„Stuttgart 21“: Fünf Jahre grün-rote Verkehrspolitik – Bilanz einer Bilanz

Die Rede von Dr.Winfried Wolf, Journalist, Politiker und Politikwissenschaftler, Mitherausgeber von Lunapark21, am 22.02.2016 auf der 311. Montagsdemo der Demokratiebewegung gegen das Programm „Stuttgart 21“ (21).

Liebe Freunde,
Bei der Landtagswahl am 13. März 2016 steht die gesamte Verkehrspolitik im Bundesland Baden-Württemberg auf dem Prüfstand. Fünf Jahre lang regierte Grün-Rot, fünf Jahre lang wurde die Verkehrspolitik von einem Grünen-Minister verantwortet. Fünf Jahre lang gab es die Chance, grüne Verkehrspolitik in einem der größten Bundesstaaten zu gestalten. Und es ist der baden-württembergische Verkehrsminister selbst, der vor wenigen Monaten eine positive Bilanz zog.

In einer umfangreichen Schrift mit dem Titel „Für Menschen, Mobilität und Lebensqualität – Zwischenbilanz 2015 und Perspektiven“ beziehen sich Winfried Hermann und Gisela Splett, die Staatssekretärin im Verkehrsministerium, auf das Grüne Ziel „Wir machen Baden-Württemberg zu einer Pionierregion für nachhaltige Mobilität“, um dann zu bilanzieren:

„Eine (solche) Pionierregion […] ist nicht von heute auf morgen zu schaffen. Wir arbeiten kontinuierlich daran und haben für dieses Ziel schon einiges erreicht.“

Das ist eine offene Einladung, die grüne Bilanz einer eigenen und alternativen Bilanz zu unterziehen. Ich mache das im Folgenden zu fünf Bereichen:
• Erstens Straße und Straßenverkehrsunfälle
• Zweitens Klima und grün-rote Ideologie der Elektro-Autos
• Drittens Flugverkehr
• Viertens Schiene allgemein
• Und fünftens Stuttgart 21

Zum ersten Bilanz-Bereich: der seit langem wieder wachsende Straßenverkehr und die erstmals wieder steigenden Zahlen von Schwerverletzten im Straßenverkehr

In der zitierten „Zwischenbilanz“ des Landesverkehrsministeriums heißt es:

„Baden-Württemberg ist durch ein gut ausgebautes Straßennetz hervorragend erschlossen. Die Zeiten der ständig wachsenden Verkehrszahlen nähern sich, auch demographisch bedingt, langsam dem Ende. Zukünftig werden Bahnen und Busse […] größere Anteile des Verkehrsaufkommens übernehmen müssen.“

Richtig ist: Wir haben im Südweststaat ein riesiges und bis vor kurzem wachsendes Straßennetz. 2014 hatten die „überörtlichen Straßen“, also Autobahnen, Bundesstraßen und Landstraßen, bereits die Länge von 27.425 Kilometern. Davon entfallen 1054 km auf das Autobahnnetz. Damit hat sich allein das Autobahnnetz im Zeitraum 1955 bis 2014 von 300 km auf 1054 km mehr als verdreifacht. In jüngerer Zeit wurde das Straßennetz rein quantitativ – hinsichtlich der Gesamtlänge der Kilometer – nicht mehr erweitert. Das ist jedoch bereits seit rund einem Jahrzehnt der Fall. Allerdings wurde und wird dieses Netz ständig ausgebaut und optimiert – gerade auch unter Grün-Rot. Ausdrücklich heißt es in der „Zwischenbilanz“:

„Die Landesregierung hat die Haushaltsmittel für die Sanierung der Landstraßen und Brücken auf 120 Millionen Euro im Jahr erhöht und damit fast verdoppelt.“

Für die zitierte Aussage in der „Zwischenbilanz“, wonach die wachsenden Verkehrszahlen im Straßenverkehr sich „langsam dem Ende nähern“ würden, gibt es keinen statistischen Beleg. Im Gegenteil: Belegen lässt sich, dass gerade in jüngerer Zeit der Straßenverkehr – und zwar derjenige mit Pkw ebenso wie derjenige mit schweren Lkw – deutlich zunimmt. Interessanterweise wurde damit ausgerechnet unter Grün-Rot eine längere Phase mit einem stagnierenden Verkehrsaufkommen beendet. Konkret: Nach Angaben des Statistischen Amtes des Landes Baden-Württemberg lagen die Jahresfahrleistungen mit Pkw im Zeitraum 2004 bis 2010 auf dem gleichen Niveau. (1) In den Jahren 2010 bis 2014 gab es erstmalig wieder ein relevantes Wachstum – im gesamten Zeitraum von 5 Prozent.

Beim Verkehr mit „schweren Nutzfahrzeugen und Bussen“ gab es zwischen dem Jahr 2000 und 2009 sogar einen leichten Rückgang. (2) Im Zeitraum 2010 bis 2014 kommt es dann erstmals wieder zu einer Steigerung – insgesamt von drei Prozent. Wohlgemerkt: Dafür ist nicht primär die Landesregierung verantwortlich. Sie muss sich dieser Situation jedoch stellen. Das tut sie nicht nur nicht. Sie suggeriert vielmehr das Gegenteil und damit Unwahrheit.

Die Bilanz bei den Straßenverkehrsunfällen ist ebenfalls getrübt. Seit 2003 und bis 2009 ging die Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Personen, der Getöteten und der Schwerverletzten zurück. Im Zeitraum 2010 bis 2014 sank zwar die Zahl der im Straßenverkehr des Landes Getöteten erfreulicherweise nochmals (von 494 im Jahr 2010 auf 466 im Jahr 2014). Doch die Zahl der verunglückten Personen stieg erstmals seit langem wieder an (von 45.175 auf 47.914). Insbesondere die Zahl der bei Straßenverkehrsunfällen Schwerverletzten stieg erstmals – ebenfalls seit längerem – wieder deutlich – von 8.436 im Jahr 2010 auf 9.537 im Jahr 2014 oder um 13,7 Prozent. (3)

Doch auch zur tatsächlichen Entwicklung der Straßenverkehrsunfälle findet sich kein Wort in der „Zwischenbilanz“. Stattdessen heißt es dort:

„Die Landesregierung verfolgt systematisch das Ziel einer höheren Verkehrssicherheit [gemeint ist: Straßenverkehrssicherheit; W.W.]. Das Land strebt als Meilenstein auf dem Weg zur `Vision Zero` (einem Straßenverkehr ohne Tote und Schwerverletzte).“ (4)

Zum zweiter Bilanz-Bereich. Dem Thema Klima und die Liebe von Grün-Rot für Elektro-Autos

Der erneut steigende Straßenverkehr hat handfeste Folgen auf Gebieten, wo Grüne eine besondere Sensibilität zeigen sollten. So heißt es in einer Pressemitteilung des Statistischen Landesamtes vom 12. Juni 2015:

„Nach einem Anstieg bis 1999/2000 waren die CO 2 -Emissionen des Straßenverkehrs im Land bis 2009 kontinuierlich fast auf das Niveau des Jahres 1999 zurückgegangen. Seither aber muss wieder ein leicht steigender Trend registriert werden.“

In der „Zwischenbilanz“ taucht das Thema CO 2 seltsamerweise nur im Zusammenhang mit Elektroautos und mit dem CO2-Ausstoß je Auto auf.

Dort wird der „durchschnittliche CO2-Ausstoß der Landesflotte in g pro km“ für den Zeitraum 2011 bis 2014 genannt – und ein Rückgang von 148,1 g pro km auf 131,9 g/km behauptet.

Nun wurde im Rahmen des VW-Diesel-Skandals das deutlich, was jeder normale Pkw-Fahrer weiß: Alle Kraftstoffverbrauchsangaben, auch die bei konventionellen (Benzin-) Pkw, sind manipuliert. Sie werden systematisch und von Jahr zu Jahr mehr zu niedrig angegeben. Inzwischen liegt diese Differenz laut dem Verband Umwelthilfe bei 40 Prozent. Insofern macht eine Aussage über den CO 2 -Ausstoß „je Pkw und km“ wenig Sinn.

Entscheidend ist offensichtlich der gesamte CO 2 -Ausstoß des Straßenverkehrs in Baden-Württemberg. Und dieser ist laut Statistischem Landesamt eben angestiegen und nicht, wie schönfärberisch in der „Zwischenbilanz“ unterstellt wird, gesunken.

Elektro-Autos stehen im grün-roten Zwischenbericht an vorderster Stelle. Sie werden von der grün-roten Landesregierung massiv gefördert. Bereits im Vorwort wird festgestellt:

„Wenn wir über nachhaltige Mobilität reden, dann meinen wir damit Elektroautos und weitere umweltfreundliche Antriebe …“

Das entspricht den vielfachen Liebeserklärungen der Landesregierung für diese Pkw. Damit haben wir nun die große Einheitsfront von CDU/CSU, SPD, Grüne und Autoindustrie, die alle begeistert für Elektro-Autos werben und dafür Steuermilliarden locker machen. Hier fehlen Zeit und Raum, um die grundsätzliche Kritik an Elektro-Pkw im Detail vorzutragen. Klar ist jedoch: Diese Form der motorisierten Mobilität ist für die Umwelt und das Klima nicht weniger schädigend als die normale Pkw-Mobilität. Wenn der gesamte Zyklus eines Elektro-Pkw betrachtet wird, so liegt der CO 2 -Ausstoss bei Elektro-Pkw auf alle Fälle auf dem gleichen Niveau wie im Fall eines konventionell – mit Benzin oder Diesel betriebenen – Pkw. Einleuchtend ist für jeden normal denkenden Menschen auch: Der Flächenbedarf eines Elektro-Pkw ist ebenso groß wie der eines Benziners oder eines Diesel-Autos. Und ein Auto erfordert vier Mal mehr Fläche als bei der Mobilität mit
Straßenbahn oder Bus benötigt wird.

Im „Zwischenbericht“ heißt es dann:

„Elektrofahrzeuge sind auch bei begrenzter Reichweite alltagstauglich, denn der größte Teil der Alltagswege im Pkw-Verkehr findet auf Distanzen unter 30 Kilometern statt. […] Grundlegende Voraussetzung ist ein Netz von Elektrotankstellen, sogenannten Ladestationen. Deshalb fördert das Land den Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Rund 400 Ladesäulen stehen bereits in Baden-Württemberg, 300 davon im Großraum Stuttgart.“

Damit wird gesagt: Haltet euch eine Elektro-Auto für den Stadtverkehr. Wir fragen: Und was ist bei größeren Freizeitfahrten oder Fahrten in den Urlaub? Im Grunde ist das typisch neue Mittelklasse: Mit einigem Schick in der City als bescheidener Zweitwagen ein Elektro-Pkw für 25.000 bis 30.000 Euro. Ansonsten Autoverkehr wie gehabt.

Dritte Bilanz-Ebene: Flugverkehr. Oder: Der massiv steigender Luftverkehr und die fortgesetzt hohe Subventionierung dieser besonders zerstörerischen Verkehrsform aus öffentlichen Mitteln

Zum Flugverkehr heißt es in Winfried Hermanns „Zwischenbilanz“:

„In einer globalisierten Welt kommt dem Flugverkehr große Bedeutung zu. Seine Wachstumsraten stellen jedoch ein großes Problem bei der Bekämpfung des Klimawandels dar […] Der Flugverkehr muss umwelt- und klimaverträglicher werden.“

Als Maßnahmen, wie dies erreicht werden könnte, wird darauf verwiesen, dass

„die Flughäfen Stuttgart, Karlsruhe/Baden-Baden und Friedrichshafen in den vergangenen Jahren ihre Start- und Landeentgelte deutlich stärker zugunsten leiserer Flugzeuge gespreizt (haben).“

Grundsätzlich zeichnen den Flugverkehr zwei Dinge aus: Er wächst erstens so schnell wie keine andere motorisierte Verkehrsart. Und er wird zweitens enorm subventioniert. In Stuttgart wuchs das Flugverkehrsaufkommen allein im Zeitraum 1985 bis 2010 von 3 auf 9 Millionen – eine Verdreifachung. 2015 waren es bereits 10,5 Millionen. Für 2016 wird erstmals eine Zahl von mehr als 11 Millionen Fluggästen erwartet. Nach den Plänen der alten (CDU-geführten) Landesregierung und des Bundes soll die Zahl der Fluggäste in Stuttgart auf 15 bis 20 Millionen bis zum Jahr 2025 gesteigert werden. Unter Grün-Rot gab es diesbezüglich keine Bremsversuche.

Ausdrücklich dient die Anbindung des Flughafens an den Schienenpersonenfernverkehr, wie er mit Stuttgart 21 vorgesehen ist, der Zielsetzung, mindestens zusätzlich eine Million Fluggäste für den Flugverkehr zu gewinnen. Untersucht man die Struktur der Flüge, die in Stuttgart starten und landen, so ergibt sich: Mehr als 40 Prozent aller Flüge liegen im Entfernungsbereich bis zu 600 km Distanz. Es handelt sich also um Reisen, die sich ideal zur Verlagerung auf die Schiene eignen würden.

Doch anstatt die Schiene und die Hochgeschwindigkeitsverkehre mit der Eisenbahn dazu einzusetzen, um Flüge in Schienenfahrten zu verwandeln, wird in Stuttgart mit Stuttgart 21 die Schiene als Zubringer zum Flugzeug, also zur Verlagerung von der Schiene in das Flugzeug eingesetzt. Gleichzeitig wird die Kapazität des Stuttgarter Hauptbahnhofs mit S21 so zurückgebaut, dass eben eine solche Verlagerung von der Luft auf die Schiene ausgeschlossen wird.

Nun gibt es im Land zwei andere Flughäfen, die inzwischen auch als große Airports bezeichnet werden müssen. Es handelt sich um den Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden und um den Flughafen in Friedrichshafen. Der erstgenannte liegt bereits bei 1 Million Fluggästen. Hier gab es allein im Zeitraum 2000 bis 2005 eine Steigerung um das Sechsfache. All dies, obgleich dieser Airport direkt an einer Hochgeschwindigkeitsstrecke liegt.

Der Flughafen am Bodensee bringt es auf rund 600.000 Fluggäste im Jahr. Hier gab es seit 1995 eine Vervierfachung des Fluggastaufkommens. Bei den beiden Regionalairports Karlsruhe und Friedrichshafen liegen die durchschnittlichen Entfernungen je Flug nochmals deutlich niedriger als bei dem Stuttgarter Airport. Es böte sich also hier mehr als anderswo an, die entsprechenden Verkehre aus der Luft auf die Schiene zu verlagern. Doch auch hier findet der umgekehrte Prozess statt.
Thema Subventionen: Der Stuttgarter Flughafen ist rein betriebswirtschaftlich gesehen inzwischen gewinnbringend. Berücksichtigt man die sogenannten externen Kosten – darunter die Kosten für Klimaschäden und gesundheitliche Belastungen – dann gibt es selbstverständlich auch hier enorme Defizite und damit Zuschüsse durch die Allgemeinheit.

Die Flughäfen Karlsruhe und Friedrichshafen werden dann auch rein betriebswirtschaftlich weiterhin Jahr für Jahr mit öffentlichen Geldern am Leben gehalten. Der Airport Karlsruhe/Baden-Baden befindet sich mehrheitlich – wenn auch auf verschlungenen Pfaden – in Landeseigentum. (5) Dieser Flughafen, der zunächst von einem privaten Konsortium betrieben wurde, hat bereits eine komplette Insolvenz hinter sich, bei der im Jahr 2002 knapp 100 Millionen Euro vernichtet wurden. Der Flughafen schreibt seither überwiegend rote Zahlen.

Der Bodensee-Airport hat allein im Zeitraum 2002 bis 2014 rund 20 Millionen Euro Verluste eingefahren. Ende 2015 musste die Betreibergesellschaft – als Folge der Pleite einer Regional-Airline, der Intersky – die Eigentümer um Hilfe ersuchen. Ein Sonderdarlehen in Höhe von 3,5 Millionen Euro wurde aus öffentlichen Mitteln gewährt. Stuttgart ist mit dabei. In der „Zwischenbilanz“ schreiben Winfried Hermann und Gisela Splett: „Der Luftverkehr muss seine Kosten selbst erwirtschaften.“

Das ist schlicht unwahr. Die Gesellschaft zahlt in Deutschland Jahr für Jahr mehrere Milliarden Euro an Subventionsgeldern für den Flugverkehr – vor allem für die genannten externen Kosten des Flugverkehrs (Lärmschäden, Klimabelastung usw.). Die größte Subventionierung des Flugverkehrs erfolgt dadurch, dass Kerosin komplett steuerbefreit ist. Es fließen aber auch höchst konkret und auf Ebene des Landes Baden-Württemberg Jahr für Jahr Dutzende Millionen Euro in den Betrieb, Ausbau und Unterhalt der drei Airports und der zusätzlichen 18 „Verkehrslandeplätze“ in Baden-Württemberg.

Als Anfang 2016 beim Stuttgarter Flughafen der Linienflug Stuttgart – Abu Dhabi, ausgeführt von Air Berlin, wegfallen sollte, sprach sich Minister Hermann beim Neujahrsempfang der Flughafengesellschaft ausdrücklich für den Erhalt dieser Verbindung aus. (6) Der tägliche Linienflug Stuttgart–Abu Dhabi wird von Grün-Rot als eine Art Kulturgut gesehen und verteidigt.

Vierte Bilanz-Ebene: Schiene

In dem Text „Zwischenbilanz“ des Landesverkehrsministeriums heißt es: „Der Ausbau der Schieneninfrastruktur ist eines der wichtigsten verkehrspolitischen Ziele der Landesregierung.“ „Ausbau“ meint, so dieser Text: „Die überlasteten Hauptverbindungen müssen erweitert werden“; das „restliche Netz“ müsse „modernisiert“ werden.

Zum Thema „stillgelegte Strecken“ findet sich ein Hinweis auf eine finanzielle Unterstützung bei einer einzigen Reaktivierung, derjenigen der Strecke Calw – Weil der Stadt. Und dann gibt es die allgemeine Feststellung: „Das Land fördert den Erhalt stillgelegter Schienenstrecken mit Zukunftspotenzial“. Von einem Programm zur Reaktivierung von Strecken ist nichts zu lesen.

Auch wenn letzten Endes der Bund für das Schienennetz verantwortlich sind, so müsste doch die gesamte Situation der Schiene im Südweststaat kritisch bilanziert. Erforderlich wäre ein allgemeines Programm zur Reaktivierung von Strecken. Und eine entsprechende Ermunterung an alle Initiativen vor Ort, die sich für solche Projekte engagieren.

Tatsächlich gab es auf dem Gebiet Baden-Württembergs 1950 noch ein Schienennetz von 5150 km Länge. Aktuell sind es laut „Zwischenbericht“ nur noch 3.338 km Schienennetz, die zum Bereich der Deutschen Bahn AG zählen. Hinzu kommen einige Dutzend Kilometer Netz, das sich im Eigentum von privaten Bahngesellschaften befindet.

Das aber heißt: Das aktuelle Schienennetz in Baden-Württemberg entspricht auch heute noch nur 75 Prozent des Netzes, das es Mitte der 1920er Jahre oder nach dem Zweiten Weltkrieg gab. Gut ein Viertel dieses Netzes wurde abgebaut. Hinzu kommt, dass die Leistungsfähigkeit auf den bestehenden Schienensträngen seit Jahrzehnten abnimmt – durch einen massiven Abbau von Weichen, einem Herausnehmen von Ausweichgleisen und dem allgemein schlechten Zustand der Infrastruktur mit entsprechend vielen Baustellen und Langsamfahrstellen. Auf der Straße dagegen haben wir hingegen, wie beschrieben, den entgegengesetzten Prozess: immer leistungsfähigere Straßen. Doch zu all dem findet sich in der grün-roten Bilanz kein Wort.

5. Stuttgart 21 – der grüne Verrat am Wählerwillen und der aktuelle Stand hinsichtlich eines Ausstiegs aus dem Projekt

Zu Stuttgart 21 heißt es in dem Text aus dem Winfried Hermann-Ministerium:

„In der Volksabstimmung am 27. November 2011 hat sich die Bürgerschaft mit 58,9 Prozent der Stimmen […] politisch für die Fortsetzung des Projekts [S21] ausgesprochen. Die Landesregierung unterstützt seitdem die Umsetzung von
Stuttgart 21 in konstruktiv-kritischer Weise. […] Das Land betreffende Fragen […] werden so zügig wie möglich und so gründlich wie nötig bearbeitet. Chancen [von S21], aber auch mögliche Probleme werden offen angesprochen…“

Im Text wird dann konkret dargelegt, was „konstruktive Mitarbeit“ bei der S21-Umsetzung bedeutet. Dort heißt es:

„Unter maßgeblicher Mitwirkung von Verkehrsminister Hermann haben sich die Projektpartner im März 2015 auf ein Maßnahmepaket zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit [der S21-Anbindung] im Flughafenbereich verständigt.“

Nur lapidar gestreift wird die Tatsache, dass die S21-Kosten sich bereits nach offiziellen Angaben massiv erhöhten und dass sie weiter steigen werden. Womit allein dadurch die Grundlage für die Volksabstimmung entfallen ist. Mit keinem Wort wird der sogenannte Stresstest mit all seinen inzwischen im Detail aufgedeckten Manipulationen erwähnt. Kein Wort findet sich in der Winfried-Hermann-Bilanz zur inzwischen vielfach belegten Tatsache, dass bei S21 immer mehr öffentliches Geld dafür ausgegeben wird, dass ein intakter und gut funktionierender Hauptbahnhof so geschrumpft wird. (7)

Nun gibt es beim Thema Stuttgart 21 seit Februar 2016 zwei neue Dokumente: Das erste Dokument ist ein Schreiben des Bundesrechnungshofs vom 10. Februar 2016 an Nico N., aus dem hervorgeht: der Bundesrechnungshof hat bereits im Dezember 2014 eine neue Stellungnahme zu den Kosten von Stuttgart 21 erarbeitet. Im Schreiben des BRH wird im Detail dargelegt, dass es die Deutsche Bahn AG und die Bundesregierung sind, die eine Veröffentlichung des Prüfberichts bislang verhinderten. Angekündigt wird, dass „demnächst“ [seitens des BRH] die „abschließende Prüfungsmitteilung erstellt“ wird. Ob das Dokument dann öffentlich zugänglich sein wird, wird nicht deutlich.

Schließlich gibt es seit dem 10. Februar 2016 eine neue Studie der Verkehrsberatungsgesellschaft Vieregg-Rössler. Ihr Titel: „Ermittlung der Ausstiegskosten für das Projekt Stuttgart 21 zum Stand Ende 2016“.

Die Verfasser errechnen in der Studie im Detail, wieviel ein Ausstieg aus S21 zum heutigen Stand kosten würde. Sie konfrontieren dies mit der Gegenrechnung, wie viel ein Bau der Alternative, was K21 kosten würde. Der bilanzierende entscheidende Satz auf Seite 18 der Studie lautet:

„Der Weiter- bau von Stuttgart 21 ist […] um 7,9 Milliarden Euro teurer als der Ausstieg ohne Realisierung von K21.[…] Mit der Realisierung von K21 […] ergibt sich immer noch eine Kostenersparnis von 5,9 Milliarden Euro gegenüber dem Weiterbau von Stuttgart 21. Das heißt, ein Abbruch von Stuttgart 21 und ein Umschwenken auf K21 ist 5,9 Milliarden Euro kostengünstiger als ein Weiterbau.“

Grün-Rot erklärt uns also vor der Landtagswahl: Man wolle kritisch-konstruktiv S21 weiterbauen. Das soll so weitergehen bis 2025 – mit dieser Großbaustelle im Zentrum. Dabei sollen immer neue Milliarden Euro an Steuergeldern dafür ausgegeben werden, dass man dann vielleicht am Ende einen neuen Kellerbahnhof hat, der aber mindestens 30 Prozent weniger Leistung als der alte Kopfbahnhof hat.

Meine und unsere Schlussbilanz zur grün-roten Verkehrspolitik: Es gab mit Grün-Rot im gesamten Bereich Verkehr keinen versprochenen Neuanfang und keine Trendwende im Sinn einer ökologischen, nachhaltigen und sozialen Verkehrspolitik. In den Worten des Stuttgarter Umweltaktivisten Rudolf Pfleiderer:

„Kurz nach der gewonnenen Wahl 2011 sagte Kretschmann noch: ´Weniger Autos sind natürlich besser als mehr´. […] Kretschmann wurde zurechtgestutzt und hat sich inzwischen vor der Autolobby flach auf den Boden geworfen. Er fordert von Berlin mehr Geld für Autobahnen und Bundesstraßen und bezeichnet Straßen als Lebensadern.“ (8)

Im Zentrum unserer negativen Bilanz hier in Stuttgart steht das doppelte Desaster von Stuttgart 21:
• Das rein handwerkliche Desaster, das von Grün-Rot im Rathaus und in der Landesregierung mit zu verantworten ist.
• Und das politische und moralische Desaster, das, was man schlicht „Verrat am Wählerwillen“ bezeichnen muss.

Oben bleiben!

Verweise:
(1) 2004 und 2010 waren es rund 80.000 Millionen km. 2014 sind es 84.172 Millionen km.
(2) Rückgang von 6.889 Mio. auf 6.793 Mio. km. Im letzten Jahr vor Grün-Rot (2010) waren es 7.045 Mio. km. 2014 sind es bereits 7.246 Mio. km.
(3) Auch die Zahl der Leichtverletzten stieg, wenn auch unwesentlich (um 0,5 %). Straßenverkehrsunfälle selbst gab es 2010 275.410 – 2014 waren es 294.238 (Alle Angaben nach: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2015).
(4) A.a.O., S. 18. 3
(5) Der Betreiber des Airports, die Baden-Airpark GmbH, ist zu 66,6 Prozent eine Tochtergesellschaft der Flughafen Stuttgart GmbH, die wiederum zu 35 Prozent der Stadt Stuttgart und zu 65 Prozent dem Land Baden-Württemberg gehört.
(6) Josef Schunder, „Letzte Bemühungen um Abu-Dhabi Flug“, in: Stuttgarter Nachrichten.de vom 8. Januar 2016.
(7) Es gibt in dem Text keinerlei Kritik an der absurden Neubaustrecke über die Schwäbische Alb. Vielmehr heißt es: „Das Land finanziert die Neubaustrecke Stuttgart – Wendlingen – Ulm in Höhe von 950 Millionen Euro mit“.
(8) Rudolf Pfleiderer, Baden-Württemberg: Grüne machen schwarze Verkehrspolitik“, in: mobilogisch!, 1/2016.