Gefälschte Postings: Ethik-Rat rügt BAYER
Zehntausende gefälschter Einträge / Werbung für verschreibungspflichtige Präparate / Strafanzeige der CBG: Staatsanwalt lehnt Ermittlungen ab
Der Österreichische Ethik-Rat für Public Relations hat heute eine Rüge gegen den Pharmakonzern BAYER und sechs weitere Unternehmen „wegen planmäßiger Täuschung von Userinnen und Usern in großem Stil durch gefälschte Postings“ ausgesprochen (Anm.: 10. September). Getadelt wird auch die Agentur mhoch3, die in Sozialen Netzwerken hunderttausende gefälschter Kommentare verbreitet hatte. Die Freiwillige Selbstkontrolle der deutschen Pharmahersteller hingegen wurde nicht aktiv – wegen angeblicher Verjährung.
BAYER hatte bei mhoch3 unter anderem eine Kampagne für die umstrittene Hormonspirale Mirena in Auftrag gegeben, obwohl Werbung für verschreibungspflichtige Präparate generell verboten ist. Der Ethik-Rat urteilt daher: „Die jahrelange und weitreichende Zusammenarbeit mit mhoch3 in sensiblen Themenbereichen wie der Debatte über die umstrittene Hormonspirale Mirena ist daher scharf zu kritisieren und muss von den damals für Kommunikation Zuständigen verantwortet werden.“ Nach Angaben des Ethik-Rats sind die Postings größtenteils bis heute online.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren hatte nach Bekanntwerden der Fälle Strafanzeige gegen die Verantwortlichen bei BAYER eingereicht, da durch die Kampagne offenkundig Gesetze umgangen werden sollten. Die Staatsanwaltschaft Köln stellte das Verfahren jedoch ohne eigene Ermittlungen ein – mit einer geradezu grotesken Begründung: Zwar verbiete es das Heilmittelwerbegesetz, „eine aus fachkundigen Kreisen vorgegebene objektive Informationsvermittlung vorzutäuschen“. Im vorliegenden Fall handele es sich jedoch nicht um Experten, sondern um Laien (wenn auch fingierte), weswegen das Gesetz nicht greife. Die Staatsanwaltschaft übergab das Verfahren Ende August an das Ordnungsamt Leverkusen zwecks „Prüfung etwaiger Ordnungswidrigkeiten“.
Philipp Mimkes vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren kommentiert: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Pharmahersteller wie BAYER die öffentliche Diskussion über risikoreiche Präparate manipulieren. Gerade angesichts der weitreichenden Verlagerung der Marketingaktivitäten in das Internet benötigen wir schärfere Regulierungen. Gesetzgeber und Gerichte müssen die systematische Unterwanderung Sozialer Netzwerke dringend stoppen. Dieser Aufgabe ist ein Ordnungsamt – bei allem Respekt – nicht gewachsen.“
Die Agentur aus Wien hatte über Jahre hinweg mit Hilfe erfundener Identitäten hunderttausende gefälschter Kommentare gepostet, unter anderem bei Facebook, YouTube und Spiegel.de. Auch Einträge bei wikipedia frisierte mhoch3. Im Auftrag von BAYER hatte die Agentur Postings im Tonfall hilfsbereiter Freundinnen veröffentlicht: „also ich hab mir vor einem jahr die hormonspirale mirena einsetzen lassen und ich muss sagen, dass ich sehr zufrieden damit bin. hatte am anfang angst vor dem einsezten, doch das war halb so schlimm“ oder: „Ich habe mir die Mirena einsetzen lassen, ist ebenfalls eine hormonspirale und damit hatte mein Frauenarzt sehr gute Erfahrungen bereits gemacht (…) – das kann ich voll empfehlen“. Die Rechtschreibfehler sollten Authentizität suggerieren.
Auch gehörte es zu den Aufgaben von mhoch3, die zahlreiche Berichte über unerwünschte Reaktionen zu entkräften, etwa: „@ sporzal: mein tip es könnte auch eventuell nicht von der mirena kommen, sondern eventuell eine Allergie sein, ich hab das leider auch erst mal in vor kurzer zeit festgestellt, ich hatte echt total oft Kopfweh und das ist nicht lustig – das kann ich nachvollziehen“. Die erfundene Userin „MauMau“ begab sich hierfür eigens in das hormonspirale-forum.de, in dem sich betroffene Frauen über ihre Erfahrungen mit Mirena austauschen.
In einem internen Fazit der Agentur hieß es: „Grundsätzlich ist zu sagen, dass das Internet eine ideale Plattform zur Verbreitung von Informationen zum Thema Verhütung darstellt“. In zahlreichen Fällen hätten die Reaktionen der Nutzerinnen gezeigt, dass sie den freundlichen Kommentaren Glauben schenkten und sich für die Spirale interessierten. Aufgedeckt wurden die Machenschaften im vergangenen November vom österreichischen Monatsmagazin „Datum“.
Insgesamt gehen rund 10 Prozent des Marketing-Budgets großer Unternehmen in Social Media. Täglich werden Millionen Postings gescannt, um das Verhalten der KonsumentInnen in Echtzeit zu erfassen und personalisierte Werbung zu ermöglichen. Wegen ihrer erhöhten Glaubwürdigkeit nehmen dabei private Internet-Kommentare einen immer größeren Raum ein. Angesichts der Vielzahl von „Social Media Agenturen“ muss jedoch davon ausgegangen, dass die Mehrzahl solcher Bewertungen gefälscht ist.
Die Firma BAYER verlagerte in den vergangenen Jahren immer mehr Marketing-Aktivitäten in das Internet. So betreibt das Unternehmen eigene Webseiten wie pille.com oder testosteron.de, die es als „Informationsangebote“ tarnt. Auch hierdurch soll das Werbeverbot für Medikamente umgangen werden. Insgesamt gibt der Konzern jährlich rund elf Milliarden Euro für Werbung und Vertrieb aus. Eine Aufschlüsselung der gewaltigen Marketingausgaben lehnt BAYER – auch auf Nachfrage – ab.
Aktenzeichen bei der Staatsanwaltschaft Köln: 117 UJs 1/15
weitere Informationen:
=> zur Strafanzeige
10. September 2015