Gegen das digitale Wettrüsten – Rede beim Antikriegstag 2020 in Tübingen

Christoph Marischka:

Im Juli diesen Jahres gab es einen kleinen Skandal um Philipp Amthor, die uns Einblicke in die Startup-Szene ermöglichte. Philipp Amthor hatte einen Posten im Aufsichtsrat des US-Unternehmens Augustus Intelligence, kurz AI, und Aktienoptionen erhalten. Mutmaßlich im Gegenzug warb er in seiner Rolle als Bundestagsabgeordneter für politische Unterstützung für AI, u.a. im Bundeswirtschaftsministerium. Alleine: Was Augustus Intelligence eigentlich macht, bleibt völlig unklar. Das Handelsblatt schrieb damals, „das Unternehmen habe kein Produkt, keine Kunden und keine Umsätze. Auch die Finanzierung ist unklar“. Dafür hatte das Unternehmen beste Kontakte in die deutsche Politik. Einer der Anteilseigner und „Directors“ ist der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Im Umfeld finden sich der rechtspopulistische ehemalige Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen und der ehemalige BND-Chef August Hanning.

Was macht nun Augustus Intelligence? Zwei Alternativen sind naheliegend. Entweder, das Unternehmen versucht mit leeren Versprechungen und guten Kontakten in die Politik einen Haufen Geld aus Nichts zu machen. Das ist eine durchaus gängige Praxis zwischen Risikokapital und Startup-Szene. Oder das Unternehmen beobachtet den Markt, um Unternehmen und Technologien einzukaufen, die es dann exklusiv staatlichen Stellen, insbesondere Geheimdiensten, anbietet. Nach eigenen Angaben interessiert es sich für „Computer Vision“, ein Forschungsbereich, der auch im Cyber Valley in Tübingen ein Schwerpunkt ist.

Das klingt vielleicht für manche wie eine Räuberpistole, aber solche Firmen gibt es durchaus. Es ist öffentlich bekannt und unbestritten, dass die CIA mit „In-Q-Tel“ eine solche Firma unterhält, die als Riskokapitalgeber auftritt und Startups aufkauft oder bei ihnen einsteigt, um deren Technologie für die US-Geheimdienste nutzbar zu machen. Die Wirtschaftswoche berichtete kürzlich, dass dieses Unternehmen aktuell auf dem deutschen Markt sehr aktiv ist und u.a. bei dem Dresdner Startup Morpheus eingestiegen sei, das winzige Satellitentriebwerke herstellt. Außerdem hat sich der CIA-Dienstleister für mehrere Unternehmen interessiert, die vom DLR, dem öffentlich finanzierten Deutschen Zentrum Luft- und Raumfahrt, ausgegründet wurden. Nun habe In-Q-Tel einen „Talent-Scout“ in Stuttgart stationiert, der nun auch hier nach interessanten Fällen Ausschau halten soll.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir wissen mittlerweile, dass auch Forschung im Cyber Valley von den US-Geheimdiensten finanziert wird. Zwei Tübinger Unternehmen wurden dabei als „verbundene Startups“ angegeben, nach öffentlicher Berichterstattung aber schnell von der Homepage genommen. Dort findet sich aber bis heute das Startup eines ehemaligen MPI-Forschers, der nun in den USA am selben IARPA-Forschungsprojekt beteiligt ist, wie seine ehemaligen Kolleginnen am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Dieses Startup implementiert mit Anschubfinanzierung des Pentagons Software für Datenverarbeitung auf Servern von Amazon Web Services. Und aktuell baut Amazon mit freundlicher Unterstützung der Stadtverwaltung direkt neben dem MPI für biologische Kybernetik ein KI-Forschungszentrum. Liebe Freundinnen und Freunde: Wir müssen weiter wachsam bleiben. Das Cyber Valley hat eine Nähe zum militärisch-forschungsindustriellen Komplex und deshalb fordern wir weiterhin eine Zivilklausel für den Technologiepark. Wir wollen hier keine Forschung für Militär und Geheimdienste und wir wollen hier auch keine Forschung zur Gesichtserkennung, weil diese unseren Rechten und Freiheiten massiven Schaden zufügen kann.

Liebe Freundinnen und Freunde,

besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Die Bundesregierung hat ein Corona-Konjunkturpaket auf den Weg gebracht im Umfang von 130 Mrd. Euro. Daraus werden auch gewaltige Rüstungsprogramme finanziert. U.a. erhält die Bundeswehr daraus ein eigenes „Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr“, ausgestattet mittelfristig mit 500 Mio. Euro. Auch die Gelder für die Umsetzung der nationalen KI-Strategie wurden um 1 Mrd. Euro erhöht. Außerdem enthält es massive Förderungsprogramme für Risikokapital. Liebe Freundinnen und Freunde: da ist ganz offensichtlich ein Wettrüsten im Gange und die Bundesregierung nutzt die Corona-Krise, um dabei richtig groß mit einzusteigen. Das ist widerlich und das verurteilen wir zutiefst.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir haben hier schon oft gemeinsam gefordert, dass das Geld in Gesundheit und Pflege investiert werden sollte, statt in die Rüstung. Das ist so offensichtlich und wichtig. Trotzdem findet unter unseren Augen das Gegenteil statt. Der sog. Nachtragshaushalt, der im Zuge des Corona-Paketes verabschiedet wurde, erhöht den Haushalt des Gesundheitsministeriums tatsächlich kurzfristig um 22 Mrd. Euro. Er wird damit für 2020 mehr als verdoppelt. Er ist damit immer noch kleiner als der Rüstungsetat bzw. der sog. „Verteidigungshaushalt“. Der betrug für dieses Jahr bereits 45 Mrd. Euro und wurde „nur“ um 440 Mio. erhöht – wohlgemerkt: als Reaktion auf die Pandemie. Interessant allerdings sind die sog. Verpflichtungsermächtigungen, also die Mehrausgaben, die für die kommenden festgelegt sind. Die liegen für das Gesundheitsministerium bereits für 2023 wieder niedriger (39 Mio.) als im Verteidigungshaushalt (90 Mio.).

Liebe Freundinnen und Freunde, schaut Euch diesen Nachtragshaushalt an und wie dort – als vermeintliche Reaktion auf die Pandemie – bereits jetzt wieder mehr in die Rüstung, als in die Gesundheit investiert wird. Das ist infam. Und das müssen wir umkeheren, und zwar sehr sehr grundsätzlich. Und dazu sollten wir den Schulterschluss suchen mit denjenigen, die uns bislang gut durch diese Pandemie gebracht haben. Runter mit der Rüstung, Schluss mit der Förderung von Risikokapital – hoch mit dem Mindestlohn, den Löhnen in der Care-Arbeit, der Pflege und all den anderen gesellschaftlich nützlichen und notwendigen Berufen!

Veröffentlichung am 2.9.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)