Autor: Martin Kirsch
Kramp-Karrenbauers Visionen für Deutschland als globale Militärmacht
Nach einem eher missglückten Start als Verteidigungsministerin geht Annegret Kramp-Karrenbauer mit einer „Grundsatzrede zur Sicherheitspolitik“i neben der persönlichen Vorwärtsverteidigung auch in die sicherheitspolitische Offensive. Im Audimax der Bundeswehruniversität in München skizzierte sie am 7. November ihre Visionen für „Deutschlands Rolle in der Welt“. Dafür stellt sie Forderungen für neue Einsätze in Afrika und dem Indo-Pazifik, für die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats und die Verstümmlung des Parlamentsvorbehalts. Ein Versuch den vor gut fünf Jahren auf der Sicherheitskonferenz 2014 beschworenen „Münchner Konsens“ wieder zu beleben und die Kultur der (militärischen) Zurückhaltung endgültig zu begraben. Finanziert werden soll diese offensive Sicherheitspolitik durch das Erreichen des 2%-Ziels der NATO bis 2031. Ein giftiger Cocktail, der Deutschland als interessengeleitete, globale Gestaltungs- und damit Militärmacht positioniert soll.
Persönliche Vorwärtsverteidigung
Seit ihrem Amtsantritt im Juli 2019 war Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer mit eher blassen Initiativen zu freien Bahntickets für Soldat*innen und zu bundesweiten öffentlichen Gelöbnissen zum Geburtstag der Bundeswehr am 12. November, in ihr Amt gestartet.
Großes nationales und internationales Aufsehen erlangte Kramp-Karrenbauer dann Ende Oktober mit ihrem politischen Alleingang, eine Schutzzone in Nordsyrien einrichten zu wollen. Dabei hatte sie nicht nur auf die Formulierung konkreter Rahmenbedingungen, sondern auch auf die Koordination mit internationalen Verbündeten und dem Koalitionspartner in Berlin verzichtet, was ihr massive Kritik einbrachte. Diese Kritik bezog sich allerdings zumeist auf die Form ihres Vorstoßes, während die Mehrheit der journalistischen und politischen Kommentator*innen eine deutsche Initiative im Syrienkrieg befürworteten. Um ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft nicht zu verlieren und aus dem Umfragetief zu entkommen ging Kramp-Karrenbauer dann am 7. November 2019 erneut in die politische Offensive.
Dafür nutzt sie ein Format das – wenn auch mit deutlich schlechterer Beleuchtung und ohne Publikum in Phantasieuniformen – an die Rede des US-Präsidenten Obama an der Militärakademie Westpoint im Jahr 2009 erinnert. Mit dieser Inszenierung machte sie ihre Ambitionen klar, die weit über das Amt der Verteidigungsministerin hinausreichen und positioniert sich, mit der Erläuterung strategischer Eckpunkte für eine zukünftige deutsche Sicherheitspolitik, klar als Möchtegern-Bundeskanzlerin in spe.
Mit der Benennung der „Ability to Act“ (dt. Handlungsfähigkeit) als zentrale Herausforderung einer neuen, interessengeleiteten deutschen Sicherheitspolitik, versuchte sie wohl nicht nur einem sich zunehmend militärisch gebärdenden deutschen Staat, sondern auch sich ganz persönlich neue Ellenbogenfreiheit zu verschaffen.
Freunde, Feinde und Herausforderungen
In ihrer Grundsatzrede schickt sich Kramp-Karrenbauer an „Deutschlands Rolle in der Welt“ zu bestimmen. Einer Welt, die nach ihrer Auffassung „aus den Fugen geraten ist.“ Einen relevanten Grund dafür sucht sie in der „Rückkehr der Konkurrenz großer Mächte um Einflusssphären und Vorherrschaft.“ Eine wohl durchaus zutreffende Analyse, der sie allerdings damit begegnen will Deutschland für eben diesen globalen, machtpolitischen Konkurrenzkampf als großen Player in NATO und EU fit zu machen.
Als zentrale sicherheitspolitische Herausforderungen nennt sie neben der „russische[n] Aggression in der Ukraine“ und die „weltumspannenden Netzwerke des Terrorismus, insbesondere des islamistischen Terrorismus“ als alten Bekannten auch den „machtpolitische[n] Aufstieg Chinas“, das im Weißbuch 2016 noch ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet worden war. Weitere Herausforderungen seien gesellschaftliche Phänomene wie „ Klimawandel, Demographie und Digitalisierung“. Während es bei Klimawandel und Demographie bei der Nennung von Schlagworten bleibt, ging sie auf die Digitalisierung weiter ein. So führt sie in einem Beispiel den Cyberraum als einen Austragungsort der neuen Machtkämpfe an. Dieser sei einerseits durch seine Beschaffenheit ohne „physische Dimension“ per se geographisch entgrenzt. Andererseits allerdings menschengemacht und durch die notwendige physische Infrastruktur wie Router, Rechenzentren, Datenleitungen und Satelliten gekennzeichnet. „Und all das verschafft“, so Kramp-Karrenbauer, „Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gestaltung des Cyberraums, verschafft Macht und Einfluss, nicht nur auf die digitale Welt.“ Aufgrund dieser Bedrohungen und Herausforderungen sei es Deutschlands Pflicht und Interesse die liberale Ordnung zu schützen, von der es nach dem Zweiten Weltkrieg wie kaum ein anderes Land profitiert habe. Daher müsse Deutschland seine Rolle als „Gestaltungsmacht“ annehmen, die es allerdings „nicht zum Nulltarif“ gebe.
In der Aufzählung der Verbündeten Deutschlands räumt Kramp-Karrenbauer den USA klar den ersten Platz ein. Mit einer pathetischen Aufzählung dessen, was die Vereinigten Staaten für Deutschland geleistet hätten kommt sie zu einem klaren transatlantischen Bekenntnis. So hätten die USA in den letzten Jahrzehnten einen übergroßen Beitrag für Deutschland geleistet, das sich auf seiner sicheren Lage im Herzen Europas ausgeruht habe. Daher sei es auch aus deutschem Interesse an der Zeit die Lasten jetzt neu zu verteilt.
An zweiter Stelle bringt die Verteidigungsministerin die EU ins Spiel, für die sich große Ziele gesteckt werden. Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 sei es, „die europäische Zusammenarbeit in der Verteidigung [zu] verstärken.“ Diese Stärkung der EU wird allerdings in Abgrenzung zu Forderungen nach strategischer Autonomie EUropas, klar in den Kontext der Stärkung des „europäischen Arms innerhalb der Nato“ gestellt. So sei „die Europäische Verteidigungsunion immer auf die Zusammenarbeit mit der NATO ausgerichtet, die der Anker der Sicherheit Europas“ bleibe. Des Weiteren brauche eine „selbstbewusste Europäische Verteidigungsunion“ einen „Kompass“, um die wirtschaftliche, politische und auch militärische Stärke der EU zu behaupten. Dafür geht Kramp-Karrenbauer nicht weiter auf die Institutionen des europäischen Staatenbundes, oder gar auf die kleinen Partnerstaaten ein. Vielmehr beschwört sie die Notwendigkeit eines „starken deutsch-französischen Tandem“, um das „verzwergen“ EUropas zu verhindern.
Zusätzlich zu diesem EU-Führungsduo sei es eine zentrale Aufgabe trotz Brexit „kreative Wege [zu] finden, Großbritannien weiter in die Sicherheit Europas einzubinden.“ Dafür schlägt sie das „E3-Format“, bestehend aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland vor, das sich für die Atomverhandlungen mit dem Iran gebildet hatte. Dieses will sie auf der Ebene der Verteidigungsminister*innen als „ Scharnier zwischen NATO und EU“ weiter institutionalisieren.
Interessen, Gestaltungsmacht und die Ability to Act
Lange wurde in politischen und politikwissenschaftlichen Debatten behauptet, Deutschland würde sich außen- und verteidigungspolitisch nahezu ausschließlich werteorientiert verhalten. Eine Floskel, die intensiv gepflegt wurde, aber nie der Realität entsprach. Dennoch brauchte es immer eine unterdrückte Minderheit, Frauenrechte oder sonstige moralisierende Gründe um in der Öffentlichkeit einen Kriegseinsatz der Bundeswehr zu begründen. Laut Kramp-Karrenbauer habe Deutschland deswegen vor allem ein Handlungsproblem. „Wir Deutschen sind oft besser darin, hohe Ansprüche, auch moralisch hohe Ansprüche zu formulieren, an uns und an andere, als selbst konkrete Maßnahmen vorzuschlagen und umzusetzen. Das gilt insbesondere für unsere militärischen Beitrage, geht aber darüber hinaus.“ Daher sei es jetzt an der Zeit, ausgehend vom Münchner Konsens mehr „Verantwortung“ zu übernehmen und das hinter den Aussagen von 2014 stehende Versprechen einzulösen – die Kultur der (militärischen) Zurückhaltung also endgültig zu begraben.
Während das Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ von 2013, sogenannter Elitenkonsens für eine neue deutsche Außenpolitik und Grundlage für den Münchner Konsens 2014 noch mühevoll versuchte Werte und Interessen zusammenzuführen, verzichtet Kramp-Karrenbauer auf diese Anstrengung. Stattdessen positioniert sie sich klar: „natürlich hat Deutschland wie jeder Staat der Welt eigene strategische Interessen. Zum Beispiel als global vernetzte Handelsnation im Herzen Europas. Wir vertreten jeden Tag unsere Interessen. Aber wir müssen endlich anfangen, das zuzugeben.“ So nutzt sie das Wort „Interessen“ in ihrer Rede zehnmal, während andere Schlagworte wie „Werte“(4) oder „Verantwortung“(3) klar in den Hintergrund treten. Um diese Interessen dann auch entsprechend durchsetzen zu können gelte es, grade in Zeiten von „Umbruch“ und „Ungewissheit“, die Rolle zu übernehmen „wirklich zu führen – und so die Zukunft zu formen.“
Militärische Presenz von Osteuropa über Afrika bis in den Indopazifik
Beeindruckender Weise geht Kramp-Karrenbauer auf die Landes- und Bündnisverteidigung, die unter ihrer Vorgängerin von der Leyen mit dem Weißbuch 2016 und endgültig mit der Konzeption der Bundeswehr von 2018 zur strategischen Priorität deutscher Verteidigungspolitik erhoben wurde, nur am Rande ein. Zwar erwähnt sie, dass Deutschland als zweitgrößter Truppensteller der NATO und als „einzige kontinentaleuropäische Nation [mit] Führungsrolle bei der Enhanced Forward Presence zum Schutz Osteuropas“ Verantwortung übernehme. Dann widmet sie sich allerdings schnell den Auslandseinsätzen.
Hier hebt sie die deutschen Verdienste in Afghanistan, Mali und dem Irak hervor – kommt dann aber schnell zu dem Schluss, dass Deutschland mehr leisten müsse, da die deutsche Rolle im internationalen Rahmen immer wieder angezweifelt werde. Zwar stellt die Verteidigungsministerin gegen Ende ihrer Rede heraus: „Für Abenteuer war die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik nie zu haben, und das bleibt auch so.“
Im krassen Widerspruch dazu stehen allerdings neben ihrem Vorstoß zu Nordsyrien aus dem Oktober auch weitere Pläne, die sie schmiedet. So betont sie Frankreichs starke Rolle in der sogenannten Terrorbekämpfung in der Sahelregion, obwohl Deutschland doch gleichermaßen vom Terrorismus betroffen sei. Nach Vermutungen des gut informierten Fachjournalisten Thomas Wiegold verbirgt sich hinter dieser Umschreibung die Vorbereitung der Bundeswehr den Einsatz von Spezialeinheiten im nördlichen Afrika auszubauen.ii So sind beispielsweise im Niger, einem Nachbarland von Mali, aktuell deutsche Elitesoldaten ohne Bundestagsmandat mit der Ausbildung Nigrischer Spezialeinheiten beschäftigt. Im Schlepptau einer französischen Initiative, die sich in Vorbereitung befindet, könnte daraus eine sogenannte Mentoring Mission werden, in der sich deutsche Soldaten nicht mehr nur auf die Ausbildung in geschützten Lagern konzentrieren, sondern ähnlich wie in Afghanistan mit ihren Auszubildenden in den Kampf ziehen. Eine perfide Strategie, um die Kontrolle über Armeen in Regionen von strategischem Interesse zu erhalten und damit auf die Kämpfe Einfluss nehmen zu können, den deutschen Blutzoll aber extrem zu minimieren.
Ein weiteres mögliches Abenteuer begründet Kramp-Karrenbauer mit der Rolle Deutschlands als Handelsnation und neben China als Marktführer in der internationalen Containerschifffahrt. Daher gäbe es ein besonderes Interesse an freien und friedlichen Seewegen, die allerdings auch geschützt werden müssten. Hier wäre neben den eigenen ökonomischen Interessen Deutschlands auch ein „klares Zeichen der Solidarität“ mit den Partnerstaaten im Indo-Pazifischen-Raum, darunter Australien, Japan und Südkorea, „aber auch Indien“ von Nöten, die sich vom Machtanspruch Chinas in der Region zunehmend bedrängt fühlten. Daher sei es „an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen.“ In dieser Aussage sieht erneut Thomas Wiegold einen klaren Hinweis auf eine deutsche „Freedom of Navigation-Mission im Südchinesischen Meer“.iii Dahinter verbirgt sich eine Praxis der US-Amerikanischen und französischen Marine, die mit großen Kriegsschiffen regelmäßig Passagen im Südchinesischen Meer befahren, die sie zum internationalen Seeraum zählen, China diese aber für sich beansprucht. Sollte sich die Bundesregierung dazu hinreißen lassen eine solche Mission einzurichten, wäre dies ein gefährliches Muskelspiel, bei dem es auch unbeabsichtigt zu Eskalationsdynamiken kommen könnte.
Zudem ist nicht absehbar, ob Kramp-Karrenbauer, auch wenn das Wort Syrien aus guten Gründen in der Rede nicht verwendet wird, ihre Ambitionen dort, schon völlig aufgegeben hat. Die jungen Offiziersanwärter*innen im Publikum dürfen also gespannt sein, welche Abenteuer ihre Verteidigungsministerin und mögliche neue Kanzlerin für sie parat hält.
Nationaler Sicherheitsrat und Vorratsbeschlüsse im Bundestag
Ganz im Sinne der von ihr ausgemachten deutschen Interessen begibt sich Kamp-Karrenbauer auf den Weg sich die Strukturen zu schaffen, die es für eine solche neue Interessenpolitik braucht. Dabei beruft sie sich auf eine Redewendung, die Barak Obama als US-Präsident gegenüber seinen Mitarbeiter*innen genutzt haben soll: „Don’t admire the problem. Tell me about solutions.“ (Bewundere nicht das Problem. Verrat mir etwas über Lösungen.) So gäbe es laut Kramp-Karrenauer kein „Erkenntnisproblem“, da es eine Vielzahl von „ klugen Analysen und Strategiepapieren“ gebe. Das Problem sei vielmehr die Umsetzung, mit der sich schwer getan werde. Daher macht sie sich auf den Weg im Angesicht der „strategischen Herausforderungen“ ein paar alte Zöpfe der demokratischen und durchaus in antifaschistischer Motivation entstandenen Nachkriegsordnung der deutschen Außenpolitik abschneiden zu wollen.
So will sie den Bundessicherheitsrat,iv der bisher hinter verschlossenen Türen ausschließlich über Rüstungsexporte entscheidet, in einen Nationalen Sicherheitsrat – ein formalisiertes Sicherheitskabinettv – und damit zur sicherheitspolitischen Schaltzentrale der Bundesregierung um- bzw. ausbauen. Dabei beruft sie sich auf Wolfgang Ischinger, den Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, der solche Forderungen schon länger erhebt. Dieser Nationale Sicherheitsrat solle dann deutsche „Beiträge zur internationalen Krisenbewältigung schneller und effektiver zur Wirkung bringen.“ Um den Nationalen Sicherheitsrat aber nicht handzahm dastehen zu lassen, will Kramp-Karrenbauer mit einem weiteren Vorschlag auch die parlamentarische Kontrolle von Bundeswehreinsätzen auf ein Minimum zurückstutzen. Ziel dessen sei es, keine „Verzögerungen und Unsicherheiten über unsere Leistungsbereitschaft entstehen“ zu lassen.
Dafür solle das Parlament dann, das deutet sie zumindest an, für alle von der UN, NATO oder einer EUropäischen Initiative geführten internationalen Operationen mit völkerrechtlicher Legitimation Vorratsbeschlüsse bereithalten – z.B. jährlich die Hand heben, um alle kommenden Missionen dann per Wette auf die Zukunft beschlossen zu haben. So soll der Parlamentsvorbehalt zwar auf dem Papier – als Schatten seiner selbst – erhalten bleiben. Das dahinter stehende Ziel ist es aber selbstverständlich, die lästige Zeit und Mühen zu sparen, die ein Parlamentsbetrieb einnimmt. Zudem ist die parlamentarische Debatte über Mandate für Auslandseinsätze zumeist auch der Punkt, an dem eine breitere gesellschaftliche Debatte entzündet – über Für und Wieder des jeweiligen Einsatzes verhandelt wird und auch Gegner*innen die Möglichkeit haben sich Gehör zu verschaffen. Zudem sind an die Parlamentsdebatten auch Informationsrechte der Parlamentarier gebunden, die über Ziele, Zahlen, Orte, Strukturen und weiteres vor einer solchen Abstimmung informiert werden müssen. Ein wichtiger Moment für die Informationslage der Opposition.
Sollten diese Schritte tatsächlich umgesetzt werden, könnte der Nationale Sicherheitsrat dann nach Absprachen mit Verbündeten und auf Grundlage des parlamentarischen Vorratsbeschlusses deutsche Truppen von einem Tag auf den anderen in alle Welt entsenden. Ohne unmittelbare parlamentarische Kontrolle und ohne institutionalisierten Aufhänger für eine demokratische Debatte über deutsche Kriegsbeteiligungen.
Und die Rechnung? – zwei Prozent des BIP bis 2031
Um diese von Seiten der politischen Kontrolle entsicherte Bundeswehr allerdings auch für all die neuen Aufgaben fit zu machen, fordert Kramp-Karrenbauer mehr Geld – deutlich mehr Geld. Nachdem sich die Regierungskoalition, getrieben von der CDU, bereits auf einen Verteidigungshaushalt von 1,5% des BIP in 2024 – nach Prognosen rund 58 Milliarden Euro – „geeinigt“ hat, will Kramp-Karrenbauer weiter. Bereits als CDU-Vorsitzende forderte sie im Sommer die vollen 2% des BIP in Verteidigung zu investieren. Dafür stellte sie, jetzt von der Regierungsbank, einen Zeitplan vor. Ab 2024 solle der Verteidigungshaushalt kontinuierlich ansteigen, um dann 2031 das NATO-Ziel von 2% des BIP zu erreichen. Korrespondieren würde dieser Anstieg der Rüstungsausgaben dann auch mit den Rüstungsplänen für die Bundeswehr, die sich abgeleitet aus Konzeption und Fähigkeitsprofil von 2018 an den Zeitmarken 2023, 2027 und 2031 orientieren und bis dahin eine kontinuierliche Steigerung des Kriegsgeräts und der Truppenstärke vorsehen.
Auf diesem Weg scheint die Verteidigungsministerin bereits für 2020 die Summe von 50,36 Milliarden Euro als für die NATO relevante Ausgaben der Bundesregierung nach Brüssel gemeldet zu haben. Ein Durchbrechen der Schallmauer von 50 Milliarden und eine relevante Steigerung um 6,4 Prozent zum laufenden Jahr.vi Sollten die 2%-Ziele für 2031 tatsächlich umgesetzt werden, wäre die Rechnung enorm. Grobe Schätzungen ergeben für 2031 Verteidigungsausgaben von rund 76 Milliarden Euro.vii Eine mögliche Steigerung um über 50% zum Jahr 2020. Enorme Geldsummen, die nicht nur für verheerendes Kriegsgerät ausgegeben werden, sondern auch in anderen Bereichen der öffentlichen Finanzen, vermutlich besonders im Sozialbereich, fehlen werden.
Erneuter Alleingang oder Münchner Konsens 2.0
Mit ihrer Sicherheitspolitischen Grundsatzrede am 7. November in München versucht die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer ihrem Umfragetief mit einem politischen Befreiungsschlag zu begegnen. In der Rückschau kann ihr Schutzzonen-Vorschlag für Nordsyrien wohl als Testballon gewertet werden, um die öffentlichen Reaktionen auf außenpolitische Vorstöße zu testen. Während ihre persönlichen Umfragewerte mit 18% Zustimmung in der Bevölkerung einen Tiefststand erreicht haben, schlägt Kramp-Karrenbauer außenpolitisch Pflöcke ein.
Für ihre Grundsatzrede hat sich die Verteidigungsministerin nicht ohne Grund die Universität der Bundeswehr in München ausgewählt. Einerseits sprach sie dort vor dem Offiziersnachwuchs der Bundeswehr, den jungen Soldatinnen und Soldaten, die in Zukunft, womöglich sogar beginnend unter ihrer Kanzlerschaft, die Geschicke der Bundeswehr leiten werden. Andererseits ist die Stadt München neben einer der zwei Kaderschmieden der Bundeswehr in der Republik seit 2014 auch zu einem Symbol einer neuen, offensiven Außen- und Militärpolitik Deutschlands geworden. Hier wurde auf der 2014er Sicherheitskonferenz der sogenannte „Münchner Konsens“ verkündet, auf den sich Kramp-Karrenbauer offensiv bezieht.
Außenminister Steinmeier, Verteidigungsministerin von der Leyen und Präsident Gauck einigten sich damals auf die Formel, dass Deutschland sich sicherheitspolitisch „früher, entschiedener und substantieller einbringen“ solle. So heißt es in der Grundsatzrede: „Und dieser parteiübergreifende sogenannte Münchner Konsens prägt auch das Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr aus dem Jahr 2016. Das alles bleibt nach wie vor gültig und richtig.“
Während die mittlerweile ins Stocken geratenen Vorstöße von 2014, nach der Verweigerung deutscher Bundeswehreinsätze in Libyen und Syrien, zu versuchen die langjährige „Kultur der (militärischen) Zurückhaltung“ zu beerdigen, ist Kramp-Karrenbauer rund fünf Jahre später erneut in München angetreten, um sich als tatsächliche Totengräberin zu profilieren. In Anbetracht dessen stellt sich die Frage, ob sich die Grundsatzrede als weiterer Alleingang herausstellt, oder ob Kramp-Karrenbauer in der Lage ist, diesen Vorstoß zu nutzen, den Koalitionspartner unter ihren Vorzeichen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Sollte sich daraus, gut fünf Jahre nach dem Münchner Konsens ein erneuerter und erweiterter Elitenkonsens ergeben, wäre dies – sofern es denn in den nächsten Jahren umgesetzt würde – ein enormer Schritt Deutschlands, sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder als „handlungsfähige“, interessengeleitete, globale militärische Macht zu restaurieren.
iAnnegret Kramp-Karrenbauer, Rede der Ministerin an der Universität der Bundeswehr München, 07.11.19. bmvg.de
iiAugen geradeaus!, Thomas Wiegold, Bundeswehr im Sahel: Wahrscheinlich länger, vielleicht auch anders?, 06.11.2019, augengeradeaus.net
iiiAugen geradeaus!, Thomas Wiegold, AKK skizziert ihre Sicherheitspolitik: Mehr Verantwortung, mehr Einsätze, mehr Geld, 06.11.2019, augengeradeaus.net
ivDer Bundessicherheitsrat ist ein Gremium zur geheimen Abstimmung über die Genehmigung von Waffenexporten. Er setzt sich zusammen aus Verteidigungs-, Innen-, Außen-, Wirtschafts-, Finanz-, und Justizminister*in, sowie Minister*in für Wirtschaftliche Zugsamenarbeit und Entwicklung, Kanzler*in und Chef*in des Kanzleramtes. Weitere Ministerien, der Generalinspekteur der Bundeswehr und der Chef des Bundespräsidialamtes können beratend hinzugerufen werden.
vIm sogenannten Sicherheitskabinett treffen sich Teile der Bundesregierung (Kanzler*in, Vizekanzler*in, Außen-, Innen- und Verteidigungsminister*in und je nach Thema weitere Minister*innen) mit Behördenleiter*innen aus BKA und Geheimdiensten um informell Fragen der inneren und äußeren Sicherheit zu beraten.
viZeit Online, Verteidigungsetat könnte auf mehr als 50 Milliarden Euro steigen, 16.10.19, zeit.de
viiAusgehend vom BIP für 2018 mit einer angenommenen jährlichen Steigerung um ein Prozent lässt sich ein Näherungswert bilden, der allerdings nur zur groben Veranschaulichung dienen kann.
Veröffentlicht am 8.11.2019 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)