlichung am 1. Februar 2019 auf Informationsstelle Militarisierung e.V.