Der lateinamerikanische Forschungsverband Strategisches Lateinamerikanisches Zentrum für Geopolitik (Centro estratégico Latinoamericano de Geopolitica, Celag) hat die Organisation Amerikanischer Staaten erneut aufgefordert, den gesamten Vorbericht über die umstrittenen Wahlen in Bolivien am 20. Oktober zu veröffentlichen. Über den Kurznachrichtendienst Twitter kritisierte der in Uruguay ansässige Verband, dass die OAS den Gesamtbericht zurückhält und damit den Putsch gegen die Regierung von Präsident Evo Morales nachhaltig begünstigt.
Celag zeigt sich davon überzeugt, dass es in Bolivien weder einen Wahlbetrug noch einen Volksaufstand gegeben hat. „Hinter jedem Putsch stecken Interessen: In diesem Fall ist das ein Netzwerk der Verantwortlichen für den Putsch in Bolivien. Werden Sie uns helfen, die Verantwortlichen mit Vor- und Nachnamen zu nennen?“, heißt es in einer weiteren Twitter-Nachricht der Organisation, die dem renommierten Lateinamerikanischen Verband der Sozialwissenschaften, Clasco, angehört.
Die OAS hatte nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Bolivien einen „vorläufigen Bericht“ veröffentlicht, der Zweifel an der Abstimmung schürte, ohne Belege anzuführen. In Lateinamerika werden das 13-seitige Papier und die Rolle der OAS seither kontrovers diskutiert. Rechtsgerichtete Regierungen in der Region und westliche Staaten berufen sich hingegen auf die Zweifel der OAS, um ihre Anerkennung des De-facto-Regimes unter Senatorin Jeanine Áñez zu begründen.
Auch die Celag-Experten verweisen darauf, dass der Bericht der OAS, der die Wahlen in Bolivien in Frage stellt, weder Beweise noch technische Erklärungen für einen angeblichen Wahlbetrug aufführt. Ihre Analyse stützt sich auf die Angaben des OAS-Kurzberichtes an das Generalsekretariat der Organisation sowie eine weitere Expertenanalyse mit dem Titel „Was geschah bei der Auszählung der Stimmen bei den Wahlen in Bolivien 2019? Die Rolle der OAS-Wahlbeobachtungsmission“ (¿Qué sucedió en el recuento de votos de las elecciones de Bolivia de 2019? El papel de la Misión de Observación Electoral de la OEA).
Diese Studie wurde vom US-amerikanischen Zentrum für Wirtschafts- und Politikforschung (Center for Economic and Policy Research, CEPR) erstellt. Die Autoren schließen auch darin aus, dass es in Bolivien zu Wahlbetrug gekommen ist. Sie stützen sich auf eine statistische Analyse der Wahlergebnisse und der Stimmzettel.
Die Celag geht davon aus, dass die OAS-Mission vor Bekanntgaben des offiziellen Ergebnisses ohne technische Grundlagen einen zweiten Wahlgang empfahl. Zu diesem Zeitpunkt stand die Auszählung der Stimmen aus den ländlichen Gebieten noch aus, in denen Evo Morales von jeher eine große Unterstützerbasis hat. Mehr als eine Million Stimmen hätten noch ausgezählt werden müssen, als die OAS mit ihrer Intervention in den Prozess eingriff.
Kritik kam auch von Abgeordneten des US-Kongresses. Sie wandten sich in einem offenen Brief an den Leiter der OAS-Beobachtermission in Bolivien, Manuel González. In zehn Fragen an Gonzáles stellen sie indirekt dessen Kurzbericht in Frage. So hatte die OAS-Mission unmittelbar nach der Wahl den Anstieg im Vorsprung von Morales gegenüber seinem Mitbewerber Mesa von 7,9 Prozent bei 84 Prozent der ausgezählten Stimmen zu 10,14 Prozent bei 95 Prozent der ausgezählten Stimmen als „drastisch“ und „unerklärbar“ bezeichnet. Nach der Auszählung von 84 Prozent hatte die Wahlbehörde die Bekanntgabe der sogenannte Schnellauszählung gestoppt, um erst bei 95 Prozent der ausgezählten Stimmen am folgenden Tag wieder einzusetzen. Die OAS-Erklärung trug in dieser Situation maßgeblich zur Eskalation in Bolivien bei.
In ihrem offenen Brief an die OAS wollen die US-Kongressabgeordneten nun wissen, ob die Regionalorganisation die Wahlbezirke, die nach Auszählung von 84 Prozent der Stimmen berücksichtigt wurden, genauer untersucht wurden.
Veröffentlicht am 1.12.2019 auf Portal amerika21.de