Avnery über Olmert: „Falle für die Narren“

Jerusalem: Na endlich. Das wurde auch Zeit. Der ist wenigstens noch normal.
Uri Avnery macht Ehud Olmert mal wieder zum Olmert und rückt die Sicht auf die Vorgänge in Israel und Palästina vom schummrigen Licht hinterm Bühnennebel wieder in den Spot und staucht noch locker den Souffleur zusammen. Übersetzt von Christoph Glanz und E. Rohlfs, erschienen in der „Berliner Umschau“.

Sieh´ mal, wer da spricht

Von Uri Avnery

MANCHMAL WIRD etwas über Dich gesagt, und Du bist nicht ganz sicher, ob es ein Kompliment oder eine Beleidigung ist.

Zwei prominente Journalisten, die ich beide sehr schätze, erwähnten meinen Namen im Zusammenhang mit dem Premierminister. Akiva Eldar von Haaretz fragte sich im letzten Monat mit Bezug auf Olmert: „Wie soll man einen Sohn der Kämpfenden Familie (ein Spitzname für den Irgun, der Olmert´s Vater als einer ihrer Führer vorstand) behandeln, der sich anhört wie Uri Avnery?“ Und in dieser Woche schrieb Gideon Levy in derselben Zeitung, dass Olmert „wie Uri Avnery spricht, wenn auch 40 Jahre später.“

Ich nehme an, dass sie sich auf den öffentlichen Vorschlag beziehen, den ich vor 40 Jahren an den damaligen Premierminister richtete, und in dem ich forderte, den Palästinensern die Errichtung eines palästinensischen Staates im Westjordanland und im Gazastreifen zu ermöglichen, die Gebiete, die gerade von israelischen Truppen erobert worden waren.

Ich war damals allein unter den 120 Mitgliedern der Knesset und das von mir geführte wöchentliche Nachrichtenmagazin Haolam Hazeh war das einzige Blatt, das diesen Plan veröffentlichte.

Und jetzt sagt Olmert, dass der Staat Israel verloren ist, wenn nicht ein palästinensischer Staat an seiner Seite im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung errichtet wird.

SOLLTE ich Genugtuung verspüren? Wenn der Premierminister Israels Positionen akzeptiert, die du bereits vor 40 Jahren (und auch vor 60 Jahren ) vertreten hast, was könnte besser sein?

Schließlich will man ja, dass ein politischer Plan, den man vorschlägt, auch realisiert wird. Die einzige Person, die ihn in Praxis umsetzen kann, ist der Premierminister. Wenn der Premierminister Deinen Plan enteignet, solltest du doch wohl fröhlich durch die Gegend hüpfen und dabei trällern: „Ich hab´s doch gesagt!“

In einem Buch, das 1970 vom offiziellen Verlagshaus der PLO in Beirut veröffentlich wurde, wurde die Zwei-Staaten-Lösung als „Avnery-Plan“ bezeichnet. Der Autor, Kamil Mansur, verdammte diesen Plan in keineswegs uneindeutigen Worten. Aber nur drei Jahre später, Ende 1973, wurde er von Yasser Arafat übernommen. Heute wird er sowohl vom Führer der PLO, als auch vom Premierminister Israels unterstützt. Halleluja.

Natürlich macht Olmert diese Aussagen nicht, weil meine Freunde und ich ihn überzeugt hätten. Ich kenne ihn jetzt seit 40 Jahren, seitdem er die ersten Schritte in der politischen Arena unternahm, und für die meiste Zeit waren wir Feinde. Zu Beginn war er der Gefolgsmann von Shmuel Tamir, der 1967 den Slogan prägte:„befreite Gebiete werden nicht zurückgegeben“. Später als Bürgermeister von Jerusalem, ließ er überall Siedlungen aus dem Boden schießen und provozierte willkürlich blutige Zwischenfälle, wie den berüchtigten Tunnelvorfall.

Wenn er aber die Notwendigkeit verspürt, einen Plan zu unterstützen, der das Gegenteil von allem darstellt, das er in seinem ganzen Leben befürwortet hat, so deutet dies auf die Popularität der Idee hin. Unser direkter Anteil daran mag gering sein, aber der indirekte Anteil daran war schon beträchtlich. Wir haben die öffentliche Meinung vorbereitet. Und in jedem Fall, haben sich die historischen Prozesse in die Richtung bewegt, die wir vorausgesehen haben, und sie haben die Führung beider Seiten in diese Richtung geschoben.

Dies beweist wieder einmal, dass selbst wenn auf der Oberfläche monströse Dinge geschehen, gleichzeitig auf einer darunter liegenden Ebene des nationalen Bewusstseins, logische und positive Trends an Boden gewinnen können. Es handelt sich um einen langen und schmerzhaften Prozess, aber am Ende werden sich diese Ideen durchsetzen.

ABER DER Zweifel nagt. Vielleicht sind Olmert´s Worte nur eine Illusion? Täuschung? Trickserei?

Einige Leute glauben, dass die Gespräche über die „Kernthemen“ und ein „Rahmenabkommen vor Ablauf des Jahres 2008“ nichts sind, als die ausgeklügelte Taktik eines gewitzten Politikers, der in der Patsche sitzt. In zwei Wochen, wird die Winograd-Kommission ihren Abschlussbericht über den zweiten Libanonkrieg veröffentlichen, und Olmert könnte sich dann in einer unmöglichen Situation wiederfinden. Demonstranten auf den Straßen werden seine Abdankung verlangen. Von Ehud Barak, dem Vorsitzenden der Arbeiterpartei, wird verlangt werden, daß er am selben Tag sein Amt niederlegt, wie er es versprochen hat, und dadurch wird die Regierung auseinanderbrechen.

In solchen Situationen können Politiker nur eines von zwei Dingen tun: einen Krieg beginnen, oder in Richtung Frieden flüchten. Da die notwendigen Bedingungen für einen Krieg momentan nicht gegeben zu sein scheinen, ist die einzig verbleibende Option die eines Friedensprozesses. Also wird Olmert zu einem Mann des Friedens, spricht die Sprache des Friedens und macht sogar Schritte in Richtung Frieden.

Skeptiker fragen: angenommen, dies hilft Omert die Krise zu überleben und Premierminister mit einer stabilen Koalition zu bleiben – wird er sich auch dann noch weiter in Richtung Frieden bewegen? Wird er nicht den ersten Vorwand nutzen, um dem ein Ende zu setzen? Ist dies nicht anhand seiner momentanen Handlungen abzulesen – da er die Verpflichtung zum Rückzug von den Siedlungsaußenposten ignoriert, die Bauaktivitäten in Ostjerusalem und dem Westjordanland intensiviert, die Blockade von und das Blutvergießen im Gazastreifen fortsetzt und das Waffenstillstandsangebot der Hamas ablehnt?

Kurz, wir sollten der Hoffnung nicht zum Opfer fallen. Im Gegenteil, man sollte die eigentlichen Beweggründe des Premierministers enthüllen, der nichts anderes tut, als unseren Plan als Täuschungsmittel auszuschlachten.

ABER SELBST wenn diese Analyse vernünftig aussieht, leidet sie nicht an Übervereinfachung?

Das wichtigste politische Ereignis der letzten Woche war der Abgang Avigdor Liebermans aus der Regierung. Seine offizielle Begründung war die, dass er nicht in einer Regierung verbleiben könne, die Verhandlungen über die „Kernthemen“ – Grenzen, Flüchtlinge, Jerusalem und die Siedlungen – führt. Dabei könnte es sich um einen Vorwand handeln. Lieberman vollführt verwickelt politische Schachzüge, denen kein vernünftiger Mensch mehr folgen kann. Aber Tatsache ist Tatsache. Olmerts neue Bewunderer – einschließlich Meretz-Chef Yossi Beilin – behaupten jedenfalls, dass dieser Rücktritt beweise, dass Olmert es tatsächlich ernst meint.

Lieberman ist gegangen, aber die Shas-Partei bleibt – antworten die Skeptiker. Liebermans Gedankengänge mögen labyrinthisch sein, die Abwägungen der Shas jedenfalls liegen offen zutage. Shas ist jetzt in einer Situation, von der Politiker nur träumen können. Nach dem Wegfall Liebermans, verbleiben der Koalition nur noch 67 von den 120 Sitzen in der Knesset. Wenn die elf Shas-Abgeordneten sich ebenfalls zurückziehen, hat Olmert keine Regierung mehr.

Shas ist eine rechts-nationalistische Partei, und benötigt daher einen Vorwand um in der Regierung verbleiben zu können. Sie verlautbaren, dass sie die Regierung in dem Moment verlassen, in dem Gespräche mit den Palästinensern über den Status Jerusalems geführt werden. Bei ernsthaften Verhandlungen wird aber genau das unvermeidbar sein. Die Kernthemen lassen sich nicht voneinander trennen – Konzessionen in der einen Sache, müssen mit Konzessionen bei einem anderen Thema beantwortet werden. Die fortdauernde Anwesenheit von Shas in der Regierung, lässt auf eine Geheimverpflichtung Olmerts schließen, die Kernthemen noch nicht einmal anzurühren.

Olmerts Assistenten beruhigen die Rechten: es gibt keinen Anlass zur Beunruhigung. Alles in allem, strebt Olmert nur ein „Rahmenabkommen“ innerhalb eines Jahres an. „Rahmenabkommen“ ist ein neu eingeführter politischer Begriff, der ein Dokument beschreibt, das alle einem eigentlichen Friedensabkommen zugrunde liegenden Prinzipien umfasst. Seine eigentliche Umsetzung soll dann bis zu dem Punkt verschoben werden, an dem beide Seiten die Grundvoraussetzungen geschaffen haben: die Zerstörung der „Terrorinfrastruktur“ einerseits und auf der anderen die „Räumung der Siedlungsaußenposten“. „Das wird niemals geschehen“, sagen Olmerts Leute den Rechten mit einem Augenzwinkern.

Wie auch immer – wenn wir die Möglichkeiten abwägen, sollten wir nicht vergessen, dass den Verlautbarungen eines Premierministers eine Eigendynamik innewohnt, die relativ unabhängig ist von den eigentlich zugrunde liegenden Motiven. Sie können nicht mehr in den Mund zurückfließen, der sie geäußert hat. Die Worte sind eingegraben in die kollektive Erinnerung, sie verändern das nationale Bewusstsein. Wenn Olmert formuliert, dass der israelische Staat „verloren“ sei, wenn nicht ein palästinensischer Staat an seiner Seite etabliert wird, dann handelt es sich um einen bedeutsamen Meilenstein.

OLMERTS OBERSTE Priorität ist die der Leute im reality TV – zu überleben. Auch dies müssen wir miteinbeziehen, wenn wir versuchen, herauszufinden, ob er es ernst meint, wenn er unsere Sprache spricht, oder ob es sich nur um hohle Worte handelt. Ist dies ein „neuer Olmert“, hat sich Saulus tatsächlich in Paulus verwandelt, oder handelt es sich nur um den alten Olmert in einer neuen, modischen Verkleidung? Ist es möglich, dass Olmert seinen Namen – zusätzlich zu allen taktischen Erwägungen – tatsächlich durch eine große Tat in die Geschichte einschreiben will?

In der Zwischenzeit wird die Situation im belagerten Gazastreifen schlimmer und schlimmer. Die Anzahl der täglich getöteten Palästinenser hat sich verdoppelt, wie uns der Oberbefehlshaber laut prahlend mitteilt. Die palästinensischen Organisationen wiederum haben die Anzahl der auf Israel abgefeuerten Quassam-Raketen verdoppelt, und diesmal übernimmt auch die Hamas offiziell die Verantwortung. Wie üblich, behaupten beide Seiten nur auf die Aggressionen der anderen zu reagieren.

Unter den getöteten Palästinensern war Hussam al-Zahar, der Sohn des früheren Außenministers der Hamas-Regierung. Der Shabak-Sicherheitsdienst behauptet, dass sein Vater der extremste Hamasführer sei. Wenn dem so sein sollte, ist das bemerkenswert. Vor 16 Jahren demonstrierte al-Zahar zusammen mit israelischen Friedensaktivisten gegen die Ausweisung islamischer Führungspersonen durch Yitzhak Rabin. Als die Exilierten zurückkehren konnten, organisierte er eine große Versammlung in Gaza , bei der ich eingeladen worden war, vor Hunderten von Sheiks zu sprechen – auf Hebräisch mit einem Pin auf der Brust, der die Flagge Israels und die Palästinas nebeneinander zeigte.

Wenn solch eine Person sich in einen der extremistischsten Anführer verwandelt hat, so ist dies unzweifelhaft eine Frucht der Besatzung. Dies beweist erneut – wenn denn ein Beweis benötigt würde – dass die Unterdrückung, die Hamas zerstören soll, genau das Gegenteil des Angestrebten erreicht: sie verleitet die palästinensischen Organisationen zu immer extremistischeren Positionen. Als diese Woche al-Zahar seinen zweiten Sohn verlor (der älteste war bereits vor einiger Zeit getötet worden) – wurde er zum populärsten Führer in der arabischen Welt. Die Staatsoberhäupter beeilten sich, ihn anzurufen, um ihre Kondolenz auszusprechen.

Sind das die Handlungen eines Premierministers, der den Frieden für sein Land erreichen will, weil er der Überzeugung ist, das es sonst verloren ist?

ZURÜCK ZUR ursprünglichen Frage: sollte ich nun glücklich oder wütend sein, wenn „Olmert sich anhört wie Uri Avnery“?

Ich erinnere mich der Worte Ruyard Kiplings: „Falls Du es ertragen kannst die Wahrheit, die Du gesprochen / nun verdreht zu hören von Schuften / die daraus eine Falle für die Narren spinnen…“. Die Nachahmung ist die ehrlichste aller Schmeicheleien, wie die Engländer sagen, aber es wird die Umsetzung von Olmerts Worten in Taten bedürfen, wenn die vorhandene Skepsis weichen soll.

Aus dem Englischen von Christoph Glanz, E. Rohlfs vom Verfasser autorisiert

Veröffentlicht: 22. Januar 2008

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