Warum gegen Ramstein?

Rede von Eugen Drewermann am 13. Dezember 2015 in Offenbach

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Friedens,

ich freue mich sehr über Ihr Engagement und über die Einladung in diesen Vorweihnachtstagen, zu Ihnen beim Protest gegen Ramstein sprechen zu dürfen. Ich kann Ihnen und soll Ihnen heute Morgen keine Musterrede halten, wie man sie in Ramstein vortragen würde, wohl aber Anregungen geben, welche Argumentationslinien eine Rolle spielen könnten.

Ramstein ist das Brennglas für ein Problem, das mit ungeheurer Energie Feuer und Brand in die Welt zu schicken vermag. Die Friedensbewegung selber, wie schon angeklungen, hat einen zunehmend schweren Stand, alles andere wäre irrational und irreal in der Beurteilung. 1955 – um daran zu erinnern – gab es Millionen Menschen, die bei der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik West auf die Straße gingen, um der Adenauer-Regierung zu sagen: „Wir haben nicht unsere Knochen ins Feld getragen, damit zehn Jahre später unsere eigenen Kinder in denselben Dreck, in dieselben Verbrechen hineingezogen werden.“ Aber genau das sollte passieren, nicht weil die deutsche Bevölkerung es wollte, sondern weil die USA den Westen Deutschlands als Glacis im Aufmarsch des Kalten Krieges benützte. Und dann verstand die Adenauer-Regierung zu erklären, dass wir keine Experimente wollen, dass jeder, der den Frieden will, die fünfte Kolonne Moskaus darstellt, dass jeder, der für den Frieden ist, ein verkappter Kommunist sei. Und kaum waren die ersten Stiefel in den Kasernen, war der Widerstandswille der Bevölkerung zusammengebrochen.

Eine der wirklich großen Schwierigkeiten der Friedensbewegung liegt in der Trägheit. Es ist schwer möglich, eigentlich ganz unmöglich, eine Rebellion auf lange Zeit zu betreiben. Das System hat unendlich viel Zeit, die Rebellion kann sich aber nicht jeden Morgen neu auf den Marktplätzen aufstellen. Irgendwann ist der Widerstandsgeist erschöpft, der Ausdruck der Effektlosigkeit zu stark, um dagegen anzukommen. Ein Faktor freilich bleibt, das ist die Angst.

Bei der Dislozierung der Pershing II waren Hunderttausende in Bonn versammelt, um zu sagen: Wir wollen nicht, dass Deutschland der Austragungsort eines atomaren Schlagabtauschs wird. Helmut Schmidt war bis zu seinem Tod stolz darauf, gegen den Bürgerprotest die Dislozierung der Pershing II durchgesetzt und damit die Ostblockade kaputtgerüstet zu haben. Das war der Kollateralschaden. Es ging um die Balance of Power, das Gleichgewicht des Wahnsinns. Wer hat das größere Potential zum Massenmord und wer kann es am schnellsten einsetzen?

Man hatte Angst, also liefen die Massen zusammen. 1991 beim Golfkrieg und Bush dem Älteren waren die Marktplätze voll, es war eine Hysterie. Aber in der Bevölkerung geisterte die Vorstellung, dass in den amerikanischen Flugzeugträgern Atomwaffen mitgeführt würden, dass die ökologischen und ökonomischen Schäden gewaltig sein könnten, dass wir selber in Mitleidenschaft gezogen würden. Man hatte Angst. Solange das so war, konnte die Friedensbewegung hoffen, Gehör zu finden.

Ich halte es im Rückblick für einen Fehler, mit der Angst argumentiert zu haben. Ich glaube an Mahatma Gandhi, der sagte, ein Pazifist kann es sich nicht leisten, Angst zu haben. Angst ist ein Reflex, der dahin führen wird, sich selber zu verteidigen und Schutz in den Waffen zu suchen. Die Identität mit sich selber, die Wahrheit – Satyagraha, indisch gesprochen – ist ein Motiv der Gewaltlosigkeit. Aber dann muss man die Angst überwinden – und davon sprechen muss die Friedensbewegung, oder sie verliert ihren wichtigsten Anknüpfungspunkt. Ich sehe eine Hauptgefahr darin heute, dass die Leute dabei sind, die Angst vor den Möglichkeiten des Militärs in weit entferntem Lande zu verlieren. Nicht weil die Realität weniger bedrohlich wäre, darauf komme ich noch, aber weil das, was geschieht, weit weg ist, weil man es nicht sieht – und dafür steht unter anderem Ramstein. Ein Mord in zehntausend Kilometer Entfernung berührt nicht unsere Nerven, berührt nicht unsere Emotionen.

Es ist eine abstrakte Ausschaltung von Menschenleben, die uns entweder verschwiegen wird oder die wir gar nicht mitbekommen. Und wenn am Ende tabelliert wird, dass im Weißen Haus unter dem Friedensnobelpreisträger Obama schätzungsweise dreitausend, viertausend Tote – so what? – mit Drohnen umgebracht wurden, ist das eine Zahl, die uns nicht weiter berührt. Eben deswegen hat die Friedensbewegung eine große Schwierigkeit.

Angst vor dem Terror wird uns jeden Tag eingeredet. Die Möglichkeit, dass ein Einzelner an irgendeiner Straßenbahn-Haltestelle zehn oder zwanzig Menschen mit einer Bombe in den Tod reißt, die bloße Möglichkeit rechtfertigt den Überwachungsstaat, die Dauerkontrolle, die Verschiebung von Polizeieinsätzen zu paramilitärischen Aufträgen, Krieg im Inland, alles motiviert mit dem Terror- und Antiterror-Krieg. Er ist die Ausdehnung einer Rechtfertigung, die universell den Einsatz von Militär überall, wo es beliebt, ohne Widerspruch hinnehmbar zu machen scheint.

Wir müssten in der Friedensbewegung daran erinnern, dass das Töten von Menschen das Töten von Menschen bleibt. Und dass wir es ablehnen aus Prinzip, nicht weil wir Angst hätten. Sondern weil wir dafür einstehen, dass außergerichtliches Morden, die Verhängung der Todesstrafe – gewissenmaßen Wyatt Earp im Wilden Westen jetzt im Weißen Haus agieren zu sehen – niemals unseren Beifall finden wird.

Wie es sich anschaut, wenn man tötet, war mal zu erblicken auf Arte vor ein paar Monaten, als gezeigt wurde, wie ein Drohnenpilot erlebt, dass ganze zehn Sekunden zur Verfügung stehen, bis die Rakete einschlägt im Zielgebiet. Im Zielgebiet befindet sich ein mutmaßlich vom CIA Verdächtigter, bewiesen ist nichts. Aber in dem Hof ist auch seine Frau, mit einem Kind auf dem Arm. Und er fleht beim Einsatz, sie möge wegbleiben, sie möchte wegbleiben – aber bleibt sie weg?

Die Kollateralschäden sind in jeder Weise unberechenbar. Von den drei- bis viertausend Toten wird uns erklärt, dass alle Terroristen waren – natürlich, aber wahrscheinlich im Verhältnis eins zu vier; statistisch gerechnet waren es Frauen und Kinder, Unschuldige, die da hineingezogen wurden.

Man hat bei der Beerdigung von Mandela im letzten Jahr diesen groß gepriesen einen Mann von politischem Weitblick. Mandela konnte vor fünfzehn Jahren schon zum Antiterror-Krieg den Israelis in Gaza und auf der Westbank sagen: „Für jeden getöteten Terroristen wird man zehn weitere Terroristen schaffen.“ Diese Art von Antiterror-Krieg vermehrt das Problem und löst es nicht. Das können wir gar nicht oft genug sagen.

Und die Bilanz kann noch düsterer werden. Herr Todenhöfer hat simpel vorgerechnet, dass man es noch 2001 in Afghanistan maximal mit ein paar Hundert bis ein paar Tausend von al-Qaida-Mitgliedern, ganz groß gerechnet,zu tun hatte, im Übrigen ausgebildet und ausgerüstet vom Westen, von den Amerikanern, ursprünglich im Kampf gegen das Sowjetimperium. Inzwischen haben wir bis zu zehntausend, fünfzigtausend Terroristen verstreut in vielen Ländern. Und Frau Wagenknecht konnte in der Debatte, als man den Syrieneinsatz freigab, vollkommen richtig im deutschen Reichstag sagen: „Wollen wir so weitermachen, bis es eine Million werden?“ Dieser Irrsinn, absichtlich, denn man sieht ja, was geschieht! Das Anheizen des Problems zu dessen Lösung zu erklären, ist eine der fundamentalen Lügen, gegen die wir uns mit Macht stellen müssen, soviel Macht der Rede wir besitzen.

Wie sieht es aus, wenn man tötet? Das Problem für die Öffentlichkeit ist, dass man es nicht sieht. Ein Mann, der als Bomberpilot 1943 über Hamburg eingesetzt war in der Royal Airforce, Harold Nash, konnte im deutschen Fernsehen einmal erläutern, wie die Operation „Gomorrha“ gegen die Hansestadt geflogen wurde: Around the Clock Bombing, dreißigtausend Tote in einer einzigen Nacht in Hammerbrook. Man hatte es trainiert, wie man mit Brandbomben erst dann beginnt, wenn die Sprengbomben zuvor die Kanäle in die Häuserschluchten gebrochen hatten. Dann der Feuersturm, dann das Wegsaugen der Atemluft selbst für die Leute in den Bunkern, dann die nächste Angriffswelle, wenn sie glaubten, der Spuk sei endlich vorbei. Er sollte nicht vorbei sein – ein göttliches Gericht über die Nazistadt Hamburg. Harold Nash war dabei, befehlsgemäß – Admiral Harris hatte es angeordnet – und er beschreibt die Szene so: „Es lag unter uns wie ein schwarzes Band aus Samt, bestickt mit Diamanten, funkelnden, und wir wussten, dass das, was wir da unten anrichten, schlimmer ist als jede Beschreibung in Dantes Inferno. Aber wir sahen ja nur Brände, wir sahen keine brennenden Menschen, sonst hätten wir das nicht tun können.“

Ein Auftrag der Friedensbewegung ist, sichtbar zu machen, was uns zu sehen vorenthalten wird, es den Sinnen zu vermitteln, die Gräuel des Tötens von Menschen ins Bewusstsein zu treiben, aus dem Ferngerückten das nahe zu Packende zu machen. Und dafür steht Ramstein und die deutsche Beteiligung am Verbrechen illegaler Kriege, die Verhängung der Todesstrafe rund um die Welt nach präemptivem Urteil der US-Administration.

Was wir erleben zeigt, dass wir in der Bundesrepublik West – und inzwischen vereinigt – weit davon entfernt sind, ein souveräner Staat zu sein. Ramstein ist die Imprägnatur dafür, dass wir ein Vasallenstaat der USA geblieben sind und bleiben sollen. Das Gleiche in Stuttgart bei AFRICOM. Das Gleiche bei der vergeblichen Bemühung, die Atomwaffen der Amerikaner vom deutschen Boden wegzuholen. Das war noch Westerwelles Antrittsrede als Außenminister – vollkommen vergessen, wir sind gerade dabei, die Atomwaffen zu modernisieren. Wir sind dabei, die Atombombenkriege wieder führbar zu machen. Da sind wir bei einer sehr realen Angst. Es hat die Bush-Administration, die Obama-Administration, beginnend eigentlich schon mit Bill Clinton, nicht mehr die Balance of Power und das Gleichgewicht des Schreckens zur gegenseitigen Neutralisierung der beiden Großmächte, sondern im Wahn, die einzig verbliebene Großmacht der Welt zu sein, dahingehend ausgestaltet, dass es möglich sei, Russland, falls es nicht fügsam werde, zu zwingen, ebenfalls ein europäischer Vasallenstaat der USA zu werden – mit Wirtschaftssanktionen, notfalls militärisch. Und der Abwehrschirm im Baltikum dient genau diesem Vorhaben, eine mögliche Antwort Russlands auf eine militärische atomare Bedrohung abwehren zu können.

Dieses Spiel ist in vollem Gange, und dem dient die Modernisierung der Atomwaffen. Auch das ein Thema unbedingt in Ramstein, weil es die fehlende Unabhängigkeit der deutschen Regierung zeigt. Für was für Interessen steht eigentlich die Regierung Merkel? Für die Interessen des Weißen Hauses oder die Interessen Europas? Oder, wie man denken sollte, für die Interessen Deutschlands? Wem sie sich zuordnet, ist eindeutig – ein Nein zu unserem großen Verbündeten jenseits des Atlantiks ist schier unmöglich. Und dafür werben sie alle: die Transatlantik-Brücke, wen Sie wollen, die Bilderberg-Konferenz, die abhängigen Medien. Was erwarten Sie, wenn die Washington Post von dem Chef von Amazon geführt wird? Was erwarten Sie davon, wenn das Kapital entscheidet, was die Leitartikel in den Medien verkünden sollen, in den Mainstream-Medien. Die Gehirnwäsche ist total und sie arbeitet mit permanenter Lüge.

Ich bin froh, hier im Serbischen Zentrum daran erinnern zu dürfen, wie die Gehirnwäsche gearbeitet hat. 1999 erklärte unser grüner Außenminister, der Joschka Fischer, dass er gelernt hat, dass Auschwitz ein Verbrechen sei und sich nie mehr wiederholen dürfe und vom deutschen Boden kein Krieg ausgehen darf. Aber nun hat er gelernt – unter Madeleine Albrights Ägide –, dass Auschwitz verhindern heißt: Bombardieren Belgrads. Was hatte Milosevic eigentlich verbrochen? Erklärt hat man, dass es 125.000 Tote im Kosovo gäbe, von den Serben umgebracht. Am Ende konnte man suchen, und man fand, was zu erwarten war: etwa dreitausend verscharrte Leichen, Serben, Albaner – Kriegsopfer, keine Kriegsverbrechen, der Hufeisenplan eine Lüge, die Verhandlungen in Rambouillet genau so, dass Milosevic in die Enge getrieben werden sollte. Er hätte lediglich Ex-Jugoslawien zum Protektorat der NATO erklären müssen, dann wären die Bombardements vermeidbar gewesen. Aber Milosevic war ein Kriegsverbrecher, Bill Clinton ein Ehrenmann. Wer eigentlich gehört nach Den Haag von all denen? Nicht zu reden von George W. Bush.

2001 hat man uns klar gemacht – ein SPD-geführter Minister beim Militär –, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird, Selbstverteidigung. Eine solche Klausel gibt es, Artikel 51 der UN-Charta, aber Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Seitdem haben wir vierzehn Jahre Krieg, ein verwüstetes Land, Kosten etwa 500 Milliarden Dollar, die da investiert wurden. Rechnen Sie auf eine Bevölkerung von zirka 15 Millionen Menschen in Afghanistan die Ausgaben für diesen idiotischen und verbrecherischen Krieg um. Wäre es die Wohltat gewesen, der Bevölkerung zu helfen, wie es vorgeblich der Fall hätte sein sollen, stünde heute Afghanistan als ein Friedensland da, mustergültig in der Ausbildung, in der Infrastruktur, angeschlossen an alles, was wünschenswert wäre, ein Paradies der Freiheit. Doch es gibt nichts von alledem. Sie sehen Panzer fahren zwischen Häuserreihen, aus Lehm gebaut, inmitten einer Bevölkerung, die tiefer steht in ihrer Wirtschaftsentwicklung als die meisten Dritte-Welt-Länder.

Allein die Vorstellung, mit diesen Machtmitteln etwas gegen den Willen der Bevölkerung erzwingen zu können, wirkt sich so aus, dass der Drogenhandel noch nie so erfolgreich war, die Taliban noch nie so stark, die Ablehnung und der Hass auf den Westen noch nie so groß. Wir müssen nur so weitermachen – und so wird es uns erklärt: wir können uns aus Afghanistan gar nicht zurückziehen. Wenn wir die alten Fehler machen, wird es vielleicht besser.

Es ist ein solcher Irrsinn, dass man unbedingt in der Friedensbewegung diskutieren und porträtieren muss, dass jeder Krieg die Probleme nur vertieft, die er vorgibt zu lösen. Und bereits in der Propaganda sollten wir die Aufmerksamkeit schüren: Es gibt keinen Krieg, der nicht mit der Verleumdung des Gegners beginnt, mit seiner Dämonisierung. Alle sind sie wie Hitler, nein, mehr noch, schlimmer als Hitler. Ho Chi Minh, ein Kommunist, der die ganze Welt bedroht – natürlich. Saddam Hussein, ein Krimineller. Gaddafi, ein Krimineller. Sie sind Diktatoren, aber rechtfertigt das die Theorie des Regime Change von Paul Wolfowitz aus dem Jahr 1992? Wie man den ganzen Nahen Osten aufrollt, den Irak, was dann 2003 auch kam. Syrien, was wir jetzt haben. Den Libanon umdreht.

Wem eigentlich nützt die Ausdehnung amerikanischer Machtinteressen? Das scheint mir das Hauptthema bei Ramstein zu sein. Die wirkliche Kriegsgefahr geht nicht aus von irgendeinem arabischen Diktator. Seit zweihundert Jahren hat kein arabisches Land irgendein europäisches Land angegriffen, aber in all der Zeit hat Europa seine Kolonialregime auf arabischem Boden etabliert. Seit 2001 hatten es die Amerikaner nötig, sieben arabische Länder niederzubomben, zu destabilisieren und Failed States aus ihnen zu machen. Aus diesem Wahn der Gewalt ist die Terrorgefahr des IS entstanden. Die Grausamkeit hat sich verinnerlicht, der Hass maximiert, der Zusammenbruch der Rechtsordnung radikalisiert.

Nur, was erwarten wir von Menschen, denen wir beibringen, dass auf dieser Welt einzig das Diktat der Macht Recht zu setzen vermöchte. Diese Perversion der Logik lässt sich nicht durchhalten, unter dem Titel des Antiterror-Kriegs haben die Amerikaner sich erlaubt, seit 9/11 die gesamte Erde zum Kriegsschauplatz zu machen, eigentlich um ihre eigenen Herrschaftsinteressen durchzusetzen.

Schon im Begriff Antiterror-Krieg steckt ein Fehler: Terror ist kein Gegner, er ist eine Austragungsform asymmetrischer Kriegsführung. Jean-Paul Sartre hat das Anfang der Sechziger im Vorwort zu Frantz Fanon, „Die Verdammten dieser Erde“, artikuliert. Es kommt, erklärte er damals, in den Guerillabewegungen, im Terror, in Algerien zum Beispiel, die Grausamkeit der Kolonialregime zurück zu ihrem Ursprung. Und sie werden in einer umgekehrten Dialektik wiederholen, was wir ihnen zugefügt haben, um ihre Würde zu erhalten – die wir ihnen verweigert haben.

Mir leuchtet die Logik Sartres nicht ein, dass Gewalt nötig wäre, um persönliche Würde herzustellen. Aber etwas stimmt daran. Wenn wir Menschen niedertreten und sie zwingen wollen, unsere Sklaven zu werden, politisch wie wirtschaftlich, werden sie sich weigern und zu jedem Mittel greifen, das zu verhindern. Am Ende kann in der Tat, wie Albert Camus erklärte, Gewalt und Tod eine letzte Demonstration eines Rechts von Menschenwürde sein. Das alles hat nichts zu tun mit dem Islam. Es hat zu tun mit einem Widerstand gegen eine Welt, die glaubt, das Maß aller Dinge zu sein und keinerlei Respekt mehr üben zu müssen.

Mit anderen Worten: Wir sollten davon reden, was die Ziele derer sind, die wir zu Terroristen erklären. Und dann wird man finden, dass Antiterror-Krieg genau so definiert wird, dass allein die Kampfform schon als kriminalisierbar und deswegen mit militärischen Mitteln überall auf Erden ausschaltbar erscheinen soll. Über die Zielsetzungen, für die der Terror als Mittel eingesetzt wird, braucht man nicht mehr zu reden. Die Rebellion gegen Amerika selber ist das Verbrechen. Tatsächlich, könnte man sagen, ist der Terror nichts weiter als der Krieg aus der Position der Unterlegenen. Aber dann, müssen wir hinzufügen, ist der Krieg der Terror der Staaten und der Regierenden. Und dass beides sich die Hand gibt und sich in der immer gleichen Blutmühle im Kreise dreht, ist das, was wir verhindern müssen.

Dafür steht Ramstein. Es ist die Zentrale des vor allem mit Drohnen geführten Antiterror-Kriegs, dem unsichtbaren, scheinbar klinisch sauberen Krieg, demjenigen, der keine Schuldgefühle machen müsste. Aber das Mitwirken daran macht schuldig. Die Billigung ist Schuld. Und richtig – wir erleben gerade den Vormarsch der Bundeswehr in Richtung der Mitte der Gesellschaft – müssen wir fürchten, dass Frau von der Leyen und Co es in der Tat in zwei, drei Jahren geschafft haben werden – Hunderte von Offizieren, die sie in die Schulen schicken, um den Mädchen beizubringen – 20 Prozent Belegung von Frauen in der Bundeswehr, ein Traumziel – ,dass es ein karrierebewusstes Betätigungsfeld ist, in der Bundeswehr zu sein, familiengerecht, mit einer Freizeitordnung für die Wochenenden.

Damals, als es 1955 anfing, hat man uns noch erklärt, dass wir die Bundeswehr brauchen: wir lernen das Töten auf dem Feld, damit wir niemals töten müssen. Wir müssen lediglich so abschrecken, dass niemand wagt, uns anzugreifen. Seit 1989 kann man wissen: Wer jetzt zur Bundeswehr geht, wird töten müssen, und genau das ist das Ziel, dahinter gibt es kein Zurück. Ob er es persönlich tut oder im Räderwerk des Todes mitarbeitet, läuft moralisch auf genau dasselbe hinaus, es gibt kein Splitting mehr. Das ist den Leuten zu sagen. Es ist jegliche Unschuld – wir drohen nicht mehr, wir sind im Ernstfall – verloren gegangen.

Ramstein kann dafür stehen, dass wieder andere, denen wir nur behilflich sind, dabei sind zu töten. Aber was machen wir dann, wenn die Verhältnisse lediglich wieder mal einen Schritt weitergeführt werden? Wir haben erlebt, dass man mit Syriens Assad zusammenarbeiten konnte, hier vom Flughafen in Frankfurt beim Verschicken von Terrorverdächtigen, damit man sie folterte in Damaskus. Da war Assad unser Freund. Es konnten Leute vom deutschen Sicherheitsdienst nach Damaskus gehen und die Folterverhörprotokolle einsehen und mit den entsprechenden Partnern verhandeln. Nun ist Assad nicht mehr unser Freund, sondern unser Gegner.

Steinmeier hat gelogen, als er erklärte, dass er nichts davon gewusst hat, dass vom deutschen Boden aus Folteropfer in die arabischen Regimes deportiert und überstellt wurden, nach Damaskus, nach Kairo, nach Bagram – nichts gewusst, nie haben sie irgendwas gewusst. Aber warum wissen dann wir, die Friedensbewegung, das und sagen es auf allen Marktplätzen ohne Gehör? Wir haben gewusst, dass Rambouillet eine Farce ist und keine Verhandlung, dass das Morden im Kosovo und der Hufeisenplan gelogen ist. Wir haben gesagt, es gibt keine Massenvernichtungswaffen im Irak. Es kann sie überhaupt nicht geben, weil die Wärmesensoren die Nachbildung von Anthraxviren allemal hätten aufnehmen können. Wir konnten das sagen, aber Frau Clinton, die sich bewirbt als nächste Präsidentin, kann erklären, dass sie sich 2003 geirrt hat, sie hat es nicht gewusst. Ja, mit Verlaub gesagt, wie bescheuert sind eigentlich diejenigen, die vorgeben, uns zu regieren? Sitzen sie ihren eigenen Lügen auf, glauben sie am Ende selber das Geschwätz, dass sie sich ausgedacht haben?

Dass die deutsche Bevölkerung sich jedenfalls nur mit Lügen in der Propaganda als kriegswillig hinstellen lässt, ist ein gutes Zeichen zugunsten der Friedensbewegung. Wir müssten die Lügen entlarven – sie zeigen das schlechte Gewissen der uns Regierenden, sie zeigen die gesamte Unaufrichtigkeit – und das bewusst zu machen, selbst wenn wir in den Medien nur ein Kontraecho finden, bleibt unsere Aufgabe, an der wir arbeiten müssen und arbeiten sollten.

Es mag sein, dass der Erfolg nicht schon hinter der nächsten Ecke wartet. Aber sagen müssen wir, dass die größte Gefahr heute ausgeht von der NATO selber. Vorgeblich hat sie uns all die Zeit vor dem Sowjetimperium beschützt. In Wirklichkeit wollte sie im Überhang der Kräfte ihren Hegemonialanspruch global stellen, und nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums ‘89 zeigte sich ihr wahres Gesicht. Nie hat es eine größere Angriffsarmee gegeben als die NATO, und sämtliche Konflikte, an denen Europa heute leidet, verdankt man dieser Strategie der Ostausdehnung der NATO, die auch nur in Frage zu stellen Baker damals in den Verhandlungen mit Gorbatschow verleugnet hat: „Keinen Zentimeter wird die NATO sich nach Osten bewegen“. Es war ein Problem, ob überhaupt das Gebiet der ehemaligen DDR militärisch aufgerüstet bleiben könnte. Versprochen hatte man, dass nur der Westen in der NATO bleiben könnte. Gorbatschows Vorschlag war es damals, gemeinsam mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes die NATO als überflüssig zu beseitigen. Stellen Sie sich vor, seit 1989 wären die etwa 40 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr seitdem nur für Militär und nur in Deutschland verpulvern, endlich den Zwecken zugeführt worden, an denen die Ursachen der Kriege tatsächlich zu bekämpfen wären. Wir wären jetzt froh, wenn wir die Türkei mit drei Milliarden dazu bringen könnten, Flüchtlinge aufzunehmen. Die drei Milliarden waren nicht vorhanden, als es darum ging, in Jordanien den Leuten, die auf der Flucht waren und in den Camps wohnten, irgendein Überleben zu sichern. Und es wäre ein Zehntel von dem, was wir fürs Militär jedes Jahr verplempern.

Schon in den Größenordnungen zeigen die USA mit 600 Milliarden Dollar, mehr als der ganze Rest der Welt zusammen, was sie wirklich vorhaben. Einbeziehung von Georgien in die NATO, das wird gerade diskutiert. Der Plan, die Ukraine für die NATO einzuheimsen, ist noch lange nicht vom Tisch, Militärübungen im Schwarzen Meer, im Baltikum, das alles soll zur Normalität gehören und Putin ist der Angreifer, wenn er sich dagegen wehrt – ein vollkommen verdrehtes Weltbild.

Die NATO riskiert den Weltfrieden in einem Ausmaß, wie es noch nie eines gab. Kasachstan in die NATO – am allerliebsten. Die Annexion ganzer Teile in Mittelasien, die Dauerstationierung in Afghanistan, und dann müssen Sie sich anschauen, wie es in Syrien zugeht. Wer erlaubt irgendeinem Staat, in einem anderen Staat militärisch tätig zu werden, ohne von der zuständigen Regierung darum ersucht worden zu sein? Assad hat Russland ersucht zum Bombardieren seiner terroristischen Gegner. Das ist, wie immer Sie es bewerten mögen, zumindest völkerrechtlich legitim. Nein, NATOstaaten bomben heute in Syrien gegen Assad. Die bombardieren nicht den IS; was sie wollen, ist ein Regime Change nach der Theorie von Paul Wolfowitz – völkerrechtlich absolut illegitim. Sechs weitere Nicht-NATO-Staaten bomben in Syrien, 15 Staaten sind inzwischen dabei, Syrien zu bombardieren, mit was für einer Legitimation? Und wann würde das im deutschen Bundestag mal besprochen und wieso sollen wir denen helfen mit Tornados?

Ich wage zu sagen in diesen Tagen als ein Theologe, der ich bin und war, zumindest an die Adresse derer, die sich christlich im Parteinamen nennen, oder die als Pastorentöchter oder Expastoren christlich immer noch im Mund führen, dass man die Botschaft der Engel über den Fluren von Bethlehem „Frieden auf Erden den Menschen, die an Güte glauben können“ absolut missversteht, wenn man aus den Engeln Bombenflugzeuge macht und ihren Auftrag dahingehend versteht, dass die einzige Friedensverantwortung darin bestehe, in das römische Militär einzutreten und unter den Stiefeln der Legionen eine augustinische Pax Romana mit Gewalt in die Welt zu säen, heute eine Pax Americana. Das wird niemals Frieden abgeben. Es ist gegen all das, was ein Mensch vernünftigerweise fühlen kann. Unser Hauptargument soll daher bleiben, dass Töten von Menschen niemals die Rettung von Menschen sein kann. Es ist nicht wahr, dass man mit Krieg ein Problem löst, und wir sollten uns nicht weiter von Frau von der Leyen und ihren Trabanten einreden lassen, dass wir ja schon viel erreicht hätten, wie Frau Merkel dieser Tage gerade in einer Zeitung vermeldete: „Wir haben ja schon Erfolge, wir haben den Kurden ja geholfen, Kobane zu befreien.“ Wir sollten der Türkei sagen, dass die Kurden mit 17 Millionen Menschen ein Recht haben, einen eigenen Staat zu bilden, das wär Hilfe für die Kurden.

Und dann wäre ein Antiterror-Krieg nicht ein Krieg gegen fremde Staaten, deren Führer wir nicht wollen. Es gehörte in die Verbrechensbekämpfung, also in die Hände der Polizei im eigenen Staatsgebiet, dafür zu sorgen, dass ein Gleiches wie gerade in Paris sich zum Beispiel von Belgien aus nicht wiederholt. Es ist nicht einmal klar, ob es irgendeine Kommandozentrale in Syrien gab, die das Attentat in Paris organisiert hat, inzwischen ist der Terror längst dezentralisiert. Man braucht nicht Schläfer zu wecken, es gibt Leute, die hoch motiviert dies und das tun. Aber das ist eine Frage der Verbrechensbekämpfung im eigenen Lande. Ein Verbrechen ist es, fremde Staaten und deren Bevölkerung in Kampfhandlungen hineinzuziehen, als wenn da Krieg wäre – Merkel vermeidet ja das Wort. Aber was wir haben, ist das Morden von Menschen außerhalb jeder Regulation. Das ist Krieg – oder wenn nicht, dann halt Massenmord. Dabei mitzuhelfen muss verweigert werden.

Es kann sein, dass uns bei all dem der Wind arg entgegenweht. Ich sehe voraus, dass es schwierig werden wird, Leute auf den Marktplätzen zusammenzutrommeln, wenn keine akute Gefahr besteht, ein Motiv zu finden gegen den Krieg prinzipiell, und grundsätzlich gegen das Militär zu argumentieren, deshalb möchte ich schließen mit einem kleinen Gedicht von Bertold Brecht:

„Wenn die Bekämpfer des Unrechts ihr verletztes Angesicht zeigen, ist die Ungeduld derer, die in Sicherheit waren, groß. Wer in den Krieg geht, muss verlieren können. Wer Streit sucht, begibt sich in Gefahr. Was wollt Ihr? Ihr habt das Unrecht bekämpft, das Unrecht hat euch besiegt, also schweigt.

Liebe Freunde, wir, die wir das Unrecht bekämpfen, sind nicht eure Feinde. Wenn das Unrecht siegt, hat das Unrecht doch nicht Recht. Unsere Niederlagen zeigen nur, dass wir zu wenige sind. Und wir erwarten von denen in Sicherheit, dass sie zumindest beschämt sind!“

Das sollten wir erreichen können, eine Fühlbarkeit, Sensibilität, ein verbleibendes schlechtes Gewissen, und die Lage darf nicht kippen. Bis vor ein paar Tagen noch schien die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen den Kriegseinsatz der Bundesrepublik in Syrien und gegen alle vorangegangenen Kriegseinsätze zu sein. Aber die Lage ist dabei zu kippen. Ich verspreche Ihnen, dass der erste wirklich durchgeführte Terrorakt hier auf deutschem Boden uns ganz dramatisch ins Gesicht wehen wird. Deshalb sollten wir noch einmal sagen: Angst ist kein Argument, weder gegen den Krieg noch für den Krieg.

Aber eine Freiheit, die daran glaubt, dass Güte die einzige Form der Menschlichkeit ist, kann sich vorbereiten auf den Frieden, er ist die einzige Alternative für die Zukunft. Eines Tages wird man den Krieg so abscheulich finden, wie man heute schon zunehmend das Töten von Tieren begreift – als erweiterte Form des Kannibalismus. Irgendwann wird man sich bei den Bildern von Verdun oder beim Zubulldozern irakischer Stellungen 1991 beim Desert Storm in die Toilettenschüssel übergeben. Irgendwann wird man nicht mehr vertragen, dass Menschen so sind. Der Krieg ist die Vergangenheit. Und was man darin hätte lernen können, wäre der Mut, sich selber zu riskieren, indem man Nein sagt und den Gehorsam verweigert.

Dankeschön.

Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2016_03_17_ramstein.htm