Konservative in Europa sehen Wendepunkt in Beziehungen zu Lateinamerika

Von Jonatan Pfeifenberger, Harald Neuber

Fraktion der EVP und CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung beraten politische Optionen. Außendienst der EU sieht Annäherung vor allem an Brasilien

Angesichts der neuen rechtsgerichteten Regierungen in Lateinamerika hoffen die Europäische Kommission und konservative Kräfte in Europa auf eine Stärkung der neoliberalen Kooperation.

Die Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) und die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) haben in Straßburg vor diesem Hintergrund über „Chancen und Gelegenheiten“ und einen möglichen „Wendepunkt in den Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika“ diskutiert. Nach der Wahl von Präsident Mauricio Macri in Argentinien Ende vergangenen Jahres, dem kalten Putsch in Brasilien in diesem Jahr und der neoliberalen Neuorientierung der Regierung von Uruguay sehen konservative Kräfte innerhalb der EU offenbar neue Potentiale für eine Verstärkung der Politik des Freihandels mit Lateinamerika.

Der italienische Vizepräsident des Europäischen Parlaments (EP), Antonio Tajani, hatte als Mitglied der EVP unlängst zu der Konferenz eingeladen, um die Herausforderungen zu diskutieren, die sich aus der Ablösung von Regierungen in Lateinamerika ergeben haben, die für „fragwürdige demokratische Standards und nicht-nachhaltige Wirtschaftpolitik“ standen. Seitdem die dem politisch linken Lager zugeordneten Cristina Fernández de Kirchner (Argentinien), Dilma Rouseff (Brasilien) und auch José Mujica (Uruguay) nicht mehr die Regierungen ihrer Länder anführen, scheint sich innerhalb EU eine Form der Erleichterung breit zu machen. Von den neuen Regierungen verspricht man sich ein Wiederkehren neoliberaler Politik. Darin sehen zumindest Konservative in Europa große wirtschaftliche Chancen für die EU.

Bereits im März dieses Jahres hatte der Recherchedienst des EP ein Papier herausgegeben, in dem die Chancen für eine Intensivierung des Handels mit Lateinamerika analysiert wurden. Dabei nannten die Autoren auch die Notwendigkeit für die EU, den Freihandel durch die Überarbeitung bestehender Verträge und den Abschluss neuer Abkommen auszubauen. Man dürfe aktuelle Entwicklungen wie den Ausbau der Pazifik-Allianz – einem Bündnis neoliberal orientierter Regierungen in Lateinamerika – nicht verschlafen. Ihr gehören Mexiko, Kolumbien, Peru und Chile an. Argentinien sucht unter Präsident Macri eine Annäherung an die Allianz.

In den vergangenen Monaten wurden die bereits vor 16 Jahren begonnenen Gespräche über ein Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Handelsverband Mercosur wieder intensiver geführt. Vor wenigen Tagen hatte auch Ecuador eine Handelsvereinbarung mit der EU unterzeichnet. Außerdem wolle man das bestehende Abkommen mit Mexiko in Bezug auf seine Wirksamkeit überprüfen und es nach Möglichkeit anpassen, empfiehlt das Papier vom März dem EP.

Besondere Hoffnung legen führende EU-Gremien offenbar in die De-facto-Regierung von Brasilien unter Führung von Michel Temer. Der Politiker war Ende August nach einer im Land und international kritisierten Absetzung der gewählten Präsidentin Dilma Rousseff ins Amt gekommen. Nach Auskunft eines EU-Diplomaten hofft nun vor allem der Europäische Auswärtige Dienst auf eine engere Zusammenarbeit mit der Regionalmacht Brasilien. Bis Ende des Jahres sollen sich hochrangige Vertreter beider Seiten und ein gemeinsames Arbeitskomitee treffen. Die brasilianische Seite hatte offenbar auf ein Gipfeltreffen mit der EU noch in diesem Jahr gedrängt. Dieser Gipfel soll nach derzeitigen Planungen aber erst im Februar 2017 stattfinden. Bis dahin, so heißt es aus diplomatischen Quellen, würden von der EU und Brasilien verschiedene gemeinsame Vorhaben besprochen, unter anderem die Verhandlungen mit dem Mercosur und die mögliche Einbindung von Brasilien in Militärmissionen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU.

Veröffentlicht auf Portal amerika21.de am 1. Dezember 2016