Auf der ehemaligen R- Archiv.de hatte ich im Januar 2003 in dem Artikel » Kreuzzug: Die Akte Bergama« über die "Herren der Heiligen Ziegen“ berichtet, um die Nennung des Namens der türkischen Geheimorganisation »Ergenekon« zu vermeiden.
Der Begriff »Herren der Heiligen Ziegen« geht auf eine eigene Erfahrung zurück, die ich vor vielen Jahren in Südostanatolien gemacht hatte und die wohl die subtilste Art der feudalistischen Unterdrückung ist, die ich bisher erlebt habe.
Die Geschichte spielt auf dem Hochplateau, welches sich von der Stadt Mardin bis zum Tigris- Tal erstreckt.Ich möchte Details vermeiden, um keine Personen zu gefährden, und werde deshalb diese Geschichte nur in abstrakter Form erzählen.
Die Türkei ist für mich eines der schönsten Länder dieser Welt und steht in seinen antiken Bauten und seiner Vielzahl von Kulturgütern keinen Millimeter hinter Italien. Die Türkei ist aber auch eines der schönsten Jagdgebiete, die ich kenne und vor vielen Jahren war ich ein begeisterter Jäger.
Freunde aus Istanbul hatten mich auf dieses Hochplateau zur Jagd eingeladen. Eine Einladung, die ich liebend gerne annahm, liegen doch auf diesem Plateau die Klöster Deir Zafaran und Mor Gabriel.
Tur Abdin – Berg der Knechte Gottes – wird dieses Gebiet genannt. Tur Abdin dürfte die erste – nicht hebräische – christliche Gemeinde gewesen sein.
Nun denn, es war ein phantastischer Jagdausflug – die ersten drei Tage.
Wir wohnten in einem einsamen Bauernhaus, etwa 3 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Im Elternhaus unseres Gastgebers, einem nicht unbekannten, türkischen Politiker.
Warum gerade ich eine Ziege mit jagdbarem Wild verwechselte, blieb mir ein Rätsel. (Zu meiner Entlastung, die Ziege war bräunlich.:-)) ) Wir brachten die erlegte Ziege in das nächste Dorf. Kollateralschäden bei der Jagd sind zwar peinlich, aber die Eigentümer von irrtümlich erlegten Haustieren haben auch in der Türkei einen Anspruch auf Entschädigung.
Die erlegte Ziege löste Entsetzen bei der Dorfbevölkerung aus. Uns wurde sogar geraden zu fliehen. Keiner wollte Entschädigung für die Ziege.
Erst von den Eltern unseres Gastgebers erfuhren wir, dass ich vermutlich eine „Heilige Ziege“ erschossen hatte, welche im Nachbartal zu finden wären.
Es dauerte lang, bis wir die Geschichte der Heiligen Ziegen erfuhren. Der Großvater eines noch heute lebenden Großgrundbesitzers hatte sich über die Bewohner dieses Nachbartales geärgert (es ging wieder einmal um Wasserrechte) und eine Herde Ziegen – auf seinem zum Tal gehörenden Grundbesitz – ausgesetzt, mit dem deutlichen Hinweis an die Bewohner des Tales, dass jeder, der es wagen sollte eines dieser Tiere zu verscheuchen, zu schlagen oder zu schlachten, seine Rache zu fürchten habe.
Die kleine Herde verwilderter Ziegen vermehrte sich und wurde zum Geisel des Tales. Angeblich waren Bewohner erschlagen oder verprügelt worden, welche die Ziegen aus ihren Feldern vertrieben. Nein – in den letzten 20 Jahren habe man nichts von solchen Racheaktionen gehört, aber die Bewohner des Nachbarortes hätten halt Angst.
Unser Gastgeber, ein aufgeklärter Mann des türkischen Großbürgertums, war bei den Erzählungen seiner Großeltern kreidebleich geworden.
Er telefonierte mit Freunden in Ankara. Mit dem Chef des Verwaltungsbezirkes und zwei Tage später, unter dem Schutz von zwei Kompanien Militärpolizei, ging es im Nachbartal auf Ziegenjagd. Wir schossen über 120 Ziegen, davon waren einige leider echte Haustiere und mussten bezahlt werden.
Die Polizei stattete der Familie des Großgrundbesitzers einen Besuch ab, die traute ihrem verstorbenen Vorfahren solche "Scherze" zu, wollte aber mit der Sache nichts zu tun haben.
Wir waren schon längst abgereist, als in dem Dorf zum Schutze der Bevölkerung immer noch Militärpolizei stationiert war.
Erstmals hörte ich damals den Begriff Ergenokon – nicht im Sinne der türkischen Mythologie, sondern als Bezeichnung für eine Geheimorganisation, eine Art Türkei- Gladio.
Ich habe von einer vergleichbaren Art der Unterdrückung später (als ich meine Geschichte erzählte) gehört, dass im italienische Kalabrien die `Ndrangheta vergleichbare Bestrafungsaktionen mit "Heiligen Kühen“ durchgeführt habe.
Für mich sind die „Heiligen Ziegen“ bis heute das Synonym für feudalistische Unterdrückung geblieben und gingen mir tief unter die Haut.
Ergenekon-Prozess in Silivri
86 Personen, darunter Rechtsanwälte, Journalisten, Professoren, aber auch pensionierte Generäle und Mafia- Bosse stehen zur Zeit in Silivri bei Istanbul vor Gericht. Die Ermittlungen gegen diesen Personenkreis wurden von einer Spezialeinheit des türkischen Innenministeriums geführt.
Die Anklage ist weitgehend entschärft. Es ist nur noch von geplanten Morden die Rede, nicht mehr von politischen Auftragsmorden.
Vorgeworfen wird den Angeklagten:
• Planung eines bewaffneten Aufstands gegen die Regierung;
• Brandstiftung,
• unerlaubter Waffenbesitz.
Hört sich harmlos an, ist es aber nicht. Nach meinen Informationen hat diese Organisation ein landesweites Spitzelnetz aufgebaut.
So wurden die Aktivitäten der in der Türkei lebenden Christen überwacht und protokolliert. Geplant waren offensichtlich Anschläge oder Morde, zur Einschüchterung und zur politischen Destabilisierung.
Wir nennen ein solches Vorgehen – Strategie der Spannung.
Überraschend – die Angeklagten haben eine säkulare, aufgeklärte Gesinnung und stehen dem Gedankengut des Staatsgründers Kemal Atatürk viel näher als die regierende, islamische Partei AKP. Kein Wunder, das ihre politischen Anhänger sie zu Opfern der Islamisierung des Landes machen wollen, besonders die Türkisch Zeitung Cumhüriyet.
Dies ist aber keineswegs der Fall.
Gegen die Gruppe wird tatsächlich seit Jahren ermittelt und ihre Aktivitäten richteten sich keineswegs allein gegen die AKP, als islamische Partei. Im Gegenteil, die AKP hat nach meinen Informationen dafür gesorgt, dass die Komplexe
• Mord und Schikanen an Christen, Schriftsteller und Journalisten,
• Rauschgifthandel mit Hilfe kurdischer Clans nach Westeuropa
nicht in der Anklageschrift zu finden sind.
Unter den Angeklagten befinden sich Personen wie
• Kemal Kerinsic oder
• General Veli Kücük (Gründer des Geheimdienstes JITEM der türkischen Militärpolizei Jandarma)
Keineswegs wurden die Ermittlungen durch einen Handgranatenfund ausgelöst.
Die ersten Ermittlungen gegen Ergenekon liefen 1996 an, als bei einem Autounfall festgestellt wurde, dass sich ein Politiker und ein gesuchter Mörder (mit Freundin) im gleichen (Unfall-) Wagen befanden.
Vieles im Fall Ergenekon erinnert mich an die kriminellen Umtriebe des Gladio- Netzwerkes in Italien und Belgien, weshalb ich auch unterstelle, dass Ergenekon nichts weiteres ist, als die verlängerte Türkei Gladio, deren unseliges Treiben die in der Türkei lebenden Griechen 1958 zu spüren bekamen.
Auch die Christenpogrome im Zusammenhang mit der Zypern-Krise dürfte auf Gladio – Machenschaften zurückzuführen sein.
Wer an einer wirklich fundierten Berichterstattung interessiert ist– die sich aber nur auf die Anklage stützt – sollte die Istanbul Post lesen – z.B.
http://www.istanbulpost.net/08/01/05/ergenekon.htm