EU-Kommission legt neue Vorschläge für die (Rüstungs-)Haushalte 2021 bis 2027 vor
In einem ersten Aufschlag Ende Mai und dann noch einmal Anfang Juni 2020 unterbreitete die EU-Kommission neue Vorschläge für die Einrichtung gleich mehrerer Rüstungstöpfe im kommenden EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027.
Das ist allein schon aus dem Grund bemerkenswert, weil militärrelevante Ausgaben – eigentlich – nicht aus dem EU-Haushalt bezahlt werden dürfen. Geregelt ist dies in Artikel 41 Absatz 2 des Vertrags von Lissabon, der für die EU-Ebene mit einem Grundgesetz vergleichbar ist. Dort heißt es:
„Die operativen Ausgaben im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Kapitels [Allgemeine Bestimmungen über das Auswärtige Handeln der Union] gehen ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen und von Fällen, in denen der Rat einstimmig etwas anderes beschließt.“
So eindeutig diese Passage eigentlich ist, so misslich wird sie von denjenigen empfunden, für die die Herausbildung einer Militärmacht Europa oberste Priorität hat. Bis sich der Brexit abzuzeichnen begann, scheiterte aber die Einrichtung offizieller EU-Rüstungstöpfe am Veto Großbritanniens, das stets auf eine strikte und dem Wortsinn entsprechende Auslegung von Artikel 41,2 gepocht hatte. Seit dem britischen Austrittsreferendum im Juni 2016 brechen hier aber alle Dämme und die Kommission hat sich augenscheinlich auf die Fahnen geschrieben, die anvisierte Militärmacht Europa durch rechtlich überaus fragwürdige Klimmzüge mit den für erforderlich gehaltenen finanziellen Mitteln auszustatten.
Rüstungshaushalte unter einem Dach
Bereits im September 2016 schlug der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erstmals die Einrichtung eines „Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF) vor. Im Mai 2018 folgte dann ein offizieller Kommissionsvorschlag für den nächsten EU-Haushalt 2021 bis 2027. Vorgesehen waren darin 11,5 Mrd. für den EVF, dessen Sinn und Zweck darin besteht, die Erforschung und Entwicklung europaweiter Rüstungsprojekte zu finanzieren. Ferner waren 5,8 Mrd. Euro für die „Militärische Mobilität“ enthalten, mit der die Infrastruktur in Osteuropa für schnelle Truppen- und Gütertransporte Richtung Russland „ertüchtigt“ werden soll. Und schließlich wurden 14,2 Mrd. Euro für Europäische Raumfahrtprogramme eingestellt, vor allem für Copernicus und Galileo, die von großer militärischer Bedeutung sind. Bei diesen Angaben handelt es sich immer um Preise von 2018, die deutlich unter den laufenden Preisen liegen (beim Verteidigungsfonds etwa 13 Mrd. Euro statt der 11,5 Mrd. Euro in Preisen von 2018).
Verwaltet werden sollen diese Fonds nach Verabschiedung von der seit Dezember 2019 existierenden „Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum“ (DG Defence), die die militärisch relevanten Bereiche bündeln soll. Dass hier eben auch die – extrem kostspieligen – Weltraumprogramme mit eingepackt wurden, macht aus Sicht der Kommission Sinn. Thierry Breton, Chef der DG Defense, wurde dazu im Februar 2020 beim Fachportal Bruxelles2 mit den Worten zitiert:
„Ich halte es für unerlässlich, dass sich der Raumfahrtsektor der EU an die neuen geopolitischen, strategischen, industriellen und technologischen Gegebenheiten anpasst. […] Auf europäischer Ebene war es lange Zeit ein Tabu, aber ich glaube, es ist an der Zeit, es zu brechen. […] Ja, Galileo hat eine Verteidigungsdimension. Ja, Copernicus kann Sicherheitsaufgaben dienen. Und ja, dieser Trend muss in Zukunft noch verstärkt werden.“
„Auf den Trümmern des Rechts“
Um besonders den Europäischen Verteidigungsfonds mehr schlecht als recht mit dem Finanzierungsverbot aus Artikel 41,2 in Einklang zu bringen, fährt die Kommission eine zweigleisige Strategie: Einmal argumentiert sie, hier handele es sich um Industrie- bzw. Forschungspolitik zur Wettbewerbsförderung, weshalb das Verbot aus Artikel 41,2, das sich auf den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik beziehe, ohnehin nicht greife. Und wer davon – völlig zu Recht – nicht überzeugt ist, den verweist die Kommission auf den englischen Vertragstext, in dem statt von „Maßnahmen“ von „Operations“ die Rede ist. Dies nutzt die Kommission dann zu der abenteuerlichen Aussage, das Verbot der Verwendung von EU-Haushaltsgeldern würde sich ohnehin lediglich auf eine Finanzierung von Militäroperationen beschränken.
Aufgrund der dubiosen Rechtsauslegung der Kommission beauftragte die Linksfraktion Gue/Ngl den Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano mit einem „Rechtsgutachten zur Illegalität des Europäischen Verteidigungsfonds“, das am 30. November 2018 veröffentlicht wurde. Nach einer ausführlichen Prüfung gelangte Fischer-Lescano darin zu dem Ergebnis, der Verordnungsvorschlag (VO) der Kommission enthalte „keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds (EVF).“ Es sei eindeutig, dass hier militärische Belange im Vordergrund stünden, die wiederum dem Finanzierungsverbot aus Artikel 41, 2 unterlägen: „Kurzum: Es gibt im Inhalt und der Begründung der EVF-VO deutliche Indizien, dass die in der VO geregelte Industrie- und Forschungsförderung nur ein Mittel zum eigentlichen Zweck der Verteidigungsförderung darstellt und dass der Hauptzweck der EVF-VO darin liegt, die strategische Autonomie der EU im Bereich der Verteidigung zu gewährleisten.“
Unter anderem Spiegel Online griff das Gutachten auf und zitierte Fischer-Lescano mit den Worten, beim EVF handele es sich um eine „Militarisierung der EU auf den Trümmern des Rechts.“ Schützenhilfe erhielt Fischer-Lescano auch vom Göttinger EU-Rechtler Alexander Thiele, der im selben Artikel zitiert wird, bei dem Kommissionsvorschlag handele es sich um einen „qualifizierten Verstoß“ gegen europäisches Recht.
Somit bleibt es abzuwarten, ob der EVF gerichtlich Bestand haben wird, sollte er schlussendlich einmal beschlossen sein.
Außerbudgetäres EU-Kriegsbudget
Trotz der „interessanten“ rechtlichen Interpretationsversuche blieb aber selbst aus Sicht der Kommission unstrittig, dass eine Finanzierung von EU-Militäreinsätzen aus dem EU-Haushalt nicht vom EU-Recht gedeckt ist.
Dieses Problem wurde mit der parallel zum ersten Haushaltsentwurf der EU-Kommission im Mai 2018 vorgeschlagenen „Europäischen Friedensfazilität“ (EFF) adressiert. Auch hierbei handelt es sich um ein reichlich abenteuerliches Konstrukt: Die EFF ist explizit außerhalb des EU-Haushalts angesiedelt, wird mit Geldern der Einzelstaaten befüllt, soll aber u.a. zur Finanzierung von EU-Militäreinsätzen dienen, über die wiederum auf EU-Ebene entschieden wird.
Bereits bislang gibt es ein ähnliches Finanzierungsmodell namens ATHENA-Mechanismus, über das es aber nur möglich war, zwischen 5 und 15% der Kosten von EU-Militäreinsätzen zu finanzieren. Den Rest mussten die beteiligten Staaten für ihren Anteil am Einsatz aus eigener Tasche bezahlen, was – nachvollziehbarerweise – der Motivation diverser Länder, sich militärisch zu engagieren, nicht eben förderlich war.
Aus dem EFF-Entwurf von Außenbeauftragter und Kommission wird deshalb ersichtlich, dass hierüber ein „Anreizsystem“ zur Beteiligung an Militäreinsätzen geschaffen werden soll, indem der Anteil der gemeinsam zu finanzierenden Einsatzkosten auf 35 bis 40% angehoben werden soll:
„Mit der Fazilität wird ein fester Fonds geschaffen, was die Einleitung neuer Operationen erleichtern und die Wirkung und Planbarkeit laufender Maßnahmen verbessern wird. Die mehrmaligen Überprüfungen des Mechanismus Athena haben nicht zu einer deutlichen Erweiterung des Umfangs der gemeinsam zu finanzierenden Kosten geführt. Der Vorschlag für die Fazilität hat zum Ziel, mehr Kosten gemeinsam zu finanzieren und ein Anreizsystem für die Mitgliedstaaten zu schaffen, sodass militärische EU-Operationen oder militärische Aufgaben, die der Rat gemäß Artikel 44 EUV einer Gruppe von Mitgliedstaaten übertragen kann, leichter durchgeführt werden können.“
Auch ein zweiter Bereich soll künftig über die EFF finanziert werden: Die Ausbildung und besonders Aufrüstung befreundeter Regierungen oder Rebellen. Hierzu schreiben Kommission und Außenbeauftragte:
„Überdies wird die Fazilität den militärischen Operationen der EU ermöglichen, im Rahmen ihres Mandats integrierte Paketlösungen, die Sicherheit, Ausbildung, Bereitstellung von Ausrüstung und direkte militärische Unterstützung bündeln, anzubieten und so im Einsatzgebiet voll und umfassend tätig zu werden.“
Auch hierfür existierte bislang ein außerhalb des EU-Haushaltes angesiedelter Topf, die ausgerechnet mit Geldern des „Europäische Entwicklungsfonds“ bestückte „Afrikanische Friedensfazilität“. Allerdings unterlag dieses Instrument aus Sicht der Befürworter einer expansiven Militärpolitik erheblichen Einschränkungen: Geographisch betraf das die Beschränkung auf afrikanische Länder und funktional war es untersagt, „letale“ Güter, also besonders schweres Kriegsgerät, zu liefern.
Zur weltweiten Aufrüstung mit EU-Mitteln sollen über die EFF diese beiden Beschränkungen überwunden werden, wofür die Kommission im Juni 2018 vorschlug, 9,2 Mrd. Euro für die Jahre 2021 bis 2027 einzustellen (wieder in Preisen von 2018).
Kampf um den Haushalt
Dem EU-Haushalt 2021 bis 2027 müssen sowohl die Kommission, das Parlament als auch die im Rat versammelten Staaten zustimmen. Nachdem es unter den Mitgliedsländern teils massive Widerstände gegen die von Kommission und Parlament gewünschte Erhöhung des EU-Gesamthaushaltes gab, überraschte die finnische Ratspräsidentschaft im Dezember 2019 mit einem „Verhandlungsbox“ genannten Vorschlag, in dem einige der geplanten Rüstungstöpfe erheblich gekürzt wurden.
Vergleichsweise glimpflich kamen noch die großen Weltraumprogramme davon, für die 12,7 Mrd. Euro statt noch im Kommissionsvorschlag 14,2 Mrd. Euro vorgeschlagen wurden. Kräftig Federn lassen mussten aber die Friedensfazilität mit 4,5 Mrd. Euro sowie die Militärische Mobilität mit 2,5 Mrd. Euro. Und auch der Europäische Verteidigungsfonds kam alles andere als ungeschoren davon: Für ihn schlug die finnische Ratspräsidentschaft nur noch 6 Mrd. Euro statt der von der Kommission anvisierten 11,5 Mrd. Euro vor.
Das wollte nun die Kommission wiederum nicht hinnehmen und präsentierte Anfang Juni ihre Vorstellungen für die Europäische Friedensfazilität, die nun mit 8 Mrd. Euro befüllt werden soll. Schon zuvor, Ende Mai, wurden die Vorschläge für den nächsten EU-Haushalt vorgelegt und die Zahlen wieder teils erheblich nach oben verschoben. Konkret sind für die Weltraumprogramme 14,9 Mrd. Euro vorgesehen (wieder alles in Preisen von 2018), also sogar noch mehr als noch im Mai 2018. Für den Europäischen Verteidigungsfonds schlägt die Kommission einen Betrag von 9,08 Mrd. Euro vor, was wieder deutlich über den Vorstellungen der finnischen Ratspräsidentschaft liegt. Einzig die Militärische Mobilität musste mit nunmehr nur noch 1,69 Mrd. Euro weiter Federn lassen.
Die sich aufdrängende Frage, weshalb die militärischen Infrastrukturvorhaben hier unter Druck gerieten, liefert die gut informierte rüstungsnahe Internetseite Bruxelles2. Es handele sich dabei um einen auf die Niederlande gerichteten Seitenhieb, da sich das Land massiv gegen eine Erhöhung des Gesamthaushaltes stelle. Um ihrerseits Druck auszuüben, nahm sich die Kommission ein Programm vor, das den Niederlanden am Herzen liegt:
„Diese Maßnahme ‚richtete sich klar und direkt an die Niederlande, die sich stark für die militärische Mobilität einsetzen, aber gleichzeitig jede Erhöhung des Gemeinschaftshaushalts ablehnen‘, bestätigte eine gut informierte Quelle an B2. ‚Auch die Europäische Kommission weiß, wie man Politik spielt‘.“
Offensichtlich wir in den Auseinandersetzungen um den EU-Haushalt auf verschiedenen Ebenen mit Haken und Ösen gekämpft – man darf gespannt sein, wie die ab Juli übernehmende deutsche Ratspräsidentschaft diese Konflikte zu lösen gedenkt.
Veröffentlicht am 5.6.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)