Jetzt, wo dieses Atomabkommen mit dem Iran fertiggestellt ist, konzentriert sich die Aufmerksamkeit der westlichen Nachrichtenmedien und Kommentatoren absehbar überwiegend auf die Opposition gegen das Abkommen im Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika und von Seiten Israels und der sunnitisch-arabischen Koalition unter Führung Saudiarabiens.
Dieser Medienschwerpunkt geht vorbei an der wirklichen Bedeutung des umfassenden gemeinsamen Aktionsplans, nämlich dass der Iran erfolgreich ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehandelt hat, das sein nationales Recht auf ein Atomprogramm trotz des enormen Machtunterschieds zwischen den beiden Staaten bestätigt hat. Diese Ungleichheit der Macht zwischen dem globalen Hegemon und einer militärisch schwachen, aber politisch einflussreichen „mittleren Macht“ hat nicht nur die Verhandlungsstrategien der beiden Seiten im Lauf der Verhandlungen gestaltet, noch wichtiger ist aber, wie sie anfänglich überhaupt in Gang gekommen sind.
Die Nachrichtenmedien haben sich die Sichtweise der Obamaadministration zu eigen gemacht, dass die Verhandlungen das Ergebnis der internationalen Sanktionen gegen den Iran sind. Das Problem mit dieser allgemeinen Sichtweise ist nicht, dass der Iran es nicht eilig gehabt hätte mit der Aufhebung der Sanktionen, sondern dass er dazu schon lange motiviert war, bevor die Vereinigten Staaten von Amerika zu Verhandlungen bereit waren.
In der Tat hatte der Iran sein Atomprogramm lange nicht nur vom Gesichtspunkt energietechnischen und wissenschaftlichen Fortschritts aus betrachtet, sondern auch als eine Möglichkeit, die Vereinigten Staaten von Amerika dazu zu bringen, über ein Ende des außergewöhnlichen rechtlichen Status zu verhandeln, in den der Iran schon so lange eingestuft war. Sogar während der Bill Clinton-Administration wollten iranische Strategen die Vereinigten Staaten von Amerika dazu bringen, sich in Richtung normaler Beziehungen zu bewegen, aber Clinton war entschlossen, die am meisten proisraelische Administration in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika zu sein und verhängte stattdessen ein totales Handelsembargo gegen den Iran.
Letztendlich bot Clinton dem Iran einen „Dialog” an, machte aber klar, dass er keinerlei Absicht habe, die Sanktionen gegen den Iran aufzuheben. Die iranischen Strategen, unter ihnen der damalige Sekretär des obersten nationalen Sicherheitsrats und jetzige Präsident Hassan Rouhani, lernten aus den Clinton-Jahren, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nur über die Beendigung ihrer Sanktionen gegen den Iran verhandeln würden, wenn sie davon überzeugt sind, dass die Kosten und das Risiko der Verweigerung von Verhandlungen zu hoch sind.
Es war in der Zeit der zweiten Clinton-Administration, als iranische Strategen die Idee zu diskutieren begannen, dass das Atomprogramm des Iran seine Haupthoffnung bildete, mit der hegemonischen Macht ins Gespräch zu kommen.
Der iranische Politikwissenschafter Jalil Roshandel, der 1997-1998 an einem Forschungsprojekt für die Denkfabrik des iranischen Außenministeriums arbeitete, erinnerte sich in einem Interview mit mir, dass einflussreiche Leute (darunter ein Berater des ehemaligen iranischen Außenministers Ali Akbar Velayati) ihm in dieser Zeit gesagt haben, dass sie glaubten, ein Urananreicherungsprogramm würde einen Ansatz bieten, über eine Aufhebung der Sanktionen zu verhandeln.
Der Iran versuchte das, wovon er annahm, dass die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa Bedenken bezüglich seines Anreicherungsprogramms – das noch nicht einmal mit der Anreichung von Uran begonnen hatte – hatten zu benutzen, um eine bessere Position bei Verhandlungen mit der britischen, französischen und deutschen Regierung vom November 2003 bis zum Frühjahr 2005 zu erlangen. Aber diese Verhandlungen gingen ins Leere, hauptsächlich weil die Bushadministration an einem Regierungswechsel im Iran interessiert war und daher die Idee von tatsächlichen Verhandlungen über dessen Atomprogramm ablehnte. Die Bushadministration wies ihre europäischen Verbündeten an, nicht auf einen iranischen Vorschlag im März 2005 zu reagieren, der anbot, das iranische Programm auf ein Minimum zu reduzieren.
Das Problem bestand darin, dass die Bushadministration das iranische Atomprogramm noch immer nicht ernst nahm, wodurch das Ungleichgewicht der Kräfte zwischen Washington und Teheran noch immer zu groß war.
Und es war nicht nur die neokonservativ beeinflusste Bushadministration, welche glaubte, sie sei so mächtig, dass sie es nicht nötig hat, einen Kompromiss mit dem Iran zu erreichen. Wir wissen jetzt, dass Präsident Obama sich auf Bemühungen verließ, den Iran zu zwingen, anstatt mit ihm in den ersten vier Jahren seiner Amtszeit zu verhandeln. Er genehmigte 2009 einen Plan für eine beispiellose Cyberattacke auf die iranische Anreicherungsanlage Natanz als den ersten Schritt in einer Strategie des Drucks auf den Iran mit dem Ziel, die islamische Republik zu zwingen, ihr Anreicherungsprogramm aufzugeben.
Für die Obamaadministration wurden aufdringliche finanzielle Sanktionen ursprünglich weniger als eine Möglichkeit gesehen, ein verhandeltes Abkommen mit dem Iran zustandezubringen. In der Tat präsentierte Clinton in der Öffentlichkeit den „diplomatischen Weg“ mit dem Iran, um „Glaubwürdigkeit und Einfluss bei einer Reihe von Ländern zu bekommen, die daran teilnehmen sollten, um das Sanktionenregime so streng und lähmend zu machen, wie wir es haben wollen.“ Anders gesagt war Diplomatie in Wirklichkeit ein Trick, um das wirkliche Ziel der Administration zu erreichen, nämlich Druck aufzubauen.
Als Obama 2012 erstmals Gespräche über das Atomprogramm des Iran anbot, war er noch immer der selben Strategie des Zwangs verpflichtet. Das Bemühen, den Iran an den Verhandlungstisch zu bringen, wurde durch eine weitere Cyberattacke der Vereinigten Staaten von Amerika begleitet – dieses Mal gegen die iranische Öl- und Gasindustrie.
Erst 2013, in seiner zweiten Amtszeit, gab die Obamaadministration das Ziel auf, den Iran zur völligen Einstellung der Anreicherung zu zwingen und stimmte zu, mit dem Iran über die Atomangelegenheit zu verhandeln. Diese Entscheidung erfolgte erst, nachdem der Iran die Zahl der Zentrifugen für die Urananreicherung auf über 9.000 erhöht hatte, dazu 9.000 weitere, die installiert, aber nicht in Betrieb genommen wurden, einen großen Bestand an niedrig angereichertem Uran angesammelt hatte, und – noch beunruhigender für die Vereinigten Staaten von Amerika – damit begann, Uran auf 20% anzureichern.
Die Hauptgeschichte im Hintergrund des Atomabkommens ist also, das es der iranische Gegendruck gegen die Vereinigten Staaten von Amerika durch sein Atomprogramm war, der letztlich die Obamaadministration zwang, ihre Strategie zu ändern, sich hauptsächlich auf Gewalt zu stützen, und mit den Verhandlungen zu beginnen, die der Iran seit über zwei Jahrzehnten gewollt hatte.
Die wichtigste Geschichte des Abkommens selbst ist darüber hinaus, wie die Obamaadministration, unterstützt von ihren europäischen Alliierten versuchte, die Sanktionen solange wie möglich im Umsetzungsprozess beizubehalten. Am Ende gaben die Verhandler der Vereinigten Staaten von Amerika dieses Ziel jedoch auf, obwohl, wie mir iranische Diplomaten in Wien sagten, sie fanden, dass die amerikanische „emotionale Bindung“ zu Sanktionen in den letzten Tagen der Verhandlungen über die Endfassung der Resolution des UN-Sicherheitsrats immer wieder zum Ausdruck kam.
Das grundlegende machtmäßige Ungleichgewicht der beiden Hauptprotagonisten, welches normalerweise den Vereinigten Staaten von Amerika gestattet hätte, sich durchzusetzen, wurde durch zwei Faktoren dramatisch gemindert: die Aufhebung der Sanktionen spielte bei den Interessen des Iran eine dermaßen zentrale Rolle, dass seine Verhandler zweifelsohne die Verhandlungen verlassen hätten, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika nicht nachgegeben hätten, und die Obamaadministration war eine Verpflichtung zu einem Abschluss der Verhandlungen eingegangen, einfach weil sie ein derartiges Abkommen zu ihrer zentralen außenpolitischen Initiative gemacht hatte.
Das Atomabkommen mit dem Iran illustriert somit die elementare Wichtigkeit der Verteilung von Macht, aber auch die Möglichkeit eines schwächeren Staates, seine lebenswichtigen Interessen mittels Verhandlungen mit der führenden Macht mit Geduld, Mut und sorgfältiger Berechnung gegen das durchzusetzen, was vielleicht wie ein endloses Hinausziehen durch das Ausschöpfen ihres Übergewichts bis zum Maximum erscheint.
Orginalartikel How a weaker Iran got the hegemon to lift sanctions vom 15. Juli 2015