Repression gegen Recherche
Hausdurchsuchung bei IMI-AutorInnen
Am frühen Donnerstag, den 2. Juli 2020, drangen bewaffnete und vermummte Polizeikräfte in ein Wohnprojekt in der Tübinger Südstadt ein. Sie verschafften sich mit einem Rammbock Zugang zu einer Wohnung, in der zwei aktive Mitglieder der Informationsstelle Militarisierung wohnen. Bereitschaftspolizist_innen drangen in jedes einzelne Zimmer der Wohnung ein und trafen die Bewohner_innen dabei meist noch schlafend, tw. sogar nackt an. Die eigentliche „Zielperson“ wurde zu Boden gebracht, dabei überwältigt und ihr wurden Handschellen angelegt, bevor ihr Zimmer durchsucht wurde. Sie wurde dabei an Ellenbogen und Knien verletzt.
Die Hausdurchsuchung in Tübingen war Teil einer Razzia gegen linke Strukturen in Baden-Württemberg und wurde begründet mit der mutmaßlichen Anwesenheit der „Zielperson“ bei einem Angriff auf Aktivisten der rechten Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ am 16. Mai, bei der ein einschlägiges Mitglied der neo-nazistischen Szene schwer verletzt wurde. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt deshalb nun wegen versuchten Totschlags und Landfriedensbruchs. Sie scheint dies jedoch als Anlass zu instrumentalisieren, um linke Strukturen insgesamt zu durchleuchten und unbequeme Positionen einzuschüchtern. Die Badische Zeitung etwa berichtete recht pauschal mit der Meldung, dass „am Donnerstag bei Razzien in sieben Städten Zimmer und Wohnungen von Anhängern der linken Szene durchsucht worden“ seien.
Unser Mitstreiter und Autor, der bei der Hausdurchsuchung überwältigt und verletzt wurde, um anschließend mitzuerleben, wie sein ganzes Zimmer auf den Kopf gestellt, seine persönlichsten Sachen durchsucht und all seine Kommunikations- und Speichermedien beschlagnahmt wurden, war allerdings zum Tatzeitpunkt nachweislich nicht in Stuttgart vor Ort. Wir haben Fotos gesehen und glaubwürdige Zeug*innen gesprochen, die das bestätigen. Da er sich zeitgleich auf einer anderen antifaschistischen Kundgebung befand, die von der Polizei natürlich „entsprechend“ dokumentiert wurde, könnte dies auch den ermittelnden Behörden bekannt sein.
Der Durchsuchungsbeschluss wurde mit „bisherigen Ermittlungsergebnissen“ begründet. Zu diesem Zeitpunkt gab die Staatsanwaltschaft die Zahl der Täter*innen gegenüber der Presse mit zehn bis 40 Personen an – allzu weit können die Ermittlungen also nicht gediehen sein. Wie es scheint, nutzten Polizei und Staatsanwaltschaft die Schwere des Tatvorwurfs, um willkürlich Personen und Strukturen einzuschüchtern, die ihnen ein Dorn im Auge sind. Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass sich der Staatsschutz nach Angaben des Betroffenen bei der Durchsuchung in Tübingen weniger für die Kleidungsstücke – die seine (nicht-)Präsenz am Tatort belegen könnten – interessiert habe, als für seine elektronischen Kommunikations- und Speichermedien. Im Rahmen seiner Recherchen auch für die Informationsstelle Militarisierung hatte er sich insbesondere mit der geplanten Verschärfung des Polizeigesetzes in Baden Württemberg sowie mit rechtsextremen Strukturen in der Eliteeinheit „Kommando Spezialkräfte“ beschäftigt, die in den letzten Wochen die Politik bewegt haben. Die Datenträger mit seinen Recherchen und diesbezüglichen Pressekontakten liegen jetzt bei Polizeibehörden und einer Staatsanwaltschaft, die – bestenfalls – leichtfertig schwere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte aufgrund vager „Ermittlungsergebnisse“ abgesegnet hat. Die Parole des Landesinnenministers Thomas Strobl, „Wir kriegen Euch“, mag dabei inspirierend gewesen sein. Obwohl die Staatsanwaltschaft für den vergangenen Freitag eine Stellungnahme angekündigt hatte, hüllt sie sich seit der Hausdurchsuchung in Schweigen.
Ob es nun rechtsextreme Netzwerke zwischen Politik, Polizei und Militär sind, die hinter dieser Aktion stehen oder „nur“ eine Law-and-Order-Mentalität in Politik und Justiz, ist sie zumindest ein weiteres Zeichen dafür, dass wahrhaft kritische Recherchen auch hier von Repression bedroht sind und z.B. Hausdurchsuchungen und andere Ermittlungsformen gerne zu repressiven Zwecken genutzt werden. Die „rechtsfreien Räume“, vor denen die politische Rechte oft warnt, sind weniger in Hausprojekten und „linken Strukturen“ zu befürchten, als in den Spezialeinheiten von Polizei und Militär.
veröffentlicht am 7.7.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)