PESCO III
Größere Konflikte gleich kleinere Rüstungsbrötchen
Im Dezember 2017 wurde die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (engl.: PESCO) ins Leben gerufen, um die Anbahnung europäischer Militär- und Rüstungsprojekte zu forcieren. Einer derjenigen, der den Prozess maßgeblich angeschoben hatte, war der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Als die PESCO aktiviert wurde, freute er sich mit den Worten, nun sei die im EU-Vertrag verankerte „schlafende Schönheit“ endlich erwacht.
Auch seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen, die ihn am 1. November 2019 als Kommissionspräsidenten beerben soll, war hier maßgeblich involviert. Sie habe die PESCO aus dem „Dornröschenschlaf erweckt“, äußerte sich lobend Neu-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Angesichts der vorgestern erstmals aufgetauchten Liste der nächsten PESCO-Projekte deutet aber aktuell einiges darauf hin, dass die Märchenstunde nun endgültig vorbei ist und sich harte Interessenskonflikte wieder zunehmend in den Vordergrund schieben.
Erste Projektrunden
Tatsächlich galt es lange keineswegs als ausgemacht, dass es gelingen würde, die PESCO an den Start zu bringen. Schließlich dominierte gerade in vielen kleineren und mittleren Ländern, insbesondere in Polen, die Sorge, hierüber vor den Karren deutsch-französischer Rüstungsinteressen gespannt zu werden, wie etwa Ulrike Franke vom „European Council on Foreign Relations“ unlängst ausführte: „Es ist jetzt so, dass derzeit, insbesondere aus Polen, also aus Osteuropa, es eine gewisse Sorge gibt, dass PESCO und der europäische Verteidigungsfonds, am Ende vor allen Dingen den schon bestehenden, den größeren, den halt de facto westeuropäischen Konzernen, Unternehmen wie Airbus etc. helfen könnte. Aber es kann eben dazu führen, dass manche Länder eben doch entscheiden werden, amerikanisch zu kaufen und eben nicht, sagen wir mal, bei den europäischen Projekten mitzumachen. Und diese Konkurrenz ist zumindest ungünstig.“
Dennoch sprangen schlussendlich außer Großbritannien, Malta und Dänemark alle restlichen 25 Staaten auf den ohnehin bereits fahrenden PESCO-Zug auf. Der Grund lag darin, dass die Anbahnung von PESCO-Projekten nur im Konsens derer entschieden werden kann, die von Anfang an mit im Boot saßen. Eine spätere Teilnahme wäre vom Plazet Deutschlands und Frankreichs abhängig gewesen, die dies mit ihrer De-facto-Sperrminorität jederzeit hätten verhindern können. Als Preis und Teilnahmebedingung mussten sich aber alle PESCO-Teilnehmer dazu verpflichten, eine Reihe bindender Rüstungskriterien zu erfüllen, darunter etwa eine regelmäßige reale Erhöhung der Verteidigungshaushalte.
Jedenfalls wurden die ersten 34 PESCO-Projekte rasch in zwei Wellen im März und November 2018 auf den Weg gebracht – darunter befand sich u.a. mit dem Bau eines gepanzerten Infanteriefahrzeugs und vor allem mit der bewaffneten Eurodrohne auch das eine oder andere Schwergewicht. Im November soll turnusgemäß die nächste Runde folgen, über die nun erste Details bekannt wurden.
Welle III: Keine Großprojekte
Lange war spekuliert worden, ob mit der dritten PESCO-Welle auch die Überführung der deutsch-französischen Rüstungsgroßprojekte Kampfpanzer (MGCS) und Kampfflugzeug (FCAS) anstehen könnte. Der Schritt ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, da es sich hierbei um eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine Teilfinanzierung der Entwicklungskosten aus dem geplanten „Europäischen Verteidigungsfonds“ handelt.
Während (zumindest linke) Parlamentarier die aktuell kursierende Projektliste bislang noch nicht zu Gesicht bekamen, liegt sie unter anderem dem gut mit Politik und Industrie vernetzten Portal bruxelles2.eu vor. Betrachtet man die 13 neu anvisierten Vorhaben, so ist diesmal ein ganz großer Fisch nicht dabei. Sieben der Projekte zielten auf eine höhere operative Einsatzbereitschaft (sprich: „bessere“ Kriegführung), drei würden mit Blick auf höhere Kapazitäten in Angriff genommen und bei drei weiteren handele es sich um Mischformen.
Deutschland soll die Führung über ein „Cyber and Information Domain surveillance Coordination Center“ (CIDCC) übernehmen, über das aber ansonsten keine weiteren Details in Erfahrung zu bringen ist.
Liste der 13 PESCO-Projekte
1. EU Cyber Academia & Innovation Hub (EU CAIH), Portugal (Führung).
2. Hightech Joint and Simulation Center, Ungarn
3. Special Force Medical Training Center, Polen.
4. EU Expertise Diving Center, Rumänien.
5. CBRN Defence Center Program (CBRN DCP), Rumänien.
6. Cyber and Information Domain surveillance Coordination Center (CIDCC), Deutschland.
7. EU Collaborative Warfare Capabilities (ECOWAR), Frankreich.
8. Maritime Unmanned Anti Submarine System (MUSAS), Portugal.
9. European Patrol Corvettes (EPC), Italien.
10. EU Collaborative Global RPAS Insertion Architecture System, Italien.
11. Airborne Electronic Attack (AEA), Spanien.
12. Timely Warning and Interception with Space based Theater Surveillance (TWISTER), Frankreich.
13. Materials & components for Technological EU Competitiveness (MAC-EU), Frankreich.
Quelle: Nicolas Gros-Verheyde: La troisième vague de projets de la PESCO: beaucoup plus ‘high tech’. La liste en avant-première, www. club.bruxelles2.eu
Weshalb es weder FCAS noch MGCS auf die Projektliste geschafft haben, ist unklar. Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Erstens werden die großen Gelder aus dem EU-Verteidigungsfonds nach gegenwärtigen Planungen erst ab 2021 fließen, wenn der Topf in vollem Umfang aufgestellt sein soll. So besehen besteht womöglich derzeit ohnehin kein Anlass zur Eile, zumal Frankreich im Augenblick den Fortgang des Projektes erst einmal davon abhängig macht, dass Rheinmetall von seinen Ambitionen abrückt, mittels einer Übernahme von „Krauss Maffei Wegmann“ (KMW) auch die Führung in der bislang pari aufgeteilten Holding KNDS zu übernehmen, die den Bau federführend abwickeln soll.
Bremsklotz Polen?
Auf der anderen Seite soll Warschau Mitte August bei Gesprächen zwischen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihrem polnischen Pendant Mariusz Błaszczak vorgeschlagen haben, den Kampfpanzer im PESCO-Rahmen zu entwickeln. Gleichzeitig soll Warschau das Interesse bekundet haben, sich in ein solches PESCO-Projekt einklinken zu wollen. Diesem Wunsch sei allerdings von deutscher und französischer Seite eine deutliche Absage erteilt worden, was in Polen recht verschnupfte Reaktionen ausgelöst habe.
Dem polnischen Verdacht, dass es bei PESCO vor allem um den Aufbau eines deutsch-französisch dominierten Rüstungskomplexes geht, wurde damit jedenfalls kein Wind aus den Segeln genommen. Auch wenn es hierzu bislang keine Quellen gibt, die dies bestätigen, ist es vor diesem Hintergrund also durchaus denkbar, dass Polen mit seinem Vetorecht nun hinter den Kulissen FCAS und MGCS solange blockiert, bis es in die Rüstungsgroßprojekte nach seinen Vorstellungen mit involviert wird. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, darf man gespannt sein, wie Deutschland und Frankreich reagieren werden.
Schließlich steht ihnen theoretisch noch eine mächtige Keule zur Verfügung: Der Rauswurf aus der PESCO durch den Vorwurf an Polen, eines oder mehrere der PESCO-Kriterien verletzt zu haben. Hierfür wäre zwar eine qualifizierte Mehrheit erforderlich (also 65% der Bevölkerung und 55% der Staaten), sollten sich aber Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien einig sein, wäre das wohl eher nur noch eine Formsache.
Ernsthafte offizielle Drohungen in diese Richtung liegen bislang keine vor, dass aber euractiv, eines der größten Internetportale für EU-Themen, unlängst offen spekulierte, ob es sich bei der kürzlich gefällten polnischen Entscheidung, in großer Zahl das amerikanische F-35-Kampfflugzeug anzukaufen, statt auf europäische Lösungen zu setzen, nicht um einen Bruch der PESCO-Kriterien handele, zeigt zumindest, dass dies nicht gänzlich ausgeschlossen ist – und es zeigt auch, dass in den Auseinandersetzungen um die PESCO und den Aufbau eines europäischen Rüstungskomplexes die Samthandschuhe ausgezogen sind.
2.10.2019