Dieser Beitrag erschien am 22. Dezember 2010 in The Capital Times (Madison/Wisconsin) von Joy Gordon. Ph.D. Gordon ist Professorin für Philosophie an der Fairfield University. Sie hat das Buch „Invisible War: The United States and the Iraq Sanctions” („Unsichtbarer Krieg: Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sanktionen gegen den Irak“ – Harvard University Press) geschrieben.
Letzte Woche hob der UN-Sicherheitsrat in einer Abstimmung die Sanktionen auf, die er vor 20 Jahren gegen den Irak verhängt hatte. Vizepräsident Joe Biden pries das als „Ende der bedrückenden Überreste der düsteren Ära Saddam Husseins.“
Was er nicht sagte war, dass die Sanktionen mehr als bedrückend waren. Sie lösten eine humanitäre Krise aus, die zum Tod von hunderttausenden Kindern führte und zum Zusammenbruch aller Systeme, die zur Erhaltung menschlichen Lebens in einer modernen Gesellschaft erforderlich sind. Und ganz sicher hat er nicht erwähnt, dass unter allen Ländern im UN-Sicherheitsrat es ausschließlich die Vereinigten Staaten von Amerika – allein die Vereinigten Staaten von Amerika – waren, die sicher stellten, dass dieser Schaden an den Menschen massiv und unbarmherzig ausfallen würde.
Das alles fand statt in einem obskuren Komitee des UN-Sicherheitsrats, bekannt unter dem Namen Komitee 661. Wenige haben davon gehört. Es war dieses Komitee, das bestimmte, ob die Iraker sauberes Wasser, elektrischen Strom in ihren Häusern oder Treibstoff für Autos und Lastwagen bekommen würden.
Es war ein Komitee, dass sich hinter verschlossenen Türen traf und nie öffentlich bekannt gab, was es machte. In ihm spielten die Vereinigten Staaten von Amerika eine einzigartige Rolle. Als sich die humanitäre Situation im Irak verschlimmerte, begann die Unterstützung für die Sanktionen im UN-Sicherheitsrat abzubröckeln. Als andere Mitglieder des Rates versuchten, dringend erforderliche humanitäre Güter in den Irak zu lassen, legten die Vereinigten Staaten von Amerika ihr Veto ein. Wenn einmal das Komitee entschied, Nahrungsmittel zuzulassen, stimmten die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Lastautos, die für den Transport von Nahrungsmitteln und anderen Gütern erforderlich waren, wie auch gegen Bewässerungsgeräte, um die landwirtschaftliche Versorgung zu verbessern.
Die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika war extrem und unerbittlich. Die Vereinigten Staaten von Amerika blockierten die Kühlung von Medikamenten mit der Begründung, dass Kühlschränke dazu benutzt werden konnten, Komponenten für biologische Waffen zu lagern. Die Vereinigten Staaten von Amerika blockierten so unschuldige Dinge wie Sperrholz, Stoff, Klebstoff und Glas mit der Begründung, diese seien „Rohmaterial für Industrieproduktion,“ das benutzt werden konnte, um das irakische Milität wieder aufzubauen.
Die Vereinigten Staaten von Amerika blockierten Impfstoffe für Kinder und Ausstattung für die Erzeugung von Joghurt mit der Begründung, dass die irakische Regierung diese benützen könnte, um Massenvernichtungswaffen herzustellen. Als der Irak versuchte, die Anzahl der Kleintiere für die Herstellung von Fleisch, Käse und Milch zu erhöhen, blockierten die Vereinigten Staaten von Amerika Impfstoffe für Ziegen und Schafe mit der Behauptung, der Irak könne diese als biologische Waffen verwenden.
Die Vereinigten Staaten von Amerika verhinderten den Import von Wassertankern in den Irak während einer Trockenperiode, in der Epidemien aufgrund von nicht für den menschlichen Genuss geeignetem Trinkwasser grassierten. Und Wasserleitungen für die Bewässerung. Und Lichtschalter, und Telefone, und Funkgeräte für Rettungsautos, und Feuerwehrautos, mit der Behauptung, diese könnten vom irakischen Militär benützt werden.
Einmal trat ein Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika vor dem Komitee 661 auf mit einer Phiole voll Katzendreck und informierte die Mitglieder ganz ernst: „Das könnte man verwenden, um Anthrax zu stabilisieren.“
Niemand sonst fand die Rechtfertigungen der Vereinigten Staaten von Amerika plausibel. UNMOVIC, die Waffeninspektoren der UNO, stellten viele der Begründungen der Vereinigten Staaten von Amerika für die Blockade humanitärer Güter in Frage. Nicht einmal das Vereinigte Königreich, der engste Alliierte der Vereinigten Staaten von Amerika im UN-Sicherheitsrat, teilte die Ansichten der Vereinigten Staaten von Amerika. Wie auch immer, die Vereinigten Staaten von Amerika gaben nur selten nach.
Die Vereinigten Staaten von Amerika behaupteten, diese Politik sei gegen Saddam Hussein gerichtet. Es war jedoch offenkundig, dass sie nur wenig mit diesem zu tun hatte. Die politische und militärische Führung des Irak, sowie die reiche Elite, war isoliert von den Beschwernissen. Die Bevölkerung insgesamt war das nicht.
Die Infrastruktur eines Landes zu vernichten, ein Land auf vorindustrielle Bedingungen zu reduzieren und es in diesem Zustand zu belassen heißt ganz genau, dass nachhaltiges menschliches Leben dort nicht möglich sein wird. Die Berichte von UNO-Agenturen und internationalen Organisationen wie etwa dem Roten Kreuz stellten sicher, dass die Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika ganz genau wussten, welcher Schaden speziell durch die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika verursacht wurde.
Während Vizepräsident Biden der Welt erklärt, dass das Ende der Sanktionen bedeutet, dass sich der Irak jetzt vorwärts in eine lichte Zukunft bewegen kann, sagt er nicht, dass in der Tat irreversible Schäden angerichtet worden sind, einschließlich der Tötung von Kindern und verkümmertes Wachstum durch jahrelange Unterernährung. Er sagt auch nicht, dass das restliche Werk der Zerstörung – der Zusammenbruch der Infrastruktur, die ungeheuren Zerstörungen von Industrie, Landwirtschaft, Stromversorgung, Gesundheits- und Erziehungswesen – nicht nur eine Folge von Saddams Husseins Gleichgültigkeit war. Wie groß auch der Schaden ist, den Saddam Hussein dem irakischen Volk zugefügt hat, die Vereinigten Staaten von Amerika haben diesen über ein Jahrzehnt lang um ein Vielfaches überboten.
Ergänzung aus aktuellen Anlass:
Wirtschaftskammer Österreich:
Aktueller Stand der Sanktionen gegen Syrien – Waren- und Personenembargos der EU
Quelle: http://antikrieg.com/aktuell/2016_05_30_dievereinigten.htm