Tschads Langzeit-Herrscher stirbt, Sohn übernimmt, Frankreich billigt
Autor: Pablo Flock
Frankreichs enger Verbündeter Idriss Déby Itno regierte das ölreiche, zentralafrikanische Land Tschad seit 30 Jahren. Nach seinem ominösen Tod an der Front setzt das Militär unter der Führung seines Sohnes die Verfassung aus und das Parlament ab.
Am Dienstag, 20. April 2021, starb der langjährige Herrscher des zentralafrikanischen Landes Tschad, einen Tag, nachdem er erwartungsgemäß zum Gewinner der letzten, fragwürdigen Präsidentschaftswahl am 11. April gekürt wurde. Nach Aussagen des Militärs erlag Déby nach der Rückkehr in die Hauptstadt N‘Djamena Verletzungen, die er sich bei einem Besuch seiner gegen Rebellen kämpfenden Truppen im Norden zuzog. Er sei heroisch bei der Verteidigung der territorialen Integrität des Staates gestorben, so der Sprecher des Militärs.
In diesem Fall übernimmt laut Verfassung eigentlich der Parlamentssprecher die Amtsgeschäfte für 40 Tage und organisiert neue Wahlen. Doch das Militär setzte die Verfassung aus und löste das Parlament auf. Für die kommenden 18 Monate werde ein militärischer Übergangsrat unter Leitung des Sohns des Verstorbenen, dem Fünf-Sterne-General Mahamat Idriss Déby, das Land führen. Verfassungsrechtlich kann man von einem Putsch sprechen. Derweil wurden nächtliche Ausgangssperren verhängt und die Grenzen geschlossen.
Was sich an der Front im Norden des Tschad abspielte, wirft jedoch Fragen auf. Einen Tag zuvor verkündete das Militär, dass es eine Gruppe der Rebellen, die seit dem Tag der Wahl große Teile des Nordens einnahm, komplett zerschlagen habe. In den Kämpfen seien rund 300 Aufständische und fünf Sicherheitskräfte getötet worden. Zehn weitere seien verletzt worden, darunter der Präsident, der es scheinbar vorzog, die Soldaten an vorderster Front zu stärken, anstatt eine Siegesrede anlässlich der gerade gewonnen Wahl zu halten.
Widersprüchliche Nachrichten von der Front
Gleichzeitig behauptete die Front für Wandel und Eintracht (FACT) die an den Niger grenzende Region Kanem „befreit zu haben“. Westliche Regierungen bestätigten die Aussagen der Rebellen und berichteten von Rebellen-Konvois, die auf dem Weg in Richtung der Hauptstadt N‘Djamena seien. Die britische Regierung empfahl ihren Bürgern das Land zu verlassen.
In einer Verlautbarung nach dem Tod Débys, in der der Marsch auf N‘Djamena angekündigt wurde, empfahl Kingabe Ogouzeimi, ein Sprecher der FACT, der Bevölkerung und diplomatischem Personal sowie anderen Ausländern, ruhig zu bleiben und die Hauptstadt, wenn möglich, nicht zu verlassen.
Die Rebellen verurteilten außerdem den Putsch der Generäle unter dem Sohn des langjährigen Herrschers. Der Tschad sei keine Monarchie, es dürfe keine dynastische Machtübergabe geben. Eine Gruppe von Oppositionsführern, die aufgerufen hatten, die letzte Wahl zu boykottieren, sprachen sich schon am Montag, 19. April, für einen Waffenstillstand und einen „inklusiven nationalen Dialog“ aus.[1]
Zweifelhafte Wahlen
Mehrere Kandidaten, darunter Saleh Kebzabo, der Zweiter in der Wahl vor sechs Jahren wurde, zogen ihre Kandidaturen zurück und riefen zum Boykott der Wahl am 11. April auf, nachdem die Mutter, der Sohn und drei weitere Verwandten des Kandidaten Yaya Dillo bei einer Razzia durch Sicherheitskräfte getötet wurden.[2] Am Montag, 19. April wurde daraufhin verkündet, Déby habe die Wahl mit 79,3 Prozent aller Stimmen im ersten Wahlgang gewonnen.
Der 68 jährige Idriss Déby regierte das Land seit 30 Jahren, nachdem er seinen Vorgänger Hissène Habré in einem von Frankreich unterstützten Putsch beseitigte. Er überlebte mehrere bewaffnete Aufstände, wobei Frankreich ihn mehrfach aus der Luft unterstützte, und ermöglichte sich durch mehrere Verfassungsänderungen stets erneute Kandidaturen. Nach der letzten Verfassungsänderung im Jahre 2018 hätte Déby noch für zwei Amtszeiten kandidieren, also bis maximal 2033 regieren, dürfen.
Mit Verfassungsänderungen konnte sich Déby auch unliebsame Konkurrenten abhalten. So erhöhte er zum Beispiel das Alter für die Kandidaten für das Präsidentenamtes von 35 auf 40 Jahre, was den 38 jährigen beliebten Anführer der Transformers Party, Succès Masra, ausschloss.[3] Zudem wurden besonders in der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2015 Vorwürfe des Wahlbetrugs laut. Das nun abgesetzte Parlament wurde seitdem nicht mehr gewählt. Die Wahl wurde seit 2015 verschoben und war für den 24. Oktober diesen Jahres angesetzt.
Westliche Verbündete stehen weiter hinter dem Militär
Doch trotz der autokratischen Tendenzen, der katastrophalen Korruption und einer verarmten Bevölkerung, die sich trotz immenser Ölvorkommen auf Platz 187 von 189 Ländern im Human Development Index der Vereinten Nationen wiederfindet, konnte sich Déby der Unterstützung aus dem Westen gewiss sein. Besonders die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, aus der der Tschad die meisten Waffen bezieht, deckte ihm den Rücken – und war auf ihn angewiesen.
Von der tschadischen Hauptstadt N‘Djamena aus koordiniert Frankreich die Operation Barkhane, mit der sie im gesamten G5-Sahel-Gebiet, von Mauretanien an der Westküste über Mali, Burkina Faso und den Niger bis in den Tschad, Islamisten und andere Aufständische bekämpft. Der Tschad beteiligt sich auch im Niger und in Mali mit Truppen an dieser Operation[4] und ist zudem größter Truppensteller der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA), die von einem tschadischen General angeführt wird.
Als malische Generäle im August 2020 nach Massenprotesten den dortigen Präsidenten absetzten, wurde das Land weder von Frankreich noch von anderen westlichen Verbündeten mit Sanktionen belegt, wie dies eigentlich bei verfassungswidrigen Machtübernahmen – zumindest vorübergehend – üblich ist. Dass die führenden Organisationen der Massenproteste beklagten, nicht an der von Militärs dominierten Neuordnung Malis beteiligt zu sein,[5] interessierte die Entsendenationen der in Mali stationierten Soldaten, darunter Deutschland, scheinbar wenig. Man wolle weiter in der Bekämpfung des Islamismus mit dem Regime zusammenarbeiten und unterstütze es mit neuen Entwicklungshilfegeldern.[6]
Auch im letzten Communiqué des französischen Außenministers Jean-Yves Le Drian, in welchem dem Tschad zum Tode des „Freunds Frankreichs“ kondoliert wird, stellt sich Frankreich hinter die verfassungswidrige Entscheidung der Generäle, anstatt diese zu kritisieren – natürlich nicht ohne die Etablierung einer zivilen Regierung „nach einer begrenzten Zeit“ zu fordern.[7]
Während die Afrikanische Union „starke Bedenken“ gegenüber der Machtergreifung des Militärs äußerte, beschuldigen die Rebellen der FACT Frankreich, ihre Kommando-Zentrale bombardiert zu haben. Frankreich bestreitet aber, in letzter Zeit Luftangriffe im Tschad ausgeführt zu haben.[8] 2019 bombardierte Frankreich die Rebellengruppe Union der Kräfte des Widerstands (UFC), die, angeführt durch den Neffen des Diktators, Timan Ardemi, auf die Hauptstadt vorrückten, um das Déby-Regime zu stürzen.
Obwohl auch schon damals Oppositionspolitiker Frankreichs Angriffe als Einmischungen in innere Konflikte verurteilten, schreibt Telepolis-Autor Bernard Schmid, dass die FACT und der von ihr abgespaltene Rat des militärischen Oberbefehls für die Rettung der Republik (CCSMR) „erheblich bessere Verbindungen zur zivilen und demokratisch orientierten Opposition auf[weisen] als etwa die Truppe von Ardimi.“[9]
Lippenbekenntnisse bei Protest-Toten
Wenige Tage nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, zusammen mit dem EU-Außenminister Josep Borrell, dem verstorbenen Verbündeten die letzte Ehre erwiesen, und ein Tag nachdem der Militärjunta einen neuen Premierminister einsetzte, folgten tausende den Protestaufrufen von Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen, die unter dem Motto „Wakit Tama“ („die Stunde ist gekommen“) standen.[10] Auf den Protesten wurden anti-französische Slogans skandiert und französische Flaggen verbrannt.
Am ersten Tag der Proteste, Dienstag, 27.04.2021, starben nach Regierungsangaben fünf Demonstranten, die Tschadische Konvention für die Verteidigung von Menschenrechten (CTDDH) spricht von neun Toten, 36 Verletzten und 12 Festnahmen.[11] Macron verurteilte die Repression der Demonstrationen. Doch Kritiker bezweifeln, dass Frankreich den Druck auf den neuen Mann an der Spitze erhöhen würde.
„Wir hörten nichts von Frankreich als das Internet blockiert wurde, als Leute inhaftiert wurden und die wichtigsten Oppositionspolitiker sich von der Präsidentschaftswahl zurückzogen,“ meinte der Analyst Seidick Abba gegenüber der Deutschen Welle.[12] Er verglich den Putsch mit den Geschehnissen der 1960er Jahre.
Frankreichs Stabilität in Westafrika
Dies entspricht der französischen Doktrin für die Region, die das Zauberwort Stabilität zweifelsohne über andere Werte wie Demokratie stellt. So unterstützt Frankreich beispielsweise auch in Togo den Sohn des ehemaligen Diktators Gnassingbé Eyadema, der den ersten gewählten Präsidenten des Landes, Sylvanus Olympio, 1963 mit der Hilfe ehemaliger französischer Legionäre stürzte.
In der Elfenbeinküste begrüßte man im letzten Jahr die verfassungswidrige dritte Amtszeit des vorher mit französischer Hilfe eingesetzten Alassane Ouattara. Der damals entmachtete Laurent Ggbagbo konnte ein zweites Mal nicht an der Wahl teilnehmen, weil er in Belgien auf die Berufung seines Verfahrens beim Internationalen Strafgerichtshof wartete, der ihn zuvor in allen Anklagepunkten freigesprochen hatte.[13] Am 31. März diesen Jahres wurde dieser Freispruch dann in zweiter Instanz bestätigt. Währenddessen sitzt der Anführer der Rebellen, deren Massenmorde selbst von Medien, die Gbagbo dämonisieren, dokumentiert wurden[14], auf dem Präsidenten-Thron.
Mitläufer Deutschland
Deutschland ist in der Region vor allem in Mali aktiv, wo im Rahmen der MINUSMA der zweitgrößte und gefährlichste Auslandseinsatz der Bundeswehr stattfindet. Das Mandat der 1100 Blauhelm-Soldaten wurde erst am letzten Mittwoch, 14. April, verlängert. Neben der Bekämpfung des Terrorismus, wird auch die Bekämpfung der illegalen Migration als Hauptmotiv des Mandats der Bundeswehr benannt.
Zudem wurde das Kontingent der Deutschen an der EU-Ausbildungsmission EUTM am selben Tag von 450 auf 600 Soldaten erhöht. Tobias Pflüger, der für die Partei die Linke im Verteidigungsausschuss sitzt, erklärte gegenüber der jungen Welt, „dass die BRD – dem Kommando aus Washington »hinterherhinkend« – sich aus einer »Kokolonialpolitik« in Afghanistan zurückziehe und diese nun zusammen mit Frankreich in der Sahelzone verstärke.“[15]
Seine Parteikollegin, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Heike Hänsel, meint dazu, auf die seit der Intervention beständige Ausweitung der Gewalt verweisend, dass Mali „auf dem besten Weg [ist], das neue Afghanistan zu werden, mit immer mehr Truppen und immer weniger Sicherheit.“[16]
Auf die jüngsten Entwicklungen im Tschad angesprochen, habe das deutsche Außenministerium Pflüger zudem entgegnet, dass der Machtwechsel zwar verfassungswidrig sei, dies aber nicht das Ende des Engagements der BRD in der Region bedeute. Seitdem das Mandat der EUTM auf die Länder der Sahel-G5 ausgeweitet wurde, könnte Deutschland theoretisch auch im Tschad ausbilden.[17]
Bis jetzt stellt sich zwar auch das Außenministerium noch gegen direkte Kampfeinsätze dort, doch Frankreich wirbt beständig um mehr europäische Unterstützung für die „Stabilisierung“ der dortigen Staaten.
Anmerkungen
[1] US says Chad rebels heading towards capital from the North, 18.04.2021 reuters.com
[2] Chads opposition leader quits presidential race after shoot-out, 01.03.2021 aljazeera.com
[3] Chad: How a Popular Movement Could Threaten Idriss Déby Itno’s 30 Years in Power, 24.03.2021 allafrica.com
[4] Niger body urges independent probe into ‘rapes’ by Chadian troops, 03.04.2021 aljazeera.com
[5] Amadou N’Fa Diallo: Mali : CNSP – M5-RFP : la rupure? 14.09.2020 maliactu.net
[6] Communiqué des französischen Außenministeriums zu Mali, 26.10.2020 diplomatie.gouv.fr
[7] Communiqué des französischen Außenministeriums zum Tschad, 20.04.2021 diplomatie.gouv.fr
[8] Elsa Etoundi: Tschad: le Fact visé par une frappe aérienne. 23.04.2021 mondeactuel.net
[9] Bernard Schmid: Idriss Déby: Diktator und notorische Schlächter mit internationalen Ehren beerdigt, 24.04.2021 heise.de
[10] Thousands protest against transition government, France in Chad, 27.04.2021 vanguardngr.com
[11] Djimet Wiche, Amuary Hauchard: Five dead in Chad anti-junta protests, 27.04.2021 AFP news.yahoo.com
[12] Sandrine Blanchard, Eric Topona und Fréjus Quenum: Why France is backing Chad‘s new leader, Mahamat Idriss Déby, 23.04.2021 dw.com
[13] Pablo Flock: Wahlen in der Elfenbeinküste. Flecken auf dem Hemd des Saubermanns des Westens. IMI-Analyse 2020/42, 26.10.2020 imi-online.de
[14] Katrin Gänsler: „Wir sind noch nicht in Sicherheit“, 15.12.20211 taz.de
[15] Marc Bebenroth: Vorgezogene Verlagerung, 22.04.2021 jungewelt.de
[16] Ebd.
[17] Pascal Beucker: Einsatz in Mali wird ausgeweitet, 29.05.2020 taz.de