Ein Stadtrat sollte das Kernstück lokaler Demokratie sein, verkommt jedoch immer mehr zum Gehilfen!
So oder ähnlich muss man die Situation einschätzen, schaut man sich die Vorlagen für den nächsten Jenaer Stadtrat an. Wo wird denn dort noch politischer Gestaltungswille gefordert? Der Stadtrat wird auch in seinen nächsten Sitzungen faktisch mit Berichts-und Beschlussvorlagen „zugeschissen“. Bereits zur letzten Stadtratssitzung im Oktober konnten viele Tagesordnungspunkte gar nicht mehr abgehandelt werden, weshalb jetzt auch zwei Sitzungen nötig sind.
Mittlerweile ist auch in Jena zu beobachten, dass es überhaupt keine Öffentlichkeit mehr der politisch Verantwortlichen gibt. Alles wird hinter verschlossenen Türen oder wahrscheinlich eher gar nicht mehr behandelt. In Frage stellt niemand dieses System! Öffentliche Reflexionen von Beschlüssen gibt es überhaupt nicht mehr. Stadt als Ganzes wird nur noch in wenigen Fällen praktiziert, eher geht es auch im Stadtrat um persönliche Interessen einiger weniger! Damit meine ich nicht nur Interessen politischer Akteure. Beobachtet man die Sitzungen, muss man ganz genau hinsehen, wer was sagt und weshalb? Interessen lassen sich dahinter sehr schnell ausmachen. Mitläufer ebenso!
Man muss den Eindruck gewinnen, dass die gewählten Vertreter zum willigen Umsetzer der Staatsmacht verkommen. Schon lange müssten die Verantwortlichen ihre eigene Rolle in die Debatte werfen. Ein Stadtrat sollte laut über die demokratische Kultur einer Stadt nachdenken. Dass dies jedoch überhaupt nicht mehr passiert, kann für Jena nicht gut sein. Viele Menschen haben sich bereits völlig vom System abgewandt. Wenn nur noch beschlossen wird, ohne zu erklären, werden wir unsere Demokratie immer weiter aushöhlen. Für das Lesen der Unterlagen benötigt man sehr viel Zeit, viele Widersprüche treten dabei auf und es lässt sich einfach keine Vision für unsere Stadt erkennen. Dies fällt gerade auf, wenn man sich die Unterlagen zum Haushalt anschaut!
Wenn man das Gefühl von Hilflosigkeit hat, hilft es jedoch nicht zu schweigen. Wir brauchen die Debatten und wir müssen uns überlegen, wer diese führen kann, wenn die Politik es nicht mehr dazu in der Lage ist. Eine völlig neue Struktur, eine neue Idee für eine lokale Demokratie brauchen wir, davon bin ich überzeugt.
Wenn wir nicht wieder laut über unsere gemeinsame Zukunft reden, werden wir auch keine haben. Ich lebe in einer tollen Stadt, aber so kann es nicht weitergehen. Und das hat vor allem mit uns zu tun. Ich schreibe, um es selber besser verstehen zu können. Wir müssen unseren Horizont, unseren Geist für das Gute und Positive, für die Zukunft öffnen. Dazu brauchen wir alle und jeder muss eingeladen werden, die Stadt mit gestalten zu können. Zukunftswerkstätten, Bürger- und Unternehmerstammtische sollten für uns das Maß der Entwicklung sein. Wir müssen weg vom alten Denken. Wie notwendig das ist, werden wir in den nächsten Tagen wieder live im Stadtrat erleben können.
Ich lade Sie ein, hören Sie sich den Stadtrat an. Dort werden die Entscheidungen für unsere Stadt getroffen. Wenden Sie sich nicht davon ab, sondern steigen Sie ein, wenigstens in eine öffentliche Debatte. Es geht uns einfach alle an, auch wenn wir es nicht richtig glauben können! Hören wir mit den Stellvertreterdebatten auf. Mischen wir uns ein, alle!
Die Stadtratssitzungen finden am 22.11. 2016 und am 30.11.2016 ab 17 Uhr im Jenaer Stadtrat statt.
Erstveröffentlichung am 21.November 2016 auf Jenapolis