Konflikte am Golf und eine neue Phase des Wettrüstens
Rede beim Antikriegstag in Stuttgart
Konflikte am Golf und eine neue Phase des Wettrüstens: Auf den heißen Sommer droht ein stürmischer Herbst
Lieber Friedensfreundinnen und Freunde,
leider hatten wir dieses Jahr nicht nur klimatisch, sondern auch friedenspolitisch einen heißen Sommer: Im schlimmsten Fall braut sich gerade ein weiterer Krieg am Golf zusammen, während gleichzeitig das Wettrüsten zwischen den Großmächten mit dem Ende des INF-Vertrages in eine neue Runde geht.
Ursprünglich waren mit dem Atomabkommen vom Juli 2015 (Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA)) große Hoffnungen verbunden. Der Weg für eine schrittweise Deeskalation schien geebnet, indem im Austausch für die Beendigung der westlichen Sanktionen das iranische Atomprogramm mit strikten Auflagen belegt wurde.
Diesen „Deal“ hatte US-Präsident Donald Trump aber vom ersten Tag seiner im Januar 2017 beginnenden Präsidentschaft auf dem Kieker.
Im Mai 2018 war es dann soweit: Die USA stiegen aus dem Atomabkommen aus und kündigten neue Sanktionen an.
Seither bewegt sich die Welt immer härter am Abgrund eines neuen Golfkrieges. Als im Juni 2019 – unter bislang völlig ungeklärten Umständen – eine US-Drohne abgeschossen wurde, soll eine Bombardierung des Iran durch die USA Berichten zufolge sogar erst in der letzten Sekunde abgeblasen worden sein.
Dann folgten die Auseinandersetzungen um die – rechtlich völlig fragwürdige – Beschlagnahmung des iranischen Tankers „Grace 1“, auf die Teheran wiederum mit der Festsetzung eines britischen Schiffes, der „Stena Impero“, reagierte.
Sofort setzten daraufhin die Forderungen nach einer Entsendung westlicher Kriegsschiffe zum Schutz – oder, je nach Sichtweise: zur Kontrolle – der Schifffahrtswege am Persischen Golf ein.
Vor wenigen Tagen kündigte US-Verteidigungsminister Mark Esper nun an, der US-geführte Einsatz „Operation Sentinel“ habe unter Beteiligung von Kriegsschiffen aus Großbritannien, Australien und Bahrain bereits begonnen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
das Ganze hat Großes Eskalationspotenzial und es besteht Anlass zur Sorge, dass zumindest manche Akteure in der US-Regierung genau das beabsichtigen.
Deshalb ist es auch völlig richtig, dass sich Deutschland und andere EU-Staaten nicht an diesem Einsatz beteiligen wollen.
Wenn uns jetzt aber im selben Atemzug die Entsendung deutscher Kriegsschiffe im Rahmen einer eigenständigen EU-Marinemission als „deeskalierende Maßnahme“ verkauft wird, dann zieht mir das wirklich die Schuhe aus.
Die Idee vertritt unter anderem Außenminister Heiko Maas und auch der Grünen-Chef Robert Habeck kann einem solchen Einsatz einiges abgewinnen.
Um „Deeskalation“ geht es dabei aber selbstredend nicht – und das hat Habeck zum Beispiel in seinem Interview auch klar gemacht: „Europa muss weltpolitikfähig werden“, so Habecks Begründung, weshalb ein solcher Einsatz notwendig sei.
Noch deutlicher wurde Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: Der „Exportweltmeister Deutschland“ dürfe bei dem Gerangel um eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten in einer der geopolitisch bedeutendsten Weltgegenden nicht von der „Reservebank aus zuschauen“.
Auch der „Bund Deutscher Industrieller“ (BDI) spricht sich für einen Marineeinsatz aus. In einem seiner Hausblätter, der Wirtschaftswoche, titelte am 10. August Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München: „Kein Blut für Öl?“ – man beachte das Fragezeichen!
Darin schrieb er: „Natürlich muss Deutschland seine wirtschaftlichen Interessen notfalls auch militärisch verteidigen.“
Vor Kurzem, am 28. August, legte Masala zusammen mit Christian Mölling und Torben Schütz von der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ mit dem Papier „Deutschlands Optionen für einen Marineeinsatz in der Straße von Hormus“ nach.
Darin wird detailliert beschrieben, mit welchen militärischen Mitteln ein EU-Marineeinsatz durchgeführt werden könnte und seine „Notwendigkeit“ dabei folgendermaßen begründet:
„Als im- und exportabhängige Nation hat Deutschland ein vitales Eigeninteresse an der Freihaltung der Seewege. Berlin sollte zum Erhalt seines Gestaltungsanspruchs und zur Wahrung seiner Interessen eine Mission mitentwickeln und sie gegebenenfalls führen.“
Liebe Freundinnen und Freunde,
auch wenn ein solcher Einsatz nach aktuellem Stand – noch – nicht unmittelbar bevorzustehen scheint, der Druck in diese Richtung ist doch enorm.
Deshalb muss von unserer Seite klar gesagt werden:
Wir wollen keine US-Kriegsschiffe am Golf! Wir wollen aber auch keine deutschen Kriegsschiffe! Wir wollen überhaupt keine Kriegsschiffe!
Auch mit Blick auf die Aufkündigung des INF-Vertrages zum Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen (500km bis 5.500km) braut sich leider einiges zusammen.
Beide Parteien, die USA wie auch Russland, haben sich gegenseitig die Verletzung des 1987 unterzeichneten Vertrages vorgeworfen.
Russland argumentierte, die von den USA in Osteuropa im Zusammenhang mit dem Raketenabwehrsystem stationierten Raketen könnten per einfachen Softwareupdate zu offensiven, vertragsverletzenden Waffen „umprogrammiert“ werden.
Das ist im Übrigen weitgehend unstrittig – dennoch wird so getan, als sei Russland allein Schuld am Ende des Vertrages.
Russland wurde wiederum vor allem von den USA vorgeworfen, mindestens 64 Marschflugkörper des Typs 9M729 (NATO-Name: SSC-8) stationiert zu haben, die eine Reichweite von 2500km hätten.
Russland hielt dagegen, die Reichweite betrage 480km, weshalb keine Vertragsverletzung vorliege.
Was stimmt, können wir unmöglich beurteilen. Russland bot aber die Möglichkeit an, über Vor-Ort-Inspektionen die strittigen Fragen zu klären.
Davon wollten die USA aber absolut nichts wissen – und ich frage mich, aus welchem Grund das so war. Der einzige, der mir einfällt ist, dass Washington den Vertrag unter allen Umständen beerdigen wollte!
Auch der spätere russische Vorschlag für ein einstweiliges Moratorium auf die Stationierung landgestützter Mittelstreckenraketen wurde von den USA in den Wind geschlagen.
So kam es, wie es das Drehbuch vorgesehen hatte: Am 2. Februar erklärten die USA ihren Ausstieg aus dem INF-Vertrag und nach einer sechsmonatigen Übergangsphase ist er nun seit dem 2. August 2019 Geschichte.
Damit wurde nach dem Raketenabwehrvertrag (2001) der zweite der drei zentralen amerikanisch-russischen Rüstungskontrollverträge zur Begrenzung eines atomaren Wettrüstens fahrlässig – oder, schlimmer noch: wahrscheinlich willentlich – von Washington abgetakelt.
Und auch die Tage des dritten Vertrags scheinen gezählt.
Dabei handelt es sich um „New Start“, der Obergrenzen für atomare Langstreckenwaffen festlegt.
Er läuft am 5. Februar 2021 aus und die USA legen derzeit keine Bereitschaft an den Tag, über eine Verlängerung zu diskutieren.
Trumps Nationale Sicherheitsberater, John Bolton, bezeichnete eine Verlängerung des Vertrages als „unwahrscheinlich“.
Liebe Freundinnen und Freunde,
uns droht nicht nur ein neues Wettrüsten, wir sind bereits mittendrin.
Am 3. August, nur einen Tag nach dem Ende des INF-Vertrages, kündigte US-Verteidigungsminister Mark Esper an, „so schnell wie möglich“ Mittelstreckenraketen in Ostasien stationieren zu wollen.
Und auch für die Debatte in Europa und speziell in Deutschland hat das Ende des Vertrages gravierende Folgen.
Aktuell schlägt die Stunde der alten und neuen Kalten Krieger: Der emeritiert Politikprofessor Christian Hacke darf etwa im Deutschlandfunk schwadronieren, es gehe international darum „sind wir Hammer oder sind wir Amboss?“
Und mit der Feststellung, Deutschland sei „als Nicht-Nuklearmacht einfach Amboss“ durfte er im öffentlich-rechtlichen Rundfunk für eine deutsche Atombombe die Werbetrommel rühren.
Andere, wie der bereits erwähnte Wolfgang Ischinger, plädieren dagegen für einen Umweg über die „Europäisierung“ der französischen Atomwaffen, das macht es aber auch keinen Deut besser.
Und was die Frage einer neuen Nachrüstung in Form einer Stationierung von konventionellen oder sogar atomaren Mittelstreckenraketen in Europa anbelangt, will Carlo Masala, dass „alle Optionen“ offengehalten werden.
Liebe Freundinnen und Freunde,
das alles hat ein großes Eskalationspotenzial.
Nachrüstung heißt Aufrüstung! Und die wollen wir unter keinen Umständen!
Lasst mich deshalb zum Schluss noch auf eine Sache hinweisen, die mir wichtig erscheint:
Natürlich würden wir uns alle wünschen, dass noch mehr Menschen gegen diese Kriegspolitik auf die Straße gehen würden.
Aber wir müssen uns stets vor Augen führen, nämlich dass unsere friedenspolitische Arbeit schon jetzt nicht ohne Wirkung ist.
Und ich habe dafür auch einen Kronzeugen parat, der unverdächtig ist, der Friedensbewegung sonderlich nahezustehen: Nämlich den bereits erwähnten Wolfgang Ischinger.
Der wäre nämlich einer neuen Nachrüstung nicht zwingend abgeneigt – befürchtet aber, dass die Politik aus Sorge vor Protesten dafür nicht dem Mumm aufbringen wird.
Ich zitiere ihn hier zum Abschluss einmal etwas ausführlicher, weil das doch recht interessant fand, wie die Gegenseite hier die Situation beurteilt:
„Ich kann im Augenblick ehrlich gesagt keine Regierung in Westeuropa […] erkennen, die bereit wäre, sich so hinzustellen und zu sagen, wir machen das jetzt nach dem Rezept von Helmut Schmidt Ende der 70er Jahre. […] Es ist wirklich eine schwere Erschütterung, auf die wir nicht gut vorbereitet sind. Und deswegen wäre ich sehr skeptisch und ich würde fürchten, dass hier gewaltige Aufwallungen von friedensbewegten und pazifistischen und sonstigen Gruppen tätig werden würden und dass es uns sehr sehr schwer fallen würde, eine angemessene politische, abrüstungspolitische, strategische Antwort auf diese Lage zu finden, in die wir jetzt anscheinend hineinschlittern.“
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich glaube wir sollten Ischingers Worte als Auftrag verstehen, dieses Drohpotenzial aufrechtzuerhalten und im Optimalfall noch weiter zu erhöhen.
Gegen die Eskalationspolitik am Golf – gegen eine Entsendung deutscher Kriegsschiffe – und gegen ein neues Wettrüsten auch und gerade hier in Deutschland!
Vielen Dank!
(in dieser schriftlichen Fassung wurden ggü. der Rede einige Aspekte ergänzt)
Veröffentlicht am 31.8.2019 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)