Atomfusion: Der letzte Strohhalm einer untergehenden Industrie

Beitrag von Jan Becker auf .ausgestrahlt.de – Gemeinsam gegen Atomenergie vom 18.10.2016

In Frankreich entsteht eines der größten Industrieprojekte der Welt: Unter Mitwirkung von Deutschland wird dort der Fusionsreaktor „International Thermonuclear Experimental Reactor“ (ITER) gebaut. Die Kosten explodieren, ein Nutzen dieser Technik für die künftige Energiegewinnung ist äußerst fraglich. Und natürlich entsteht neuer, gefährlicher Atommüll.

Der ITER ist ein gemeinsames Forschungsprojekt der Europäischen Union, USA, Japan, China, Russland und Südkorea. Die Anlage wird im rund 60 Kilometer nordöstlich von Marseille gelegenen Kernforschungszentrum Cadarache gebaut, eine der „nuklearen Hochburgen“ in Frankreich. Über die Europäische Atomgemeinschaft EURATOM ist Deutschland direkt involviert. Von deutscher Seite sind das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching und das Institut für Plasmaphysik (IPP) am Forschungszentrum Jülich am Projekt beteiligt.

Nach langen Verhandlungen wurde am 28. Juni 2005 der Startschuss für den Bau des Fusionsreaktors beschlossen. Kosten in Höhe von insgesamt 9,6 Milliarden Euro wurden prognostiziert, die Test-Anlage soll 20 Jahre lang betrieben werden und Ergebnisse liefern, ob Atomfusion einen Beitrag zur globalen Energieversorgung liefern kann. Während dieser Testphase fallen zusätzliche Kosten von etwa 4,5 Milliarden Euro an.

20-Milliarden-Geldverbrennungsmaschine

Mit dem Bau sollte ursprünglich 2006 begonnen werden, die Fertigstellung und Inbetriebnahme war auf 2015 terminiert. Doch begonnen wurden mit den Arbeiten erst 2009 und die Fertigstellung auf 2018 verschoben. Im Mai 2010 teilte die Europäische Kommission mit, dass laut einer aktuellen Kostenschätzung ihr Anteil an den Baukosten von ehemals geplanten 2,7 Milliarden Euro auf 7,3 Milliarden Euro steigen werde. Die Gesamtkosten wurden damals auf 16 Milliarden Euro geschätzt.

Frühestens 2035 soll die Anlage nun Strom produzieren. Die Hochrechnungen der Kosten bis zur Inbetriebnahme liegen offiziell bei mehr als 18 Milliarden Euro. Doch das wird offenbar auch nicht ausreichen: Aktuelle Unterlagen der Bundesregierung belegen, dass die Kosten in den kommenden Jahren noch stärker steigen dürften als bisher bekannt ist. Von 2021 an müssen laut Bundesforschungsministerium mehr als fünf Milliarden Euro zusätzlich aufgebracht werden. Weil Europa 45 Prozent der Beiträge leisten soll, lassen sich daraus Gesamtkosten von mehr als 20 Milliarden Euro ableiten.

Glaubt man der aktuellen ITER-Planung, wäre die Forschung nach 2050 in der Lage ein Kraftwerk zu bauen, dass in größerem Stil Strom ins Netz einspeist.

Noch ein Traum von der (nahezu) unerschöpflichen Energiequelle

Aufgrund der beschränkten Vorhandenheit fossiler Rohstoffe und dem missglückten Versuch der „Schnellen Brüter“ setzt die Industrie nun auf den Fusionsreaktor als eine „nahezu unerschöpflichen Stromquelle, CO2-frei, sicher und beherrschbar“. In dem Reaktor sollen Atomkerne miteinander verschmelzen – anstatt sie wie bisher zu spalten. Dabei werden ungeheure Mengen an Energie frei. Vergleichbare Prozesse laufen auf der Sonne ab.

Energiegewinnung durch Kernfusion ist der alte Traum von einer (nahezu) unerschöpflichen Energiequelle, an dem ForscherInnen seit über einem halben Jahrhundert ohne erkennbare Ergebnisse basteln. Und doch soll es sich um die „einzig verbleibende Option, um den Energiebedarf der wachsenden Weltbevölkerung zu decken“, handeln. Vor einigen Jahrzehnten noch wurde der Atomspaltung diese Rolle zugesprochen.

Neben der Tatsache, das der Fusionsreaktor als Großkraftwerk an den bestehenden zentralisierten Versorgungsstrukturen festhält, gibt es schon in der Testphase eine deutliche Verflechtung mit der Atomindustrie: Das für den Versuchsbetrieb benötigte Tritium in einer Menge von einigen Kilogramm könnte entweder aus Schwerwasserreaktoren stammen, in denen es in großen Mengen als Abfallprodukt anfällt oder aber in Atomreaktoren aus Lithium-6 erbrütet werden.

Zu teuer, zu spät, zu radioaktiv

Die Unfallrisiken des Fusionsreaktors sind mit dem der Atomkraftwerke nicht vergleichbar: Jederzeit kann der Prozess gefahrlos abgeschaltet werden. Doch die Innenwände des Reaktors werden radioaktiv und strahlen hundert Jahre lang. Sollten Fusionsreaktoren zum Standard werden, entstünde nach dem Zeitalter der Atomkraftwerke wieder ein stetig wachsender Berg strahlender Abfälle.

Deutschland ist mit dem Atomausstieg auf einem anderen Weg: Durch den Ausbau der Erneuerbaren Energiequellen entsteht eine dezentralisierte Energieversorgung, bei der Klein- und Kleinsterzeuger Strom in ein engmaschiges, intelligent verknüpftes Netz einspeisen. Bis 2050 werden Großkraftwerke wahrscheinlich der Vergangenheit angehören.

Niemand wird ihn haben wollen

Schon vor Jahren haben Berechnungen der möglichen Produktionskosten gezeigt, dass die Kilowattstunde aus einem Atomfusionsreaktor gegenüber den Kosten von Erneuerbaren Energien nicht mithalten kann. „Niemand werde diesen Reaktor, so es ihn geben sollte, haben wollen“, schrieb Hermann Scheer schon 2005 in seinem Buch „Energieautonomie: Eine neue Politik für erneuerbare Energien“. Es gäbe „keinen wirtschaftsrationalen Grund für die Entwicklung und die Einführung solcher Reaktoren“.

Es handelt sich um eine „sinnlose Mega-Investition in eine monströse Anlage, deren Funktionieren ungewiss ist, und die sich in Zeiten erneuerbarer Energien auf nukleare Träume von vorgestern stützt“, fasst die Süddeutsche Zeitung in einem aktuellen Artikel die Kritik zusammen.

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Der sofortige Atomausstieg ist möglich
.ausgestrahlt hat zu dieser Frage eine umfassende Studie in Auftrag gegeben (Arepo Consult: Atomausstieg 2015 – Gehen ohne Atomkraftwerke die Lichter aus?“). Das Ergebnis: Auch ohne alle AKW stehen ausreichend Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung, um jederzeit mehr Strom zu produzieren, als benötigt wird. Nirgendwo in Deutschland würden also ohne AKW die Lichter ausgehen.

Quellen (Auszug): sueddeutsche.de (17.10.2016), contratom.de, de.wikipedia.org, hermannscheer.de, klimaretter.info