Bolivien: Wahlkampf inmitten von Repression

Autoren: Vilma Guzmán, Sarah Walz, Harald Neuber

Fünf rechtsgerichtete Bündnisse ringen um das höchste Staatsamt, darunter Putsch-Präsidentin Áñez. MAS-Kandidat Luis Arce im Visier der Justiz

In Bolivien findet noch bis zum 3. Februar die Registerierung für die allgemeinen Wahlen am 3. Mai statt. Dabei zeigt sich erneut die Zersplitterrung der in Opposition zum gestürzten Präsidenten Evo Morales und der Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) stehenden Parteien.

Der oberste Wahlgerichtshof hat bekanntgegeben, dass sich bislang fünf Bündnisse eingetragen haben: die rechtsgerichteten Frei21 (Libre21), Wir glauben (Creemos), Gemeinsam (Juntos), Bürgergemeinschaft (Comunidad Ciudadana) und Vereintes Volk (Pueblo Unido). Die MAS hat sich als einzelne Partei registrieren lassen.

Überraschend und entgegen früherer Äußerungen hat sich De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez als Präsidentschaftskandidatin für das Bündnis „Gemeinsam“ aufstellen lassen. Daran sind die Partei Souveränität und Freiheit (Soberanía y Libertad) des Bürgermeisters von La Paz, Luis Revilla, die Sozialdemokrische Bewegung (Movimiento Demócrata Social) des Gouverneurs von Santa Cruz, Ruben Costas, und die Partei Alle (Todos) des Gouverneurs von Tarija, Adrián Oliva, beteiligt. Ihren Sinneswandel erklärte sie über den Kurznachrichtendienst Twitter in einer an die „Liebe bolivianische Familie“ gerichteten Botschaft: „Ich habe die Entscheidung getroffen, für die nationalen Wahlen zu kandidieren.“ Es sei gelungen, eine „große Allianz“ zu bilden, „denn wir wollen die Arbeit, die wir geleistet haben, fortsetzen“, so Áñez.

Die Christdemokratische Partei (Partido Demócrata Cristiano), die Nationalistische Demokratische Aktion (Acción Democrática Nacionalista) und die Zivile Einheit Solidarität (Unidad Cívica Solidaridad) bilden das ultrachte, evangelikale „Wir glauben“- Bündnis. Die ehemaligen Präsidenten der Bürgerkomitees von Santa Cruz und Potosí, Luis Camacho und Marco Pumari, kandidieren als Präsident und Vizepräsident.

„Frei21“ ist ein weiterer neuer Zusammenschluss, bestehend aus den Parteien Nationalistische Revolutionäre Bewegung (Movimiento Nacionalista Revolucionario) und der Bewegung für die Souveränität (Movimiento Por la Soberanía). Ihr Kandidat ist der rechtsliberale Ex-Präsident (2001-2002) Jorge Tuto Quiroga.

Der bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober unterlegene Konservative Carlos Mesa wird erneut antreten. Sein Bündnis „Bürgergemeinschaft“ hat indes einige Mitgliederparteien verloren, andere hinzugewonnen. Für die Vizepräsidentschaft tritt voraussichtlich wieder Gustavo Pedraza an.

Für die MAS kandidieren der Wirtschaftsminister der Morales-Regierung, Luis Arce, als Präsident und der frühere Außenminister David Choquehuanca als Vize.

Arce und Choquehuanca wurden am Dienstag in La Paz mit einer Großkundgebung begrüßt. Arce war zuvor aus Argentinien zurückgekehrt. Seine Ankunft war mit Spannung erwartet worden, da unklar war, ob er sofort festgenommen wird. Direkt nach Verlassen des Flugzeuges wurde ihm eine Gerichtsvorladung übergeben und ein Haftbefehl angedroht, wenn er nicht erscheine. Er sei „zum Glück von Vertretern des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte und der Ombudsbehörde begleitet worden“, erklärte der Kandidat.

Am 21. Januar, zwei Tage nach der Nominierung Arces, hatte die Staatsanwaltschaft die Ausweitung der Ermittlungen wegen Korruption und Pflichtverletzung im Amt gegen Ex-Funktionäre der Regierung Morales angekündigt ‒ darunter auch Arce. Der Fall betrifft die angebliche Abzweigung von Mitteln aus dem Fonds für indigene Entwicklung.

Die bolivianischen Behörden versuchten offenbar, seine Kandidatur zu verhindern, indem sie Klagen gegen ihn einreichen. „Die Leute, die mich kennen, wissen, dass ich mir nie die Hände schmutzig gemacht habe. Ich habe ein reines Gewissen. Die Absichten sind klar, sie wollen, dass wir nicht an den Wahlen teilnehmen“, sagte Arce dazu.

Er erschien am Mittwoch vor Gericht, wo zahlreiche MAS-Mitglieder zu einer Mahnwache zusammengekommen waren. Staatsanwältin Heidy Gil kündigte die Suspendierung der Anhörung an, damit der ehemalige Minister und seine Anwälte Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen können.

Auch Morales will nach seinem Sturz offenbar wieder in die aktive Politik in seinem Land einstiegen. Laut Berichten bolivianischer Medien erteilte er einem seiner Anwälte eine Vollmacht, damit er ihn für die Wahlen am 3. Mai als Kandidat für die Plurinationale Gesetzgebende Versammlung registriert. Morales will dann offenbar in der Region Cochabamba kandidieren.

Derzeit liefen Debatten, wie Evo Morales „uns als Abgeordneter für Cochabamba vertreten kann“, sagte der dortige Anführer der Kokabauern, Leonardo Loza, am Donnerstag in einem Radiointerview. Die Regionalvertretung der MAS bestätigte in einer Pressemitteilung, dass Morales sich diese Woche bereit erklärt hat, seine Kandidatur schriftlich anzumelden.

Loza betonte, dass der ehemalige Präsident „entgegen der Behauptung einiger politischer Akteure“ das verfassungsmäßige Recht hat, für ein Amt zu kandidieren. „Wir sind nicht daran interessiert, was die politische Rechte denkt, sondern wir entscheiden, wer unsere Kandidaten sind“, fügte er hinzu. Vertreter der De-facto-Regierung kündigten indes an, Morales umgehend festnehmen zu lassen, sollte er versuchen, ins Land zu kommen.

Veröffentlicht am 31.1.2020 auf Portal amerika21.de