Rede bei der Kundgebung gegen Defender Europe 20 am 22.2.2020: „Demilitarisierung des Coleman-Areals! Mannheim darf nicht zur Drehscheibe künftiger Kriege werden!“
Autor: Christoph Marischka
Liebe Freundinnen und Freunde,
vor zwei Tagen, am 20. Februar, legte ein Frachter voller Militärgüter in Bremerhaven an. Das Schiff, die Endurance der norwegischen Reederei Wilhelmsen, ist über 260m lang und fasst fast 50.000 Tonnen Ladung. An Bord waren u.a. „Abrams-Panzer, Tanklaster, Container, Kettenraupen und gepanzerte Mannschaftswagen“. Das Schiff wurde im US-Bundesstaat Georgia beladen und brauchte sieben Tage über den Atlantik. Zwei weitere Schiffe sollen allein in Bremerhaven folgen – insgesamt ca. 2.500 Fahrzeuge und Container. Weitere Frachter werden in Häfen in den Niederlanden und Belgien anlanden. Die Schiffe transportieren jedoch v.a. Fahrzeuge, Waffen, Munition und andere Güter. Die Masse der Soldat*innen wird über Flughäfen transportiert, darunter natürlich die Airbase Ramstein, aber auch die überwiegend zivil genutzten Flughäfen u.a. in Frankfurt, München, Nürnberg, Hamburg, Berlin und Bremen.
20.000 bewaffnete Soldat*innen werden aus den USA nach Deutschland gebracht. Sie sollen hier mit weiteren 9.000 US-Kräften zusammengeführt werden, die bereits in Europa stationiert sind. Hinzu kommen wohl nocheinmal etwa 8.000 Soldat*innen der europäischen NATO-Verbündeten. Insgesamt jedenfalls sollen etwa 37.000 uniformierte quer durch Deutschland in Richtung der russischen Grenze verlegt werden. Liebe Freundinnen und Freunde: Das ist ein wahnwitziger Aufmarsch und wir sind heute hier, um zu demonstrieren, dass er nicht in unserem Namen erfolgt, dass er gegen unseren ausdrücklichen Widerspruch erfolgt.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Deutschland und die Bundeswehr bieten sich als Gastgeber, Drehkreuz und damit letztlich auch künftiges Schlachtfeld an, sie drängen sich geradezu auf. Natürlich hat das eiskalte geopolitische Gründe. Darüber hinaus bekommt man jedoch auch den Eindruck, dass hier ein gewisser morbider Narzissmus und ein ordentlicher Schuss Nationalismus mit im Spiel sind. Deutschland, die Bundeswehr, wollen beweisen, wie gut sie dieser logistischen Herausforderung gewachsen sind. Wirklich bedenklich finde ich, wenn die Bundeswehr – nicht in irgendeinem unbedachten Post oder Tweet, sondern auf ihrer offiziellen Info-Seite zum Großmanöver – geradezu ins Schwärmen gerät: Dort hat man sich den Aufmarsch schon vor Monaten bildlich ausgemalt und auf der Zunge zergehen lassen. Zitat: „Transportkolonnen in der Nacht auf deutschen Autobahnen, lange Güterzüge, die durch deutsche Bahnhöfe gen Osten rollen, Panzer auf Binnenschiffen im Ruhrgebiet: Wenn die Amerikaner im kommenden Jahr mit Defender Europe 20 die Verfahren zur Verlegung von umfangreichen Kräften aus den USA nach Osteuropa üben, wird Deutschland aufgrund seiner geo-strategischen Lage im Herzen Europas zur logistischen Drehscheibe“. Hier scheint tatsächlich jemand Krieg spielen zu wollen. Doch aus solchem Spiel, wird ganz schnell Ernst, den wir dann alle ausbaden müssen und dessen gewaltige Kosten wir alle – hier in Deutschland und Europa und auch in den USA – jetzt schon tragen müssen. Liebe Freundinnen und Freunde, wir verbitten uns diese narzisstischen, diese nationalistischen und machistischen Spielereien und die daraus hervorgehenden Gefahren. Wenn die Bundeswehr hier ihre logistischen Leistungen unter Beweis stellen will, dann sollten auch wir als Bevölkerung, als Friedensbewegung unsere Fähigkeiten unter Beweis stellen und uns diesem Manöver vielfältig entgegenstellen!
Liebe Freundinnen und Freunde,
man sagt, man probe hier den Ernstfall – für uns ist das schon der Ernstfall. Denn dieses Manöver wird nicht einfach so vorbeigehen, und danach ist alles wieder beim Alten. Die jetzt ausgestellten Genehmigungen, z.B. diesen Panzer auf jenen Sattelschlepper zu verladen, sind explizit auf Dauer angelegt. Ich glaube auch nicht, das alles Material der US-Streitkräfte wieder einfach so zurückverschifft wird, sondern dass die Depots in Deutschland danach wieder besser und v.a. moderner befüllt sind, als bisher. Ich glaube auch nicht, dass die russische Führung das einfach so achselzuckend zur Kenntnis nehmen wird, sondern auch sie wird wieder verstärkt aufrüsten, ihre eigene Bevölkerung und die ihrer Nachbarstaaten ihrerseits mit Übungen in Angst und Schrecken versetzen. Was für ein Irrsinn. Liebe Freundinnen und Freunde, ich weiss aber auch, dass dieses heillose Säbelrasseln nicht allein die USA zu verantworten haben. Wie gesagt: Deutschland hat sich hier geradezu aufgedrängt. Deutschland hat sich gleich nach der Ukraine-Krise als Standort und Truppensteller der sog. NATO-Speerspitze – der Very High Readiness Joint Task Force – angeboten und aufgedrängt, die im Falle einer Eskalation als erstes an der russischen Grenze sein soll.
Deutschland hat Abfangjäger im Baltikum stationiert und führt im Rahmen der sog. „Enhanced Forward Presence“ – der verstärkten Vorwärtspräsenz der NATO – einen Kampfverband in Litauen. Deutschland hat sich als Standort eines neuen NATO-Logistikkommandos aufgedrängt, das dauerhaft solche Aufgaben wie nun bei Defender 2020 wahrnehmen soll und aktuell in Ulm aufgebaut wird. Deutschland hat einen Rahmenfrachtvertrag für die Bundeswehr mit der Bahn abgeschlossen, der militärischen Güterzügen Vorrang vor allem anderen Verkehr gewährleisten soll. Deutschland setzt sich innerhalb der EU nicht nur ganz allgemein für Aufrüstung ein, sondern insbesondere auch für das sog. Military Schengen – das freien grenzüberschreitenden Verkehr für Waffen und sonstige militärische Gefahrgüter ermöglichen soll. Deutschland setzt sich dafür ein, dass Infrastrukturprojekte stest so geplant sind, dass sie einen militärischen Aufmarsch nach Osten ermöglichen und beschleunigen können. Für all das ist Geld da, aber eine anständige Pflege und Alterssicherung, das bekommt die deutsche Politik nicht auf die Reihe. Liebe Freundinnen und Freunde, wir müssen uns dieser Aufrüstung, diesen Kriegsvorbereitungen widersetzen, und deshalb sind wir heute hier.
Liebe Freundinnen und Freunde,
das eigentliche Manöver wird erst gegen Mai – ausgerechnet um den Jahrestag der Befreiung herum – im Baltikum, Polen und Georgien stattfinden. Danach beginnt die Rückverlegung. Auch wenn der erste Frachter erst am Donnerstag in Deutschland ankam, ist die Kriegslogistik – von der Planung mal ganz abgesehen – längst angelaufen. Aus den Coleman-Barracks fahren bereits seit mindestens Anfang Februar nächtliche Kolonnen der Bundeswehr Material der US Army nach Fritzlar, dort wird es übernommen und weiter nach Fallingbostel bei Munster – auf diesen riesigen Truppenübungsplatz – verbracht. Überall in Kasernen und auf Truppenübungsplätzen werden Tankanlagen und Unterkünfte errichtet, in Garlstedt nördlich von Bremen z.B. eine Zeltstadt für 2.000 US-Soldatinnen. Auch in den Bundeswehrkasernen in Torgelow und Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern sind bereits Vorab-Kommandos der US-Army angekommen. Hier rechnet man in den kommenden Tagen mit Kolonnen von je 20 Fahrzeugen, die im Halbstundentakt aus Hamburg und Wittenburg ankommen. Ein weiterer zentraler Knotenpunkt wird Burg bei Magdeburg sein. Das Manöver veranschaulicht uns auch, wie viele Flächen nach wie vor vom Militär besetzt und beansprucht werden, wie präsent das Militär in der Fläche ist.
Es zeigt uns aber auch, dass mit dem Widerstand und der Friedensbewegung weiterhin gerechnet werden muss. Es haben sehr schnell sehr große Aktionskonferenzen stattgefunden, an fast jeder Kaserne, in der entlegensten Provinz finden Kundgebungen und Demonstrationen statt. Menschen treffen sich auf der Straße, in Räumen der Gewerkschaften, der Kirchen oder der Umweltbewegung für die Planung von Protestaktionen. Lasst uns dieses Manöver dazu nutzen, um unsere Kräfte zu bündeln und unsere Kämpfe – soweit sinnvoll – zu verbünden. Denn der Krieg und seine Vorbereitung geht uns alle an – ebenso wie der Klimawandel – und es liegt an uns, sie zu stoppen. Das ist auch ein Aufruf, dieses Jahr noch viel breiter für die Ostermärsche zu mobilisieren!
Liebe Freundinnen und Freunde,
Das gilt auch über das Manöver Defender 2020 hinaus. Denn in gewisser Weise verdeutlicht es uns auch, was leider an vielen Orten der Welt Normalzustand ist bzw. geworden ist. Diesmal betrifft der sichtbare Aufmarsch Deutschland und Europa. Hier handelt es sich formal nur um eine Übung. In Afghanistan, Irak und Mali ist ein solcher Aufmarsch, eine irrwitzige militärische Logistik aber blutiger Alltag. Und an allen diesen Orten ist die Bundeswehr beteiligt. Weniger auffällig findet bereits jetzt eine alltägliche Logistik von Truppen und Waffen nach Zentralasien, in den Nahen Osten und nach Afrika statt. NATO, Bundeswehr und ihre Verbündeten haben diese Räume in Kriegsgebiete verwandelt. In den letzten Monaten hat sich z.B. die Lage in Mali und dessen Nachbarstaaten drastisch verschärft und obwohl das Scheitern der bisherigen Strategie dort völlig offensichtlich ist, fällt der Politik nichts anderes ein, als noch mehr Truppen mit noch „robusterem“ Mandat hin zu entsenden. Sie kann uns nicht einmal sagen, was die Bundeswehr dort tut, außer dass es angeblich um „Solidarität mit Frankreich“ ginge.
In Wahrheit kämpfen Frankreich und Deutschland in Mali um die Vorherrschaft in Europa – zum Leidwesen der Bevölkerung, für die sich die Sicherheitslage immer weiter und in den letzten Monaten rasant verschlechtert. Liebe Leute, wir dürfen auch hier nicht weiter wegsehen, sondern müssen unsere Empörung, unsere Wut und Bündnisse auch nach Defender 2020 nutzen, um gegen diese unheimliche Alltäglichkeit der Auslandseinsätze – trotz miserabler Bilanz – aufzustehen. Wir sagen nicht nur Stopp zum Aufmarsch und zur Aufrüstung gegen Russland, sondern auch Stopp zu allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Für die Konversion der Militärstandorte und der Rüstungsindustrie. Abrüstung ist das Gebot der Stunde und wir müssen sie durchsetzen!
Liebe Freundinnen und Freunde,
Diese Abrüstung muss von unten kommen. Diese Abrüstung muss auch und vor allem in den Köpfen beginnen und zwar auch in unseren. Wir müssen uns frei machen von den Feindbildern, die uns eingeimpft werden, um diese ungeheure Rüstungs- und Kriegsmaschine am laufen zu halten – über die wir nicht nur bedroht, sondern auch enteignet werden. Wir sollten Defender 2020 auch nutzen, um mit den Menschen in Russland viel besser ins Gespräch zu kommen. Denn letztlich bedroht uns dasselbe machistische und nationalistische Gehabe der Regierungen und Militärs gemeinsam. Dasselbe gilt auch für die Feindbilder in den anderen Einsatzgebieten der Bundeswehr. Wir dürfen uns nicht weismachen lassen, dass diese Menschen alle böse wären oder religiöse Fanatiker oder dass sie sich ohne unsere Truppen und Waffen nur gegenseitig die Köpfe einschlagen würden. Überall auf der Welt, auch in Afghanistan, das seit Jahrzehnten von den konkurrierenden Mächten mit Krieg überzogen wird, wollen die Menschen in Frieden leben und kämpfen hierfür. Lasst uns mit diesen zusammen kommen und zusammen kämpfen. Setzen wir der Kriegsmaschinerie – jetzt, bei Defender 2020 und darüber hinaus – unsere Körper, unseren Geist und unsere Solidarität entgegen. Auch und ganz besonders an den europäischen Außengrenzen. Danke schön!
Veröffentlichung am 24. Februar 2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)