Stuttgart 21: Dr. Eisenhart von Loeper über das Rätsel der „Sprechklausel“

Montagsdemos der Demokratiebewegung gegen Stuttgart 21 im Oktober 2015Die Rede von Dr. Eisenhart von Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 (S21), auf der 292. Montagsdemo am 12.Oktober

Liebe Anwesende, Freundinnen, Freunde,
bekanntlich hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG am 5. März 2013 beschlossen, das als unwirtschaftlich erkannte Projekt S21 weiterzubauen, obwohl der im Finanzierungsvertrag 2009 vereinbarte Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro um 2,3 Milliarden überschritten war. Die im Aufsichtsrat besonders wichtigen drei Staatssekretäre aus dem Verkehrs-, Finanz- und Wirtschaftsministerium hatten zuvor auf den Ausstieg aus S21 hingearbeitet. Einer hat sich dann krank gemeldet, aber zwei Staatssekretäre haben sich dem Druck aus dem Kanzleramt gebeugt, und damit war die Sache gelaufen.

Es hieß damals im Weiterbau-Beschluss, der Vorstand habe die sogenannte Sprechklausel gezogen und verhandle mit den Projektpartnern, um sie an über zwei Milliarden Euro Mehrkosten oberhalb des Kostendeckels zu beteiligen. Die Projektpartner müssten unverzüglich auf Zahlung verklagt werden, wenn die Verhandlungen scheitern sollten.

Augenscheinlich wollten die Bahn-Verantwortlichen den Verdacht der Untreue von sich weisen und das wirtschaftliche Fiasko von S21 abwälzen auf die Zuschusspartner, um das Fiasko durch sehr viel höhere Zuschüsse von Stadt und Land aufzufangen.

Im Eilverfahren zum Storno 21-Bürgerbegehren hat nun die Stadt Stuttgart ziemlich seltsam erklären lassen, ihr sei „nicht bekannt, welchen Stand die Gespräche hätten und zu welchen Ergebnissen sie führen werden“. Ach ja, es sind nur über zweieinhalb Jahre seit Beginn der Verhandlungen verstrichen. Wir fragen: Wissen denn die Projektpartner gar nicht, ob und worüber sie verhandeln? Ach ja, es geht doch nur um ein Großprojekt, von dem so viele nichts mehr wissen wollten. Mir scheint, da mischen sich Naivität, Mogelei und Kumpanei mit krummen Touren bei der Bahn. Aber letzte Woche kam die RTL-Sendung „Mario Barth deckt auf“ mit 3,5 Millionen Zuschauern, mehr als in der ARD die Anne-Will-Sendung mit der Kanzlerin zur Flüchtlingsfrage. Bravo, da bewegt sich was.

Da gibt es ein Großprojekt S21 – und ebenso sicher wie skandalös ist, dieses Projekt ist seit knapp drei Jahren ohne gültige neue Vertragsbasis, die selbst Bahnchef Grube für nötig gehalten hat. „Das Rätsel der Sprechklausel“ – so der Titel des abrufbaren Gutachtens der Juristen zu S21 – hat die Projektpartner in eine Illusion versinken lassen, man könne sich durch pures Weiterwursteln daran vorbeimogeln, dass dieses Großprojekt ohne insgesamt gültige Vertragsbasis genau genommen rechtlich und finanziell gescheitert ist. Aber Stadt und Land lassen S21 mit wahrscheinlich zweistelliger Milliardenhöhe, mit grauenvollen Mängeln und Risiken uferlos dahintreiben. Mario Barth hat gekonnt herübergebracht: Stuttgart 21 ist schlimmer als der Berliner Flughafen, S21 ist unübertroffen chaotisch als Verkleinerung und Verschlechterung der Verkehrsleistung und gefährlich als Todesfalle durch fehlenden Brandschutz und sechsfach überhöhte Gleisneigung und S21 ist spitze im sinnlosen Verschleudern von mutmaßlich über zehn Milliarden Euro Steuergeldern, die an anderer Stelle fehlen. Jetzt kommt die Wahrheit mit kräftigem Schub ans Licht.

Freundinnen und Freunde, das ist unser Schub, unser Ding, daran mitzuwirken. Dafür sehe ich folgende Vorstöße und Aufhänger, und dafür bittet das Aktionsbündnis – Näheres erfahrt Ihr am Stand – auch um Eure finanzielle Mithilfe:

1. Wie schon anlässlich des 5. Jahrestags zum Schwarzen Donnerstag erläutert, starten wir eine Kampagne, um bundesweit per Internet zu Gehör zu bringen, was unsere Strafanzeigen gegen strafbare Untreue der Bahn-Verantwortlichen beim Weiterbau-Beschluss zu S21 bedeuten und wie sehr die Staatsanwaltschaft Berlin und ihr Justizsenator versagten, als sie Ermittlungen ablehnten. In den nächsten Wochen sind wir dran, das auch mit externer professioneller Hilfe hochzufahren. Das kann noch Wirbel schaffen. Dabei können uns die Landtagswahlen helfen, die nächstes Jahr in Berlin wie in Baden-Württemberg stattfinden.

2. Am 16. Dezember tagt der Bahn-Aufsichtsrat. Mit dem jetzt erzielten Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 30.09.2015 lässt sich – trotz einiger berechtigter Kritik daran – unterstreichen, dass die Bahn auf verlorenem Posten steht, wenn sie meint, aus der Sprechklausel des Finanzierungsvertrags eine Zahlklausel zu machen. Als Vorhabenträger und damit als Verursacher haftet die Bahn für alle Mehrkosten. Das werden wir dem Aufsichtsrat unter die Nase reiben und ihn auffordern, seinen Weiterbau-Beschluss vom März 2013 aufzuheben. Überfällig ist auch eine gutachtliche Neueinschätzung der Projektkosten, die seit drei Jahren nicht aktualisiert wurde. Ein externes Gutachten ist im Gespräch, denn Offenbarungseid Teil zwei der Bahn ist angesagt.

3. Das stellt die Projektpartner nicht frei. Im Gegenteil. Stadt und Land müssen endlich aus ihrem über zweieinhalb-jährigen Dornröschenschlaf erwachen. Sie müssen gegenüber der Deutschen Bahn auf die 2013 versäumte, externe Untersuchung der Wirtschaftlichkeit, Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit des Gesamtprojekts pochen. Zweistellige Milliardenausgaben für die Verkleinerung und lebensgefährliche Verschlechterung der Schienen-Infrastruktur sind sträflicher Wahnsinn. Wer sich öffentlich und im Lenkungskreis vor dem Aufdecken der Wahrheit drückt und sich daran unwissend mit faulen Ausreden vorbeimogeln will, gehört abgestraft und abgewählt.

Aktuelle Nachbemerkung: Das Szenario solcher Vogel-Strauß-Politik war schon das Thema unseres Storno 21-Bürgerbegehrens. Zwar hat es sich die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart allzu leicht gemacht und sich im Eilverfahren nicht festlegen wollen. Dieselbe Kammer hatte schon das erste und zweite Stuttgarter Bürgerbegehren zu S21 abgewiesen. Aber es hat immerhin deutlich auf die Verursacherhaftung für Mehrkosten verwiesen, womit wir die Entwicklung vorantreiben können: Denn wenn die Bahn alle hohen Mehrkosten von S21 tragen muss, kann sie zur Vermeidung erneut strafbarer Untreue gar nicht anders, als Stadt und Land demnächst zu höheren Zuschüssen zu nötigen oder Verhandlungen über den S21-Ausstieg zu beginnen.

Fazit: Schluss mit der jahrelangen Mogelei und Kumpanei. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit, der Transparenz der Fakten, des verantwortlichen Umsteuerns. Lasst uns, Freundinnen und Freunde, weiter nachhaltig daran mitwirken, dass dies geschieht.