Film über Sektensiedlung Colonia Dignidad startet in deutschen Kinos

Regisseur Gallenberger legt detailliert recherchiertes Historiendrama vor. Auch Komplizenschaft der westdeutschen Regierung wird nachgezeichnet.

Seit Jahren streiten Opfer der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad im Süden Chiles für Wiedergutmachung und Anerkennung ihres Leides. Von 1961 bis zu seiner Festnahme 2005 hatte der Nazi und Laienprediger Paul Schäfer mit zunächst rund 250 Anhängern ein abgeschottetes Terrorregime hinter Stacheldraht und Selbstschussanlagen errichtet. Nun wird die Geschichte in Deutschland einem größeren Publikum bekannt: Am kommenden Donnerstag (18. Februar) hat der Spielfilm „Colonia Dignidad“ Premiere in Deutschland.

Mit dem 110-Minuten-Streifen legt Regisseur Florian Gallenberger ein detailliert recherchiertes Historiendrama vor. Vier Jahre lang hatte der deutsche Oskar-Preisträger in Chile die Geschichte der dortigen Sektensiedlung und ihres Gründers Paul Schäfer – gespielt von Michael Nyqvist – recherchiert. Der vielschichtige Horror und die zahlreichen damit verbundenen Politskandale werden in dem Spielfilm in eine fiktive Handlung eingebettet, eine Liebesgeschichte zwischen der Lufthansa-Flugbegleiterin Lena (Emma Watson) und dem deutschen Aktivisten Daniel (Daniel Brühl), die nach dem Putsch am 11. September 1973 in die Fänge der Sekte geraten. Gallenberger spinnt in diese Geschichte die historische Realität ein: die Komplizenschaft westdeutscher und chilenischer Geheimdienste, der Bonner Diplomatie, der bayerischen CSU unter Franz Josef Strauß, von Gewalt, Unterdrückung, Sklavenarbeit, Kindesmissbrauch, Menschenversuchen, Folter und Mord.

Tatsächlich ist das Thema auch in Deutschland nach wie vor aktuell. Sektenchef Schäfer ist 2010 zwar in Haft verstorben. Mehrere mutmaßliche, aber auch verurteilte Straftäter aus seinem Umfeld konnten sich indes nach Deutschland absetzen. Der langjährige Sektenarzt Hartmut Hopp, der in Chile wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger rechtskräftig verurteilt wurde, hat sich 2011 im Wissen nach Deutschland abgesetzt, dass die Bundesregierung ihn nicht ausliefern wird. Eine Vollstreckung der Strafe konnte der in Krefeld lebende Täter bis heute verhindern.

Das Verdienst des Films ist neben den detaillierten Darstellungen des Schäfer’schen Terrorregimes die Thematisierung der Rolle der ehemaligen BRD und ihres Botschafters Erich Strätling, der von 1976 bis 1979 in Santiago de Chile arbeitete. Lotti Packmor, die 1985 aus der Kolonie floh, berichtete in einem Buch von Horst Rückert, einem ehemaligen Leiter der deutschen Schule in Concepción, über die Colonia Dignidad: „Ich kann mich an den Besuch des Herrn Botschafters Strätling erinnern. Eine Musikkapelle, ein Blasorchester, hat ihn in einem feierlich geschmückten Saal empfangen. Die deutsche Nationalhymne wurde gespielt, Chöre sangen.“ Ein Jahr später, Amnesty International hatte in Deutschland bereits öffentlich Folteranklagen erhoben, sei Strätling zum zweiten Mal gekommen, schreibt Rückert. Dem Auswärtigen Amt teilte er mit: „Ich habe keine unterirdischen Folteranlagen gefunden.“ Die Vorwürfe gegen die Sektensiedlung seien „Gerüchte und unbewiesene Behauptungen“.

Florian Gallenberger zeichnet auch diese Verwicklungen nach. „Ich wollte diese Geschichte aus ihrem Dunkel herausholen“, sagte er im Amerika21-Gespräch: „Ich finde, dass sie teilweise zu skandalös, teilweise zu wichtig und teilweise auch zu aktuell ist, als dass man sie einfach so im Treibsand der Geschichte verschwinden lassen kann. Und natürlich sollte den Leuten, die dort unverschuldet in Leid hereingerutscht sind, eine Anerkennung zukommen, indem man ihre Geschichte erzählt.“

Ähnlich äußerte sich Daniel Brühl gegenüber Amerika21: „Als das Filmprojekt an mich herangetragen wurde, habe ich mich mal ein bisschen in meinem Umfeld rumgehört und da wusste kaum einer was. Bei einigen klingelte es zwar, viele hatten aber auch eine falsche Idee, von dem, was da geschehen ist.“ Er selber habe das meiste auch erst in Vorbereitung des Films in Erfahrung bringen können. „Auch wie das alles eigentlich anfing, wie schlau der Sektenchef Paul Schäfer in der Rekrutierung der Leute war, die nach dem Krieg völlig ziel- und orientierungslos gewesen sind, das ist schon echt der Hammer“, so Brühl, der auf die Wirkung des Films hofft. „Ich glaube, die Arbeit fängt jetzt erst richtig an“. Wenn das Auswärtige Amt sich nun in der Sache bewegte und zumindest ein Seminar für Opfer finanziere, dann sei das ein gutes Signal. „Aber man muss sich natürlich auch beeilen“, fügt Brühl an: „Das ist so wie mit all diesen Nazis, die nun wegsterben. Wenn man zu lange wartet, dann gibt es irgendwann keine Überlebenden mehr.“

Erstveröffentlichung auf Portal amerika21.de