Kriminalisierung von Tor-Servern stoppen
Pressemitteilung von Reporter ohne Grenzen vom 5.7.2019
Das Bundesinnenministerium möchte den Betrieb von Tor-Servern kriminalisieren und damit unter anderem erreichen, gegen Whistleblowing-Plattformen wie etwa Wikileaks ermitteln zu können. Außerdem droht Anonymisierungsdiensten das Aus, mit denen Exilmedien brisante Informationen aus Krisen- und Kriegsgebieten erhalten können. Dies ist das Ergebnis einer interdisziplinären Analyse des sogenannten Darknet-Paragrafen durch Juristen, IT-Experten und Menschenrechtsaktivisten. Die Pläne verunsichern bereits jetzt deutsche Betreiberinnen und Betreiber von Tor-Servern, die 30 Prozent des weltweiten Tor-Netzes ausmachen. Wegen ihrer Bedeutung hätte ein Rückgang des Engagements in Deutschland gravierende Folgen für das gesamte Anonymisierungsnetzwerk.
„Wir wehren uns gegen die Kriminalisierung unseres Einsatzes für Anonymität im Internet. Nur weil wir Tor-Knoten betreiben, sind wir nicht kriminell“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Die Organisation unterstützt das Tor-Netzwerk mit zwei Servern, um Journalistinnen und Journalisten die Umgehung von Zensur zu ermöglichen. „In unseren Trainings zur digitalen Sicherheit erleben wir täglich, wie wichtig ein VPN oder der Tor-Browser für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten geworden ist. Solche Angebote gilt es im Zeitalter zunehmender Überwachung zu stärken, anstatt zu kriminalisieren.“
Die Stellungnahme zum „Darknet-Paragrafen“ ist hier abrufbar. Verfasst haben sie Moritz Bartl vom Verein Zwiebelfreunde, welches einer der größten Betreiber von Anonymisierungsinfrastruktur weltweit ist, sowie Daniel Moßbrucker als Referent für Internetfreiheit von Reporter ohne Grenzen und Dr. Christian Rückert von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der unter anderem Mitglied der Expertenkommission der Justizministerkonferenz in der Länderarbeitsgruppe „Digitale Agenda Straf- und Strafprozessrecht“ ist.
Argumente des Innenministeriums juristisch nicht haltbar
Seit Monaten kursieren auf Bundes- und Landesebene Gesetzesentwürfe, die den Betrieb von Handelsplattformen im sogenannten Darknet unter Strafe stellen sollen. Dazu verabschiedete der Bundesrat einen Entwurf, der in einem Leak auf dem Blog netzpolitik.org in einer verschärften Version des Bundesinnenministeriums wieder auftauchte. Das BMI gibt vor, damit den Betrieb von Marktplätzen unter Strafe zu stellen, wenn dort zum Beispiel Drogen oder gestohlene Daten illegal vertrieben würden. Aufgrund einer Lücke im deutschen Strafrecht sei dies gar nicht oder nur sehr schwer möglich.
Während alle an der Stellungnahme beteiligten Organisationen und Institutionen den Kampf gegen „Darknet“-Kriminalität im Grundsatz unterstützen, schießen die vorgelegten Gesetzesentwürfe deutlich über das Ziel hinaus. Die Argumentation des Innenministeriums ist rechtswissenschaftlich nicht haltbar. Vermeintliche Lücken im Strafrecht bestehen bei genauer Analyse nicht, vor allem aber sind die geplanten Befugnisse so weitgehend, dass der bloße Betrieb von Anonymisierungsdiensten kriminalisiert werden kann. Es ließe sich ein Anfangsverdacht herstellen, um zum Beispiel Server zu beschlagnahmen. Bei drei Vertretern der Zwiebelfreunde ist dies vergangenes Jahr bereits passiert, wobei jedoch die Durchsuchungen bayerischer Ermittler anschließend für rechtswidrig erklärt wurden. Die Maßnahme hat unter Aktivistinnen und Aktivisten für Anonymität im Internet dennoch für Verunsicherung gesorgt.
Mit Gesetz könnte gegen Wikileaks vorgegangen werden
Anstatt nur gegen illegale Marktplätze vorzugehen, könnten den Plänen des Innenministeriums nach auch viele wünschenswerte Anwendungen des „Darknet“ – aber auch im sonstigen Internet – kriminalisiert werden. Zwar soll es eine Ausnahme für „Darknet“-Dienste geben, die ausschließlich von Medien genutzt werden, doch hierzu würde in der Praxis nur die Secure-Drop-Technologie zählen. Damit setzen sich Redaktionen einen eigenen „Darknet“-Server auf, der als anonymer Briefkasten für Quellen dienen soll. In Deutschland betreibt unter anderem die Süddeutsche Zeitung eine Secure Drop.
Die Whistleblowing-Plattform Wikileaks hingegen könnte sich auf die Ausnahme nicht berufen, obwohl sie mit hunderten Medien weltweit kooperiert. Gegen Menschen, die für Wikileaks arbeiten, könnte auf Basis des „Darknet-Paragrafen“ ermittelt werden. Auch die Nutzung des Filesharing-Programms Onion Share wäre illegal, obwohl es gerade bei Exilmedien beliebt ist. Mit ihr können Reporterinnen und Reporter in autokratischen Ländern vollständig anonym große Datenmengen wie zum Beispiel Videos zu Medien schicken, die das Material in Sicherheit verarbeiten und veröffentlichen.
Verunsicherung in deutscher Tor-Szene
Die Autoren warnen in ihrer Analyse vor einer einschüchternden Wirkung, die ein solch breit gefasster „Darknet-Paragraf“ gerade für Betreiberinnen und Betreiber von Tor-Servern in Deutschland hätte. Deutschland steht weltweit an erster Stelle, was die Gesamtkapazität des Netzwerks betrifft, denn aktuell läuft fast ein Drittel des Tor-Netzverkehrs über deutsche Server. Das aktuelle Register zählt über 1.300 Knoten allein in Deutschland.
Der „Darknet-Paragraf“ würde es erheblich erleichtern, einen Anfangsverdacht wegen der Ermöglichung von Straftaten zu begründen. Damit könnten Strafverfolgungsbehörden gegen Personen vorgehen, die einen Tor-Server betreiben, etwa indem sie die Computer beschlagnahmen oder überwachen. Diese Kriminalisierung des ehrenamtlichen Engagements für Anonymität im Internet hätte mutmaßlich abschreckende Effekte, sodass weniger Server in Deutschland am Netz wären – und die Stabilität des Tor-Netzwerkes insgesamt betroffen wäre. Beim Verein Zwiebelfreunde sind in den vergangenen Wochen bereits Nachfragen verunsicherter Betreiberinnen und Betreiber eingegangen.
„Darknet-Paragraf“ darf in beiden Versionen nicht kommen
Die Autoren empfehlen, sowohl die Pläne des Innenministeriums als auch des Bundesrates umgehend zu verwerfen, zumal die angeblichen Strafrechtslücken ohnehin nicht existieren. Dies war auch das Ergebnis bei einem Fachgespräch im Bundestag auf Einladung der Grünen-Bundestagsfraktion am Montag in Berlin (LINK). Stattdessen empfehlen die Autoren der Stellungnahme zur effektiven Strafverfolgung eine personelle und technische Aufstockung der bundes- und Landespolizeien, insbesondere im Bereich ausgebildeter IT-Fachkräfte. Hierfür sollten auch die bereits bestehenden Schwerpunktstaatsanwaltschaften aus dem Bereich Cybercrime gestärkt werden.
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