Wer Wind säht, wird im Sturm nicht mehr gerettet
Autorin: Emma Fahr
Die Privatisierung der Verwundetenevakuierung in Mali
Man musste schon resigniert mit dem Kopf schütteln, als die neuesten Bundeswehr-Nachrichten über ihre Rettungshubschrauber in Mali bekannt wurden.
Kurz zu den Basics: Die Bundeswehr ist seit 2013 im Rahmen der UN-Mission MINUSMA (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali) mit bis zu 1100 Soldat:innen im Einsatz. Das MINUSMA-Mandat ist (nach Afghanistan) nicht nur der zweitgrößte, sondern auch der zweittödlichste Einsatz. Mali gilt als „gefährlichste Uno-Mission der Welt“.1
Für den in Mali verhältnismäßig sehr wahrscheinlichen Fall, dass Soldat:innen außerhalb ihrer Camps (im Gefecht) verwundet werden, steht den Truppen eine dreiteilige Rettungskette zur Verfügung.2 Die Infrastruktur für diese Evakuierungen wird in der MINUSMA abwechselnd von den beteiligten Staaten bzw. Militärs gestellt. Die wohl riskanteste „Forward Aeromedical Evacuation“ (MedEvac) vom Ort der Verletzung zum ersten Behandlungsort wurde bis zum Herbst letzten Jahres von Rumänien gestellt. Dann zogen diese, nach langfristiger Vorankündigung, ihre Helikopter ab. Daher hatte sich Deutschland bereits Monate zuvor bereiterklärt, einen Nachfolger für diese Aufgabe zu finden. Da dies jedoch nicht gelang, ging der Auftrag im Dezember 2020 an ein ziviles bayerisches Unternehmen namens Global Helicopter Service.3 GHS stellt seither der „European Defence Agency im Namen der Bundeswehr“ zwei Rettungshubschrauber in Gao, Mali zur Verfügung.4
Notlösung oder Kalkül?
Diese als Notlösung verpackte Maßnahme ist nicht nur vollkommen ungeeignet um die Evakuierung Verletzter zu gewährleisten, sondern auch fadenscheinig. Bei GHS handelt es sich um ein privates, ziviles Unternehmen. Das bedeutet, dass die Konditionen der Leistungserbringung vertraglich geregelt und vorab verhandelt sind. Zudem handelt es sich bei den eingesetzten Helikoptern nicht um Militärmaschinen, sondern gewöhnliche Hubschrauber.
In der Kombination schränkt das die Umstände, in denen ein MedEvac-Einsatz der GHS in Frage kommt, erheblich ein. Erheblich bedeutet in diesem Kontext: (nahezu) bis zur Unbrauchbarkeit. Denn die Maschinen der GHS fliegen ausschließlich „sichere Landebahnen“ an und das auch nur bei Tageslicht. In der Dunkelheit ist die Flugsicherheit so kompromittiert, dass die Helikopter nur bei guten Wetterbedingungen abheben. Zu hohe Außentemperaturen beeinträchtigen die Einsatzfähigkeit ebenso. Diese Konditionen sind umso deplatzierter, wirft man einen Blick auf die Homepage des Unternehmens. Dort bescheinigt sich GHS eine „unübertroffene“ Expertise in „extrem herausfordernden Wetterbedingungen, Gelände und Hochrisiko-Situationen“ [Übersetzung durch die Autorin].5 Als Referenzen gibt GHS des Weiteren an, im Humanitären Hilfssektor tätig zu sein und dort insbesondere in „instabile Konflikt- und Katastrophengebiete“ zu fliegen um bspw. verletzte oder von z.B. Ebola bedrohte Mitarbeitende von NGOs zu evakuieren. Ganz so unerschrocken-heldenhaft klingt der Vertrag in Mali nun nicht.
Zwischenbilanz
Die Bundeswehr engagiert sich in Mali in dem gefährlichsten UN-Einsatz überhaupt. Dieser Einsatz hat bereits weit über 200 UN-Angehörige das Leben gekostet. Die Rettung der Verbleibenden obliegt nun auf unbestimmte Zeit einem zivilen Unternehmen aus Kirchanschöring in Oberbayern, dessen Konditionen den Auftrag nahezu ad absurdum führen. Sie fliegen tagsüber jede verletzte Soldatin und jeden Soldaten aus, welche:r sich an einem sicheren Landeplatz befindet (in einem Kriegsgebiet). Es sei denn, es ist zu heiß (Mali liegt zu großen Teilen in der Wüste Sahara und dem Sahel). Und nachts muss das Wetter mitspielen (nochmal: im Krieg). Diese Umstände als Rettungskette zu bezeichnen ist zynisch.
Warnschuss
Wie real die Gefahren sind, welche die Privatisierung der Rettungskette mit sich bringt, twitterte die Bundeswehr am 7. Mai 2021 höchst persönlich.6 Ein nicht weiter benannter Soldat einer „Partnernation“ sei in Mali verletzt worden und sollte gemäß der „Forward Aeromedical Evacuation“ zur Erstversorgung nach Camp Castor geflogen werden. Den Verträgen entsprechend obliegt eine solche Evakuierung nun der GHS, welche auch einen Helikopter losschickte. Aber „[b]ei der Landung wurde der Hubschrauber so beschädigt, dass ein Weiterflug nicht möglich war“, heißt es auf Twitter. Auf einmal gab es also nicht nur einen verletzten Soldaten, der mutmaßlich aus einer Gefechtssituation evakuiert werden musste, sondern zusätzlich zwei zivile Piloten und einen großen Haufen Schrott mittendrin.
In vorauseilender Rechtfertigung versicherte die Bundeswehr noch im selben Tweet: „Die deutsche Rettungskette ist weiterhin sichergestellt“. Auch GHS titelt bis heute auf der Website, sie seien dem Vorsatz ‚null Unfälle‘ verpflichtet.7 Die Fragen zu diesen Antworten sollten eigentlich nicht gestellt werden müssen. Und nach allen zugänglichen Informationen müsste diese Kette wenigstens vorerst aus einem einzigen Hubschrauber bestehen. Darüber, wie überhaupt ein Totalschaden bei der Landung in dieses Bild passt, ist nichts bekannt. Auch bleibt unklar, wie genau die Piloten und der verletzte Soldat schlussendlich ins Camp gebracht werden konnten.
Ein systemisches Problem
Diese zerbrochene Rettungskette ist ein Lehrstück. Ein Lehrstück dafür was passiert, wenn man über Jahrzehnte ein so dichtes Netz aus Sachzwängen und Abhängigkeiten vom privaten Sektor schafft, dass man sich irgendwann selbst darin verfängt. Die Leidenschaft der Bundeswehr für die Privatisierung zunehmend sensibler Fähigkeiten hat sicherlich schon vor einer ganzen Weile den Point of no return überschritten. Gemeint ist damit, dass sich gemäß einer neoliberalen Wirtschaftsdoktrin auch die Streitkräfte in immer größer werdendem Ausmaß auf private Unternehmen und Dienstleistende verlassen. Angefangen mit Uniformen, zivilem Fuhrpark und Feldküchen dringt die Privatwirtschaft in immer sensiblere (militärische) Bereiche vor. Was offiziell zu Kostenersparnis und Entlastung der Truppen führen sollte, ist jedoch eine Abwärtsspirale von Abhängigkeiten.
GHS sollte offiziell nur eine Notlösung darstellen, da sich keine Partnernation fand, um die Evakuierungen durchzuführen. In der Konsequenz stellen sie heute jedoch nicht nur die Maschinen zur Verfügung. Sie fliegen diese, warten sie, trainieren Andere und betätigen sich sogar als Feuerwehr in Gao. In der Pressemitteilung heißt es: „GHS freut sich, eine starke Beziehung aufzubauen“.8 Das klingt eher nachhaltig gedacht. Insbesondere das „Training“ ist ein eindeutiges Indiz für die Langlebigkeit dieses Deals. Warum auch nicht? Immerhin werden auch schon die Heron-Drohnen der Bundeswehr privat betrieben. Die Cargo-Flieger noch länger. Und genau das spielt der Bundeswehr immens in die Tasche.
Denn private Angestellte und Dienstleistende gehören per Definition nicht der Bundeswehr an und tangieren ergo das Einsatzmandat der Bundeswehr genauso wenig, wie beispielsweise die zwei verunglückten Piloten in den Bundeswehrstatistiken als Verwundete auftauchen müssen. Und darin liegt der eigentliche Mehrwert für die Bundeswehr. Je mehr Personal aus den Kontingenten rausgerechnet werden kann, desto mehr Beinfreiheit haben die Truppen für das, was auch immer sie in Mali tun. „Frieden stiften“ ist es sicher nicht. Die Stiftung Wissenschaft und Politik beispielsweise hat gerade erst eine neue Studie veröffentlicht, in der sie den Militäreinsatz in Mali und explizit das Treiben der Bundeswehr als „erfolglos bis kontraproduktiv“ bezeichnet.9
Fazit
Die Bundeswehr bespielt in Mali strategisch zwei Argumentationen parallel. Zum einen baut sie zunehmend eigene Kernfähigkeiten ab. Immerhin ist (bzw. war) der Verwundetenlufttransport einer der zentralen Beiträge der Bundeswehr zur MINUSMA.10 Neue, eigene Hubschrauber werden nicht kommen.11 Mit der Auslagerung dieser Aufgaben und Fähigkeiten z.B. an GHS reduzieren sie eigentlich ihr eigenes „Leistungsspektum“ in diesem Krieg. Parallel hierzu wird das vom Bundestag genehmigte Mandat für Mali gerade mal wieder aufgestockt.12 Dieses Paradoxon, für immer weniger Aufgaben immer mehr Soldat:innen zu benötigen, hat in der Bundeswehr Tradition. Und es hat auch einen Namen: Mission Creep, also kriechende oder schleichende Mission. Anstatt jedoch den Einsatz in Mali immer weiter aufzuplustern und noch mehr Menschen in unnötige Lebensgefahr zu bringen, muss die Bundeswehr endlich ihr Scheitern eingestehen. Mit GHS hat sie jetzt immerhin einen Partner an der Seite der spezialisiert darauf ist, Menschen aus Kriegsgebieten nach Hause zu fliegen.
Anmerkungen
1 Lacher, Wolfram (Feb. 2021): Unser schwieriger Partner. Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali. SWP-Studie 2021/03, S. 28.
2 1) Die akute Evakuierung vom Ort der Verletzung nennt sich Forward Medical Evacuation (MedEvac). 2) Die „Tactical Aeromedical Evacuation“ (TacEvac) zur Verlegung innerhalb des Einsatzgebietes und 3) die „Strategic Evacuation“ (StratEvac) um Verletzte in ihre Heimat oder ein Partnerland auszufliegen. Quelle: Bricknell, Martin (2018): Tactical Aeromedical Evacuation. In: J R Army Med Corps, 157(4/2), S. 449-452.
3 Jungholt, Thorsten (2021): Vereinte Nationen verweigern Bundeswehr Feldlagerschutz. In: Die Welt, 03.05.2021, S. 3.
4 Goldfuß, Michael (10.02.2021): European Defence Agency Forward Aeromedical Evacuation Contract Award to Global Helicopter Service GmbH. URL: global-helicopter-service.com (letzter Zugriff: 11.05.2021).
5 Global Helicopter Service (2021): Home. URL: global-helicopter-service.com (letzter Zugriff: 11.05.2021).
6 Bundeswehr [Bw_Einsatz] (07.05.2021): Gestern Abend wurde der zivile Rettungshubschrauber der Global Helicopter Services zur Abholung eines verletzten Soldaten einer Partnernation bei #MINUSMA angefordert. [Twitter]. URL: twitter.com (letzter Zugriff: 10.05.2021).
7 Global Helicopter Service (2021)
8 Goldfuß, Michael (10.02.2021)
9 Lacher 2021: S. 38.
10 Bundeswehr (2020): Der Einsatz in Mali. MINUSMA. URL: bundeswehr.de (Stand 09/2020).
11 Vgl. Der Spiegel (10.05.2021): Viele deutsche Rüstungsprojekte wegen Geldmangels auf der Kippe. URL: spiegel.de (letzter Zugriff: 10.05.2021).
12 Z.B. Deutscher Bundestag (23.04.2021): Fortführung der Ausbildungsmission in Mali beraten. URL: bundestag.de (letzter Zugriff: 18.05.2021)
Veröffentlicht am 19. Mai 2021 auf Informationsstelle Militarisierung (IMI)