35 Jahre nach Tschernobyl – der europaweite Atomausstieg ist überfällig
Pressemitteilung der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) vom 26.04.2021
Anlässlich des 35. Jahrestags der Atomkatastrophe von Tschernobyl, warnt die internationale Ärzt*innenorganisation IPPNW vor den Taxonomieplänen der EU und appelliert an die Bundesregierung, die hochriskante Atomkraft ohne jegliche Hintertür von der Taxonomie auszuschließen. Neueste Studien zu den Auswirkungen der Atomkatastrophe von Tschernobyl zeigten, dass Niedrigstrahlung nach Atomunfällen nicht nur Krebserkrankungen, sondern auch schwere Nicht-Krebserkrankungen und Auswirkungen auf das Erbgut verursachen. Die Bundesregierung müsse sich klar gegen den Druck der französischen Atomlobby positionieren.
„Tschernobyl war der größte Atomunfall, den wir bisher erlebt haben. Eine Fülle an medizinischen Studien zu den gesundheitlichen Folgen von Niedrigstrahlung wurde seitdem durchgeführt. Die Erkenntnisse der letzten 35 Jahre sprechen eine klare Sprache. Doch das Joint Research Center (JRC) in Karlsruhe, das die EU in Fragen zur Bewertung der Atomkraft berät, ignoriert die Ergebnisse der großen medizinisch-epidemiologischen Studien zu den Gesundheitsfolgen bei Nuklear- und Uranbergarbeitern sowie aus der medizinischen Strahlenanwendung“, betont die IPPNW-Vorsitzende Dr. med. Angelika Claußen. Wirtschaftliche Interessen würden hier willentlich über die der Gesundheit gestellt.
Mögliche strahlenbedingte Gesundheitsfolgen wie Hirn- und Herzinfarkte wurden von der westlichen Forschung lange nicht anerkannt. Doch neuere, länderübergreifende Studien an Atomarbeitern aus Frankreich, Großbritannien und den USA haben gezeigt, dass es auch bei relativ niedriger und langsam erfolgender Aufnahme von ionisierender Strahlung zu tödlichen Hirn- und Herzinfarkten infolge von Blutgefäßschädigung kommen kann. Auch in experimentellen Zellstudien konnte dieser Mechanismus nachgewiesen werden. Die strahlenbedingte Linsentrübung ist inzwischen ebenfalls von internationalen Strahlenforscherinnen anerkannt. Studien zu Schädigungen des Erbguts durch radioaktive Strahlung zeigten zudem, dass die Anzahl der fetalen Missbildungen steigt, wenn die Mutter, beispielsweise aufgrund ihrer Arbeit, während der Schwangerschaft ionisierender Strahlung ausgesetzt ist.
„Diese Beispiele strahlenbedingter Krankheiten zeigen auf, dass wir die Forschungsergebnisse von Tschernobyl sehr ernst nehmen müssen“, unterstreicht Dr. med. Angelika Claußen. Es müsse systematisch weiter in diese Richtung geforscht werden. Atomenergie stattdessen als nachhaltig einzustufen und wirtschaftlich zu fördern, sei hingegen aus gesundheitlicher Sicht unverantwortlich.
Die Minimierung jeglicher Strahlenexposition ist das Gebot der Stunde. Von einem Atomkraftwerk profitieren zwei Generation, 50 Generationen leiden danach unter den strahlenden Altlasten. Die Kosten für Modernisierung und Rückbau sind enorm. Mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun. Wenn die Bundesregierung Atomkraft aus der Taxonomie-Regelung ausschließt, wäre ein erster wichtiger Schritt für einen europaweiten Atomausstieg getan.
Weitere Informationen:
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deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW)