EU-Mandat ausgeweitet, Zweck unklar
Autor: Christoph Marischka
Das Geflecht militärischer Interessen und Akteure in Mali mutiert weiter.
Inmitten der Corona-Krise, in der die EU ansonsten wieder in Einzeltstaaten zu verfallen scheint, hat der Rat der Europäischen Union ohne große Diskussion oder öffentliche Aufmerksamkeit das Mandat ihrer sogenannten Trainingsmission in Mali verlängert und beträchtlich ausgeweitet. Zukünftig soll es den EU-Kräften auch erlaubt sein, die malischen Streitkräfte und die gemeinsame Truppe der G5-Staaten „bis zur taktischen Ebene“ zu begleiten. Aktuell ist die Bundeswehr mit bis zu 350 Kräften an EUTM beteiligt, bis zu 1.100 deutsche Kräfte sind darüber hinaus für die UN-Truppe MINUSMA mandatiert. Für beide Einsätze steht demnächst auch im – wegen der Pandemie nur noch eingeschränkt tagenden Bundestag – eine Verlängerung und Ausweitung an.
Ein kurzer Überblick
Die Mission EUTM Mali wurde bereits im Januar 2013, keine Woche nach einer umfangreichen Intervention der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zur Bekämpfung islamistischer Gruppen in Mali, beschlossen. Entsprechende Planungen, die EU-Präsenz in der gesamten Sahel-Region u.a. durch Trainingsmissionen und Ertüchtigungshilfe zu erhöhen, waren bereits vor der Nato-Intervention in Libyen und der anschließenden Krise in Mali angelaufen und hatten v.a. auch darauf abgezielt, den wachsenden Einfluss Chinas in ganz Afrika und der USA in Westafrika etwas entgegenzusetzen. Der vermeintlich drohende Vorstoß islamistischer Gruppen in den Süden Malis gab dann den Startschuss für eine umfassende Intervention Frankreichs, die Deutschland v.a. logistisch unterstützt hatte. In Windeseile wurden große Kontingente von Truppen aus afrikanischen Staaten eingeflogen, die zunächst unter Führung der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) die Truppe AFISMA bildeten und wenig später (Juli 2013) in die UN-Mission MINUSMA überführt wurden. Seit dem besteht im Grunde folgende Arbeitsteilung zwischen den drei Interventionen: Die französischen Truppen zielen (gemeinsam mit wechselnden lokalen Verbündeten) in erster Linie auf die Bekämpfung des Terrorismus. Die EU-Trainingsmission (EUTM) bildet die malischen Streitkräfte aus, die anschließend im Norden stationiert werden sollen und die MINUSMA soll die Lage insgesamt stabilisieren und eine landesweite militärische Infrastruktur schaffen, auf die sich die malischen Streitkräfte abstützen können. Frankreich hat seinen Anti-Terror-Einsatz bald auch auf die Nachbarstaaten Mauretanien, Niger, Burkina Faso und den Tschad (als weiteren traditionellen Verbündeten) ausgedehnt. Alle fünf Staaten (G5 Sahel) bildeten darauf hin „auf Anregung“ Deutschlands und Frankreichs und von der EU finanziell unterstützt eine gemeinsame Eingreiftruppe, die ebenfalls grenzüberschreitend v.a. den Terrorismus und die „organisierte Kriminalität“ bekämpfen soll. Die Mandate der MINUSMA und der EUTM wurden seitdem schrittweise um die Unterstützung der G5-Truppe und der französischen Mission erweitert.
Die Geschichte der EUTM
Die Mission EUTM Mali war im Januar 2013 zunächst für 15 Monate mandatiert worden. Das Hauptquartier wurde in einem Hotel in Bamako errichtet, die Ausbildung fand und findet bis heute überwiegend in einer malischen Offiziersschule bei Koulikoro etwa zwei Dutzend Kilometer nördlich der Hauptstadt statt. Die Angehörigen der Mission waren ebenfalls tw. in Hotels untergebracht oder entspannten sich in deren Lobbies. Ab Ende 2015 kam es vermehrt zu Angriffen auf diese Hotels, das Hauptquartier der EUTM Mission und auch die Offiziersschule in Koulikoro. Die Sicherungskräfte wurden verstärkt und die Sicherung des Hauptquartiers baulich intensiviert. Spätestens jetzt bekam der Einsatz ein militärisches Gepräge und es wurde klar, dass die Rückeroberung des Nordens kein Kinderspiel würde. Im Zuge der Anschläge wurde auch deutlich, dass es die EUTM mit ihrem Mandat nicht allzu genau nimmt, weil sich deren Angehörige an der anschließenden Sicherung der Umgebung und Verfolgung der Angreifer beteiligten – was nicht unter das Mandat der Ausbildung fällt.
Bis heute hat die EUTM Mali nach eigenen Angaben etwa 15.000 Angehörige der malischen Streitkräfte ausgebildet, deren Gesamtstärke auf etwa 15.000 bis 20.000 geschätzt wird. Noch deutlich schlechter als deren Gesamtzahl ist die Zahl der Gefallenen unter den malischen Streitkäfte seit 2013 dokumentiert, die aber sicherlich im vierstelligen Bereich liegt. Gut dokumentiert sind jedoch zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen an denen sie beteiligt waren. Fast alle Beobachter*innen machen diese tw. systematischen und rassistisch motivierten Menschenrechtsverletzungen durch die malischen Sicherheitskräfte zumindest mit dafür verantwortlich, dass sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert hat, sich immer mehr Gruppen bewaffnen und auf Grundlage von Ethnizität konstituieren. Hatte zunächst v.a. die frankophone Bevölkerung in Bamako die internationale Truppenpräsenz in großen Teilen begrüßt und von ihr eine schnelle Rückeroberung des Nordens erwartet, so ist es die mittlerweile rasant angestiegene Unsicherheit v.a. im Zentrum Malis, die auch unter diesen zunehmend die Forderungen nach einem Abzug laut werden lassen. Selbst der malische Präsident Ibrahim Boubacar Keita, der quasi im Zuge der französischen Intervention mit dem Wohlwollen der EU gewählt wurde, hat zuletzt immer offener gegen die internationale Militärpräsenz agitiert, gegen den Willen Frankreichs Gespräche mit den vermeintlich terroristischen Gruppen eingeleitet und die Corona-Pandemie zum Anlass genommen, strenge Richtlinien für die Einreise ausländischer Militärs zu erlassen.
Begleitung bis auf die taktische Ebene
In diesem Kontext wird nun das Mandat der EUTM drastisch ausgeweitet. Bereits in den vergangenen Jahren war es der Trainingsmission immer mehr erlaubt worden, auch jenseits des relativ sicheren Südens Ausbildungsmaßnahmen durchzuführen und diese auch für Angehörige anderer G5-Staaten anzubieten. Hierzu wurden u.a. mobile Teams gebildet, aber auch erste Ankerpunkte in anderen großen Feldlagern aufgebaut. Zukünftig soll EUTM darüber hinaus laut EU-Beschluss „den malischen Streitkräften militärische Beratung, Ausbildung einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung, Schulung und Mentoring durch Begleitung ohne Exekutivbefugnisse bis zur taktischen Ebene zur Verfügung“ stellen. Was das heißt, wird u.a. aus der direkt anschließenden Begründung klar: „damit die EUTM Mali in der Lage ist, die Tätigkeiten der malischen Streitkräfte zu verfolgen und ihre Leistung und ihr Verhalten — auch im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts — zu überwachen“. Ein Kommentator auf dem Blog augengeradeaus.net bezeichnete die Formulierung „Begleitung ohne Exekutivbefugnisse bis zur taktischen Ebene“ zurecht als „Quadratur des Kreises“ denn die taktische Ebene – so ein anderer Kommentar etwas flapsig – bedeute „dort wo es blitzt“. Was damit gemeint ist, geht aus einem aktuellen Sachstand der Bundesregierung hervor. In diesem heißt es: „Durch die Ausbildung und Beratung von EUTM Mali an den Einsatzstandorten soll gezielt einsatznotwendiges Wissen an die malischen Streitkräfte vermittelt werden. Zugleich bietet sich hierdurch die Möglichkeit, das Verhalten der Soldaten in der Nähe zum Einsatzort zu beobachten und die Ausbildungsinhalte entsprechend anzupassen“. Eine solche „Begleitung ohne Exekutivbefugnisse“ ist auch für die Einsätze der G5-Truppe, also der gemeinsamen Einsätze mit Truppen aus den Nachbarstaaten vorgesehen. Deshalb, so der Sachstand, soll das „Mandatsgebiet von EUTM Mali … auf Gesamtmali sowie alle G5 Sahel Staaten ausgeweitet werden. Diese Maßnahme zielt vor allem darauf, Beratung und Ausbildung auch im zunehmend unter Druck geratenen Burkina Faso sowie, auf Anfrage, auch im Niger durch mobile Trainingsteams anbieten zu können. Die Erweiterung des Mandatsgebiets würde es zudem ermöglichen, auch ohne vorherige Befassung der Brüsseler Gremien Aufgaben außerhalb Malis wahrzunehmen. Dies betrifft z.B. die Durchführung von Veranstaltungen am Collège de Défense des G5 Sahel in Nouakchott.“ Die Bundesregierung bezeichnet dies als „ambitionierte Weiterentwicklung von EUTM Mali.“ Das ist allerdings noch bescheiden ausgedrückt.
Räumliche Entgrenzung
Allein die Distanz zwischen Nouakchott und Bamako beträgt Luftlinie über 1.000 km und ist damit größer als beispielsweise jene zwischen Berlin uns Minsk. Von Nouakchott ans andere Ende des zumindest theoretischen Mandatsgebietes an der Ostgrenze des Tschad sind es über 4.000 Kilometer – deutlich mehr als die Distanz zwischen Lissabon und Kiev. Demgegenüber nimmt sich die finanzielle Aufstockung des Mandates eher bescheiden aus: Wurde das Mandat auf EU-Ebene zuvor jeweils um zwei Jahre verlängert und zuletzt für diesen Zeitraum mit knapp 60 Mio. Euro ausgestattet, so beträgt das Budget nun für vier Jahre 133,7 Mio. Euro – eine Erhöhung um „lediglich“ etwa 11%. 2018 jedoch, als erstmals ein verstärktes Vorgehen der EUTM in der Fläche vorgesehen war, war das Budget der EUTM gegenüber den Jahren 2016 bis 2018 bereits verdoppelt worden.
Trotzdem bildet die Erhöhung des Budgets – das ja nur die gemeinsamen Kosten betrifft – nicht die vom Mandat zumindest ermöglichte Ausweitung und den damit einhergehenden Bedarf z.B. in der Logistik ab. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass eine „Begleitung … bis zur taktischen Ebene“ zunächst nur in Mali selbst stattfinden wird, macht diese sicherlich eine sog. Rettungskette nötig – also den schnellen Abtransport der Verwundeten und hierzu natürlich auch die Sicherung des Umfeldes. Die Präsenz der EUTM-Kräfte in der unmittelbaren Nähe zu Einsätzen der malischen Streitkräfte macht natürlich (aus Sicht der EU-Kräfte) auch ein deutlich verbessertes Lagebild notwendig. Bei beidem stützt sich die malische Armee bislang weitestgehend auf die MINUSMA ab, innerhalb derer v.a. Deutschland für die Bereiche Aufklärung und Führung zuständig ist. Selbst unter der Annahme, dass sich auch die einsatzfernere Ausbildung zunächst „nur“ auf das von der Bundesregierung explizit genannte Gebiet zwischen der afrikanischen Westküste (Nouakchott), dem westlichen Niger und Burkina Faso beschränken wird, so geht damit ein beträchtlicher logistischer Bedarf einschließlich der Sicherung der jeweiligen Stützpunkte einher.
Auch hier kann die MINUSMA verstärkt als Dienstleister einspringen. Deutschland unterhält beispielsweise schon länger im Zuge des MINUSMA-Einsatzes einen Logistikstützpunkt der Luftwaffe außerhalb Malis im benachbarten Niger. Vielleicht aber soll das Mandat der EU jedoch nur für möglichst lange Zeit (vier Jahre) möglichst weite Spielräume für bestenfalls koordiniertes Vorgehen der Mitgliedsstaaten eröffnen, die dann nicht aus dem gemeinsamen Budget abgerechnet werden. Im aktuellen Lagebericht der Bundesregierung findet sich hierzu etwa folgender Hinweis: „Wo immer möglich, unterstützt EUTM Mali in gegenseitigem Einvernehmen und im Rahmen freier Kapazitäten auch Ertüchtigungsprojekte der Bundesregierung durch flankierende Ausbildung, z.B. taktische Ausbildung mit durch Deutschland finanzierten geschützten Fahrzeugen“. Auch im Niger unterhält Deutschland – „unterhalb der [mandatspflichtigen] Einsatzschwelle“ eine bilaterale Military Assistance-Mission (Gazelle) zum Aufbau, zur Ausrüstung und Ausbildung nigrischer Spezialeinheiten. Frankreich hingegen arbeitet unter der Operation Takouba am Aufbau eines gemeinsamen Kontingents europäischer Spezialkräfte für den Einsatz im Sahel.
Spielball der Partikularinteressen
Unabhängig davon, wie die Diskrepanz zwischen völliger räumlicher Entgrenzung des Mandats und mäßiger Erhöhung des Budgets zu interpretieren ist, wird deutlich, dass sich in Mali und dem Sahel ein immer dichteres und verworreneres Geflecht militärischer Interventionen herausbildet, die sich sowohl räumlich, wie auch von den Befugnissen her entgrenzen und deren Ziele zugleich immer unklarer und beliebiger werden. MINUSMA findet bis heute unter einem Mandat des Sicherheitsrates statt, das eigentlich die Unterstützung des malischen Friedensprozesses unter Wahrung der territorialen Integrität zum Ziel hat, wird aber immer stärker in die Einsätze der EU, Frankreichs und der benachbarten Staaten (G5) einbezogen, von denen zumindest letztere immer mehr die Bekämpfung des Terrorismus als Ziel (oder Vorwand) für ihre Aktionen verstehen. Dem Schutz der Zivilbevölkerung – der vor Ort von MINUSMA erwartete, aber nicht erfüllt wird – kann sie als Dienstleister einer entgrenzten, internationalen Militärlogistik umso schlechter erfüllen. Sie wird damit auch immer mehr zum Spielball der Partikularinteressen der beteiligten Staaten und Streitkräfte. Deutschland und Frankreich beispielsweise ziehen in Mali keineswegs an einem Strang und ob sie beide überhaupt noch die Kontrolle über ihre im Sahel grenzüberschreitend operierenden Spezialkräfte haben, kann durchaus bezweifelt werden. Wie sehr sich nun Deutschland, das in beiden Missionen umfangreich und strategisch gut positioniert ist, durch eine Ausweitung der Mandate für MINUSMA und EUTM als zentraler Player in Mali etablieren kann und will, werden wir in den kommenden Wochen erfahren – sofern die Corona-Krise nicht alle anderen Themen überlagert und der Bundestag überhaupt noch imstande ist für politische Auseinandersetzungen.
Veröffentlicht am 25.3.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)
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