Bahn frei für die Eurokampfdrohne?
Autor: Jürgen Wagner
Überquert die SPD am 24. März den Rubikon?
Allzu viele lichte friedenspolitische Momente kann man der SPD in den letzten Jahrzehnten nun wirklich nicht attestieren – der Beschluss, die Bewaffnung der Heron-TP-Drohnen erst einmal bis auf Weiteres zu vertagen, gehörte aber sicherlich dazu. Vor diesem Hintergrund bestand auch eine gewisse Aussicht, dass der Bau einer waffenfähigen Eurodrohne auf Eis gelegt werden könnte – doch mit der Kabinettssitzung am 3. Februar 2021 hat sich diese Hoffnung wohl als trügerisch erwiesen. Aus dem Ergebnispapier geht hervor, dass sich die Regierungsparteien darauf verständigt haben, bei der anstehenden Abstimmung im Bundestag am 24. März 2021 die entsprechenden Gelder zu bewilligen:
„Die Eurodrohne ist ein primär als Aufklärungssystem konzipiertes, multinationales Gemeinschaftsprojekt gemeinsam mit Frankreich, Italien und Spanien. Die Koalitionspartner vereinbaren, die notwendigen Beschlüsse herbeizuführen, damit die Verträge zur Entwicklung und Beschaffung der Eurodrohne wie geplant im März unterzeichnet werden können. Der Industrievertrag umfasst keine Bewaffnung der Eurodrohne.“
Die auf Drängen der SPD aufgenommenen Signalwörter „Aufklärungssystem“ und „keine Bewaffnung“ sind aber leider Augenwischerei. Trotz aller verbalen Klimmzüge, die Eurodrohne ist und bleibt eine Kampfdrohne, woran zum Beispiel auch der militärnahe Blog Augengeradeaus wenig Zweifel aufkommen lässt:
„Der Wortlaut des Koalitionsbeschlusses ist offensichtlich von dem Wunsch geprägt, dem Koalitionspartner SPD so weit wie möglich entgegenzukommen. Denn auch wenn es zunächst nicht um eine Bewaffnung dieses Systems geht: Dass es sich um ein primär als Aufklärungssystem konzipiertes Projekt handele, ist schon eine sehr deutsche Binnen-Sichtweise, die zum Beispiel für Frankreich kaum so zutreffen dürfte. Aber da die SPD schon die Bewaffnung der bereits beschafften israelischen Heron TP-Drohnen der Bundeswehr ablehnt, wäre ein solches System unter dem Aspekt Bewaffnung für die Sozialdemokraten vermutlich nicht tragbar gewesen.“
Was die SPD hier veranstalten will, ist so ähnlich, wie einen Panzer zu bauen, aber zu sagen man werde nicht damit schießen – im Übrigen: die Munition für die Eurodrohne ist bereits ausgewählt, wie Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn letztes Jahr – vermutlich versehentlich – am Rande einer Diskussion fallenließ: „Für die EURODROHNE sind BRIMSTONE 3 und GBU 49 vorgesehen.“ Jedenfalls schien Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sichtlich zufrieden mit den Ergebnissen des Koalitionsausschusses zu sein: „Zuerst ist es wichtig, dass wir die Drohne gemeinsam bauen – dann werden die anderen Länder sicherlich auch bewaffnen. Und ich hoffe sehr, dass wir für die Zukunft Beschlüsse hinbekommen, die klar machen, der Schutz unserer Soldaten ist es wert, dass auch wir Drohnen bewaffnen.“
Die sogenannten Eurodrohne (Medium-altitude, long-endurance remotely piloted air system, MALE RPAS) soll unter deutscher Führung von Airbus D&S (DEU), Dassault Av (FRA), Leonardo (ITA) sowie Airbus S.A.U. (ESP) entwickelt werden. Insgesamt ist der Ankauf von 21 Systemen à 3 Drohnen bislang fest zugesagt: Deutschland beabsichtigt sieben Systeme zu erwerben, Italien und Spanien 5 und Frankreich 4. Die Eurodrohne ist – neben den beiden geplanten deutsch-französischen Großprojekten Kampfpanzer und Kampfflugzeug – das derzeit wohl wichtigste europäische Rüstungsvorhaben. Sie wurde aus diesem Grund bereits im März 2019 in die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (PESCO) der EU überführt und ihre Entwicklungskosten sollen auch mit EU-Mitteln querfinanziert werden. Eine erste Marge von 100 Mio. Euro wurde bereits bewilligt.
Apropos Kosten: Wie Agence-France-Press im September vergangenen Jahres meldete, hätten sich die vier Entwicklerstaaten mit der Industrie auf einen Kostenrahmen von 7,1 Mrd. Euro für die bestellten 21 Systeme verständigt. Ob dieser Preis Bestand haben wird, ist allerdings fraglich, schließlich wollten die Hersteller ursprünglich 10 Mrd. Euro und ließen sich dann nur widerwillig herunterhandeln. Außerdem hat es schon fast Tradition, dass große Rüstungsprojekte nur mit deutlichen Verzögerungen und heftigen Kostenüberschreitungen über die Ziellinie kommen. Bereits jetzt hat sich jedenfalls der Zeitplan der Eurodrohne nach hinten verschoben: Ursprünglich sollte mit der Auslieferung 2025 begonnen werden, jetzt ist von 2027 oder 2028 die Rede.
Die gestrige Entscheidung des Koalitionsausschusses zur Eurodrohne ist dabei nicht nur aufgrund ihrer Signalwirkung für die Debatte um die Bewaffnung von Drohnen bedauerlich. Mit ihr wird auch ein wichtiger Stolperstein für die Realisierung des „Future Combat Air System“ (FCAS) aus dem Weg geräumt. Dabei handelt es sich um ein in Anbahnung befindliches künftiges Luftkampfsystem, das aus einem neuen Kampfflugzeug nebst angedockten bewaffneten Drohnenschwärmen bestehen soll und dessen Gesamtvolumen zuletzt auf sage und schreibe 300 Mrd. Euro geschätzt wurde (siehe „Das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt“).
Für diese angedockten unbemannten Kampfeinheiten soll die Eurodrohne als Grundlage dienen. Insofern trieb so manchen militärnahen Politiker die Sorge um, die SPD könne in der Drohnenfrage weiter auf stur schalten und so den Fortgang des FCAS-Großprojektes gefährden. So schrieb der vor einer Weile aussortierte frühere SPD-Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels in der NZZ: „In den ersten Monaten dieses Jahres sollen die zuständigen Bundestagsausschüsse auch einem weit grösseren und wichtigeren Drohnenprojekt zustimmen: der Entwicklung und Beschaffung von 21 Exemplaren der Eurodrohne, des Resultats eines Gemeinschaftsprogramms von Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien unter Federführung der deutschen Airbus-Rüstungssparte […] – eine echte Allzweck-Kampfdrohne also, einsatzbereit ab 2028. […] Mit einer Hängepartie bei der Eurodrohne stünde allerdings auch das Superprogramm «Future Combat Air System» («FCAS») infrage.“
Hier legt die SPD aber aus Sicht der Rüstungsindustrie eine gewisse Verlässlichkeit an den Tag, schließlich hatte sie bereits 2019 und 2020 erste Gelder für Vorarbeiten zum FCAS mit bewilligt. Ganz offensichtlich passt hier etwas nicht ganz zusammen, denn würde „die SPD ihre Haltung ernst“ nehmen, dann, so der Behördenspiegel unlängst, „dürfte also auch FCAS nicht fortgesetzt werden.“ Das wird aber wohl nicht geschehen, denn allzu ernst scheint es die SPD ihre Haltung in Friedensfragen im Ernstfall eben doch nicht zu nehmen.
Das ist umso bedauerlicher, weil damit der großflächigen Anschaffung von Kampfdrohnen in Europa massiv Vorschub geleistet würde – und zwar selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich Deutschland selbst gegen eine Bewaffnung entscheiden würde, wie in einem Artikel bei netzpolitik.org kritisiert wurde: „Später könnten weitere Regierungen die ‚Eurodrohne‘ in größerer Stückzahl kaufen, die Länder Belgien, Finnland, die Niederlande, Polen, Portugal und Ungarn sind laut der Bundesregierung Beobachter des Projekts. […] Die Abstimmung zur Serienproduktion der ‚Eurodrohne‘ ist deshalb von einer kaum überschaubaren Tragweite. Auch wenn der Bundestag in einigen Jahren keine Zustimmung zu ihrer Munitionierung erteilt, würden absehbar zahlreiche andere EU-Mitgliedstaaten die mit deutschen Steuergeldern entwickelte ‚Eurodrohne‘ beschaffen und bewaffnen. Die SPD steht also […] vor der Entscheidung, ob sie das Schleusentor für die Herstellung und Verbreitung einer EU-Kampfdrohne öffnen möchte.“
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine erweiterte und aktualisierte Fassung eines Beitrages, der zuerst bei Telepolis erschien.
Veröffentlichung am 4. März 2021 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)