In Bolivien ist es wenige Wochen vor den umstrittenen Neuwahlen am 3. Mai zu einem handfesten Konflikt zwischen der De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez und dem gewählten Parlament gekommen.
Áñez, die sich nach einem Putsch gegen Präsident Evo Morales im vergangenen November selbst zu dessen Nachfolgerin erklärt hatte, musste nun die Ernennung eines neuen Verteidigungsministers aussetzen, nachdem das Parlament Luis Fernando López sein Mandat verweigert hat.
In der Nationalversammlung hat die linksgerichtete Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) von Morales eine solide Zwei-Drittel-Mehrheit. Die MAS-Parlamentarier hatten López drei Mal vorgeladen, um ihn zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch die Armee zu befragen. Nachdem sich der offen rechtsgerichtete Militär für alle drei Vorladungen entschuldigt hatte, lehnte die Parlamentsmehrheit seine Berufung ab.
Am 6. März sollte Lopez im Parlament über die polizeilich-militärischen Operationen berichten, bei denen Hunderte von Verletzten und zehn Tote in der Stadt Sacaba in Cochabamba und mindestens elf Tote in der Gegend von Senkata in El Alto zu beklagen waren. Zu den Tötungen kam es im Folge heftiger Proteste nach dem Sturz von Morales am 10. November.
Damals war dem linksgerichteten Politiker vorgeworfen worden, die Auszählung nach den Wahlen am 20. Oktober manipuliert zu haben. So soll die Wahlbehörde das Ergebnis derart verändert haben, dass Morales, der unbestritten die einfache Mehrheit erreicht hatte, eine Stichwahl hätte vermeiden können. Nachdem die US-nahe Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Betrugsvorwürfe der Opposition in umstrittenen Stellungnahmen bekräftigte, kam es zum Aufstand von Polizei und Armee, der Morales zur Flucht ins Exil zwang. Die Darstellung der OAS wird inzwischen international in Frage gestellt. Dennoch schlugen Polizei und Armee Proteste von Morales-Anhängern wiederholt blutig nieder.
Die MAS scheint vor den Neuwahlen entschlossen, ihre ungebrochene parlamentarische Macht gegen die De-facto-Regierung auszuspielen. Bis zum 13. März soll Kommunikationsministerin Isabel Fernández zur verstärkten Repression gegen kommunale Radiosendern befragt werden. Der Minister für öffentliche Arbeiten, Dienstleistungen und Wohnungsbau, Iván Arias, wird zum Umgang mit der staatlichen Fluglinie Boliviana de Aviación und dem Telekommunikationsunternehmen Empresa de Telecomunicaciones (Entel) befragt. Sportminister Milton Navarro soll zu der Ausrichtung der sogenannten Plurinationalen Spiele Rede und Antwort stehen. Auch Innenminister Arturo Murillo, ein rechter Hardliner, der nach dem Putsch zur Jagd auf MAS-Mitglieder aufrief, steht ebenfalls auf der Liste des Parlaments.
Áñez und ihr verhinderter Verteidigungsminister López wetterten nun heftig gegen die Blockade des Parlaments und beklagten eine politische Kampagne der MAS. Dennoch setzte die De-facto-Präsidentin die Berufung ihres neuen Verteidigungsministers aus. „Die Ernennung von Luis Fernando López zum Verteidigungsminister, wie sie in Absatz 1 des Präsidialerlasses 4141 vom 28. Januar 2020 vorgesehen ist, bleibt ohne Wirkung“, hieß es in einem entsprechenden Folgeerlass. Bis auf Weiteres soll Vizeverteidigungsminister Gastón Ramiro Peñaloza das Amt übernehmen.
Dass Áñez Macht keineswegs gefestigt ist, zeigt auch eine Entscheidung von vor wenigen Tagen. Knapp vier Monate nach ihrer Selbsternennung tauschte die Putschistin zum zweiten Mal die Armeeführung aus. Oberkommandierender der bolivianischen Streitkräfte ist nun Rubén Salvatierra Fuentes. Er löste Iván Patricio Inchausti Rioja ab, der erst am 13. November 2019 vereidigt worden war. Wenig später ernannte sie sechs Minister neu. Einer von ihnen war López.
Veröffentlicht am 11.3.2020 auf Portal amerika21.de