Stuttgart 21: „Nichts wurde geprüft! Und der OB spuckt große Töne!“
Die Rede von Dr. Christoph Engelhardt, WikiReal, auf der heutigen 313. Montagsdemo in Stuttgart gegen das regionale und urbane Umbauprogramm „Stuttgart 21“ (S21). Die Rede trug den Titel „Der große Faktencheck-Bluff! Politik und Bahn kneifen bei der S21-Leistungsfähigkeit!“.
Liebe Mitstreiter,
lasst mich berichten von dem großen Faktencheck-Bluff! Letzten Juli hatte SPD-Fraktionschef Körner im Verwaltungsausschuss des Gemeinderats das Rederecht für die Vertrauensleute des 4. Bürgerbegehrens abgelehnt. Er sagte damals aber einen Faktencheck zur Leistungsfähigkeit zu. Grüne, LINKE und AfD begrüßten die Idee und sogar Oberbürgermeister Kuhn hielt das für sinnvoll.
Acht Monate hat man uns dann hingehalten, während
* wir in zahllosen Emails, SMSen und Anrufen,
* wie auch die Stuttgarter Zeitung in mehreren Artikeln und
* SÖS-LINKE in einem eigenen Antrag
den Faktencheck einklagten. Vorletzten Freitag war es dann so weit: Wir hatten das Vorgespräch: Mit mir und Joris Schoeller für das 4. BB, Körner und Stopper vom Gemeinderat, sowie Bitzer und Sturm von der Bahn.
Körner stellte jetzt ein festes Konzept für eine „politische Veranstaltung“ vor, die mit den Grünen und den DB-Vertretern abgesprochen war:
* 20-30 Min. Vortrag Engelhardt,
* 20-30 Min. Vortrag Bahn (das heißt, die Bahn hat mal wieder das letzte Wort),
* 1 Stunde Podium: Engelhardt, Bahn, MVI und VVS oder SSB – das heißt ein Verhältnis von 1:3 von Kritikern zu Projektumsetzern,
* dann wären noch Fragen aus dem Publikum vorgesehen gewesen.
Dieses Konzept spricht einem echten Faktencheck Hohn, es fehlt jegliche Tatsachenklärung. Im Juli hatte Körner noch einen „Austausch“ der „Argumente“ „Pro und Contra“ und eine „inhaltliche Diskussion“ vorgeschlagen, es dürfe keine „Schau- oder Showveranstaltung“ geben und wörtlich eine „Schlichtung II“ vorgeschlagen. Jetzt begann er damit, dass es „keine Schlichtung 2.0“ geben könne.
Wir hatten auf die Zusagen für einen echten Faktencheck verwiesen und auf die Analyse der Uni Hohenheim zu den Fehlern in der Schlichtung von 2010. Auf deren Basis hatten wir für einen erfolgreichen Faktencheck als Verfahrensregeln vorgeschlagen:
* Eine unabhängige Moderation,
* als Ort den mittleren Sitzungssaal ohne freies Publikum, aber mit Videoaufzeichnung und Streaming im Internet, für einen sachlichen Faktencheck, ungestört von Zwischenrufen.
* Dann weiter: Einen abgestimmten Fragenkatalog, wie es die Profis empfehlen. Es sollte jeweils geklärt werden: Bis wohin besteht eine gemeinsame Faktenbasis und wo beginnt eine unterschiedliche Abwägung?
* Außerdem: Sämtliche Argumente müssen belegt werden und entsprechende
Dokumente müssen rechtzeitig veröffentlicht werden.
* Schließlich sollte es ein getrenntes Resümee durch beide Seiten geben, keinen Schlichterspruch und kein politisches Schlusswort.
Dieses Konzept von uns wurde von der anderen Seite abgelehnt. Körner hatte noch SÖS-LINKE aus der Vorbereitung herausgehalten mit dem Argument, „die machen ja bloß Politik“. Jetzt hieß es, Grüne und SPD könnten ja überhaupt nur eine „politische Veranstaltung“ machen, ein reiner Faktencheck habe ja keine „politische Dimension“. – Das ist die Bürgerbeteiligung der SPD und der Grünen, Bürgerbeteiligung nur als Blendwerk und Beruhigungspille, dann, wenn es nicht wehtut!
Peter Sturm, Vorstand Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, kündigte schon an, dass die Bahn wieder die Karte des Autoritätsverweises ziehen würde: Sie hat die Professoren, Gutachten und Genehmigungen und der Engelhardt ist nicht mehr als ein interessierter Laie. Für einen echten Faktencheck, wie vom 4. Bürgerbegehren vorgeschlagen, stünde die Bahn nicht zur Verfügung, lediglich für die skizzierte „politische Veranstaltung“. Das heißt nichts anderes, als dass die Bahn sich „einem professionell organisierten und moderierten Prozess der Tatsachenklärung nicht gewachsen“ fühlt. Das ist das Eingeständnis, dass die Bahn argumentativ nichts auf der Pfanne hat!
Diese reine Showveranstaltung, dieses unmoralische Angebot haben wir abgelehnt. Offenbar sind Bürgerbeteiligung und die Politik des Gehörtwerdens nur Lippenbekenntnisse. Jetzt ist Oberbürgermeister Kuhn am Zug: Im Juli hatte er zum Faktencheck wörtlich gesagt (ich hab mir das notiert), so eine „Faktenklärung und Tatsachenklärung“ könne man machen, wenn „Zweifel“ an der „Kapazität“ aufkämen, dann wäre es sogar „Aufgabe der Stadt“, „so etwas zu klären“. Das könne über die „Verwaltung“ oder den „Ältestenrat“ entschieden werden.
Oberbürgermeister Kuhn, machen Sie nun die Hausaufgaben der Stadt und klären Sie die Kapazität von Stuttgart 21 in einem echten Faktencheck, wie in dem von Ihnen als Vergleich genannten Prozess auf den Fildern. Das muss erledigt werden, bevor am 13./14.04.2016 die Beschwerde gegen die Ablehnung des 4. Bürgerbegehrens im Gemeinderat behandelt wird!
Aber dürfen wir erwarten, dass der Oberbürgermeister moralisch und verantwortlich handelt? – Die Chancen sind nicht gut:
Kuhn hatte das Skandalgutachten von Prof. Kirchberg zum Bürgerbegehren beauftragt. In unserer Beschwerde haben wir nachwiesen, dass Kirchberg zahllose Fehler gemacht hatte, zitierte Dokumente gar nicht gelesen haben konnte. Wir hatten die 38 Züge des Kopfbahnhofs angeführt. Kirchberg argumentierte dagegen, ein Rückbau sei „objektiv“ nicht gegeben, schließlich habe der VGH eine Kapazität von 32 Zügen für den Tiefbahnhof bestätigt!? Kann der Mann rechnen? Ist denn nicht 32 weniger als 38?
Kuhn schrieb im Dezember: „Die Verwaltung hat keine Zweifel an der Qualität des von Prof. Dr. Kirchberg verfassten Gutachtens“! Und jetzt wird es spannend: Hannes Rockenbauch von SÖS-LINKE hat mit uns ebenfalls am 26. Februar Akteneinsicht genommen und diese Aussage der Stadt ist durch nichts belegt! In den fünf Monaten seit unserer Beschwerde ist in der Akte keinerlei Bearbeitung unserer Beschwerde zu finden! Nichts wurde geprüft! Und der OB spuckt große Töne!
Und wir wissen auch warum: Es ist vor allem die Schuld der Stadt, dass Kirchberg sich derart verrannt hat. Das Rechtsamt ist voreingenommen und sprach von unseren „Argumenten“ nur in Gänsefüßchen, von „Behauptungen“ des 4. BB. Kirchberg wurde auch nicht etwa auf die Homepage unseres Bürgerbegehrens vom Unterschriftenzettel hingewiesen, auf die wir das Rechtsamt auch mehrfach hingewiesen hatten. Dann hätte er auf Anhieb erkannt, dass er die zweite Argumentation mit der Unterdimensionierung für die Fußgänger vollkommen übersehen hatte. Vielmehr wurde er auf Anregung des Prolers Peter Reinhart bei der Bahn ganz allgemein auf WikiReal.org verwiesen, wo er in der Fülle des Materials den Bezug zum Bürgerbegehren gar nicht erkennen konnte.
Wir wissen also schon, Kuhn wird keine Aufklärung ermöglichen, sondern die Fehler der Stadt verdecken, er wird weiter die Bürgerbeteiligung und das Engagement von 20.000 Stuttgarterinnen und Stuttgartern mit Füßen treten und mit willkürlichen Fehlbewertungen weiter regieren. Hauptsache, die Bürger spucken nicht in die Suppe von Wirtschaft und Politik.
Aber wir geben nicht auf, – unterstützt uns, auch über das Spendenkonto auf www.leistungsrueckbau-s21.de. – Vielen Dank für Eure Hilfe!
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