Wahlen in Westafrika – Probleme vorprogrammiert

Autor: Pablo Flock

In vier Ländern Westafrikas finden in den kommenden drei Monaten wichtige Wahlen statt. Die Medien hierzulande schenken dem wenig Aufmerksamkeit, obwohl in drei dieser Länder auch europäische Soldaten aktiv sind. Nur auf Guinea trifft dies nicht zu. Dort wird mit den Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag, dem 18. Oktober, die Wahlsaison eröffnet. Zwei Wochen später, am 31. Oktober, folgt die Elfenbeinküste, Burkina Faso am 22. November und am 27. Dezember dann der Niger, je mit sowohl Parlaments- wie auch Präsidentschaftswahlen.

In der Elfenbeinküste hat Frankreich eine feste Truppe stationiert. Das Mandat der europäischen Ausbildungsmission EUTM wurde dieses Jahr von Mali auf die sogenannten G5-Sahelstaaten erweitert, zu denen der Niger und Burkina Faso gehören, und die französische Operation Barkhane ist in diesen Staaten auch aktiv. Im Wüstenland Niger bilden deutsche Kampfschwimmer seit 2018 Spezialkräfte aus. Als Vorgeschmack einer größeren Studie, die Positionen und Reaktionen internationaler Akteure bei Putschen und Volksaufständen im frankophonen Westafrika betrachtet, möchte dieser Standpunkt das Interesse für die politische Realität dieser hochmilitarisierten und rohstoffreichen Gegend wecken.

In allen vier Ländern bergen die Wahlen nennenswerte Konfliktpotentiale. In Guinea und der Elfenbeinküste wird schon seit mehreren Monaten demonstriert. Es starben je zweistellige Anzahlen an Demonstranten durch die Gewalt der Sicherheitskräfte. In beiden Ländern glauben sich die amtierenden Präsidenten im Recht auf eine dritte Amtszeit, da sie die Verfassung geändert haben und die vorherigen Amtszeiten somit nicht mehr zählten. Auch die zuständigen Wahlkommissionen und Verfassungsgerichte, in denen die Präsidenten natürlich möglichst viele Verbündete einsetzten, stimmten ihren jeweiligen Kandidaturen zu – nicht aber die Oppositionen.

In Burkina Faso und im Niger sind die Erinnerungen an solches Klammerverhalten von Seiten der Regierenden auch noch sehr lebendig. Erst 2014 wurde in Burkina Faso der Langzeit-Präsident Blaise Compaoré (lange die Rechte Hand Frankreichs in Afrika)(1) durch eine Mischung aus Volksaufstand und Putsch beseitigt, nachdem er versuchte, die Amtszeitenbegrenzung durch eine Verfassungsänderung aufzuheben und seine schon 27 Jahre andauernde Herrschaft weiter zu führen.

Der 2015, nach einer Übergangsphase, gewählte Präsident Roch Marc Christian Kaboré steht dort dieses Jahr wieder zur Wahl. Doch da in den letzten Jahren die Kontrolle über rund ein Drittel des Landes an Dschihadisten und andere bewaffnete Gruppen verloren ging, wird man bei der Wahl entweder mit diesen Gruppen zusammenarbeiten müssen (ob diese jedoch internationale Wahlbeobachter zulassen ist fraglich) und/oder mit einem verkleinerten Staatsgebiet vorlieb nehmen müssen – beides rahmt die Legitimität der Wahl in Fragezeichen und könnte nachträglich zu Konflikten führen. Viele der bewaffneten Gruppen hatten gegenseitig-stützende Beziehungen mit Compaorés nun unbedeutender Partei und kooperieren nun mit Kaborés Partei. Möglicherweise werden ihn viele weiter unterstützen, um diesen Prozess nicht erneut beginnen zu müssen. Kaborés Partei ist jedenfalls zuversichtlich, die Wahl zu gewinnen.(2)

Im Niger wurde 2010 der Präsident Mamadou Tandja unter dem Jubel großer Teile der Bevölkerung von Teilen des Militärs geputscht, nachdem dieser Parlament und Verfassungsgericht auflöste, um in einem von der Opposition boykottierten Referendum die Verfassung zu ändern, die Begrenzung der Amtszeiten aufzuheben und den Präsidenten mit mehr Befugnissen auszustatten. Unter Tandjas Regierungszeit wurde unter anderem ein 5 Milliarden-Dollar Ölförderungsdeal mit China abgeschlossen und der französische Konzern Orano (der damals noch Areva hieß) begann mit dem Abbau in der zweitgrößten Uranmine der Welt. Die von den Putschisten eingesetzte Übergangsregierung veranlasste innerhalb von 14 Monaten ein erneutes Referendum, nachdem Tandjas Verfassung zurückgenommen wurde, und Wahlen, aus denen der amtierende Präsident Mahamadou Issoufou hervor ging. Er leitete sofort Ermittlungen in die Vergabe von Konzessionen für den Rohstoffabbau unter Tandja ein, verhandelte diese neu und ersetzte führende Personen der staatlichen Bergbau-Agenturen.

Der senegalesische Sender Dakaractu und die französische NGO Survie mutmaßten damals, dass Frankreich Tandjas anti-demokratisches Verhalten nicht verurteile, weil sie eine Neuverhandlung der Urankonzessionen befürchteten – die ja auch kam.(3) Stabilität im Niger ist Frankreich wichtig, da der Niger Frankreichs zweitgrößter Uranimporteur ist und Frankreich 75% seines Stromes aus Nuklearenergie bezieht. Obwohl die Neuverhandlungen sicher bessere Rohstoffpreise brachten, schaffte es Issoufou aber nicht, die Lebensumstände der Bevölkerung zu verbessern. Auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen fiel das Land auf den letzten (!) Rang ab. Ob sich dies nach der kommenden Wahl, zu der Issoufou nicht antritt, ändern könnte ist fraglich. Spitzenkandidaten sind Mohamed Bazoum von Issoufous Partei und der Führer der Putschisten von 2010, General Djibo Salou.

Auch Guinea, wo am Sonntag, 18. Oktober 2020, Wahlen stattfinden, ist ein sehr rohstoffreiches Land. Das Bauxit aus Guinea, der Grundrohstoff für die Aluminiumproduktion, kommt für 66% aller Importe des Erzes nach Deutschland, dem größten Aluminium-Verbraucher der Europäischen Union, und 88% der spanischen sowie 71% der irischen Importe des Rohstoffs auf.(4)

Hier hielt der regierende Präsident Alpha Condé im März diesen Jahres ein von der Opposition boykottiertes Verfassungsreferendum ab, welches ihm nun ermöglicht, ein weiteres mal zu kandidieren. Außerdem wurde im selben Zuge die Legislative gewählt, was Condé durch den Boykott der Opposition eine bequeme Zweidrittel-Mehrheit im Parlament einbrachte. Bei Demonstrationen gegen das Referendum wurden, so Human Rights Watch, zwischen Oktober 2019 und Januar 2020 mindestens 30 Demonstranten durch Sicherheitskräfte getötet und es verschwanden mindestens 40 Oppositionelle zwischen Mitte Februar und dem 10. April.(5) Die Internationale Organisation der Francophonie (OIF) hatte das Wahlregister dieser Wahl stark kritisiert. Von den rund 7,7 Mio. gelisteten Wahlberechtigten seien gut 2,5 Mio. nicht identifizierbar gewesen. Die ECOWAS schickte wegen dieser fraglichen Legitimität keine Wahlbeobachter. Trotzdem rief sie in einer Stellungnahme nach der Wahl nur alle Parteien zur Abstinenz von Gewalt auf, verurteilte die Wahl also nicht per se und forderte auch keine Sanktionen.

Für die kommende Präsidentschaftswahl wurde das Wahlregister überarbeitet, welches nun ca. 5,4 Mio. Wahlberechtigte führt. Eine Annullierung des Referendums blieb jedoch aus. Die ECOWAS erkannte dieses Wahlregister als „qualitativ ausreichend für die nächsten Wahl“ an – nicht aber die Opposition. Sie kritisiert, dass in einigen von Condés Stammwähler-Gegenden auffällig viele Wähler registriert sind, was die Regierung mit ökonomischer Migration in diese Gegend begründet. Außerdem griff Condé im Mai in die Ersetzung eines an Covid-19 verstorbenen Mitglieds der Wahlkommission ein.

Die Nationale Front zum Schutz der Verfassung (FNDC), das Bündnis aus Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, das für die Demonstrationen gegen die Verfassungsänderung und den Boykott der Verfassung aufrief, möchte auch die kommende Wahl wieder boykottieren. Der Kandidat der größten Oppositionspartei, die die FNDC ursprünglich mit gründete und die meisten Toten auf den Demonstrationen beklagen musste, gab nun aber doch seine Kandidatur bekannt. Ohne eine Einigung innerhalb der Opposition, ob gewählt oder boykottiert wird, wird es aber schwer fallen, den an der Macht klammernden Präsidenten los zu werden.

Angesichts der militärischen Zusammenarbeit, die Deutschland und seine Nachbarn mit einigen der Subsahara-Staaten unterhalten, wäre es nur fair gegenüber der Bevölkerung, ihren Wahlen etwas Beachtung zu schenken. Die Situation in Mali, wo ein Putsch im August 2020 die mit UN-Missionen und europäischen Ausbildungsmissionen unterstützte Regierung nach Massenprotesten beseitigte, sollte uns daran erinnern, dass die erklärten europäischen Interessen der Terrorismus- und Migrationsbekämpfung sich selbst im Weg stehen, wenn man dabei Machthaber stützt, deren Legitimation in der Bevölkerung schwindet. Genauso mit den Rohstoffen: wenn man Geschäfte mit Menschen macht, die sich über sehr zweifelhaften Wahlen wie in Guinea an der Macht halten und nebenbei auch noch Kreditgarantien für Minen gibt, die Menschen ihrer Lebensgrundlage berauben,(6) sollte es nicht verwundern, wenn man Instabilität und Migration erntet.

Anmerkungen

(1) Compaoré hatte 1987 den Marxisten Thomas Sankara weggeputscht, weil dieser die Beziehung zum Partner Frankreich geschädigt habe. Sankara hatte die Bodenschätze verstaatlicht und lehnte Kredite von IMF und Weltbank ab. Er wird auch ‚Che Guevara Afrikas‘ genannt und wurde in den Aufständen von 2010 viel zitiert (https://www.theguardian.com/world/2014/oct/30/burkina-faso-protests-president-constitution-power).

(2) Obwohl die von Dschihadisten kontrollierten Gegenden zu No-Go Gebieten wurden, wo beispielsweise die Schulen geschlossen sind, und scheinbar mehr als 60% unzufrieden sind mit Kaborés Regierungserfolgen, wird ihm eine gute Wahl vorausgesagt. Die einzigen nennenswerten Gegenkandidaten scheinen die nun wieder zur Wahl zugelassenen Kandidaten von Compaorés Partei (https://africa.cgtn.com/2020/07/11/burkinas-president-kabore-set-to-win-party-election-backing-despite-problems-with-jihadist-insurgency/). Neben den Dschihadisten spielen lokale Selbstverteidigungs-Milizen „koglweogos“, die sich nach dem Zusammenbruch des Sicherheitssystems während Aufstand und Putsch gebildet hatten, eine Rolle (https://www.noria-research.com/self-defence-movements-in-burkina-faso-diffusion-and-structuration-of-koglweogo-groups/). Besonders im Westen des Landes sind auch die traditionellen transnationalen Jägergilden „dozos“ aktiv (https://www.clingendael.org/sites/default/files/2020-05/Policy_Brief_Burkina_Faso_casting_shadow_over_polls_May_2020.pdf)

(3) Tandjas Uran-Deal muss so billig gewesen sein, dass der damalige französische President Hollande, der den Haupteigner von Areva/Orano, den französischen Staat, vertrat, wohl sogar einen Anstieg des Preises von über 50% akzeptierte, wie la Tribune 2012 berichtete. Und selbst danach müssen die Preise für damalige Verhältnisse noch so weit unter dem Weltmarktpreis gelegen haben, dass sich die zusätzlichen Kosten für Sicherheit für die Franzosen lohnen (https://www.latribune.fr/entreprises-finance/industrie/energie-environnement/20120611trib000703254/hollande-prone-la-cooperation-sur-l-uranium-avec-le-niger.html)

(4) Auf der Seite https://oec.world/en/profile/country/gin/ können die einzelnen Exportgüter anteilig an den Gesamtexporten sowie die Länder, in diese hingehen, angesehen werden. Betrachtet man dann die Länder selbst (z.B. Deutschland) und die dortigen Importe, in unserem Fall Bauxit, kann man die genannten Zahlen sehen.

(5) https://www.hrw.org/news/2020/04/10/guinea-violence-during-referendum.

(6) Die Bundesregierung gibt Kreditgarantien für eine Bauxit-Mine, wegen der gerade 13 Gemeinden klagen, weil sie von ihren Ländern vertrieben wurden ohne angemessen entschädigt zu werden https://www.fian.de/artikelansicht/2020-06-23-deutsche-bundesregierung-darf-sich-nicht-mit-kredit-garantien-an-vertreibung-beteiligen/.

Veröffentlicht am 16.10.2020 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)