Außenminister Steinmeier bekräftigt Allianz mit Neoliberalen in Lateinamerika
Sechstägige Reise nach Argentinien und Mexiko beendet. Wirtschaftliche Kontakte im Fokus. Debatten um Menschenrechte und Geschichte der westdeutschen Diplomatie
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat mit einer sechstägigen Reise nach Argentinien und Mexiko die Allianz mit den neoliberalen Regierungen beider Länder bekräftigt. Begleitet wurde der Sozialdemokrat bei den Staatsbesuchen, die am gestrigen Dienstag zu Ende gingen, von Abgeordneten der vier Bundestagsfraktionen, zwei Dutzend Vertretern deutscher Großunternehmen und kultureller Institutionen des Bundes, darunter das Goethe-Institut und der Auslandssender Deutsche Welle.
Bei seiner ersten Station in Argentinien war das Programm stark von wirtschaftspolitischen Themen geprägt. Nach den üblichen Treffen mit Amtskollegin Susana Malcorra Ende vergangener Woche kam Steinmeier mit dem neuen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri zusammen. Es folgten Gespräche mit mehreren Ministern und führenden Repräsentanten deutscher Großkonzerne aus Automobilindustrie, Luftfahrt, chemischer Industrie und Maschinenbau. In Buenos Aires stand zudem ein Treffen mit Agrarunternehmern auf der Tagesordnung. Während das Auswärtige Amt das „neue Momentum in der Beziehung“ beider Länder hervorhob, sprach Steinmeier in Bezug auf die Wahl des Neoliberalen Macri von der Rückkehr des Landes auf die internationale Ebene.
Allerdings bekam die deutsche Delegation auch die Folgen der neuen Politik in dem südamerikanischen Land zu spüren. Während der SPD-Minister und seine Begleiter in Buenos Aires mit Wirtschaftsvertretern zusammenkamen, folgten tausende Menschen einem Aufruf der Gewerkschaft CTA, um gegen die neoliberalen Maßnahmen und Massenentlassungen zu protestieren. Steinmeier empfahl Präsident Macri, beim Politikwechsel die soziale Balance zu wahren. Das Thema wird voraussichtlich auch beim Gegenbesuch des rechtsliberalen Staatschefs Anfang Juli in Berlin eine Rolle spielen.
Für Debatten sorgte die Geschichte der westdeutschen Diplomatie in Argentinien. Am Freitag besuchte Steinmeier den sogenannten Park der Erinnerung für die Opfer der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983). In Buenos Aires kam er zudem mit Familien von Opfern zusammen. Unter den bis zu 30.000 Menschen, die unter der Herrschaft der Militärs verschleppt und getötet wurden, befanden sich auch bis zu 70 Deutsche und deutschstämmige Argentinier. Wie auch im Fall der Militärdiktatur in Chile (1973-1990) blieb die Botschaft der Bundesrepublik damals untätig oder gefährdete die Verfolgten sogar. Bekannt wurden vor allem die deutschen Opfer Klaus Zieschank (1976), Nora Marx (1976) und Elisabeth Käsemann (1977). Angehörige der damals jungen Diktaturopfer erhoben später schwere Vorwürfe gegen Botschafter Jörg Kastl (1922-2014) und Außenminister Hans-Dietrich Genscher (1927-2016).
Für Unmut sorgte in diesem Zusammenhang während der Reise die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion, Heike Hänsel, die dem Außenamt (AA) „unterlassene Hilfeleistung“ vorhielt. „Das AA trägt eine Mitschuld am Tod von Elisabeth Käsemann und an der Ermordung vieler anderer“, sagte Hänsel, die Steinmeier begleitete. Dem widersprach die Grünen-Politikerin Claudia Roth, die von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zitiert wird: „Es kann das Auswärtige Amt ja nur stärken, wenn es zu seiner eigenen Geschichte steht.“ Der deutsche Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der mehrere Opferfamilien vertritt, bekräftigte im Gespräch mit amerika21 indes, dass die Verantwortung der ehemaligen Bundesrepublik in den Fällen Zieschank, Marx und Käsemann „sehr deutlich“ sei. „Deswegen wäre eine unabhängige Untersuchung wichtig“, so Kaleck, der vor allem auf die Rolle des argentinischen Geheimdienstmannes alias Mayor Peirano verwies, der damals in der westdeutschen Botschaft die Möglichkeit erhielt, Angehörige der Opfer auszuhorchen.
Auch Steinmeiers zweite Station in Mexiko war von Wirtschaftsgesprächen geprägt und Menschenrechtsfragen überschattet. Der SPD-Politiker kam dort mit mexikanischen Unternehmen und dem Wirtschaftsminister zusammen. Im Gespräch mit seiner mexikanischen Amtskollegin Claudia Ruiz Massieu drängte Steinmeier zugleich auf weitere Ermittlungen im Fall der 43 Studenten, die im September 2014 verschleppt und offenbar ermordet wurden. „Die Untersuchungen müssen weitergehen“, zitiert die dpa den SPD-Politiker, der in Mexiko-Stadt zudem das sogenannte Deutschland-Jahr eröffnete. Parallel dazu findet in Deutschland ein „Mexiko-Jahr“ statt. Das Thema der Menschenrechte spielt dabei aber keine Rolle. „Das Thema Rechtsstaat bzw. Menschenrechte ist kein unmittelbarer thematischer Schwerpunkt“, hieß es auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion.
Seit 2006 wurden in Mexiko bei bewaffneten Auseinandersetzungen rund 150.000 Menschen getötet und 280.000 vertrieben. Alleine im Jahr 2011 fand man 453 enthauptete Leichen. Bei seiner Rede zur Eröffnung des Partnerjahres in Mexiko ging Steinmeier auf diese Bilanz nicht ein. „Dieses Jahr wird das Deutschlandbild in Mexiko erneuern“, sagte er.
Erstveröffentlichung auf Portal amerika21.de am 8. Juni 2016