Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, spricht sich für einen Einsatz der Bundeswehr in Syrien aus. Es sei an der Zeit, „ernsthaft“ über die Einrichtung sogenannter Schutzzonen und über „Flugverbote in und um Syrien“ zu diskutieren, erklärt Ischinger. „Selbstverständlich“ bedinge das die Beteiligung der deutschen Streitkräfte; sogar bezüglich einer Entsendung von Bodentruppen könne man „nichts ausschließen“. Ischinger liefert zugleich eine Kriegslegitimation. Während Syrien vor allem deswegen im Krieg versinkt, weil der Westen und seine regionalen Verbündeten aufständische Milizen hochgerüstet haben – darunter Al Qaida und der „Islamische Staat“ (IS) -, behauptet der einflussreiche Diplomat, der aktuelle „Flächenbrand“ sei die Konsequenz einer ausgebliebenen westlichen Intervention.
Tatsächlich sind die Kriegspläne eine Reaktion auf den Einflussgewinn Russlands unter anderem im Nahen Osten. Moskau hat in den vergangenen Monaten umfassende Verhandlungen zur Beilegung des Syrien-Krieges geführt; Präsident Wladimir Putin will in einer Rede vor der UN-Generalversammlung am 28. September eine neue Anti-IS-Koalition unter Einschluss der syrischen Regierung vorschlagen. Im Rahmen des westlichen Bündnisses wehrt sich Berlin gegen gegen die damit verbundene Stärkung der russischen Stellung in der Weltpolitik.
„Schutzzonen“ und Flugverbote
Wie Wolfgang Ischinger, der als diplomatisches Schwergewicht im deutschen Polit-Establishment gilt, verlangt, müssten Berlin und die EU nicht nur „imstande sein“, über die Einrichtung sogenannter „Schutzzonen in Syrien … ernsthaft zu reden“. Unter dem Begriff „Schutzzonen“ wird seit langem die Besetzung von Teilen Nordsyriens diskutiert, die als mögliche Brückenköpfe für die komplette Eroberung des Landes durch Aufständische gelten. Ischinger zufolge müssten Berlin und die EU nun auch „über mögliche Flugverbote in und um Syrien“ diskutieren. Faktisch liefe die Proklamation von Flugverboten – ganz wie in Libyen – auf einen offenen Krieg gegen die Regierung des Landes hinaus. Dabei erklärt Ischinger, „selbstverständlich“ bedinge dies auch einen Bundeswehr-Einsatz. „Wenn es um Bodentruppen geht“, müssten sich „vor allem … die regionalen Nachbarn Syriens“ betätigen. Doch will Ischinger auch diesbezüglich „gar nichts ausschließen“; damit steht sogar eine Beteiligung deutscher Bodentruppen im Raum. Lediglich „die Planung Kreuzzug-artiger Veranstaltungen“ weist der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz zurück. Die Äußerung bezieht sich auf die aggressive antiislamische Hetze aus den Kriegen der Jahre ab 2001, die mit einer Nutzung einheimischer Bodentruppen nur schwer vereinbar wäre.[1]
Die Kriegslegitimation
Ischinger formuliert zugleich eine Kriegslegitimation, die sich inzwischen auch in den etablierten deutschen Medien abzuzeichnen beginnt. Unter Verweis auf die Absage des bereits angekündigten westlichen Überfalls auf Syrien vom Spätsommer 2013 behauptet der langjährige Diplomat, der gegenwärtige „Flächenbrand“ in Syrien sei eine „Folge kollektiven Nichthandelns“ und hätte mit kriegerischen Mitteln abgewendet werden können.[2] Tatsächlich ist der syrische Flächenbrand schon viel früher entfacht worden – maßgeblich durch kontinuierliche politische und militärische Unterstützung des Westens und seiner regionalen Verbündeten für verschiedenste Fraktionen der Aufständischen, den Al Qaida-Ableger Jabhat al Nusra sowie den „Islamischen Staat“ (IS) inklusive (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Darüber hinaus spricht alles dafür, dass ein westlicher Militäreinsatz in Syrien die Lage sogar verschlimmern und noch weitere Staaten, insbesondere den Libanon und Jordanien, in den Abgrund reißen würde: Die Kriege des Westens in der islamischen Welt haben in keinem Fall zur propagandistisch verheißenen Stabilisierung, sondern in Afghanistan, im Irak und in Libyen zur Totalzerstörung der jeweils betroffenen Länder und zur Destabilisierung angrenzender Staaten (Pakistan, Tunesien, Mali) geführt.
Auf Augenhöhe
Während Ischinger zur Legitimation eines möglichen Syrien-Kriegs auch die aktuelle Flüchtlingskrise heranzieht und behauptet, es gehe darum zu verhindern, dass „weitere hunderttausende oder Millionen Flüchtlinge bei uns landen“ [4], bilden den tatsächlichen Hintergrund der aktuellen Interventionspläne vielmehr sich abzeichnende Verschiebungen im globalen Kräftegleichgewicht. Im Laufe des Jahres ist es Russland gelungen, nicht nur allgemein seine weltpolitischen Aktivitäten auszuweiten, sondern auch speziell in Syrien in größerem Maße Einfluss zu nehmen. Moskau hat umfangreiche Gespräche mit der syrischen Regierung und mit unterschiedlichen Fraktionen der Opposition im Land und im Exil geführt und darüber hinaus Verhandlungen mit mehreren Staaten aus dem Nahen und Mittleren Osten aufgenommen, darunter Ägypten und Saudi-Arabien. Ziel seien wirksame Friedensgespräche für Syrien, heißt es in Moskau (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Wie berichtet wird, wird Präsident Wladimir Putin am 28. September vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen sprechen; er wolle dort „eine globale Anti-Terror-Koalition“ unter Einschluss der syrischen Regierung vorschlagen. Darüber wolle er auch mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen sprechen – und „Obama auf Augenhöhe begegnen“.[6]
Russlands Militärpräsenz
Hinzu kommen Berichte, denen zufolge Russland seine Unterstützung für Syriens Präsident Bashar al Assad intensiviert und möglicherweise auch seine eigene Militärpräsenz in Syrien stärkt. Moskau liefert seit Jahren Militärgerät an Damaskus und hat dort begleitend Militärberater stationiert. Wie es jetzt heißt, errichte es gegenwärtig in Jableh südlich der Hafenstadt Latakia eine „Operationsbasis für Lufteinsätze“. Seit Anfang September seien in Jableh 25 russische Antonow-Transporter gelandet, russische Schiffe hätten weiteres Material angeliefert; es würden Lagerhallen und Schutzgebäude errichtet. Beobachter schlössen nicht aus, „dass mindestens 1.000 Soldaten für die Unterhaltung der Basis eingesetzt werden“.[7] Ob die Berichte zutreffen oder als Propagandacoup interessierter westlicher Stellen gewertet werden müssen, ist bislang nicht klar. Unabhängig davon bestätigen sie nicht nur den wachsenden Einfluss Russlands in Syrien, sondern auch das westliche Bestreben, den damit verbundenen eigenen Einflussverlust nicht hinzunehmen.
Direkte Konfrontation
Kommt es zu einem Bundeswehr-Einsatz in Syrien, dann droht nicht nur eine weitere Ausdehnung des Flächenbrandes in Nah- und Mittelost. Es käme auch zu einer erheblichen Verschärfung des Konflikts zwischen dem Westen, der nach wie vor auf einen „Regime Change“ in Syrien setzt, und Russland, das den syrischen Präsidenten stützt. Schon vor einigen Tagen hat US-Außenminister John Kerry erklärt, mit einer Stationierung russischer Soldaten in Syrien gehe Moskau das Risiko einer unmittelbaren Konfrontation mit der US-geführten Koalition gegen den IS ein.[8] Da Russland sich nicht auf Seiten des IS, sondern auf Seiten Assads positioniert, ist eine solche Konfrontation nur möglich, wenn die Anti-IS-Koalition Militärschläge auch gegen die syrische Regierung führt. Genau dies ist in jüngster Zeit in Washington und in London in Aussicht gestellt worden; Ischingers Forderung nach einem Bundeswehr-Einsatz in Syrien schließt sich nun daran an. Beschränkt sich der erbitterte Machtkampf des Westens gegen Russland bislang auf den Stellvertreterkonflikt in der Ukraine, so droht in Syrien nun die direkte Konfrontation.
[1], [2] Wolfgang Ischinger: „Bundeswehr in Syrien einsetzen“. www.merkur.de 15.09.2015.
[3] S. dazu Verdeckte Kriegspartei, Deutsche Kriegsbeihilfe und Vom Nutzen des Jihad (I).
[4] Wolfgang Ischinger: „Bundeswehr in Syrien einsetzen“. www.merkur.de 15.09.2015.
[5] S. dazu Machtkampf in Nahost.
[6], [7] Moskauer Muskelspiele. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.09.2015.
[8] USA warnen Russland vor Militäreingriff. www.zeit.de 06.09.2015.
Erstveröffentlichung am 15. September 2015 auf German Foreign Policy
und auf antikrieg.com