Russland sinkt sogar unter den Großmächte-Standard eines abschreckenden Beispiels

Eine Einschätzung zum Abzug der russischen Truppen aus dem Syrien-Krieg.

Heute kündigte der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, den Abzug der russischen Truppen aus Syrien an: konkret – die  „Haupt-Gruppierung der Luftwaffen-Einheiten“, wie der Kreml auf seiner Webseite mitteilte. Der Rückzug soll bereits morgen beginnen.

Der syrische Präsident Bashir Assad, dem dies von Putin in einem Telefonat mitgeteilt wurde, dürfte schockiert gewesen sein. Vorher hatte sich Putin für ein Foto noch Außenminister Sergej Lawrow – der gestern noch von einem Einsatz türkischer Bodentruppen in Syrien gesprochen, aber eine Föderalisierung Syriens nicht unterstützt hatte – sowie Verteidigungsminister Sergej Shoigu einbestellt, um dem Beschluss die angemessene Würde zu geben.

Der Beschluss mag manchen als taktische Maßnahme erscheinen, die während der heute begonnenen „Friedenskonferenz“ in Genf maximalen Druck auf Syrien und seinen Präsidenten Assad ausüben soll. Doch unserer Einschätzung nach ist es vielmehr eine strategische Maßnahme, die zunächst einmal das ungefähre Gleichgewicht der Kräfte und den Stellungskrieg in Syrien wieder herstellt, eine Einladung für die terroristischen / asymmetrischen Milizen der Invasoren zu neuen Angriffen darstellt und zudem den Krieg auf unabsehbare Zeit hinaus zieht.

Dazu kommt, dass in Genf nicht die Syrer unter sich, sondern die Großmächte über sich verhandeln. Die entscheidende Gruppierung im Syrien-Krieg, das Zünglein an der Waage – die kurdische P.Y.D. – ist zu der „Friedenskonferenz“ in Genf schon wieder nicht eingeladen worden. Das heißt, in Genf verhandelt die syrische Regierung, deren Verbündeter Russland ihr gerade zum Abschied zugewunken hat, mit den Invasionsmächten, stellvertretend Saudi-Arabien und die Türkei, deren Monarchen und Autokraten überhaupt kein Interesse an irgendwem oder irgendwas in Syrien, sondern ausschließlich die eigenen im Kopf haben, was natürlich auch für die Hintermänner – und mütter der Invasion in Washington, London, Paris und Berlin gilt.

Durch den russischen Truppenabzug ist nun diese „Friedenskonferenz“ endgültig zur Farce geronnen, was wir leider erwartet haben.

Erstens ist es nicht nur sinnlos, sondern geradezu absurd mit Invasionsmächten zu verhandeln, die über ein mit einem selbst befreundetes und verbündetes Land herfallen. Man stelle sich mal vor, in, sagen wir, Spanien würden erst Massendemonstrationen gegen die Monarchie beginnen, dann von Scharfschützen bzw Unbekannten in die Reihen der Polizei und der Demonstranten gefeuert und über Monate eine Eskalationsspirale zwischen natürlich unbewaffneten, guten Demokraten und einer mörderischen Monarchie aufgebaut, in dessen weiterer Folge Teile des spanischen Militärs plötzlich desertieren, aber genügend Munition und Ausrüstung für jahrelangen Krieg mitnehmen, sich fortan auf magische Weise selbst versorgen und sich dann irgendwann, merkwürdigerweise zu blutrünstigen Todesschwadronen geronnen, bei der Versorgung über Marokko und das Mittelmeer erwischen lassen.

Glaubt irgendjemand im Ernst, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich das auch nur einen Monat lang mitangesehen hätten?

Russland aber, es sah sich dies viereinhalb Jahre lang an, bevor es im Sommer 2015 endlich Luftstreitkräfte zur Unterstützung Syriens schickte, obwohl die Russische Föderation mit Tartus über den einzigen Marinestützpunkt im Mittelmeer und mit Khmeimim bei Latakia einen wichtigen Luftwaffenstützpunkt unterhält.

Im Nachhinein sorgte die russische Militäroperation nur dafür, dass der Krieg weiterging und die dem Kollaps nahe syrischen Regierung nicht zusammenbrach. In der Tat wäre auch im Falle eines Zusammenbruchs der Regierung Assad – und damit des Staates Syrien – der Krieg keinesfalls zuende gewesen, sondern hätte sich auf die gesamte Region ausgedehnt. Doch eine Wende im Krieg trat keinesfalls ein. Nach wie vor ist Aleppo nicht befreit worden, strategische Siege konnte die syrische Armee bisher nicht erringen, gleichwohl diese zum Greifen nahe waren.

Dass jetzt der russische Präsident diesen Sieg gegen die Invasoren Syriens fallen lässt – die einzige tatsächliche Chance den Krieg tatsächlich auch zu beenden – wirkt als Zeichen an die Welt: Schaut her! Welcher Idiot hält uns für verlässlich? Eine Schutzmacht? Eine Großmacht? Ha! Selber Schuld!

Zweitens wird, wie in der Ukraine-Intervention, die weltpolitische Wirkung dieses Schachzugs von Wladimir Putin gerade für Russland verheerend sein. Anstatt wie im Falle der Ukraine ausgerechnet den Nordatlantikpakt – nach dessen Putsch in Kiew, mit faschistischen Fußsoldaten! – geradezu einzuladen noch mehr Truppen und Atomwaffen im Osten Europas zu stationieren und sich als Schutzmacht gegen den russischen Aggressor aufzuspielen, sowie Russland mit Sanktionen zu überziehen und in der Weltöffentlichkeit zu verteufeln, wird Russland nun nach dem Abzug seiner Truppen aus dem Syrien-Krieg keiner mehr ernst nehmen.

Welche abschreckende Wirkung soll die russische Militärmacht noch haben? Wozu fuchelt sie mit irgendwelchen Marschflugkörpern und Atombomben herum?

Wozu?

Die kurzzeitige Rolle Russlands als Konterpart, als Gegengewicht zur U.S.-Hegemonie, die bereits 2011 durch die faktische Genehmigung der Invasion Libyens durch Russland und seine Enthaltung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geradezu gesprengt wurde, ist nun abermals dahin. Die Russische Föderation hat sich vor den Augen der Welt wieder einmal als unglaubwürdig bewiesen. Und diesmal ist diese Wirkung mehr als langfristig.

Am Schlimmsten werden nun abermals die Menschen in den Invasionsgebieten in Asien und Afrika zu leiden haben, die die U.S.-Hegemonie seit vierzehneinhalb Jahren mit ihrem Terrorkrieg überzieht. Russland, so scheint es, hat sich diesem Konzept des U.S.-geführten „global war on terror“, dem Paradoxon eines endlosen, ungewinnbaren Krieges gegen eine bestimmte Art der Kriegführung (dem Terrorismus) und seiner Strategie der Transformation angeschlossen. Seine das eigene Land beherrschenden Kräfte, voran der Präsident, scheinen einen fiktiven oder tatsächlichen äußeren Feind zu brauchen, um ihre Position und Macht zu festigen und den eigenen Herrschaftsbereich nach eigenem Ermessen zu verändern und auszudehnen. Einen ganz normalen Krieg aber, den können oder wollen sie offenbar nicht gewinnen. Dann wäre er ja zuende.

Stattdessen werden nun weltweit die Kriegslobbyisten und Apparatschiks feixen, die bereits von einem nochmal „über eine Generation oder mehr“ oder „weit mehr als 10 Jahre“ andauernden Krieg schwärmen, vorneweg die Obama-Administration und die Bundeswehr, nach bereits 14 Jahren und zwei Millionen Toten, fast ausschließlich in den zuerst eroberten und dann zu permanenten Kriegszonen transformierten Staaten in Asien und Afrika, wie Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Somalia, Jemen, usw.

Russland agiert als Spieler eines imperialistischen Komplexes, den wir auf Radio Utopie bereits mehrfach umschrieben haben. Mehr ist von Russland auch nicht zu erwarten.

(…)

Rechtschreibfehler korrigiert am 14.04.2018