Fall Assange: UN-Funktionär übt harsche Kritik an Moreno-Regierung in Ecuador

Sonderberichterstatter für das Thema Folter, Nils Melzer, wirft Führung in Quito zahlreiche Rechtsverstöße vor. Pflicht zum Schutz des Journalisten verletzt

Der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Nils Melzer, hat der Regierung von Ecuador im Zusammenhang mit dem Fall des australischen Journalisten Julian Assange zahlreiche Verletzungen der UN-Statute und des Völkerrechtes vorgeworfen. Die bisherigen Antworten der Regierung von Präsident Lenín Moreno „mildern nicht meine ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Umsetzung der Verpflichtungen Ecuadors in Bezug auf das Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“, so Melzer in einem Brief an die Regierung von Präsident Lenín Moreno.

Assange, der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks hatte Mitte 2012 in der Botschaft Ecuadors in London Zuflucht gesucht, um politisches Asyl zu beantragen. Der heute 48-jährige Journalist begründete seine Entscheidung damals mit der Gefahr, im Zusammenhang mit einem inzwischen vollständig eingestellten Vorermittlungsverfahrens wegen Sexualdelikten zunächst nach Schweden und dann in die USA ausgeliefert zu werden. Nach der Wahl von Präsident Moreno in Ecuador wandte sich dessen Regierung entschieden gegen das Botschaftsexil für Assange. Die ecuadorianische Regierung ließ Assange in der Botschaft überwachen, diskreditierte ihn öffentlich und setzte ihn erheblich unter Druck. Im April dieses Jahres wurde der von den Umständen deutlich gezeichnete Assange schließlich den britischen Behörden übergeben und sitzt seither im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh nahe London in Haft.

Melzer hatte mehrfach und zunehmend vehement darauf hingewiesen, dass Assange Spuren psychischer Folter aufweise, die sich physisch manifestieren. Diese Beobachtung wurde unlängst durch eine internationale Gruppe von Medizinern bestätigt.

„In diesem Zusammenhang ist es mein Ziel, die Faktoren zu ermitteln, die möglicherweise zur Entstehung der aktuellen Situation beigetragen haben, und Empfehlungen für Untersuchungs-, Rechtsbehelfs- und Rehabilitationsmaßnahmen der zuständigen Staaten zu unterbreiten“, schreibt Melzer an die Regierung Moreno.

Der UN-Funktionär zeigte sich besorgt darüber, „dass Herr Assange im Falle seiner Auslieferung an die Vereinigten Staaten einem tatsächlichen Risiko schwerer Verletzungen seiner Menschenrechte ausgesetzt wäre, einschließlich Behandlung und Haftbedingungen, die Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gleichkommen“.

Aus politischer Sicht äußerte Melzer seine Sorge, dass Assange verfolgt wird, „weil er Beweise für schwerwiegendes Fehlverhalten von Funktionären veröffentlicht hat, einschließlich internationaler Verbrechen, die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe beinhalten“. Zugleich werde den belasteten Beamten selbst Straffreiheit gewährt. Er bezog sich dabei unter anderem auf die Veröffentlichung eines US-Militärvideos, das WikiLeaks 2010 unter dem Titel „Collateral Murder“ veröffentlichte. Es zeigte den vorsätzlichen Angriff eines US-Kampfhubschraubers auf Zivilisten im Irak.

Melzer forderte die beteiligten Staaten mit Blick auf die folgende Repression gegen Assange auf, ihrer internationalen Verpflichtung nachzukommen und eine sofortige und unparteiische Untersuchung durchzuführen. Dies sei geboten, wenn ein hinreichender Grund zu der Annahme besteht, dass Folter oder Misshandlung begangen wurde.

Kritisch kommentierte der UN-Funktionär die Weigerung der Regierung von Ecuador, seinem Appell vom 5. April 2019 Folge zu leisten, das Asyl von Assange nicht zu beenden. Ecuador hatte die Aufforderung als nicht bindend angesehen.

Die Resolution 34/19 des Menschenrechtsrates fordere die Staaten unter anderem auf, ihn als Sonderberichterstatter zu unterstützen und seinen dringenden Aufforderungen umfassend und unverzüglich zu entsprechen, entgegnet Melzer nun. Zudem hielten die UN die Mitgliedsstaaten zu einem konstruktiven Dialog mit dem Sonderberichterstatter an. Die UN-Resolution nehme die Mitgliedsstaaten auch in die Pflicht, den Empfehlungen und Schlussfolgerungen des Sonderberichterstatters Folge zu leisten. Diesen Verpflichtungen sei Ecuador nicht nachgekommen.

Melzer übte zudem harsche Kritik an den Bedingungen, unter denen Assange in der Botschaft leben musste. Die Behandlung in der ecuadorianischen diplomatischen Vertretung habe „spätestens ab März 2018 psychologischer Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung entsprochen“. Der UN-Funktionär begründete dies mit der zur Verfügung gestellten Wohnfläche, der Überwachung aus den Botschaftsräumen heraus, dem restriktiv gehandhabten Besuchsrechtes und der Überwachung von Besuchen, der Einschränkung beim Zugang zum Internet und Kommunikation sowie mit der massiven Verleumdung durch Mitglieder der ecuadorianischen Regierung.

„Hochrangige Vertreter der politischen Führung Ecuadors, darunter Minister, der Vizepräsident und sogar der Präsident selbst, haben Herrn Assange öffentlich einer Vielzahl von Vergehen beschuldigt, die von Hacking- und Datenschutzverletzungen bis hin zur vorsätzlichen politischen Destabilisierung von Staaten reichen, von der Fälschung von Dokumenten bis hin zur Verbreitung von Beleidigungen, der Vernachlässigung der persönlichen Hygiene und sogar der Beschmutzung der Botschaftswände mit Fäkalien.“ Melzer beanstandete, dass solche Erklärungen von höchster Ebene des ecuadorianischen Staates abgegeben wurden, oft in beleidigender Art und Weise und ohne glaubwürdige Beweise. Mit der Auslieferung an die britischen Behörden schließlich habe Ecuador seine Obhutspflicht grob verletzt, die sich sowohl aus der nationalen Rechtssprechung wie auch aus UN-Statuten und dem Völkerrecht ableite, so sein Resümee.

Veröffentlicht am 5.12.2019 auf Portal amerika21.de